Archiv für den Monat: August 2014

Leerdatensätze beim Radarmessverfahren – ist (weitere) Aufklärung erforderlich?

entnommen wikimedia.org Urheber DBZ2313

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Messfehler geltend zu machen und/oder das AG zu bewegen, ggf. eine Messung (noch einmal) durch einen Sachverständigen kritisch überprüfen zu lassen, ist nicht einfach. Die Rechtsprechung ist da verhältnismäßig streng. Neulich meinte ein Kollege, das werde „gemauert“, damit nicht ggf. das gesamte System der Verkehrsüberwachung zusammenbricht. Ich kann es nicht beurteilen, da ich kein Techniker bin und i.d.E. schon erhebliche Schwierigkeiten habe, die technischen Abläufe zu verstehen. Jedenfalls lässt sich aber aus der Rechtsprechung (der OLG) eins ableiten: Ohne konkreten Vortrag kommt man nicht weiter. Das ist m.E. auch das Fazit aus dem OLG Hamm, Beschl. v. 10.06.2014 – 1 RBs 164/13, in dem das OLG eine Aufklärungsrüge des Verteidigers als nicht genügend begründet angesehen hat.In dem Zusammenhang heißt es dann zum Messverfahren und zu Messfehlern:

Warum das Amtsgericht sich unter diesen Umständen dazu hätte gedrängt sehen müssen, ein Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob eine ungewöhnliche Konzentration von Leerfotos mit Leerdatensätzen Hinweise auf eine fehlerhafte Arbeitsweise des Gerätes liefern könnten, hätte näher dargelegt werden müssen, was aber nicht geschehen ist.

„Leerfotos entstehen typischweise bei Knickstrahlreflexionen, indem Fahrzeuge im reflektierten Radarstahl außerhalb des Bildaufnahmebereichs gemessen werden (Golder, Die Beurteilung von Geschwindigkeitsmessungen mit Radargeräten, VRR 2009, 176; Böttger in Burhoff, Handbuch des straßenverkehrsrechtlichen Ordnungswidrigkeitsverfahrens, 3. Aufl. Rdnr. 1413). Eine Vielzahl solcher Leerbilder ist zwar insofern von Bedeutung, als sie ein Indiz für eine mögliche Reflexionsfehlmessung darstellen kann. Um eine derartige Häufung von Leerbildern festzustellen oder auszuschließen zu können, macht es durchaus Sinn, sämtliche Bilder einer Messsequenz beizuziehen. Ob eine Reflexionsfehlmessung bei der konkret zu beurteilenden Messung tatsächlich vorgelegen hat, kann aber nur durch einen Sachverständigen für den jeweiligen Einzelfall geklärt werden (Böttger in Burhoff, Handbuch des straßenverkehrsrechtlichen Ordnungswidrigkeitsverfahrens, 3. Aufl. Rdnr. 1413). Dies erschließt sich schon daraus, dass Reflexionsfehlmessungen nicht nur durch statische Objekte, wie z. B. großflächige Verkehrsschilder u. ä. , sondern auch durch nur kurzfristig vorhandene und daher nur im Einzelfall wirkende Reflektoren (Metallfläche eines fahrenden LKW oder Busses) verursacht werden können. Eine gehäufte Anzahl von Leerbildern im Rahmen einer Messserie vermag daher für sich allein allenfalls den Verdacht auf eine störanfällige Messstelle zu rechtfertigen, der Anlass gibt, die konkret zur beurteilende Messung diesbezüglich kritisch zu überprüfen. Im vorliegenden Verfahren hat sich der Sachverständige mit einer möglichen Knickstrahlreflexionsfehlmessung in Bezug auf die Messung des Fahrzeugs des Betroffenen befasst und eine solche Fehlmessung nach den Ausführungen in den Urteilsgründen ausdrücklich ausgeschlossen. Da der Sachverständige nach den Urteilsausführungen zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die Messung der Geschwindigkeit des Fahrzeugs des Betroffenen auch im Übrigen fehlerfrei erfolgt sei, hätte es näherer Ausführungen dazu bedurft, warum sich das Amtsgericht hätte gedrängt sehen müssen, ein ergänzendes Sachverständigengutachten dazu einzuholen, ob das einwandfreie Funktionieren des Messgerätes auch dann noch sicher beurteilt werden könne, wenn unterstellt werde, dass 16 Datensätze mit Leerfotos vorlägen, insbesondere hätte dargelegt werden müssen, auf welche sonstigen konkreten Fehler hinsichtlich der Funktionsweise des Messgerätes, die sich auch auf die im vorliegenden Verfahren zu beurteilende Messung niedergeschlagen haben könnten, die fehlenden 16 Datensätze – bei Unterstellung, dass es sich insoweit um Datensätze mit Leerbildern gehandelt habe – den Rückschluss zulassen sollten. Im Übrigen ist bei der Frage, ob sich das Amtsgericht zu weiteren Beweiserhebungen hätte gedrängt sehen müssen, auch zu berücksichtigen, dass der in der Hauptverhandlung anwaltlich vertretene Betroffene durch seinen Verteidiger keinen entsprechenden Beweisantrag hat stellen lassen, obwohl dies möglich gewesen wäre (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 244 Rdnr. 81 m. w. N.).“

