Archiv für den Monat: Oktober 2012

Die Gebührenberechnung der verstorbenen Rechtsanwältin

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§ 1o RVG schreibt vor, dass der Rechtsanwalt seine Gebühren gegenüber dem Auftraggeber entsprechenden den Vorgaben des § 10 RVG berechnen muss, sonst kann er die Gebühren nicht „einfordern“. Eine ordnungsgemäße Berechnung setzt – verkürzt ausgedrückt – voraus, dass der Rechtsanwalt in seiner Berechnung deutlich macht, was der Mandant aus welchem Grudn zahlen muss. Der Rechtsanwalt muss die Berechnung unterschreiben und damit die Verantwortung übernehmen (§ 352 StGB !!).

Das ist natürlich schwierig, wenn der Rechtsanwalt verstorben ist. Frage: Muss ein Abwickler bestellt werden? Nein, sagt das OLG Schleswig, Urt. v. 19.04.2012 – 11 U 63/11 – und bringt ein wenig Entlastung:

Die vorstehend zitierten Regelungen fordern als zwingende Voraussetzung zur Geltendmachung einer Gebührenforderung die Unterschrift des Rechtsanwalts. Mit der Unterschrift übernimmt der Rechtsanwalt die strafrechtliche (§ 352 StGB), zivilrechtliche und auch berufsrechtliche Verantwortung für den Inhalt der Berechnung (Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert-Madert, aaO., Rz. 6; Riedel/Sußbauer-Fraunholz, Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung, 8. Auflage 2000, § 18, Rz. 10; Schneider/Wolf-Schneider, aaO., Rz. 48; Schneider AnwBl. 2004, 510 [511]). Zu Recht wird die Unterzeichnung durch den Rechtsanwalt deshalb nicht als wertloser Formalakt aufgefasst (Riedel/Sußbauer-Fraunholz, aaO.). Gleichwohl sind in der Rechtsprechung verschiedene Konstellationen bereits behandelt worden, in denen die Anforderungen an eine eigenhändige Unterschrift durch den abrechnenden Rechtsanwalt aufgelockert wurden. Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung vom 02.07.1998 zwar noch offen gelassen, ob eine § 18 BRAGO entsprechende Mitteilung der Berechnung vorgenommen worden ist, wenn die von einem anderen Rechtsanwalt unterzeichnete Klageschrift auf die beigefügte „vorläufige“ Kostenrechnung Bezug nimmt (BGH vom 02.07.1998, IX ZR 63/97, Rz. 37 bei Juris), doch lässt sich aus anderen Entscheidungen entnehmen, dass die Unterzeichnung durch einen Prozessbevollmächtigten des Rechtsanwalts jedenfalls dann als ausreichend angesehen wird, wenn der Rechtsanwalt nicht mehr in seinem Beruf tätig werden darf (OLG Düsseldorf MDR 2000, 360, Rz. 20 bei Juris). Diese Rechtsprechung ist auf die vorliegende Fallkonstellation zu übertragen. Die seinerzeit tätige, inzwischen verstorbene, Rechtsanwältin Dr. G. ist ebenfalls nicht mehr in der Lage, die Gebührenrechnung zu unterzeichnen. Der Zweck der Unterzeichnung der Gebührenrechnung, nämlich die Übernahme der inhaltlichen Verantwortung, erfordert es nicht, dass nur zum Zwecke der Unterzeichnung der bereits erstellten Gebührenrechnung ein Abwickler für die bereits aufgelöste Rechtsanwaltskanzlei der verstorbenen Rechtsanwältin Dr. G. gemäß § 53 BRAO bestellt wird. Vielmehr reicht es zur Übernahme der strafrechtlichen, zivilrechtlichen und standesrechtlichen Verantwortung für die Rechnung aus, wenn der Prozessbevollmächtigte des Rechtsnachfolgers der verstorbenen Rechtsanwältin die Gebührenrechnung nicht nur erarbeitet, sondern auch unterschreibt.

