Das AG München musste sich jetzt in einem Strafverfahren mit der Frage befassen, ob das Abspielen des „Paulchen-Pnather-Liedes“ strafbar ist. Zwei Neonazis hatten während einer Demonstration die im Bekennervideo der Terrorzelle NSU verwendete Melodie der Comicfigur Paulchen Panther abgespielt, sich kurz darauf aber von den Morden der Zwickauer Zelle distanziert. Ihnen war Billigung von Straftaten nach § 140 Abs. 2 StGB vorgeworfen worden.
Von dem Vorwurf hat das AG frei gesprochen (vgl. dazu hier den Bericht bei LTO und in der SZ. „… Die Münchener Richterin verurteilte die Aktion der beiden Neonazis zwar mit scharfen Worten, sprach die Angeklagten aber frei. Es lasse sich kein Straftatbestand nachweisen, so das GerichtDas Paulchen-Panther-Lied abzuspielen bedeute nicht gleichzeitig, die NSU-Morde zu billigen. Ob es anders geurteilt hätte, wenn die Beschuldigten sich nicht oder nicht schon unmittelbar nach dem Abspielen eines Teils des Liedes von den NSU-Morden distanziert hätten, ließ das Münchener Amtsgericht (AG) offen.“
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Egal wie sehr man Nazis verachtet und bekämpft, das abspielen eines weltbekannten und an für sich harmlosen Liedes als Straftat zu werten wäre der Nazi-Gerichtsbarkeit zuzutrauen, aber keinesfalls einem Rechtsstaat.
Insoweit ist das Urteil völlig in Ordnung. Man muss diesen Leuten anders beikommen.
Ich halte das Urteil für bedenklich und hoffe, dass die Staatsanwaltschaft in die Berufung geht. Meine Bedenken ergeben sich aus den näheren Umständen:
Täter war der weit über München hinaus als strammer Rechtsnationaler bekannte mit einschlägig strafrechtlich beurteilter Vergangenheit versehene Norman Bordin. Er zählt laut bayerischem LKA nach wie vor zum harten Kern der einschlägigen Szene. Seit Oktober 2007 ist er stellvertretender Bundesvorsitzender der Jugendorganisation JN der NPD. Bordin hatte veranlasst, dass das Lied im Januar 2012 auf einer von ihm selbst angemeldeten rechtsnationalen Demo „für nationalen Widerstand und deutsche Freiräume“ abgespielt wurde. Das Ganze ereignete sich damit zu einem Zeitpunkt in dem jeder über die täglichen Ereignisse informierte Bürger davon ausgehen musste, dass jeder Rechtsnationale, der öffentlich im Rahmen einer solchen Veranstaltung den Paulchen-Panther-Song abspielt, das entsprechende Video der NSU goutiert und ihre Gewalttaten gutheißt. Zwar hat sich Bordin noch während der Demo dahingehend geäußert, er distanziere sich von den Taten der NSU. Aufgrund des Gesamt-Zusammenhangs war das aber kaum glaubwürdig. Demzufolge wertete die Staatsanwaltschaft seine Äußerungen als blosse Lippenbekenntnisse und erhob Anklage. Dem Gericht reichte jedoch die verbale Distanzierung aus, um den Tatverdacht zu verneinen.
Im Rahmen der Hauptverhandlung testeten zahlreiche Freunde des Angeklagten aus, wie weit man eine Verhandlung stören und missliebige Angehörige von Opfern, Journalisten und Pressfotografen angehen kann, ohne eine sitzungspolizeiliche Reaktion des Gerichts zu riskieren. Es gab kommentierende Zwischenrufe, und ein Zuschauer, der sich als Journalist ausgab und sich auf die Pressbank drängte, verschmierte den anwesenden Fotografen die Objekte mit rosa Fettfarbe und konnte sich trotz Protesten der Pressevertreter anschließend entfernen, ohne das die Sitzungswachtmeister seine Personalien feststellten.
