Zweimal hat ein Verfahren, das seinen Ausgang beim AG Arnstadt genommen hat, inzwischen das BVerfG beschäftigt, und zwar einmal wegen der Eilentscheidung im BVerfG, Beschl. v. 23.01.2013 2 BvR 2392/12 und dann wegen der Hauptsacheentscheidung im BVerfG, Beschl. v. 02.07.2013 – 2 BvR 2392/12. Ausgangspunkt für die verfassungsgerichtlichen Entscheidungen ist eine Verurteilung eines „Jugendlichen“. Das AG Arnstadt hatte den zur Tatzeit 14-Järhingen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verwarnt und ihm 60 Stunden gemeinnütziger Arbeit auferlegt. Nach den Feststellungen des AG hatte der Jugendliche eine – wie er wusste – zum Tatzeitpunkt 13-jährige Klassenkameradin am Hals geküsst, so dass ein sogenannter „Knutschfleck“ deutlich sichtbaren Ausmaßes entstand, und ihr darüber hinaus mehrfach mit seinen Händen an das bedeckte Geschlechtsteil gegriffen. Mit Beschluss vom 09.03.2012 ordnete das AG Erfurt aufgrund dieser Verurteilung gemäß § 81g StPO die Entnahme und molekulargenetische Untersuchung von Körperzellen des Jugendlichen zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters mit dem Ziel an, die Eigenschaften in die DNA-Analysedatei einzustellen. Die dagegen gerichteten Rechtsmittel blieben beim AG und LG Erfurt ohne Erfolg. Erfolg hatte der Jugendliche erst mit seiner Verfassungebeschwerde:
„2. Diesen Anforderungen genügen die angefochtenen Entscheidungen nicht. Auch unabhängig davon, dass das Amtsgericht Erfurt als Rechtsgrundlage unter anderem § 2 DNA-Identitätsfeststellungsgesetz heranzieht, der bereits mit Ablauf des 31. Oktober 2005 außer Kraft getreten ist, weisen die Beschlüsse gravierende inhaltliche Mängel auf. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Erwägungen des Amtsgerichts, auf die das Landgericht ohne eigene Begründung Bezug nimmt, für sich genommen überhaupt geeignet wären, die Annahme zu rechtfertigen, dass gegen den Beschwerdeführer künftig Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sein werden. Jedenfalls hat das Gericht sowohl bei der Prognoseentscheidung als auch bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung wesentliche Umstände des Einzelfalles nicht berücksichtigt.
Zwar handelt es sich bei der Straftat, die den Anlass für die gegen den Beschwerdeführer ergangene Anordnung nach § 81g Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 StPO bildet, um eine solche gegen die sexuelle Selbstbestimmung und damit um eine die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllende Anlasstat. Dies entbindet das Gericht jedoch nicht von einer einzelfallbezogenen Prognoseentscheidung in Bezug auf künftige Straftaten von erheblicher Bedeutung. Der ausweislich der Feststellungen im Urteil des Amtsgerichts Arnstadt strafrechtlich zuvor noch nicht in Erscheinung getretene Beschwerdeführer war zum Tatzeitpunkt erst 14 Jahre alt, die Geschädigte eine 13-jährige Klassenkameradin. Die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen sexuellen Handlungen hatten kein erhebliches Ausmaß. Nach dem Vortrag des Beschwerdeführers beruhten sie aus seiner Sicht auf gegenseitiger Zuneigung. Weder den angegriffenen Entscheidungen noch dem Urteil des Amtsgerichts Arnstadt kann Abweichendes entnommen werden. Das Verhalten des Beschwerdeführers stellt sich somit insgesamt als jugendtypische Verfehlung dar, was auch durch die im untersten Bereich des jugendstrafrechtlichen Sanktionenspektrums liegende Rechtsfolge im Urteil des Amtsgerichts Arnstadt zum Ausdruck kommt. Dieser Umstand bleibt in den angefochtenen Entscheidungen ohne jede Berücksichtigung. Eine erkennbare Beachtung dieses Faktors wäre aber erforderlich gewesen, da er geeignet ist, die Prognoseentscheidung in Bezug auf künftige Straftaten von erheblicher Bedeutung maßgeblich zu beeinflussen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2007 – 2 BvR 2577/06 -, juris, Rn. 24).
