könnte man die Meldung überschreiben, die aus der „Welt“ kommt (vgl. auch hier, hier und hier). Danach ist die Geschädigte im Kachelmannverfahren dann heute doch vor ihrer Vernehmung nach § 55 StPO belehrt worden. Nur: Ob es was nutzt im „Befangenheitsgerangel“, kann man wahrlich bezweifeln (vgl. dazu auch U.Vetter hier). Allerdings hat der BGH vor kurzem in einer Entscheidung auch die Entschuldigung des abgelehnten Richters als zulässig/möglich angesehen (finde die Entscheidung im Moment nicht). Das müsste dann ggf. auch für einen Verfahrensfehler, den man rückgängig macht, gelten.
Ein Verfahrensfehler liegt nur vor, wenn zwingend bereits vor der gesamten Vernehmung hätte belehrt werden müssen. Wenn der BGH dies so sehen sollte, lag in der früheren Ablehnung des Antrags der Verteidigung ein Verfahrensfehler, der trotz „Wiedergutmachung“ womöglich die Befangenheit besorgen lässt. Andererseits spräche die Korrektur der Gerichtsmeinung ja gerade für eine stets nach allen Seiten offene Verfahrensleitung. Abgesehen davon, so eindeutig, wie von vielen Strafverteidigern in diversen Blogs behauptet, ist der Zeitpunkt für eine zwingende Belehrung nach § 55 StPO nun wirklich nicht…
Es wäre aber auch selten unkollegial, RA Birkenstock bei seiner Verteidigungsstrategie in den Rücken zu fallen.
Na ja, vor der Vernehmung mussten sie wohl nicht belehren, das würde vermutlich der BGH auch nicht anders sehen. Nur mutet die Erklärung des Vorsitzenden, die heute abgegeben worden sein soll,schon sehr vorbeugend an: danach habe man nur deshalb zunächst nicht belehren wollen, weil es nicht um die Sache, sondern um die Person der Zeugin gehen sollte (sinngemäß, wie ich irgendwo las). Das glaube ich so nicht, da sollte gar nicht belehrt werden. Und nun schnell der Rückzieher, um den Befangenheitsgrund im Nachhinein durch Revidieren einer zunächst fragwürdigen Entscheidung noch im letzten Moment auszuräumen.
Ich freue mich jedenfalls schon, was denn nun die mir so Freude bereitende Starreporterin an Peinlichkeiten zu melden hat:http://verteidiger-aus-berlin.de/category/amusante-justiz/ .
Kann es kaum erwarten, dass hoffentlich Morgen was von ihr zu lesen ist. Ärgerlich nur, dass ich erst nach dem Gerichtstermin zum Lesen komme.
Die Entscheidung mit der „Entschuldigung“ war wohl 5 StR 278/05.
was tut Kammer nicht alles um sich nicht/ um nicht abgelehnt werden/ ablehnen zu müssen 😀
ich bin ja froh, dass es nicht „Besorgnis der Befangenheit“ heißt, sondern „ist ganz bestimmt befangen!“ 😉
*Ironie on/off*
So wie ich das Ganze verstanden habe, hatte die Verteidigung ursprünglich eine Belehrung nach § 55 StGB verlangt und das Gericht lehnte eine solche dann zunächst ab. Wenn dies tatsächlich so gewesen ist, dann ist es diese derbe Ablehnung der Belehrung letzte Woche, die man als Tatsache werten könnte, die geeignet ist den Eindruck der Befangenheit zu erwecken. Das Gericht verhielt sich damit nämlich so, dass jeder vernünftige Betrachter nur den Eindruck gewinnen konnte, es sei davon überzeugt, die von der Zeugin erhobenen Anschuldigungen seien zutreffend.
Demzufolge ist es m.E. völlig egal, ob das Verhalten der Kammer tatsächlich zu einem Verfahrensfehler i.S.d. StPO geführt. Dass die Kammer – nachdem das dilettantische Verhalten der Kammer Gegenstand zahlreicher juristischer Blogs und der allgemeinen Berichterstattung gewesen ist – ihr Verhalten nun anders erklärt, als dies zunächst objektiv zu verstehen gewesen ist, müsste ebenfalls egal sein.
