Nach dem Lesen des OLG Hamm, Beschl. v. 26. 08.2014 – 3 RVs 55/14 – stutzt man – jedenfalls ich – und fragt sich: Richtig? Nun, nicht das Ergebnis. Denn das dürfte der ständigen Rechtsprechung der Obergerichte entsprechen. Das OLG hat nämlich eine vom LG nach einer Trunkenheitsfahrt in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten ohne Bewährung nicht nur nicht beanstandet, sondern ist der landgerichtlichen Wertung beigetreten. Dagegen kann man angesichts der schweren Folgen der Trunkenheitsfahrt – bei dem durch die Alkoholisierung verursachten Verkehrsunfall ist der andere Unfallbeteiligte getötet worden – nun wahrlich nichts einwenden. Das OLG führt zur Verneinung der Strafaussetzung allerdings aus:
„Die Rüge der Verletzung materiellen Rechts greift nicht durch.
Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen tragen den Schuld- und den Rechtsfolgenausspruch. Insbesondere ist es aus Rechtsgründen auch nicht zu beanstanden, dass die Kammer besondere Umstände gemäß § 56 Abs. 2 StGB nicht, demgegenüber aber angenommen hat, dass die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der Freiheitsstrafe gebietet, § 56 Abs. 3 StGB.
Kurz vor der Kollision war der Angeklagte einem Zeugen durch besonders aggressive Fahrweise aufgefallen. Bei vorhandenen Handlungsalternativen – insbesondere wäre es ihm möglich gewesen, sich von einem Bruder abholen zu lassen – entschloss er sich dazu, sein Fahrzeug die 30 km lange Strecke zu seiner Wohnung zu führen. Er setzte sich dabei bedenkenlos ans Steuer, obschon die besonders hohe Alkoholisierung für ihn erkennbar war.
Deswegen haben die drei Kinder des Getöteten ihren Vater und die Ehefrau ihren Ehemann verloren.
Insbesondere im Hinblick auf diese herausragend schweren Folgen für den Getöteten und seine nahen Angehörigen, die das Maß der absoluten Fahruntüchtigkeit weit übersteigende Alkoholisierung des Angeklagten sowie die festgestellte aggressive Fahrweise in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Tat ist trotz der zahlreichen mildernden Umstände die genannte Wertung des Landgerichtes nicht nur aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Der Senat teilt diese Wertung.“
Und daran stören mich dann zwei Dinge:
1. Warum überhaupt Ausführungen zu § 56 Abs. 3 StGB? Denn wenn schon – so lese ich es jedenfalls – keine besonderen Umstände i.S. von § 56 Abs. 2 StGB vorgelegen haben, die es gerechtfertigt hätten, die ein Jahr übersteigende Strafe zur Bewährung auszusetzen, dann kam es auf die Frage, ob nicht ggf. die Verteidigung der Rechtsordnung die Strafvollstreckung gebietet, also § 56 Abs. 3 StGB, gar nicht mehr an. M.E. hat das OLG hier etwas entschieden, was es gar nicht zu entscheiden brauchte. Aber vielleicht wollte man auch mal nur ein Zeichen gegen den Alkohol im Straßenverkehr setzen?
2. Auch bei der Begründung habe ich ganz leichte Bauchschmerzen. Richtig ist, dass die schweren Folgen herangezogen werden und darauf im Rahmen der Entscheidung zu § 56 Abs. 3 StGB abgestellt wird. Nur: Den Hinweis: „Deswegen haben die drei Kinder des Getöteten ihren Vater und die Ehefrau ihren Ehemann verloren.“ hätte ich mir erspart bzw. nur darauf abgestellt, dass durch den Unfall ein Mensch getötet worden ist. So entsteht der Eindruck, dass ggf. bei einem nicht verheirateten Single, einem Rentner usw. anders gewertet worden wäre. Kann aber auch sein, dass ich da zu empfindlich bin.