Auch lassen die angefochtenen Entscheidungen nicht erkennen, ob die möglichen Auswirkungen der Anordnung einer Erfassung und Speicherung von Genmerkmalen auf die weitere Entwicklung des jugendlichen Beschwerdeführers Gegenstand der den Gerichten auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit obliegenden Abwägung war. Dem Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts wohnt das Verfassungsrang beanspruchende Ziel möglichst weitgehender sozialer Integration inne (vgl. BVerfGE 116, 69 <85>). Die Einwirkung exekutiver Maßnahmen auf Jugendliche ist aufgrund deren noch andauernder Labilität sowie ihrer erhöhten subjektiven „Eindrucksfähigkeit“ gravierender als auf Erwachsene. Abhängig von den konkreten Umständen kann durch die dauerhafte Speicherung eines unverwechselbaren Erkennungsmerkmals eines Jugendlichen eine „Brandmarkung“ drohen, welche als determinierendes Element die Möglichkeit andauernder Straffreiheit als Grundvoraussetzung sozialer Integration einschränken kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2007 – 2 BvR 2577/06 -, juris, Rn. 28).“
Also mal wieder: Gewogen und zu leicht befunden. Mich „erstaunt“ dann auch der Hinweis des BVerfG auf die vom AG herangezogene: „§ 2 DNA-Identitätsfeststellungsgesetz“. Das war zum Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Entscheidung gut sechs einhalb Jahre außer Kraft. Vielleicht würde sich dann doch mal die Anschaffung eines aktuellen Gesetzestextes empfehlen.
Ist in Niedersachsen anscheinend genau so schwierig wie in Bayern mit der Aktualität der Gesetzestexte/Kommentare/Formulare……
Der letzte Satz aus der BVerfG-Entscheidung ist in seiner Verschwurbeltheit nicht so ganz verständlich: Der Jugendliche ist laut vorletztem Satz gravierend beeindruckt von den Exekutivmaßnahmen.
Wie wird dann aber „die Möglichkeit andauernder Straffreiheit“ nach BVerfG-Meinung durch eine DNA-Probe „eingeschränkt“? Dadurch, dass der Jugendliche doch wieder Straftaten begehen könnte ob der emotionalen Belastung durch die DNA-Speicherung ?
Oder meint das BVerfG, dass der Jugendliche wegen der Speicherung das Risiko hat, bei neuen Straftaten bestraft zu werden, weil er ggf. wegen DNA-Abgleichs überführt werden kann ? Das dürfte ja eigentlich das bislang vom BVerfG offenbar nicht beandstandete Grundziel der DNA-Speicherung sein.
Der Bezug auf das DNA-IFG dürfte wohl eher die Folge der geistlosen^Wwenig bedachten Verwendung veralterer Formulare als das Ergebnis nicht aktualisierter Gesetzestexte sein … Es lebe der Textbaustein!
@meine5cent:
schon mal was von stigmatisierung und labeling approach gehört? 😉
ÄÄH. Thüringen, nicht Niedersachsen natürlich.
@n.n.:
Mir ist nicht so ganz klar, wer jetzt wodurch labelt. Abgesehen davon, dass der labeling approach eben eine von vielen Theorien ist.
Und wieso wird man durch eine DNA-Probe mehr stigmatisiert als dadurch, dass die Mitschülerin mit dem Knutschfleck in der Klasse sitzt, er (nichtöffentlich natürlich) verurteilt wird, und aufgrund des originellen Sachverhalts und der Entscheidung des BVerfG zu einem Beschluss des AG Erfurt und vorangehender Verwarnung durch das AG Arnstadt vermutlich jeder Mitschüler ihn problemlos identifizieren kann?
Vielleicht sollte das BVerfG mal über die Möglichkeit, einen Verfassungsbeschwerdeführer anhand des mitgeteilten Sachverhalts identifizieren zu könnenr nachdenken und auch etwas mehr Sachverhaltsteile in seinen veröffentlichten Entscheidungen zu jugendlichen Straftätern schwärzen, um nicht unnötig zu stigmatisieren und zu labeln……..
Der jugendliche Täter ist nicht aufgrund eines „Knutschflecks“ wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern (§ 176 StGB wäre vielleicht eine Lektüre wert) verurteilt worden, sondern weil er dem Opfer „mehrfach mit seinen Händen an das bedeckte Geschlechtsteil gegriffen hat“. Die Erwähnung des Knutschflecks in der Entscheidung des BVerfG und noch mehr seine Herausstellung in diesem Blogbeitrag (und dessen Überschrift) stellt deshalb eine skandalöse Verharmlosung der Tat dar, wie man überhaupt in der Dramatisierung des Speicherns einer DNA-Analysedatei als „Brandmarkung“ des Täters und der ganzen Argumentation das völlig verfehlte Vorverständnis dieser BVerfG-Kammer erkennen kann.
@ Katharina: Es hat Sie niemand gezwungen, den Blogbeitrag zu lesen.
Im Übrigen:
Es geht um 13 und 14-Jährige. Und wer hier was dramatisiert, lassen wir mal dahingestellt.
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