Also: Konkret muss der Vortrag sein, was für einen technischen Laien schwierig ist und wahrscheinlich ohne die Hilfe eines anderen Sachverständigen kaum zu bewerkstelligen ist.

Zur Abrundung: Dem Verteidiger muss man an dieser Stelle im Übrigen schon entgegen halten, dass, wenn er überhaupt eine Chance haben will, die Aufklärungsrüge zumindest so begründet sein muss, dass das OLG nicht ein „Haar in der Suppe“ findet und sie an § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO scheitern lässt. das war hier nämlich der Fall.

Aber der Beschluss beinhaltet auch etwas Erfreuliches: Denn als Herausgeber/Autor freut man sich natürlich über die Zitate aus dem („eigenen“) OWi-Handbuch, das jetzt übrigens bald in der 4. Auflage kommt, und dem VRR 🙂 .

Strafzumessung: Wenn Geld- neben Freiheitsstrafe, dann aber richtig

© Dan Race - Fotolia.com

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Geldstrafe und Freiheitsstrafe nebeneinander? Geht das? Ja, das geht, wie uns ein Blick in § 41 StGB zeigt. Ist in der Praxis nicht so häufig die Konstellation, aber wird dann ganz gerne von den Gerichten mal gemacht. Nur, wenn man es macht, dann muss man auch darauf achten, dass dann besondere Anforderungen im Rahmen der Strafzumessung zu beachten sind. Und die hatte eine Strafkammer beim LG Mainz übersehen. Ergebnis: Der BGH, Beschl. v. 24.07.2014 – 3 StR 176/14 – hebt auf:

Die gesamten Strafaussprüche haben – bereits unabhängig von der Änderung der Schuldsprüche – keinen Bestand.

Das Landgericht hat bei der Bemessung sämtlicher Einzelstrafen nicht nur Freiheitsstrafen, sondern auch Geldstrafen für geboten erachtet (§ 41 StGB). Die Vorschrift erlaubt indes keine Zusatzstrafe. Wird neben einer verwirkten Freiheitsstrafe auch auf eine Geldstrafe erkannt, so muss sich vielmehr die Strafe in ihrer Gesamtheit im Rahmen des Schuldangemessenen halten. Das Verhältnis zwischen den beiden Sanktionsmitteln richtet sich dabei nach allgemeinen Strafzumessungsgrundsätzen, weshalb bei der Bemessung der Freiheitsstrafe die Verhängung einer zusätzlichen Geldstrafe als bestimmende Strafzumessungstatsache Berücksichtigung zu finden hat (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 1985 – 4 StR 53/85, wistra 1985, 147). Zu den Auswirkungen der Geldstrafen auf die Bemessung der Freiheitsstrafen verhält sich das Urteil je-doch nicht. Was den Angeklagten M. betrifft, hätte sich das Landgericht überdies damit auseinandersetzen müssen, ob die Verhängung einer Geldstra-fe neben einer Freiheitsstrafe nach dessen Vermögensverhältnissen überhaupt angebracht ist (hierzu BGH aaO, 148). Nach den Feststellungen verfügt er über kein Vermögen, ist mit 100.000 € verschuldet und bezieht lediglich Sozialleis-tungen.“

Lösung zu: Ich habe da mal eine Frage: Längenzuschlag für den Pflichtverteidiger – mit oder ohne Pause?

