Der Kollege Siebers hatte bereits in seinem Blog unter Verständigung ist ein Fall notwendiger Verteidigung auf den OLG Naumburg, Beschl. v. 04.12.2013 – 2 Ss 151/13 – hingewiesen, der zur Frage der Pflichtverteidigung im Fall von Verständigungsgesprächen Stellung nimmt. Er hat mir den Beschluss dankenswerter Weise zukommen lassen, so dass ich nun auch die Möglichkeit habe, dazu zu bloggen und ihn einzustellen. Das OLG führt zu der Problematik in einer „Segelanweisung“ aus:
Auch hinsichtlich des im ersten Rechtszug unverteidigten X. liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor. Das Urteil beruhte auf einer Verständigung im Sinne von § 257 c StPO, was die Rechtslage schwierig im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO macht, weil ein Angeklagter sich bei der Erörterung einer solchen Verfahrensweise in der Regel nicht selbst wirksam verteidigen kann.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19.03.2013 (2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11 NJW 2013, 1058) und zahlreiche Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (zuletzt: BGH, Urt. v. 3. September 2013 – 5 StR 318/13 -, juris; Urt. v. 7. August 2013 – 5 StR 253/13 , juris; Beschluss vom 6. August 2013 – 3 StR 212/13 -, juris; Urt. v. 10. Juli 2013 — 2 StR 47/13 juris; Beschluss vom 25. Juni 2013 — 1 StR 163/13 — juris; Beschluss vom 22. Mai 2013 — 4 StR 121/13 juris; Beschluss vom 25. April 2013 — 5 StR 139/13 juris; Beschluss vom 11. April 2013 1 StR 563/12 —, juris; Beschluss vom 05. März 2013 — 5 StR 423/12 BGHSt 58, 184-192; Urteil vom 28. Februar 2013 — 4 StR 537/12 juris; Beschluss vom 21. Februar 2013 1 StR 633/12 juris) zeigen überdeutlich, dass die Anwendung der gesetzlichen Vorschriften, die die strafprozessuale Verständigung regeln, selbst für Berufsrichter äußerst kompliziert und fehleranfällig ist. Vor diesem Hintergrund ist es unwahrscheinlich, dass ein Angeklagter, der nicht Volljurist ist, seine Rechte irr Rahmen des undurchsichtigen Verfahrens, das einer Verständigung vorauszugehen hat, ohne juristischen Beistand erkennen und somit wahrnehmen kann. Deshalb ist bereits die Erörterung einer Verständigung regelmäßig Anlass zur Beiordnung eines Verteidigers gemäß § 140 Abs. 2 StPO.
Dies gilt auch, wenn – wie hier — ein auf einer Verständigung beruhendes Urteil aufgehoben worden ist. Denn der Angeklagte bedarf zur sachgerechten Vorbereitung seiner Verteidigung bereits vor Beginn der neuen Hauptverhandlung einer Belehrung, welche Bedeutung seine im Rahmen der Verständigung abgegebene Erklärung für das weitere Verfahren haben kann.“
Die Bedeutung der Entscheidung liegt nicht im landgerichtlichen Bereich, sondern mehr bei den amtsgerichtlichen Verfahren, denn gerade bei den AG wird gern und häufig ohne den – ggf. „störenden“ – Verteidiger verhandelt.
Ja, die Amtsgerichte sind ein Hort der Rechtsbeugung.
Eigentlich sollte man die abschaffen und jeden klitzekleinen Ladendiebstahl an acht Verhandlungstagen vor der großen Strafkammer verhandeln.
Ich frage mich, warum auf diese schlichte und einfache Lösung noch niemand gekommen ist.
meinen Sie wirklich, dass das nötig wäre. Manchmal würde ein Blick in die Stopp reichen :-).
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das bedeutet aber im umkehrschluss, dass ich als wahlverteidiger eines mittellosen mandanten nur in ein verständigungsgespräch einsteigen muss, um direkt im anschluss einen beiordnungsantrag zu stellen. das wäre ja wunderbar.
oder wird die angelegenheit erst dann schwierig, wenn man nach der verständigung ein rechtsmittel einlegt?
@n.n.
In Verfahren, in denen Verständigungsgespräche geführt werden, werden die Voraussetzungen für eine Beiordnung in aller Regel so oder so vorliegen, da in solchen Fällen allermeistens entweder eine erhebliche Strafe droht oder die Sache einen erheblichen Umfang hat und damit schwierig ist. Beim geständigen Ladendieb oder Trunkenheitsfahrer dagegen wird es kaum einmal einen „Verständigungsbedarf“ geben.
@ n.n.
Die Frage stellt sich doch bei Ihnen gar nicht, denn der Mandant hat ja einen Verteidiger.
@T.H.
bei einem bisher nicht geständigen ladendieb oder einer kleinen körperverletzung ist durchaus raum für eine verständigung. und da wird durchaus auch vorgefühlt, was der mandant denn im falle eines geständnisses zu erwarten hätte. das reicht doch schon für eine verständigung, auch wenn sie u.u. nicht den anforderungen des § 257c stpo genügt.
@hr. burhoff
klar hat er einen verteidiger. aber der kann ja noch beigeordnet werden. bzw. im falle einer notwendigen verteidigung ohne beiordnung auch mal kurz den saal verlassen. 😉
nur so als theoretische überlegung. 😉
@n.n.
Ein „einseitiges“ Vorfühlen des Verteidigers ist aber sicher kein Verständigungsgespräch.
@Norbert
Klinkt zwar ertmal lustig, ist es aber nicht. Bei Liebe Grüße-Verfahren gibt es keine ernsthaften Rechtsmittel. Berufung per Gesetz nicht, hoffnungsvolle Revision aufgrund von Richterrecht nicht.
Zudem wollen nicht alle Mandanten 7 Verhandlungstage zahlen.
Es bleibt das Motte des diesjährigen Strafverteidigertages: „Anerkennung des Rechtstaates durch die Justiz.“
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