Das OLG Naumburg, Urt. v. 20.02.2011 – 1 U 72/10 behandelt eine Fallgestaltung, die in der Praxis wahrscheinlich gar nicht so selten ist: Nämlich die Mitfahrt bei einem alkoholisierten Kraftfahrer und die Frage des Mitverschuldens des Mitfahrenden, wenn es zu einem Unfall kommt und der Beifahrer verletzt wird.
Dazu das OLG:
„Bei der Frage, ob einem Beifahrer unter dem Gesichtspunkt der Alkoholisierung des Fahrers ein Mitverschulden zuzurechnen ist, ist von folgenden Voraussetzungen auszugehen: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 1989, 2365) kommt es für die Frage, ob der Geschädigte die Einschränkung der Fahrtüchtigkeit kannte oder erkennen musste, darauf an, ob und in welchem Umfang der Fahrer in Gegenwart des Geschädigten alkoholische Getränke zu sich genommen hat oder welche Ausfälle in seinem Beisein der Fahrer gezeigt hat, die auf eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit schließen lassen. Die Obergerichte haben sich diesem Ansatz dem Grunde nach angeschlossen (z.B. OLG Hamm OLGR 1998, 145; OLG München OLGR 1998, 107; OLG Hamm OLGR 1997, 243; OLG Köln VRS 90, 92; OLG Oldenburg 1998, 277). Hierbei wird davon ausgegangen, dass aus dem Grad der Blutalkoholkonzentration – jedenfalls im Bereich der relativen Fahruntüchtigkeit – keine zwingenden Rückschlüsse auf erkennbare alkoholbedingte Ausfallerscheinungen gezogen werden können (OLG Naumburg Urteil vom 25.9.2001 – 9 U 121/00 – [z.B. NZV 2002, 459]).
Diese Voraussetzung stellt die Berufung angesichts einer Alkoholisierung des Beklagten zu 1) von (rückgerechnet) 2,0 Promille nicht in Abrede. Der Schädiger hat jedoch die Voraussetzungen für das Mitverschulden schon nach allgemeinen Grundsätzen zu beweisen, und zwar als Vollbeweis gemäß § 286 ZPO (Palandt/Grüneberg BGB, 69. Aufl., § 254, Rn. 72). Speziell für das Mitverschulden eines Beifahrers bei Alkoholisierung des Fahrers, hat die Rechtsprechung (KG Beschluss vom 12.1.2006 – 12 U 261/04 – [z.B. VRS 111, 10]; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken Urteil vom 28.8.2001 – 4 U 90/01 – [z.B. MDR 2002, 392]; jeweils zitiert nach juris) dies in gleicher Weise angenommen. Ob im Bereich der – wie vorliegend – absoluten Fahruntüchtigkeit ein Anscheinsbeweis hinsichtlich der Erkennbarkeit der Alkoholisierung angenommen werden kann (offen gelassen in Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken a.a.O.), kann letztlich dahinstehen. Zum einen ist nicht streitig, dass der Vater des Klägers die Alkoholisierung des Beklagten zu 1) erkannt hat. Der Anscheinsbeweis kann aber nur hinsichtlich der Erkennbarkeit der Alkoholisierung eingreifen. Mitverschulden setzt aber weiter voraus, dass der Beifahrer in Kenntnis der Alkoholisierung Gelegenheit hatte, das Fahrzeug noch zu verlassen (KG Urteil vom 3.10.1989 – 12 U 291/88 – [z.B. DAR 1989, 305]). Genau dieser Punkt aber ist streitig…“