Archiv für den Monat: August 2012

Wie lange darf die Vorbereitung der Hauptverhandlung dauern?

© Dmitry Rukhlenko – Fotolia.com

Verfahrensverzögerungen und Verfahrensdauer spielen in Zusammenhang mit der Vollstreckungslösung des BGH und der darauf ggf. beruhenden Berücksichtigung einer zu langen Verfahrensdauer bei der allgemeinen Strafzumessung und der Kompensation in der Praxis mit zunehmender Belastung der Gerichte immer mehr eine Rolle. Deshalb sind obergerichtliche Entscheidungen, aus denen man ableiten kann, was der BGH als zu lang ansieht, von Bedeutung. Zur Gruppe dieser Entscheidungen gehört der BGH, Beschl. v. 27.07.2012 – 1 StR 218/12, der in einem Totschlagsverfahren ergangen ist.

Folgender Zeit-/Verfahrensablauf:

„Vorliegend geschah die den Angeklagten zur Last gelegte Tat am 8. Juli 2010. Die Ermittlungen waren mit dem Eingang des DNA-Gutachtens am 15. November 2010 abgeschlossen, worauf die Staatsanwaltschaft ohne jede Verzögerung am 13. Dezember 2010 Anklage zum Landgericht erhob. Auf die dort am 15. Dezember 2010 eingegangene Anklage wurde, ohne dass weitere Untersuchungshandlungen erkennbar sind, erst am 4. Oktober 2011 das Hauptverfahren eröffnet, wobei in der Zwischenzeit der Vorsitzende im Mai 2011 bei den Verfahrensbeteiligten nach geeigneten Verhandlungstagen nach-fragte. Nach dem Eröffnungsbeschluss wurde die Hauptverhandlung zügig vom 28. Oktober 2011 bis zur Urteilsverkündung am 24. November 2011 durchgeführt.“

Zur zeitlichen Bewertung führt der BGH aus:

„Somit liegt eine die normale Dauer für die erforderliche Vorbereitung der Hauptverhandlung nur geringfügig übersteigende Verfahrensdauer vor, welche allenfalls sechs Monate beträgt. Danach war es als Kompensation ausreichend, zumal durch die Verzögerung keine ersichtlichen Nachteile entstanden sein können, nur die gerichtliche Feststellung zu treffen, dass die Verfahrensdauer unangemessen war (BGH, GSSt, NStZ 2008, 234, 235; BeckOK-StPO/Graf, Ed. 14, § 199 GVG Rn. 10).

Die „Vorbereitung der Hauptverhandlung“ darf also „allenfalls sechs Monate“ dauern. Allerdings wird man m.E. ergänzen müssen: In diesem bzw. vergleichbaren Fällen, denn es kommt insoweit m.E. schon auf den Tatvorwurf an.

In der Sache hat der BGH dann aber nur eine Kompensation in der Form vorgenommen, dass er festgestellt hat, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Damit ist dann auch ausreichend wieder gut gemacht i.S. des § 199 Abs. 3 GVG.

Ist der 1. Strafsenat des BGH befangen? – Nein, ist er nicht….

© Dan Race – Fotolia.com

Der 1. Strafsenat des BGH hat über eine Revision des Angeklagten zu entscheiden. Dieser ist vom LG Augsburg wegen falscher Angaben, vorsätzlichen Bankrotts, Betruges in 14 Fällen sowie Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Durch Beschluss vom 20. Oktober 2011 (1 StR 354/11) hatte der 1. Strafsenat eine erste Entscheidung auf Revision des Angeklagten aufgehoben, soweit er wegen falscher Angaben verurteilt worden war, sowie im Ausspruch über die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe, seine weitergehende Revision hingegen verworfen.
Nun ist der Angeklagte der Ansicht, die mitwirkenden Richter seien zu seinem Nachteil befangen. Denn diese hätten sich durch die erste Revisionsentscheidung in dieser Sache „der vermuteten Beihilfe zu einem Prozessbetrug schuldig gemacht“, „Akteninhalt ignoriert“ und dadurch „gegen das Gebot der Wahrheitsfindung“ verstoßen. Fehler des erstinstanzlichen Gerichts bei der Berechnung der Betrugsschadenshöhe hätten sie zudem nicht erkannt.

