Eine für die Verteidigung interessante Fallgestaltung entscheidet der OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.11.2012, 2 Ws 114/12, nämlich die Frage nach den Voraussetzungen für eine Strafbarkeit des Verteidigers bei Weitergabe kinderpornografischer Schriften. Dem Rechtsanwalt wird in der Anklage folgendes von der Staatsanwaltschaft zur Last gelegt:
„Im Fall 1 soll er am 24. Juli 2008 als Verteidiger des im Verfahren … gesondert Verfolgten A einen Untersuchungsbericht, der 108 kinderpornografische Abbildungen enthielt, was der Angeschuldigte wusste, auf einen von dem Beschuldigten A ihm zu diesem Zweck überlassenen USB-Stick digital kopiert und ihm den USB-Stick an einem nicht näher bestimmbaren Tag zwischen dem 24. Juli 2008 und dem 26. November 2009 übergeben haben. Bei den 108 kinderpornografischen Abbildungen handelte es sich um die Bilder, die Gegenstand des Vorwurfs gegen A sind.
Im Fall 2 soll er an einem nicht näher bestimmbaren Tag im Zeitraum vom 23. Oktober 2008 bis 14. April 2009 die eingescannten Gutachten und Berichte der von der Staatsanwaltschaft mit der Datenanalyse der sichergestellten Festplatte beauftragten Sachverständigen aus dem Verfahren … gegen den Beschuldigten A dem gesondert Verfolgten B in dessen Büro in der Land1 übersandt haben. Darin enthalten waren 147 kinderpornografische Abbildungen, was der Angeschuldigte wusste. Der gesondert Verfolgte B war von dem Angeschuldigten beauftragt worden, die Datenanalysegutachten der Festplatte des PC des Beschuldigten A zu überprüfen. Die Staatsanwaltschaft ist der Ansicht, der gesondert Verfolgte B habe weder die erforderliche forensische Ausbildung, noch eigene Erfahrungen durch forensische Auswertung von Datenträgern, um ein entsprechendes Gutachten zu erstellen.
Im Fall 3 soll er am 14. April 2009, entgegen der ausdrücklichen Weisung der Staatsanwaltschaft Marburg, dem gesondert Verfolgten B ermöglicht haben, im Rahmen einer durch die Staatsanwaltschaft Marburg in den dortigen Räumen gewährten Auswertung eines Images des Originalbeweismittels (= 1:1 Kopie des Originaldatenträgers), dieses Image zu kopieren und mit sich zu nehmen. Das Image enthielt wiederum 147 kinderpornografische Abbildungen, was der Angeschuldigte wusste.
Im Fall 4, soll er den gesondert Verfolgten B veranlasst haben, eine Datei, die wiederum 98 kinderpornografische Abbildungen enthielt, an den Beschuldigten A zu übermitteln.
Das Landgericht hat durch Beschluss die Eröffnung in den Fällen 1 und 2 aus Rechtsgründen nach § 204 Abs. 1 StPO abgelehnt und das Verfahren in den Fällen 3 und 4 vor dem Amtsgericht – Strafrichter – in Marburg eröffnet. Insoweit hat das Landgericht Marburg eine besondere Bedeutung der Sache nach dem § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG verneint.
Das OLG Frankfurt hat eröffnet. Der Beschluss hat folgende Leitsätze:
1. Ein Verteidiger, dem im Rahmen der §§ 147 Abs. 1 StPO, 184b Abs. 5 StGB der Besitz kinderpornografischer Schriften erlaubt ist, darf diese nicht weitergeben, da jede abgeleitete Berechtigung und jede Weitergabe der Privilegierung gesetzlich ausgeschlossen ist.
2. Das Verkehrsverbot des § 184b StGB umfasst daher auch die Rückübertragung des Besitzes auf den Beschuldigten, von dessen Festplatte die Schriften stammen, zumal dessen Verteidigerrechte dadurch gewahrt werden können, dass ihm ein Akteneinsichtsrecht in den Räumen der Staatsanwaltschaft oder des Verteidigers gewährt wird.
3. Das Verkehrsverbot des § 184b StGB umfasst des Weiteren die Besitzübertragung auf einen vom Verteidiger beauftragten Sachverständigen, da im Ermittlungsverfahren Herrin der Beweismittel und damit allein verfügungsberechtigt die Staatsanwaltschaft ist.“
Also: Vorsicht
Mir fehlt ein wenig ihre Sicht der Dinge, Herr Kollege. Soweit ich meinen Dahs noch in Erinnerung habe hat der Mandant ja Anspruch auf eine Aktenkopie. Kann das denn dann sein, dass diese zur Verteidigung notwendigen Handlungen strafbar sind?
zu Recht, ergibt ja auch keinen Sinn dem Angeklagten die KiPo’s erst in der Durchsuchung abzunehmen und sie ihm dann über den Verteidiger wieder zur Verfügung zu stellen.
@ M. Langhans: Meine Sicht der Dinge? Im Moment noch offen, aber ein gewisses Unbehagen
Nun ja, teilweise kann man dem OLG wohl zustimmen. Allerdings für mich nicht nachzuvollziehen ist die Argumentation hinsichtlich der Weitergabe an einen Sachverständigen der Verteidigung. Wie soll denn dieser ohne die Festplatte eine Überprüfung vornehmen, wo doch das Gericht selbst feststellt, dass ohne die Daten auf der Festplatte keine sachgerechte Verteidigung möglich wäre?
Unbehagen ist aber eine harmlose Untertreibung.