Der Wechsel in der Verteidigung – auf jeden Fall Aussetzungsantrag stellen

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Im Strafverfahren sicherlich ein häufigeres Verfahrensgeschehen, was dem BGH, Beschl. v.  30.08.2012 – 4 StR 108/12 – zugrunde gelegen hat. Der Wahlanwalt nimmt an mehreren Hauptverhandlungstagen teil, leggt dann aber das Mandat nieder, weil der Angeklagte das Honorar nicht zahlen kann. Dre Angeklagte kommt allein zur Hauptverhandlung (12.45 Uhr): Das Gericht verständigt einen Rechtsanwalt. Der erscheint um 13.20 Uhr. Um 13.45 Uhr geht es dann weiter. Der neue  Rechtsanwalt wird für den Angeklagten als Pflichtverteidiger bestellt. Ein Antrag auf Aussetzung oder Unterbrechung der Hauptverhandlung wird nicht gestellt. In der Folge vernimmt das Gericht dann bis 15.00 Uhr vier Zeugen. 14 Tage später dann die Urteilsverkündung.

Der Angeklagte legt Revision ein und macht geltend, dass das Gericht aufgrund seiner Fürsorgepflicht die Hauptverhandlung wegen nicht genügender Vorbereitung des neuen Verteidigers hätte aussetzen müssen. Damit hat er keinen Erfolg. Abgesehen davon, dass die Verfahrensrüge nicht ausreichend begründet und damit unzulässig war, sie wäre nach Auffassung des BGH auch unbegründet gewesen. Wenn man die Rechtsprechung des BGH ein wenig kennt, weiß man was kommt – und es kommt:

„Ob auf eine veränderte Sachlage nach § 265 Abs. 4 StPO in Ausübung der prozessualen Fürsorgepflicht mit einer Aussetzung der Hauptverhandlung zu reagieren ist, steht im pflichtgemäß auszuübenden Ermessen des Gerichts und hängt vom Einzelfall ab (BGH, Beschluss vom 25. Juni 2002 – 5 StR 60/02, NStZ-RR 2002, 270; Beschluss vom 2. Februar 2000 – 1 StR 537/99, NJW 2000, 1350; Urteil vom 19. Juni 1958 – 4 StR 725/57, NJW 1958, 1736, 1738). Anstelle einer Aussetzung kann es bei einem Verteidigerwechsel auch ausrei-chend sein, wichtige Verfahrensabschnitte zu wiederholen, um dem neuen Verteidiger Gelegenheit zu geben, sich ein umfassendes eigenes Urteil von dem Beweisergebnis zu machen (BGH, Urteil vom 25. Oktober 1963 – 4 StR 404/63, VRS 26, 46, 47 f.; vgl. Beschluss vom 2. Februar 2000 – 1 StR 537/99, NJW 2000, 1350).

bb) Hiervon ausgehend bestand keine Notwendigkeit, die Hauptverhand-lung von Amts wegen auszusetzen oder zu unterbrechen, nachdem dies weder von dem Verteidiger, noch dem Angeklagten beantragt oder angeregt worden war.

Ein nach § 145 Abs. 1 Satz 1 StPO neu bestellter Verteidiger hat als unabhängiges Organ der Rechtspflege grundsätzlich selbst zu beurteilen, ob er für die Erfüllung seiner Aufgabe hinreichend vorbereitet ist (BGH, Beschlüsse vom 24. Juni 2009 – 5 StR 181/09, NStZ 2009, 650; vom 24. Juni 1998 – 5 StR 120/98, BGHR StPO § 265 Abs. 4 Verteidigung, angemessene 5; Urteil vom 24. November 1999 – 3 StR 390/99, wistra 2000, 146, 147). Hält er die ihm verbleibende Vorbereitungszeit für nicht ausreichend, kann er durch einen An-trag nach § 145 Abs. 3 StPO eine Unterbrechung oder Aussetzung der Haupt-verhandlung erzwingen. Dies ist nicht geschehen. Zwar hat das Gericht über die Frage, ob die Fürsorgepflicht eine Aussetzung der Hauptverhandlung nach § 265 Abs. 4 StPO gebietet, unabhängig von Anträgen und Erklärungen der Beteiligten zu entscheiden, doch kommt bei dieser Entscheidung der Einschät-zung des neu bestellten Verteidigers und seinem Prozessverhalten eine maßgebliche Bedeutung zu. Stellt der neue Verteidiger seine Fähigkeit zu sachge-rechter Verteidigung nicht in Frage, will er vielmehr die Hauptverhandlung ohne zeitliche Verzögerung fortsetzen und gibt auch der Angeklagte nicht zu erken-nen, dass er mehr Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung benötigt, so ist das Gericht in der Regel nicht dazu berufen, seine Auffassung von einer angemes-senen Vorbereitungszeit gegen den Verteidiger durchzusetzen und von diesem nicht angestrebte prozessuale Maßnahmen zu treffen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juni 2009 – 5 StR 181/09, NStZ 2009, 650, 651; Urteil vom 2. November 1976 – 1 StR 590/76, MDR 1977, 767, 768; Urteil vom 25. Juni 1965 – 4 StR 309/65, NJW 1965, 2164, 2165).