Nein Sie sind nicht zu empfindlich, sondern legen den Finger in die Wunde. Formuliert man so, werden die Strafzumessungsgründe beliebig. Im einen Fall wird strafschärfend berücksichtigt, dass der Täter ein hoffnungsvolles junges Leben ausgelöscht hat, im nächsten Fall heißt es, er habe einem Rentner den verdienten Lebensabend genommen.
Oschon selbst Rechtsanwalt und auch Strafverteidiger, lassen sich manche Urteile und Beschlüsse durchaus gelegentlich nachvollziehen.
Allerdings habe auch ich Bauchschmerzen mit der Begründung des Senats in dem vorliegenden Fall. Es besteht tatsächlich die Gefahr der Beliebigkeit, die der Laie, der Angeklagte, als Willkür verstehen könnte.
Ich sage dies einmal sehr pointiert und schon fast böse mit dem Rentnerbeispiel: „Strafmildernd war jedoch zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Getöteten um einen XX Jahre alten Rentner handelte. Durch dessen, durch den Angeklagten verursachten Tod, wurde die Rentenkasse davor bewahrt, dem Getöteten noch XX Jahre weiter Rente in Höhe von XXXX,XX EUR monatlich, mithin von insgesamt zu erwartenden XXX.XXX,XX EUR zu zahlen.“
Man mag mir diese bösen Worte verzeihen…
Aber ich glaube, dass dieses Beispiel durchaus geeignet sein könnte, die Gefahr der Beliebigkeit und der drohenden Wikkür aufzuzeigen.
Die von dem Senat gewählte Formulierung erscheint mir zu moralisch und birgt große Gefahren, da sie Tür und Tor öffnen könnte. Auch in anderen Fällen.
Kleine Randbemerkung: Ich selbst bin übrigens Vertreter von 0,0 Promille im Straßenverkehr.
@Schmidjohann: „Kleine Randbemerkung: Ich selbst bin übrigens Vertreter von 0,0 Promille im Straßenverkehr.“ – Allein die Umsetzung dürfte Ihnen sehr schwer fallen. Ich behaupte, Sie sind noch nie mit 0,00 Promille Alkohol im Blut gefahren. Sie hatten bisher immer mehr. Warum das so ist kann ihnen jeder Mediziner erklären. An vielen Unis wird „Rechtsmedizin für Juristen“ oder eine ähnlich benannte Veranstaltung angeboten, die sollte man als (angehender) Jurist unbedingt mal hören. Aufgrund der studentischen Interessenlage wird auch das Thema Alkohol recht intensiv behandelt. Denn man noch schnell nen lecker Apfelsaft und dann ab im Auto nach Hause – und schon wieder eine „Tunkenheitsfahrt“. Kohlenhydrate – Zucker – Gärung sind da ein paar böse Stichworte. 😉
zum Rest: Tod ist Tod, ob viele oder wenige heulen. Vor dem Recht soll doch jeder gleich sein, also auch Tote.
Eine ausgesprochen unglückliche Begründung die an einem OLG eigentlich nicht vorkommen sollte. Sind gute Juristen derartig selten geworden?
„So entsteht der Eindruck, dass ggf. bei einem nicht verheirateten Single, einem Rentner usw. anders gewertet worden wäre.“
Das ist ja auch grundsätzlich richtig. Denn der (frühe) Tod des Vaters trifft auch die Kinder ganz besonders – noch mehr als die Ehefrau (und ggf. Elter, Freunde pp.). Neben den Tod eiens Menschen als Tatfolge tritt also noch die Beeinträchtigung des Lebens anderer Menschen und deren Leid, insbesondere das der (so kann man annehmen) noch minderjährigen Kinder. Das ist durchaus ein Strafzumessungsgesichtspunkt, wie der Senat mit der Wendung „Insbesondere im Hinblick auf diese herausragend schweren Folgen für den Getöteten und seine nahen Angehörigen (!) …“ dann ja auch zutreffend fortfährt.
Strafzumessungsrelevant wäre m.E. auch, wenn aufgrund der Gestaltung des ehelichen Zusammenlebens (Alleinverdienerehe) die Hinterbliebenen in materielle Not geraten.