Die Äußerungen der bayerischen Justiz dazu sind mindestens unglücklich. Ich zitiere die SZ: „Das Gericht sei ein öffentlicher Raum, zu dem grundsätzlich jeder Zutritt habe, sagt die Sprecherin des Münchner Oberlandesgerichts, Margarete Nötzel. Im Saal ist der Vorsitzende Richter Herr des Geschehens, im restlichen Gebäude der Präsident. Polizeiliche Aufgaben dürften die Justizwachtmeister trotz Hausrecht nicht übernehmen: also auch keinen Störer am Verlassen des Gebäudes hindern und dessen Personalien verlangen. Wer sich angegriffen fühle, müsse sich an die Polizei wenden und Anzeige erstatten.
Auch im Saal könne der Vorsitzende Richter nur dann maßregelnd eingreifen, wenn eine Störung den Ablauf der Sitzung gefährde, sagt der Vorsitzende des Bayerischen Richtervereins, Walter Groß. Pöbeleien gegen Presse oder Angehörige lägen meist unter dieser Schwelle. Den Aspekt, einen angstfreien Besuch einer Verhandlung zu gewährleisten, kenne die Rechtsprechung noch nicht.“
Das Verfahren gegen Beate Tschäpe wird ebenfalls in München stattfinden. Wir können gespannt darauf sein, wie die Münchener Justiz mit dem zu erwartenden Verhalten der Zuschauer umgeht.
@ RA Kaßing:
Nachdem Sie sowohl hier als auch etwas ausführlicher in Ihrem blog Position zu den Abläufen in/bei der Verhandlung beziehen, wo Sie auch noch auf mögliches Versagen des Gerichts hinweisen:
Ich stimme Ihnen in diesem Punkt nicht zu. Leider haben Sie offenbar den SZ-Bericht nicht genau gelesen oder zitieren falsch.. Aus den Presseberichten geht einigermaßen genau hervor, was sich wann und wo zugetragen haben soll.
– Gelegentliche Zwischenrufe (laut SZ: „kommentierend unterstützen“, ob das wirklich „Rufe“ waren, die tatsächlich gestört haben?) werden meist nur mit Ermahnung geahndet und enden nicht gleich mit Saalräumung.
– die angeblichen Straftaten in der Sitzung:
Der erste „Angriff“ – Rempeln und Dazwischendrängen – auf die Fotografen (siehe OLG Hamburg zur Notwehr gegen Fotografen auf Gerichtsfluren, ich gebe zu: in München dürfte das öffentliche Interesse etwas größer gewesen sein als bei dem Fall in HH) soll sich laut SZ vom 2.1. kurz vor Verhandlungsbeginn zugetragen haben, also wohl
: keine Straftat in der Sitzung, § 183 GVG greift nicht.
Der zweite Angriff mit dem Fett war laut SZ entgegen Ihrer Darstellung nicht etwa auf der „Pressebank“ im Zuschauerraum, sondern vor dem Sitzungssaal auf dem Flur nach der Urteilsverkündung. Also auch kein § 183 GVG.
In einer neuen Stellungnahme des AG -Präsidenten (SZ vom 4.1.) heißt es, einer der „Geschädigten“ habe den Wachtmeistern gesagt, er kenne den Täter. Und deshalb seien auch die Personalien nicht festgestellt worden (und 127 StPO, den Sie in Ihrem blog erwähnen, stand letztlich auch den Presseleuten zu, falls denn die Personalien festgestellt werden mussten).
Was den Zschäpe-Prozess angeht, dürfte sich – neben etwas anderen Sicherheitsvorkehrungen bei einem Terroristenprozess – der Senatsvorsitzende nach dem, was man so auf SPON über ihn lesen kann („Richter Rage“), kaum von irgendjemandem auf der Nase herumtanzen lassen.
@ herr kaßing:
verstehe ich sie richtig, dass sie die strafbarkeit des abspielens bestimmter lieder von der gesinnung desjenigen abhängig machen wollen, der sie abspielt? das klingt irgendwie nach gesinnungsstrafrecht, oder?