Darauf antwortet jetzt der BGH, Beschl.v. 07.08.2012 – 1 StR 212/12:

Die Befangenheitsanträge sind jedenfalls unbegründet. Es liegen keine Gründe vor, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Vorsitzen-den Richters am Bundesgerichtshof Nack und der Richter am Bundesgerichtshof Rothfuß, Hebenstreit und Dr. Graf zu rechtfertigen.

Denn hierfür genügt nicht das rein subjektive Empfinden des Antragstellers, dieses muss vielmehr gerechtfertigt, also in objektivierbaren Umständen begründet sein. Die Ablehnung eines Richters nach § 24 Abs. 2 StPO ist daher nur dann gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine innere Haltung ein, die seine erforderliche Neutralität, Distanz und Unparteilichkeit störend beeinflussen kann (BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1967 – 2 BvR 235/64, BVerfGE 21, 139, 146; BGH, Urteil vom 9. Februar 1951 – 3 StR 48/50, BGHSt 1, 34, 39; BGH, Beschluss vom 18. No-vember 2008 – 1 StR 541/08, NStZ-RR 2009, 85 f.). Daran fehlt es vorliegend.

Der unsubstantiierte Vortrag des Antragstellers legt solche objektivierba-ren Umstände für die Befürchtung der Befangenheit nicht dar.

Die Vorbefassung eines Richters mit dem Verfahrensgegenstand ist für sich allein nie ein Ablehnungsgrund, da der vernünftige Angeklagte davon aus-gehen kann, dass der Richter auch dann unvoreingenommen an die Sache herantritt, wenn er sich schon früher über den Sachverhalt ein Urteil gebildet hat (BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1971 – 2 BvR 443/69, BVerfGE 30, 149, 153; BGH, Beschluss vom 18. November 2008 – 1 StR 541/08, NStZ-RR 2009, 85 f.). Dies gilt auch für den Revisionsrichter (BGH, Beschluss vom 18. November 2009 – 1 StR 541/08, NStZ-RR 2009, 85). Ein allein auf den Umstand der Vorbefassung gestützter Ablehnungsantrag ist daher schon unzulässig nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO (BGH, Beschluss vom 10. August 2005 – 5 StR 180/05, BGHSt 50, 216, 221).

Zwar trägt der Antragsteller darüber hinausgehend vor, erst die konkrete Art und Weise der Vorbefassung belege die Voreingenommenheit der Richter. Besondere Umstände, die auch für einen verständigen Antragsteller eine solche Besorgnis rechtfertigten (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 18. November 2009 – 1 StR 541/08, NStZ-RR 2009, 85; BGH, Urteil vom 30. Juni 2010 – 2 StR 455/09, NStZ 2011, 44), sind aber weder vorgetragen noch sonst er-sichtlich.

Der Vorwurf einer „vermuteten“ Straftat und des damit verbundenen Schädigungsvorsatzes der abgelehnten Richter zu Lasten des Antragstellers entbehrt jeder Tatsachengrundlage. Diesen Vorwurf konkretisierende Umstände enthält auch der Ablehnungsantrag nicht.

Sein Vorbringen im Übrigen erschöpft sich seinem sachlichen Gehalt nach darin, zu beanstanden, mit der eigenen Würdigung in der ersten Revisionsentscheidung nicht durchgedrungen zu sein. Bei einer verständigen Würdigung vermögen solche dem Antragsteller im Ergebnis missliebigen Entscheidungen, die sich für ihn als vermeintlich fehlerhaft darstellen, nicht die Besorg-nis der Befangenheit zu rechtfertigen. Dies gilt zumal da der Antragsteller offen-sichtlich das Wesen der Revision verkennt. Danach ist es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, den Akteninhalt vollständig zur Kenntnis zu nehmen; es ist ihm zudem verwehrt, eine eigene Beweiswürdigung vorzunehmen, vielmehr ist es an die tatrichterlichen Feststellungen gebunden und kann nur überprüfen, ob diese rechtsfehlerfrei zustande gekommen sind (vgl. §§ 337, 338 StPO; hierzu Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., vor § 333 Rn. 1 ff. mwN).

Entspricht der obergerichtlichen Rechtsprechung zur Besorgnis der Befangenheit des Rechtsmittelgerichts bei sog. Vorbefassung

Akteneinsicht in den Messfilm – Jenoptik antwortet – bemerkenswert!!!

