„Mit steter Regelmäßigkeit haben die Revisionsgerichte es mit § 247 S. 1, 2 StPO zu tun“, so beginnt die Anmerkung des Kollegen VorRiKG Arnoldi zum BGH, Beschl. v. . 14.01. 2014 – 4 StR 529/13, der mal wieder eine § 247-er-StPO-Problematik zum Inhalt hat. Und er hat Recht, wozu man nur auf unsere Postings Klassischer Fehler: Warum merkt denn keiner, dass der Angeklagte nicht da ist? und Klassischer Fehler II – klassischer geht es nicht – dem BGH fehlen die Worte? verweisen muss.
Hier also wieder die „klassische“ Fallgestaltung mit dem „klassischen Fehler“: Das LG vernimmt die Geschädigte und ordnet für die Dauer der Vernehmung die Entfernung des Angeklagten gemäß § 247 StPO an. Während der Vernehmung werden dann mehrere Lichtbilder in Augenschein genommen. Nachdem der Angeklagte wieder in den Sitzungssaal gerufen worden ist, wird er zwar vom Vorsitzenden über den Verlauf und das Ergebnis der Zeugenvernehmung informiert, eine (nochmalige) förmliche Augenscheinseinnahme in Bezug auf die Lichtbilder wird aber nicht durchgeführt.
Das war es dann: Der BGH hebt auf – und kann zur Begründung wahrscheinlich auf einen Textbaustein zurückgreifen, den er sicherlich für die Fälle inzwischen hat:
„a) Die beiden Wahllichtbildvorlagen (Bl. 58 und 61 Bd. II d. A.) wurden förmlich in Augenschein genommen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die gegenständlichen Lichtbilder lediglich – was als Teil der Vernehmung zulässig gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 22. November 2001 – 1 StR 367/01, Rn. 17 ; Urteil vom 23. Oktober 2002 – 1 StR 234/02, NJW 2003, 597) – als Vernehmungsbehelf herangezogen wurden. Das Vorhalten von Urkunden und die Verwendung von Augenscheinsobjekten als Vernehmungsbehelfe im Verlauf einer Zeugenvernehmung hätten keiner Aufnahme in die Sitzungsniederschrift bedurft (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2000 – 1 StR 488/00, NStZ 2001, 262, 263; Urteil vom 5. Mai 2004 – 2 StR 492/03, NStZ-RR 2004, 237 f.). Hier wird durch die Niederschrift über die Hauptverhandlung jedoch bewiesen (§ 274 StPO), dass eine förmliche Beweisaufnahme stattgefunden hat. Die hier gewählte Formulierung enthält keine Unklarheiten und lässt Zweifel daran nicht aufkommen, dass ein förmlicher Augenschein durchgeführt worden ist.
b) Welche Verfahrensvorgänge vom Begriff der Vernehmung im Sinne des § 247 Satz 1 und 2 StPO erfasst werden, wird vom Gesetz nicht näher bestimmt. Dieser Begriff ist im Regelungszusammenhang der §§ 247 und 248 StPO auf Grund der hohen Bedeutung der Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung, die als Anspruch auf rechtliches Gehör und angemessener Verteidigung in Art. 103 Abs. 1 GG sowie durch Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK garan-tiert wird, restriktiv auszulegen (BGH, Beschluss des Großen Senats für Straf-sachen vom 21. April 2010 – GSSt 1/09, BGHSt 55, 87, 90 mwN). Die Erhe-bung eines Sachbeweises kann demnach, auch wenn er eng mit der Vernehmung verbunden ist, nicht als Teil der Vernehmung im Sinne des § 247 StPO angesehen werden, sondern ist ein Vorgang mit einer selbständigen verfahrensrechtlichen Bedeutung (BGH, Beschluss vom 19. November 2013 – 2 StR 379/13). Die Inaugenscheinnahme der beiden Wahllichtbildvorlagen in Abwesenheit des Angeklagten war daher vom Beschluss über seine Ausschlie-ßung nicht gedeckt. Somit fand ein Teil der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten statt, dessen Anwesenheit das Gesetz vorschreibt (§§ 230, 247 StPO). Dies begründet den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO.“
Ich frage mich bei diesen Fällen immer wieder: Warum merkt es eigentlich keiner?