© haru_natsu_kobo - Fotolia.com

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Nun, war die Frage vom vergangenen Freitag: Ich habe da mal eine Frage: Längenzuschlag für den Pflichtverteidiger – mit oder ohne Pause? schwer?

M.E. nicht und m.E. kann es auch nur eine Antwort geben. Und die lautet: Ja. Aber: Bei der Frage handelt es sich sicherlich um eine der Fragen, die im RVG betreffend Teil 4 und 5 am heftigsten umstritten ist in der Rechtsprechung, die das dann teilweise auch anders sieht. Ich habe dazu schon so oft geschrieben, dass ich es hier jetzt nicht noch einmal tun will, sondern der Einfachheit halber verweise auf meinen Beitrag aus RVGreport 2014, 250: 10 Jahre RVG – Rückblick und Ausblick zu den Teilen 4 und 5 VV RVG, oder auch Was man sich noch wünschen könnte. Da steht alles, was man wissen muss und ist auch die Rechtsprechung „Für und wider“ zitiert. Und natürlich gibt es auch noch eine aktuelle Entscheidung, und zwar aus der „gebührenrechtlichen Diaspora“, den OLG Oldenburg, Beschl. v. 23.04.2014 – 1 Ws 153/14 – mit dem Leitsatz.

Bei der Berechnung des Längenzuschlages ist die Zeit der Mittagspause unabhängig von ihrer Länge grundsätzlich und regelmäßig in vollem Umfang von der Dauer der Hauptverhandlung abzuziehen.

Ist zwar in meinen Augen falsch, aber dennoch…

Etwas klarer ist die Sache bei den Wartzeiten. Die werden nach h.M. gut geschrieben. Das sehen auch alle OLG so, mit Ausnahme des OLG Saarbrücken. Na ja, einer muss ja immer aus der Reihe tanzen.

Lettow-Vorbeck: Sein Wirken in Ostafrika beschäftigt(e) das AG Hannover

entnommen wikimedia.org Bundesarchiv Inventarnummer Bild 105-DOA0967

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Bundesarchiv Inventarnummer Bild 105-DOA0967

Schon länger hängt in meinem Blog-Ordner das AG Hannover, Urt. v.18.12.2013 – 220 Bs 1/12, ergangen in einer Privatklagesache.Vorgeworfen wurde dem Privatbeklagten mit der Privatklageschrift der Privatklägerinnen ppp., in dem von ihm verfassten und verbreiteten „Gutachten über Paul von Lettow-Vorbeck“ folgende unwahre Tatsachenbehauptungen über ihren Vater aufgestellt zu haben:

„1. Er nutzte den Belagerungszustand und Kriegs- wie Standgerichte zur Verletzung aller Normen des Rechts, einschließlich der exzessiven Anwendung der Todesstrafe ohne rechtliche Garantien.“

2. „Insgesamt ist festzustellen, dass Lettow-Vorbeck persönlich an Kriegs- und Menschenrechts-Verbrechen in Afrika und Deutschland, wahrscheinlich auch in China beteiligt war.“

3.  ~Teilnahme am Genozid in Südwestafrika-Namibia als Adjutant des verantwortlichen Generalleutnants von Trotha für den Vernichtungsbefehl gegen die Herero.“

4.  „~Prägte sich auch bei Lettow-Vorbeck die Erfahrung des brutalisierten Guerillakrieges ohne irgendeine rechtliche Beschränkung ein. Seine weitere militärische Praxis ist in dieser Hinsicht von großer Kontinuität geprägt.“

5. „Auch im Zuge dieser Kriegsführung wurden Gefangene meist hingerichtet oder zumindest in Ketten und Halseisen gelegt.“

6.  „Die Jagd nach flüchtigen Trägern war ebenfalls brutalisiert. Zunächst wurden Gefangene in Ketten gelegt, nachdem dieses Mittel erschöpft war, mit Telefondraht gefesselt. Gruppen von 6 bis 8 Personen mussten so gefesselt marschieren. Kranke wurden auf Märschen liegengelassen.“