Ein solcher Fall liegt hier vor. Wie sich aus dem Revisionsvorbringen ergibt, war die Entscheidung des neuen Verteidigers, nicht nach § 145 Abs. 3 StPO vorzugehen und keinen Aussetzungsantrag zu stellen, von der Erwägung geleitet, dass es unter den gegebenen Umständen den Interessen des Angeklagten eher entspricht, die bereits begonnene Hauptverhandlung in einem Durchgang zu Ende zu bringen. Der Angeklagte hat dieser ihm mitgeteilten Abwägung nicht widersprochen und auch seinerseits keinen Aussetzungs- oder Unterbrechungsantrag gestellt. Bei dieser Sachlage war das Landgericht nur dann gehalten, von Amts wegen eine Aussetzung oder Unterbrechung der Hauptverhandlung anzuordnen, wenn sich die dem Prozessverhalten des Angeklagten und seines Verteidigers zu entnehmende Einschätzung der Sach- und Rechtslage als evident interessenwidrig dargestellt hätte und ohne diese Maßnahmen eine effektive Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 c MRK) unter keinem Gesichtspunkt mehr gewährleistet gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 1963 – 4 StR 404/63, VRS 26, 46, 47). Dies war jedoch nicht der Fall. Den Anklagevorwürfen lagen übersichtliche Lebenssachverhalte zugrunde. Zentrales Beweismittel waren die Angaben der Nebenklägerin, die nach dem Verteidigerwechsel nochmals vernommen wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte der neue Verteidiger 14 Tage Zeit, sich in den Fall einzuarbeiten und die ihm erteilten Informationen zu ihren bisherigen Angaben sowie dem übrigen Beweisergebnis auszuwerten und gegebenenfalls zu ergänzen. Die Revision trägt nicht vor, dass bei der erneuten Vernehmung der Nebenklägerin Fragen oder Vorhalte des Verteidigers zurückgewiesen worden sind. Der Umstand, dass sich der Verteidiger in der Lage sah, gegen die Nebenklägerin eine Strafanzeige zu er-statten und diese Anzeige vor deren nochmaliger Vernehmung in der Hauptverhandlung zu verlesen, lässt erkennen, dass er den bisherigen Angaben der Nebenklägerin entgegenzutreten vermochte. Schließlich wurde auch die als belastendes Beweismittel herangezogene Audioaufzeichnung durch die Verle-sung ihrer Verschriftlichung ein zweites Mal zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht.“

Man kann sicherlich über die Frage streiten, ob nicht das Gericht ggf. doch hätte von sich aus aussetzen müssen. M.E. muss sich aber m.E. auch darüber im klaren sein, dass es für die Revision sicherlich – um es vorsichtig auszudrücken – einfacher gewesen wäre, wenn der neue Verteidiger einen Aussetzungsantrag gestellt hätte.

Sicherheitsgurt beim Busfahren anlegen – sonst kann es teuer werden

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Das OLG Hamm hatte vor einiger Zeit in einem Zivilverfahren mit der Frage des Mitverschuldens eines Fahrgastes einer Busreise bei Schädigungen wegen des Nichtanlegens eines Sitzgurtes zu tun. Der Fahrgast hatte den Sitzgurt nicht angelegt. Dadurch war es beim Überfahren von Bahngleisen zu einer Lendenwirbelfraktur gekommen. Das OLG Hamm, Urt. v. 14.05.2012 – 6 U 187/11 geht von einem Mitverschulden von 30 % aus.