© lassedesignen – Fotolia.com

Ich erinnere: Das AG Schleiden hatte mit dem AG Schleiden, Beschl. v. 13.07.2012 – 13 OWi 92/12 (b) – die Einsicht in einen Messfilm bzw. die Messdatei gewährt, nachdem die Verwaltungsbehörde das abgelehnt hatte. Der Kreis Euskirchen hatte daraufhin die Datei zur Verfügung gestellt, allerdings in einem nicht mit gängigen Windows-Programmen lesbaren Zustand. Insoweit hatte es den Verteidiger letztlich an den Hersteller des Messgerätes, die Fa. Jenoptik, verwiesen. Die hatte der Verteidiger angeschrieben (vgl. hier). Sie hat nun geantwortet, und zwar wie folgt:

Sehr geehrter Herr Rößler,
wir beziehen uns auf Ihr Schreiben vom 10.8.2012 und können von hieraus nicht nachvollziehen, weshalb Ihnen seitens des Kreises Euskirchen eine komplette Messsequenz mit allen Bild- und Messinformationen zur Verfügung gestellt wurde. Schließlich enthalten die Daten auch schutzwürdige Messinformationen anderer Verkehrsteilnehmer.
Dementsprechend dürfen wir schon aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht bereit sein, Ihnen durch Überlassung unseres BiffProcess-Programms die Möglichkeit zu eröffnen, die offensichtlich vorliegenden Daten bzw. deren Integrität zu prüfen bzw. einzelne Vorgänge zu visualisieren.
Unseres Erachtens hätte es genügt, Ihnen einen JPG-Ausdruck des konkreten Falls zu überlassen.
Wenn Sie bzw. Ihre Mandantin bzw. Ihr Mandant dann noch Zweifel an der Richtigkeit des Messergebnisses hätten, könnte dieses im Gerichtsverfahren zum Ausdruck gebracht werden und das Gericht hätte die Möglichkeit, durch die Beauftragung eines vereidigten Verkehrssachverständigen eine Einzelfallprüfung zu veranlassen.
Insofern, und das bitten wir zu verstehen, sehen wir uns als Gerätehersteller beim besten Willen nicht in der Lage, Ihrem Wunsch nach Überlassung des von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt, Braunschweig, zugelassenen Verifikations- und Visualisierungsprogramms BiffProcess zu entsprechen.
Wenn vereidigte Sachverständige von einem Gericht mit der Vorgangsprüfung beauftragt wurden und noch nicht über das BiffProcess-Programm verfügen, können diese das Softwaremodul gewissermaßen als Sachverständigenwerkzeug für einen Betrag in Höhe von € 2.150,00 zuz. MWST. käuflich bei uns erwerben.

M.E. – gelinde ausgedrückt – bemerkenswert. Denn ist ist nicht Aufgabe des Herstellers, etwas nachzuvollziehen, oder Verfahrenshinweise zu geben bzw. die Entscheidung des AG über den Umfang der Akteneinsicht zu bewerten. Zudem: Der Hersteller als Datenschützer? Auch der Ton des Schreibens ist schon interessant. Mit ihm wird letztlich der Beschluss des AG Schleiden auf „kaltem Wege“ unterlaufen, und zwar auch vom Kreis, wenn er das so hinnimmt. Denn was nutzt eine Datei, wenn ich sie nicht lesen kann.

Was tun: Der Verteidiger hat m.E. keine andere Möglichkeit (mehr), als mit einem weiteren Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu versuchen, an eine lesbare Version der Dateien zu kommen, wenn der Kreis das nicht noch freiwillig sicher stellt. Aber der wird sich im Zweifel hinter dem Hersteller verstecken. Eine unheilige Allianz???

Das Schreiben von Jenoptik geht im Übrigen in die Richtung, die das AG Landstuhl vor einiger Zeit nicht hingenommen und einen Betroffenen frei gesprochen hatte (vgl. hier).