Einerseits muss man jedem Beschuldigten die Möglichkeit einer effizienten Verteidigung geben, dazu gehört unbedingt die Akte mit allen Bestandteilen;
auf der anderen Seite ist die Verbreitung derartiger Machwerke das letzte was ich unterstützen würde.
Ich wäre hier als Richter einigermassen ratlos.
Vor einer ähnlichen Situation stand die Staatssicherheit der DDR 1984 bei mir. Bezichtigt wurde ich wegen der Verbreitung von 7 Büchern, die nach Ansicht der Dresdner Untersuchungsorgane (Staatssicherheit) Hetze gegen die DDR und die Sowjetunion enthielten. Nach den DDR-Gesetzen hätte ich die Bücher in der Haft lesen dürfen, weil das die Beweismittel waren. Auf meinen Antrag hin erhielt ich ein Buch, und durfte es im Vernehmungszimmer lesen. Das allerdings nur eine halbe Stunde lang, dann wurde das DDR-Gesetz gebrochen mit der gleichen Denke und Argumentation, wie die hiesigen OLG-Richter. Mir wurden dann lediglich während den Vernehmungen immer wieder Passagen aus den Büchern vorgehalten. Insofern überrascht mich die hiesige OLG-Entscheidung nicht. Ich fühle mich wieder zu Hause.
Nun, die Besprechung mit dem MA und die dortige Inaugenscheinnahme der Bilder und Videos dürfte wohl genügen. Eine dauerhafte Überlassung in der Akte ist möglicherweise nicht notwendig. Was aber eine unzulässige Einschränkung von Verteidigerrechten darstellt, ist die Verfolgung bei Weitergabe an Sachverständige der Verteidigung! Eine entsprechende „echte“ Beauftragung und Verschwiegenheitsverpflichtung des SV wird dabei vorausgesetzt…
In § 184b StGB Abs. 5 heisst es:
Die Absätze 2 und 4 gelten nicht für Handlungen, die ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dienen.
Damit war die Weitergabe an den Sachverständigen wohl zulässig. Das macht auch Sinn. Insofern habe ich erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des 3. Absatzes des Beschlusses.
Die Weitergabe an den Mandanten bleibt problematisch.
Im aktuellen Fall könnte der Anwalt sich auf den Verbots-Irrtum berufen. Ähnlich wie der beschneidende Arzt im Kölner Urteil. Das geht aber wohl nur einmal; später muss man einem Anwalt unterstellen das zu wissen.
Eine echte Lösung des Problems ist für mich nicht in Sicht.
Ich neige dazu dem Beschuldigten den Anspruch auf die gesamte Akte zuzusprechen. Ich denke, daß ein Rechtsstaat es aushalten kann, wenn jemand diese Machwerke in die Hand bekommt (obwohl ich meinen Widerwillen nur mühsam unterdrücken kann); nicht aber wenn die Rechte auf effektive Verteidigung beschnitten werden. Es ist eines unserer höchsten Rechtsgüter; dahinter muss das Interesse die Verbreitung von KiPos zu verhindern zurücktreten.
Zitat Udo Vetter, lawblog:
„Auch das Anrecht auf eine wirksame Verteidigung gibt einem Beschuldigten also nicht das Recht, Kinderpornografie zu besitzen, bloß weil diese nun in die Aktendeckel einer amtlichen Ermittlungsakte gepresst ist und er über seinen Anwalt an dieses Material kommen kann.“
Dem ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen.
@T.H.:
M.E. wäre es hilfreich, wenn man dieser *These* auch eine *Begründung* hinzufügen würde – so ist sie nämlich schlicht heiße Luft.
Ich habe selbst keine abschließende Meinung dazu – eine StA, die „Weisungen“ an einen Strafverteidiger erteilt und gleichzeitig nicht auf die Idee kommt, sich mit dem (als einfaches Bundesrecht wirksamen) „fair trial“-Grundsatz auseinanderzusetzen, finde ich allerdings… seltsam. Gerade deswegen wäre es günstig, derartige Thesen auch zu begründen und nicht nur in den Raum zu stellen.
@Lurker
Die zitierte und von mir für richtig gehaltene Auffassung des RA Vetter hat dieser unter teils wörtlicher Wiedergabe des o.g. Beschlusses durchaus ausführlich begründet, weshalb ich es mir erspart habe, den kompletten dort veröffentlichen Text zu kopieren und wiederzugeben. Wenn Sie die Begründung interessiert haben Sie die Möglichkeit, diese selbständig nachzulesen; den hierfür erforderlichen Aufwand halte ich durchaus für zumutbar. „Heiße Luft“ dürfte viel eher ihr Vorwurf enthalten, die StA verstoße gegen den sog. fair trial- Grundsatz, wenn sie der gesetzlich nicht vorgesehenen Weitergabe von KiPo entgegen tritt.
@RiAG:
SIE meinten, der von ihnen zitierten Passage sei „nichts hinzuzufügen“ – wenn sie mich nun auf die Vetter’sche Aussage verweisen, widersprechen Sie sich selbst.
Ob der „fair trial“-Grundsatz im Ergebnis ein Recht auf eine vollständige Aktenkopie (für den Mandanten) auch in diesem Fall erfordert, kann man vielleicht bezweifeln – § 184b V StGB aber für abschließend zu halten und gleichzeitig die EMRK nicht zur Kenntnis zu nehmen, erschien mir aber ein schwaches Bild.. nur darauf wollte ich hinweisen.