Trotzdem bin ich skeptisch, ob der Befangenheitsantrag durchgeht…
Die Nichtbelehrung nach § 55 StPO kann man wohl kaum als Hinweis darauf sehen, daß ein Gericht die Aussage eines Belastungszeugen von vornherein als glaubhaft ansieht. Wenn man aus der Unschuldvermutung derart weitreichende Folgerungen ziehen wollte, müßte ja bei jedem schweigenden oder bestreitenden Angeklagten der Belastungszeuge nach § 55 StPO belehrt werden, um nicht den Eindruck der Befangenheit zu erwecken.
Nur wenn, wie hier, Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß die bisherigen Angaben eines Zeugen ganz oder in Teilen unwahr gewesen sein könnten, könnte in der Nichtbelehrung des Zeugen möglicherweise ein Ablehnungsgrund zu sehen sein; zumal dann, wenn das Gericht nicht nur nicht belehrt, sondern einen entsprechenden Antrag der Verteidigung zurückweist. Allerdings ist schon fraglich, ob der Angeklagte überhaupt einen Anspruch darauf hat, daß sein Antrag beschieden und ggf. ein Beschluß nach § 238 Abs. 2 StPO erlassen wird.
Ich hielte es daher für ungeschickt, wenn die Kammer den Antrag der Verteidigung inhaltlich beschieden hätte. Vielmehr wäre der Antrag allenfalls als unzulässig abzulehnen gewesen. Darauf hätte man m.E. dann auch kein Ablehnungsgesuch stützen können. Den Angeklagen geht es nämlich grundsätzlich nichts an, ob der Zeuge entsprechend belehrt wird.
@Ref Iur:
Worin liegt denn der „Dilettantismus“ der Kammer? Erleuchten Sie uns? Bisher sehe ich nur, dass die Vorgehensweise von Journalisten zweifelhafter Qualifikation bemäkelt wird und zur Frage der Verhandlungsführung in den Fachblogs recht unterschiedliche Meinungen bestehen, wenn auch manche gerne sähen, dass jeder tatsächliche oder vermeintliche Verfahrensfehler die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen soll.
M.E hat Denny Crane die richtigen Argumente; ob das „bewusste Unterlassen“ der Belehrung überhaupt nach § 238 II beanstandungsfähig ist, erscheint fraglich (Meyer-Goßner, Rn. 11). Eine formelle Ablehnung eines einmal gestellten Antrags auf Belehrung wäre dann wohl auch nicht erforderlich gewesen. Anders bei wiederholten Anträgen (KK_StPO § 238 Rdnr.12), deren Übergehen dann teilweise wieder als „konkludente“ Anordnung angesehen wird. Rechtlich also (ohne Kenntnis der genauen Abläufe zu den Verteidigeranträgen) etwas ambivalent, so dass der Weg der Kammer, nach § 238 II zu entscheiden, wohl nicht wie von Herrn/Frau Ref. iur. als Dilettantismus anzusehen ist.
Hoffentlich wird dem Befangenheitsantrag statt gegeben, denn meiner Meinung nach sind die Richter nicht vorbehaltlos in den Prozess gegangen. Dem mutmaßlichen Opfer wird bedingungslos geglaubt und Kachelmann wird als schuldig angesehen. Niemand ist schuldig, bis nicht seine Schuld bewiesen wird.
@ Denny Crane
Ich stimme Ihnen weitgehend zu. Soweit die Kammer aber bei begründeten Anhaltspunkten, dass ein Zeuge nicht die Wahrheit sagt – wie es hier zu sein scheint – einen Beschluss nach § 238 Abs. 2 StPO erlässt, dass nicht belehrt wird, dann ist das schon eine Tatsache, die zumindest die Frage eröffnet, ob Gründe für die Besorgnis der Befangenheit vorliegen… Es kommt im Übrigen aber auch nicht darauf an, dass es sich um einen Beschluss nach § 238 Abs. 2 StPO handelt oder um eine schlichte Äußerung, dass das Gericht eine Belehrung für unnötig hält.
