Archiv für den Monat: März 2012

Wochenspiegel für die 12. KW., das war ein Maulkorb für einen StA, Angelas Gästeliste und ein wenig BP a.D. Wulff

Wir berichten heute über die 12 KW., an den Wochenspiegeln merk man m.E., wie die Zeit vergeht, in neun Monaten ist schon wieder Weihnachten. In dieser Woche weise ich hin auf:

  1. das Urteil im Hamburger Abo-Fallen-Prozess,
  2. die Strafvereitelung durch den Strafverteidiger – der 36. StV-Tag hat wohl bei dem ein oder anderen Spuren hinterlassen,
  3. den Sinneswandel beim Kollegen Vetter betreffend die bahncard – vgl. hier oder hier,
  4. einen Maulkorb für einen Staatsanwalt,
  5. das, was die Polizei bei Facebook darf,
  6. die Gästeliste zu Angelas Geburtstagsfeier,
  7. eine Einstellung bei ESO ES 3.0,
  8. einen Prozessrückblick zum „Mirco-Verfahren„,
  9. Hindernisse bei der Einbürgerung,
  10. und dann war da noch der selbst unterschreibende BP a.D. Wulff.

„Hups angedockt“ – Bei geringer Schuld stellt auch der BGH noch ein …, selbst bei sexuell motivierter Beleidigung

Das Landgericht Stralsund verurteilt den Angeklagten wegen einer sexuell motivierten Handlung wegen Beleidigung zur Freiheitsstrafe von drei Monaten.Nach den Feststellungen soll der seit dem Jahr 2000 in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachte Angeklagte sich einer einer Mitpatientin vollständig bekleidet von hinten genähert und sein Becken gegen ihr Gesäß gedrückt und gesagt haben „Hups, angedockt!“. Der Anstoß soll so fest gewesen sein, dass die Geschädigte das nicht erigierte Geschlechtsteil des Angeklagten spürte und einige Schritte nach vorne machen musste, um die Kraft des Stoßes aufzufangen.

Der BGH hatte im BGH, Beschl. v. 16.12.2012 – 3 StR 13/12 – gegen die Verteilung Bedenken:

Gegen den Schuldspruch bestehen rechtliche Bedenken. In einer sexuell motivierten Handlung allein kann regelmäßig keine ehrverletzende Kundgabe von Missachtung gesehen werden. Ein Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung erfüllt nur dann den Tatbestand der Beleidigung, wenn nach den gesam-ten Umständen in dem Verhalten des Täters zugleich eine von ihm gewollte herabsetzende Bewertung des Opfers zu sehen ist (BGH, Beschluss vom 12. August 1992 – 3 StR 318/92, BGHR StGB § 185 Ehrverletzung 4). Dass dies der Fall war, hat das Landgericht nicht hinreichend dargelegt, erscheint aber nicht völlig ausgeschlossen. Denkbar wäre auch eine Verurteilung des Angeklagten wegen Nötigung (§ 240 StGB).

Aber:

„Der Senat hat das Verfahren mit Zustimmung des Generalbundesanwalts und des Angeklagten nach § 153 Abs. 2 StPO eingestellt. Eine Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung erscheint nicht sachgerecht, da selbst im Falle einer erneuten Verurteilung die Schuld des seit über elf Jahren in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachten Angeklagten sehr gering ist und ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nicht besteht.

Gibt es in Bayern keine Bewährung mehr?

Das dem BGH, Beschl. v. 06.03.2012 – 1 StR 50/12 – zugrunde liegende landgerichtliche Urteil (LG Deggendorf) berechtigt m.E. zu der – provokanten – Frage, ob es in Bayern keine Bewährung (§ 56 StGB) mehr gibt. Das LG hat zu deren Voraussetzungen nämlich keine Ausführungen gemacht, obwohl diese wohl nötig und erforderlich waren (leider teilt der BGH-Beschluss den Sachverhalt nicht mit. Das war dann selbst dem 1. Strafsenat des BGH ein wenig viel/streng und er hat aufgehoben und zurückverwiesen:

….Die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung hält jedoch rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat seine Entscheidung nicht begründet. Unabhängig von der verfahrensrechtlichen Vorschrift des § 267 Abs. 3 Satz 4 StPO sind aus materiell-rechtlichen Gründen Ausführungen im Urteil zur Strafaussetzung zur Bewährung erforderlich, wenn eine Erörterung dieser Frage als Grundlage für die revisionsgerichtliche Nachprüfung geboten ist (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2011 – 4 StR 283/11 mwN).
Dies ist hier der Fall, weil angesichts der konkreten Umstände des Falles eine Strafaussetzung zur Bewährung nicht so fern liegt, dass eine ausdrückliche Erörterung der Aussetzungsfrage entbehrlich erscheint. Der Angeklagte ist – von den hier abgeurteilten binnen weniger Minuten begangenen Taten abgesehen – nur geringfügig strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er wurde 2006 zu einer Geldstrafe verurteilt. Seine Taten haben bei den beiden Geschädigten „keine bleibenden Verletzungen“ verursacht, weshalb die Strafkammer jeweils feststellte, „dass sich die Strafe noch im unteren Bereich des zur Verfügung stehenden Strafrahmens bewegen kann“ (UA S. 20). Der Angeklagte hat die Taten nicht bestritten, sondern von seinem Recht Gebrauch gemacht, sich nicht zur Sache einzulassen. Zu dem Motiv der Tat hat die Strafkammer keine Feststellungen getroffen.“

Den Angeklagten wird es freuen. Denn die Zeit, die es gebraucht hat und die es noch braucht bis zu einer neuen Verhandlung ist „Vorbewährungszeit“ – wenn er sie denn straffrei durchgestanden hat.