 

Aber hallo: BGH gewährt selbst Bewährung – das ist selten

© M. Schuppich – Fotolia.com

Das ist nun sicherlich selten, dass der BGH als Revisionsgericht selbst eine nicht gewährte Bewährung gewährt. So im BGH, Beschl. v. 31.07.2012 – 5 StR 135/12 -und dann auch noch im Beschlussweg. Ich kann mich nicht erinnern, dass der Senat beim OLG, dem ich angehört habe, das mal gemacht hat. Aber der BGh ist eben immer wieder für Überraschendes gut :-). Die Begründung:

Die bei der Prüfung der Frage nach dem Vorliegen besonderer Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB vorzunehmende Gesamtwürdigung (vgl. hierzu Fischer, StGB, 59. Aufl., § 56 Rn. 23 mwN) ist dem Urteil nicht ausreichend zu entnehmen. Im Rahmen ihrer sonst zutreffenden Erwägungen hat die Wirtschaftsstraf-kammer besondere, für die Beurteilung der Strafaussetzung bedeutsameGesichtspunkte außer Acht gelassen. Die Angeklagte stand bei Begehung der Taten in einem erheblichen Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem intensiv und in zentraler Funktion an den Wirtschaftsstraftaten beteiligten Ehemann. Erst hierdurch ist die zuvor nicht straffällig gewordene Angeklagte zur Tatbegehung veranlasst worden. Ferner war sie infolgedessen einem Strafverfahren ausgesetzt, das im Verhältnis zu ihrer eigenen strafrechtlichen Verstrickung einen überaus großen Umfang aufwies. Unter Berücksichtigung dieser nicht bedachten Umstände sieht der Senat die Entscheidung nach § 56 Abs. 2 StGB als ermessensfehlerhaft an und setzt seinerseits die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung aus. Die Feststellung von Umständen, die bei zutreffender Würdigung der vorgenannten Aspekte gleichwohl eine Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen könnten, ist im Rahmen einer erneuten Hauptverhandlung nicht zu erwarten (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Februar 2011 – 5 StR 514/09, in BGHSt 56, 174 insoweit nicht abgedruckt). Die Nebenentscheidungen bleiben dem Landgericht vorbehalten.

Und: Die Bewährung bringt ein Viertel der Kosten.

Das nicht gewährte letzte Wort – Revision nicht immer erfolgreich

© Africa Studio – Fotolia.com

Ich hatte vor kurzem erst darauf hingewiesen, dass die auf die Nichtgewährung des letzten Wortes gestützte Verfahrensrüge (§ 258 StPO) meist erfolgreich ist (vgl. hier). Na ja, zum Glück hatte ich mit „meist“ formuliert. Denn der BGH, Beschl. v. 01.08.2012 – 4 StR 267/12 – zeigt, dass es auch anders geht.

Der Verfahrensrüge  lag folgender Verfahrensgang zu Grunde: Am dritten und letzten Hauptverhandlungstag war die Beweisaufnahme geschlossen worden, die Staatsanwaltschaft und der Verteidiger stellten ihre Anträge, dann hatte der Angeklagte das letzte Wort. Er erklärte: „Ich habe nichts mehr zu sagen“. Nach Unterbrechung und Fortsetzung der Hauptverhandlung wurde erneut in die Beweisaufnahme eingetreten. Die Staatsanwaltschaft beantragte in einem Fall der Anklage die Tat auf den besonders schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu beschränken. Die Verteidigung gab keine Stellungnahme ab. Es erging ein entsprechender Gerichtsbeschluss. Unmittelbar danach wurde das Urteil verkündet.

Dazu der BGH:

„Es kann dahinstehen, ob ein Verfahrensfehler überhaupt vorliegt oder ob die Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154a Abs. 2 StPO durch einen unmittelbar vor dem Urteil verkündeten Beschluss auch dann noch Teil der abschließenden Entscheidung des Gerichts ist, wenn die Zustimmungserklärung der Staatsanwaltschaft nach protokolliertem Wiedereintritt in die Beweisaufnahme unmittelbar vorher erteilt worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 27. März 2001 – 4 StR 414/00, BGHR StPO § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 13). Der Senat kann unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles ausschließen, dass das Urteil auf dem Verstoß beruht. Der Angeklagte war hinsichtlich des Falles 1 der Anklage bzw. der Urteilsgründe geständig. Er hatte, als ihm zuvor das letzte Wort erteilt worden war, ausdrücklich erklärt, nichts mehr sagen zu wollen. Anhaltspunkte dafür, dass er Ausführungen gemacht hätte, wenn ihm das letzte Wort nochmals erteilt worden wäre, sind nicht ersichtlich.