7.  „Lettow-Vorbeck befahl rücksichtsloses Vorgehen, ließ Menschen aufhängen und Dörfer verbrennen.“

8.  „Es wurden auch vom deutschen Militär die von der Haager Landkriegs-ordnung verbotenen Dum-Dum-Geschosse eingesetzt. Indische und portugiesische Kriegsgefangene wurden erschossen. Es kam zu Tötungen von Verwundeten. Lettow-Vorbeck wiederholte in diesem Kontext die Formel von Wilhelm II. zum Boxerkrieg: ‚dass kein Pardon gegeben wird‘“.

9.  „Vergewaltigungen und Leichenfledderei waren ebenfalls auf beiden Seiten verbreitet.“

10. „Der Krieg in Ostafrika wurde … durch die Tendenz zur Rücksichtslosigkeit und Brutalität des Militarismus von Lettow-Vorbeck gesteigert. Persönliche Verantwortung für Kriegsverbrechen nach der Haager Landkriegsordnung und dem deutschen Militärrecht lag vor, nicht nur gegenüber Afrikanern, sondern auch Soldaten der Alliierten.“

11.  „Hochverrat und Verantwortungsgefühl für illegale Standgerichte und Todesurteile und Morde durch Aufforderung zum rücksichtslosen Schusswaffen-gebrauch, Verantwortung von Tötung, insbesondere von Streikenden sind dementsprechend von Lettow-Vorbeck persönlich zu verantworten.“

Die Privatklageschrift stellte auf eine Strafbarkeit nach den §§ 189, 185, 186, 187 StGB ab. Das AG hat frei gesprochen und seinem Urteil folgende Leitsätze vorangestellt:

1. Der objektive Tatbestand des Verunglimpfens des Andenkens Verstorbener nach § 189 StGB kann sowohl durch ein Werturteil im Sinne des § 185 StGB als auch durch die Behauptung nicht erweislich wahrer Tatsachen im Sinne des § 186 StGB als auch in Form einer wider besseren Wissens abgegebenen unwahren Tatsachenbehauptung im Sinne des § 187 StGB begangen werden.

2. Ausführungen in einem wissenschaftlichen Gutachten, das zur Grundlage einer Straßenumbenennung gemacht wird, genießen den Schutz des § 193 StGB als Wahrnehmung berechtigter Interessen

3. Ein auf Wahrheitserkenntnis gerichtetes und in seiner Gesamtheit als wissenschaftliches Werk einzuordnendes Gutachten beansprucht den Schutz des Artikel 5 Abs. 3 GG und unterfällt dem Schutzbereich des § 193 StGB.

 

Falsches Kfz-Kennzeichen im Bußgeldbescheid – Bescheid wirksam?

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Für die Frage der Verjährungsunterbrechung ist die Frage nach der Wirksamkeit des Bußgeldbescheides von erheblicher Bedeutung. Denn nur die Zustellung des wirksamen Bußgeldbescheides unterbricht nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG die Verjährung. Dabei können auch Mängel bei der Beschreibung des Tatgeschehens zur Unwirksamkeit des Bußgeldbescheids führen. Hier gilt die  Faustregel: Kann der Betroffene aufgrund der sonstigen Umstände erkennen, welcher Vorwurf ihm gemacht wird, hat der Fehler keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit. Entscheidend ist, dass eine Verwechselungsgefahr mit anderen Verkehrsordnungswidrigkeiten des Betroffenen ausscheidet. Davon ist das OLG Hamm im OLG Hamm, Beschl. v. 03.07.2014 – 1 RBs 108/14 – ausgegangen und sagt:

Die bloße – offensichtlich irrtümlich – falsche Angabe des Kennzeichens eines Fahrzeugs, mit dem ein Verkehrsverstoß begangen wurde, im Bußgeldbescheid, führt dann nicht zu der Annahme, dass es sich bei der abgeurteilten Tat und dem Tatvorwurf des Bußgeldbescheids um unterschiedliche prozessuale Taten handelt, wenn die Tatidentität anhand der übrigen Tatmerkmale zweifelsfrei feststeht.