 

Klageerzwingungsverfahren – Verschärfung in Celle droht

Jeder Rechtsanwalt, der sich mit dem sog. Klagerzwingungsverfahren (§§ 172 ff. StPO) befasst, weiß, wie schwierig es angesichts der strengen OLG-Rechtsprechung zu den formellen Voraussetzungen ist, einen zumindest zulässigen Antrag abzuliefern. Eine Zulässigkietsvoraussetzung ist wohl, dass der Antrag nach h.M. auch Angaben zur sog. Fristwahrung enthalten muss.

Für den OLG Bezirk Celle war nicht ganz eindeutig, ob das OLG Celle das auch so sieht. Dass das der Fall ist, hat der dortigen 1. Strafsenat jetzt im OLG Celle, Beschl. v. 18.01.2012 – 1 Ws 20/12 klar gestellt:

Der Senat neigt dazu, sich (entgegen OLG Celle NStZ 1989, 43) der in der Rechtsprechung überwiegenden Auffassung anzuschließen, nach der ein zulässiger Antrag nach § 172 Abs. 2 StPO Angaben zum Einhalten der Frist enthalten muss.“

Also ein „Neigungsbeschluss“. Im entschiedenen Fall kam es auf die Frage nicht an, da der Antrag dort nach Auffassung des OLG schon aus anderen Gründen unzulässig war.

 

Einspruchsverwerfung: Vor der Verwerfung musst du forschen

Auf die Kurzformel: Vor der Verwerfung des Einspruchs muss der Amtsrichter seiner Aufklärungspflicht hinsichtlich dews geltend gemachten Entschuldigungsgrundes nachgehen, lassen sich die Gründe des OLG Bamberg, Beschl. v. 28. 11. 2011 – 3 Ss OWi 1514/11 – zusammenfassen. Allerdings mit einer Einschränkung: Der Betroffene muss schon etwas zur Entschuldigung vortragen. Die Leitsätze der Entscheidung:

1. Die Regelung des § 74 II OWiG birgt nicht nur die Gefahr eines sachlich unrichtigen Urteils in sich, sondern auch, dass dem Betroffenen das rechtliche Gehör (Art. 103 I GG) entzo­gen wird. Der Begriff der ‚genügenden Entschuldigung’ darf deshalb nicht eng ausgelegt werden.

 2. Den Betroffenen trifft hinsichtlich des Ent­schuldi­gungsgrundes grundsätzlich keine Pflicht zur Glaubhaftmachung oder zum lücken­losen Nachweis. Das Gericht hat vielmehr, wenn ein konkreter Hinweis auf einen Entschuldigungsgrund vorliegt oder Zweifel an einer genügenden Entschuldigung bestehen, dem im Rahmen seiner Aufklärungspflicht – gegebenen­falls im Wege des Freibeweises – nachzugehen (Anschluss u.a. an BayObLGSt 1998, 79/82; 2001, 14/16; OLG Bamberg wistra 2007, 79 f.; NZV 2009, 303 f.; NZV 2011, 409 f.; OLG Braunschweig, Beschluss vom 25.03.2010 – 3 Ss [OWiZ) 37/10 [bei Juris]; KG DAR 2011, 146 f.).

 3. Die Nachforschungsverpflichtung des Gerichts ist andererseits nicht grenzenlos. Ihre Auslösung setzt (wenigstens) voraus, dass der Betroffene vor der Hauptverhandlung schlüssig einen Sachverhalt vorträgt, der geeignet ist, sein Aus­bleiben genügend zu entschuldigen (Anschluss u.a. an KG VRS 108, 110 ff.; OLG Bamberg OLGSt StPO § 329 Nr. 29 = DAR 2008, 217 [Ls]; BayObLGSt 1997, 145/147 f.; 1998, 79/81 f.).

 4. Legt der Betroffene eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, besteht regelmäßig ein konkreter Hinweis auf die Existenz eines berechtigten Entschuldigungsgrunds, sofern nicht Gründe dafür vorliegen, dass das Attest als erwiesen falsch oder sonst als offensichtlich unrichtig oder unzureichend anzusehen ist (Anschluss an OLG Hamm NZV 2011, 562 f.).

5. In der Vorlage des ärztlichen Attests durch den Betroffenen liegt regelmäßig zugleich die Entbindung des ausstellenden Arztes von seiner Schweigepflicht.