„…Gemäß §§ 21 a Abs. 1 StVO, 35 a Abs. 2, 4, 7 StVZO war die Klägerin verpflichtet, den an ihren Sitzplatz vorhandenen Sitzgurt anzulegen. Dass die Klägerin gegen diese Verpflichtung verstoßen und dadurch ursächlich zu ihrer Verletzung bei­getrage hat, steht im Berufungsverfahren zwischen den Parteien außer Streit. Gemäß §§ 9 StVG, 254 BGB muss sich die Klägerin daher anspruchskürzendes Mit­verschulde entgegenhalten lassen.

Im Rahmen der Abwägung der Schadensverursachungsanteile steht dem Verstoß der Klägerin gegen die Gurtpflicht auf Seiten der Beklagten die Betriebsgefahr des Reisebusses gegenüber. Diese Betriebsgefahr war zunächst einmal dadurch gestei­gert, dass der Beklagte zu 1) beim Überqueren der Bahngleise nicht die erforderliche Sorgfalt beachtet hat. Ein Verstoß gegen § 3 StVO wegen Überschreitens der zuläs­sige Höchstgeschwindigkeit liegt zwar nicht vor. Denn am 20.05.2007 war die zu­lässig Höchstgeschwindigkeit im Bereich des Bahnüberganges noch nicht auf unter 50 km/h reduziert. Der Beklagte zu 1) war aber verpflichtet, seine Fahrweise so ein­zurichte, dass die Gesundheit der Passagiere im Bus, also auch die Gesundheit der Klägerin, nicht mehr als den Umständen nach vermeidbar gefährdet wurde. Diesen Anforderungen ist der Beklagte zu 1) nicht gerecht geworden. Darüber, dass im Be­reich des Bahnüberganges mit besonderer Vorsicht gefahren werden musste, war der Beklagte zu 1) durch das Verkehrszeichen Nr. 112 informiert. Dieses Verkehrs­zeiche, das vor dem Bahnübergang aufgestellt war, wird dann aufgestellt, wenn Unebenheiten bei schneller Fahrt gefährlich werden können. Für den Beklagten zu 1) war auch vorhersehbar, dass die Unebenheit der Fahrbahn Auswirkungen auf die Sitzposition und den Halt der Passagiere im Bus haben konnte. Zudem musste er damit rechnen, dass sich zumindest einige der Fahrgäste nicht unter Verwendung des Sitzgurtes angeschnallt hatten. Vor diesem Hintergrund wäre der Beklagte zu 1) verpflichtet gewesen, im Bereich des Bahnüberganges deutlich langsamer als 38 km/h zu fahren.

Als ein die Betriebsgefahr des Reisebusses erhöhender Umstand war ferner zu be­rücksichtigen, dass es sich um einen Omnibus gehandelt hat, bei dem die Fahrbahn­unebenhei im Bereich des Bahnüberganges zu einer besonders hohen und über­raschende Krafteinwirkung auf die die letzte Sitzbank benutzenden Passagiere führte. Dies haben die Versuchsfahrten gezeigt, die zur VorDas OLG Hamm hatte vor einiger Zeit ein Zivilverfahren zu entscheiden, in dem es u.a. auch um die Frage des Mitverschuldens des Fahrgastes bei einer Busreise bei Schädigungen wegen des Nichtanlegens eines Sitzgurtes  ging. Es war bei dem Fahrgast beim Überfahren von Bahngleisen zu einer Lendenwirbelfraktur gekommen. Das OLG Hamm, Urt. v. 14.05.2012 – 6 U 187/11 ist von einem Mitverursachungsanteil von 30 % ausgegangen:bereitung des tech­nischen Gutachtens durchgeführt worden sind.

Bei der Bewertung des Eigenverschuldens der Klägerin war von Bedeutung, dass sie es bewusst unterlassen hat, von der gesetzlich vorgeschriebenen Sicherung Ge­brauch zu machen. Dennoch erachtet der Senat das Maß des Verschuldens auf Seiten der Klägerin ebenso wie auf Seiten des Beklagten zu 1) nur als gering.

Im Übrigen kann dahinstehen, ob der Beklagte zu 1) bei Fahrtantritt auf die Pflicht zur Benutzung der Sicherheitsgurte hingewiesen hat, wie die Beklagten behaupten, oder ob ein solcher Hinweis unterblieben ist, wie die Klägerin behauptet. Einer Ver­nehmung der hierzu benannten Zeugen bedarf es nicht. Denn dass es geboten war, sich anzugurten, ist generell bekannt und ergab sich für die Klägerin auch schon aus der Tatsache, dass die Gurte an den Sitzen sichtbar vorhanden waren. Andererseits würde es den Schadenverursachungsbeitrag der Beklagten nicht erhöhen, wenn der Beklagte zu 1. von einem entsprechenden Hinweis an die Businsassen abgesehen haben sollte. Denn dass sich ein solches Unterlassen ggf. ursächlich ausgewirkt hat, würde sich nicht feststellen lassen.

Die Bemessung einer Mithaftungsquote hängt stets von den Umständen des Einzel­fall ab (vgl. dazu Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 4. Aufl., § 22 Rn. 82; Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., StVO, § 21 a Rn. 25). In der vor­liegende Sache trifft weder den Beklagten zu 1. noch die Klägerin ein besonders schwerwiegender Schuldvorwurf. Die spezielle Gefahr, die sich hier zum Schaden der Klägerin ausgewirkt hat, war vielmehr angelegt in der technischen Konstruktion des Omnibusses und der nur begrenzten Eignung dieses Fahrzeugs, die Auswirkun­ge von Fahrbahnunebenheiten auf die Fahrzeuginsassen zu mildern. Die Nähe dieser Gefahr musste sich weder der Klägerin noch dem Beklagten zu 1. in besonderer Weise aufdrängen. Mit dem Landgericht erachtet der Senat daher eine überwiegende Haftung der Beklagten bei Mithaftung der Klägerin im Umfange von 30 % für sachgerecht.

Entgegen der Auffassung der Klägerin vermag es deren Verursachungsanteil nicht zu verringern, wenn in Reisebussen oftmals gegen die Gurtpflicht verstoßen wird. Denn auf die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Verstoß gegen die Gurtpflicht zum Schadenseintritt beiträgt, hat dies keinen Einfluss.

Der Senat folgt auch nicht der Ansicht der Beklagten, die meinen, ähnlich wie bei Fahrgästen in Linienbussen sei es in erster Linie Sache der Klägerin gewesen, sich sicheren Halt zu verschaffen, so dass die Klägerin ihren Schaden vollständig oder zumindest überwiegend selbst tragen müsse. Denn die Notwendigkeit, in Linien­busse ständig auf sicheren Halt bedacht zu sein, resultiert primär aus der Häufigkeit des Fahrgastwechsels und der Haltestopps sowie der Notwendigkeit, dass sich Benutzer von Linienbussen während der Fahrt zwischen Tür und Sitzgelegenheit fortbewegen müssen. Sobald Fahrgäste ihren Sitzplatz eingenommen haben, er­scheinen sie hingegen weniger stark gefährdet, weil der Kontakt zur Sitzfläche als solcher schon eine gewisse Sicherheit bietet.“

Also: Ganz schön teuer bei einem zuerkannten Schmerzensgeld von 100.000 €

Verkehrsbedingter Halt – Ja oder nein? – die Antwort entscheidet über § 316a StGB

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Vor einigen Jahren hat der BGH drei Grundsatzentscheidungen zu § 316a StGB erlassen (BGHSt 49, 8; 50, 169, 52, 44), mit denen die früher – nach Auffassung des BGH zu – weite Rechtsprechung zu dieser Vorschrift eingeschränkt worden ist.

Voraussetzung für eine Verurteilung nach § 316a StGB ist nun, dass die Tat unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs begangen wurde. Der BGH geht in seiner Rechtsprechung davon aus, dass dieses Tatbestandsmerkmal in der Regel erfüllt, wenn der Angriff i.S. des § 316a StGB zu einem Zeitpunkt erfolgt, an dem sich der Fahrer mit dem Fahrzeug im fließenden Verkehr befindet (BGHSt 49, 8, 14 f.; 50, 169, 172 f.). Entsprechendes gilt auch, wenn das Pkw während der Fahrt verkehrsbedingt mit laufendem Motor hält, die Fahrt aber nach Veränderung der Verkehrssituation sogleich fortgesetzt werden soll. Diese Situation wird so angesehen, als befinde sich das Fahrzeug weiterhin im fließenden Verkehr. In diesen Fällen habe auch der Geschädigte i.d.R. keine Möglichkeit, sich dem Angriff zu entziehen. In allen anderen Fällen, insbesondere bei einem nicht verkehrsbedingten Halt, bedarf es nach der Rechtsprechung des BGH zusätzlicher, in den Urteilsgründen darzulegender Umstände, die die Annahme rechtfertigen, dass die Tat unter Ausnutzung der spezifischen Bedingungen des Straßenverkehrs begangen worden ist.

Diese Rechtsprechung fasst noch einmal der BGH, Beschl. v. 22.08.2012 – 4 StR 244/12 – zusammen. Da hatte das LG lediglich festgestellt, dass einer der Angeklagten den Geschädigten im Einvernehmen mit seinen Mittätern „nach dem Halt im Wohngebiet“ zur Leerung seiner Taschen aufforderte. Zu den näheren Umständen dieses „Anhaltens“ in einem Wohngebiet war in den Urteilsgründen nichts ausgeführt. Der BGH hat insbesondere Angaben dazu vermisst, ob das Anhalten verkehrsbedingt, wie z.B. vor einer Lichtzeichenanlage, war. Somit ergab sich aus den Feststellungen nicht, dass die Angeklagten unter Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ge handelt hatten.

Ergebnis: Aufhebung und Zurückverweisung. Man sieht, es kann auf Kleinigkeiten ankommen, ob eine Verurteilung erfolgt oder nicht.

eso ES 3.0, immer wieder – heute mit der Fotolinie

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Geschwindigkeitsmessungen mit dem Lichtschrankenmessgerät eso ES 3.0 beschäftigen im Moment die Praxis und vor allem auch die Rechtsprechung. Frage: Standardisiert, ja oder nein? Fehlerfrei oder Fehleranfällig, verwertbar oder nicht?.

Die Frage hat sich auch das OLG Hamm gestellt und im OLG Hamm, Beschl. v. 02.08.2012 – III 3 RBs 178/12 zu den Anforderungen an die Urteilsausführungen Stellung genommen. Der Verteidiger hatte nämlich offenbar gefordert, dass Angaben zum Abstand zwischen dem gemessenen Fahrzeug und der Fotolinie erforderlich seien.

Das OLG sagt nein:

Die Gegenerklärung des Verteidigers auf die Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 5. Juni 2012 gibt zu einer anderen Beurteilung keinen Anlass. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist hinreichend geklärt, dass das Tatgericht bei standardisierten Messverfahren wie dem hier verwendeten ES 3.0 lediglich Feststellungen zu dem verwendeten Messgerät, der verwendeten Messmethode, dem zu berücksichtigenden Toleranzwert sowie der gültigen Eichung des Messgeräts im Zeitpunkt der Messung treffen muss. Soweit der Betroffene den Zulassungsgrund zur Fortbildung des Rechts damit zu begründen sucht, dass bei dem Messverfahren ES 3.0 Angaben zum Abstand zwischen dem gemessenen Fahrzeug und der Fotolinie erforderlich seien, liegt hierin ein Zulassungsgrund daher nicht. Im Übrigen stellt die Fotolinie bei der Geschwindigkeitsmessung mit dem Geschwindigkeitsüberwachungsgerät ES 3.0 lediglich ein Mittel der eindeutigen Zuordnung der Messung zu einem bestimmten Fahrzeug dar, ist aber — anders als die Messlinie — selbst kein Fixum für die Messung (vgl. OLG des Landes Sachsen-Anhalt, 1. Senat für Bußgeldsachen, Az.: 1 Ss (B) 76/10 vom 25.10.2010 — juris.de; AG Landstuhl, Urteil vom 10.02.2011 — Az.: 4286 Js 12300/10, veröffentlicht bei BeckRS 2011, 06033; Schmuck, Steinbach: Neues von der Geschwindigkeitsmessanlage ESO, Steinbach, NZV 2010, 285). Da die Fotolinie lediglich für die Frage der Zuordnung von Relevanz ist, kommt es auf sie nur an, wenn tatsächlich Verwechslungsgefahr bzw. Zuordnungszweifel bestanden. Soweit — wie hier — auf andere Weise, etwa durch einen aufmerksamen Messbetrieb, sichergestellt werden kann, dass nur ein Fahrzeug in Frage kommt, dem der Geschwindigkeitsmesswert zuzuordnen ist, entbehrt die Fotolinie jeglicher Relevanz (OLG des Landes Sachsen-Anhalt, a.a.O., Zitate wie vor).