@ Klabauter
Der Vorsitzende hätte nach der Aufforderung durch die Verteidigung Folgendes äußern sollen:
„Vielen Dank für den Hinweis Herr Dr. Birkenstock. Eigentlich wollten ich erst nach der Vernehmung zur Person belehren, aber von mir aus kann das auch jetzt schon geschehen. Frau X, ich belehre Sie noch darüber, dass Sie auf einzelne Fragen nicht zu antworten brauchen, wenn Sie sich bei Beantwortung der Frage der Gefahr einer Straf- oder Ordnungswidrigkeitsverfolgung aussetzen würden. Wenn Sie allerdings Fragen beantworten, dann müssen Sie natürlich wahrheitsgemäß sein.“
Statt dessen hat sich die Kammer durch ihr kindisches Verhalten, nicht belehren zu wollen einen absehbaren Befangenheitsantrag eingefangen. Außerdem hat sich die Kammer wohl gezwungen gesehen, zurückzurudern und ihr bisheriges Verhalten zu erklären. Wäre alles nicht nötig gewesen, wenn man sich die 15 Sekunden Zeit zur Belehrung genommen hätte. Es ist einfach unverantwortlich, ein derart großes Verfahren mit so einem Mist zu gefährden, ganz abgesehen davon dass auch weitere Ressourcen dadurch verschwendet werden, dass sich andere Richter nun mit dem Befangenheitsantrag auseinandersetzen müssen.
Darin liegt m.E. Dilettantismus.
Ich nehme an, dass die Verteidigung noch genügend Anlässe finden oder (zu) schaffen (versuchen) wird, um Ablehnungen anzubringen.
Die Frage ist doch, wer hier „kindisch“ ist. Leider ist die Berichterstattung zu den konkreten Abläufen mE wenig präzise und zuverlässig.
Immerhin hat die Verteidigung offenbar von sich aus auf einen Privatgutachter zur Glaubwürdigkeit verzichtet, der an der Entlassungsfeier Kachelmanns teilgenommen hat, Anträge zur Sitzordnung gestellt, denen wohl auch nachgekommen wurde, die mE kuriose Gestaltung der Vernehmung der Nebenklägerin (Übertragung der Frontalansicht auf Leinwand, damit die Sachverständigen sie beobachten können), obwohl in jedem aussagepsychologischen Handbuch auf die völlige Unbrauchbarkeit physiologischer „Lügensignale“ hingewiesen wird, hat die weiteren Privatgutachter Kachelmanns erst einmal zugelassen (dass Brinkmann anschließend rausflog, weil ihn die StA ablehnte, ist ein anderes Thema).
Von dem vielfach pauschal behaupteten Verurteilungskurs und einer Konfliktstrategie der Kammer gegenüber der Verteidigung sehe ich angesichts der etwas dünnen Faktenlage aber nicht viel.
Aber Leuten wie Jannes genügt es halt, ein Bauchgefühl zu haben, nur weil die Anklage überhaupt zugelassen wurde….
@ Klabauter
Ob die Strafkammer tatsächlich darauf aus ist, Herrn Kachelmann um jeden Preis zu verurteilen, ist für mich nicht dargelegt oder erkennbar. Darauf kommt es aber im Rahmen der Befangenheit gar nicht an, da es ja um die Besorgnis der Befangenheit geht.
Im Übrigen ist eine absolut gängige und zudem legitime Verteidigungsstrategie, dass der StV versucht Revisionsfehler zu produzieren. Das würde ich von meinem RA auch erwarten und als StV würde ich das auch als meine Aufgabe ansehen. Es ist Aufgabe einer guten Strafkammer nicht auf so etwas reinzufallen. Insofern verbietet es sich m.E. das Verhalten der Verteidigung als kindisch zu bezeichnen.
Soweit ich bislang Strafverfahren selbst beobachtet habe (bzw. die StA vertreten habe), haben sich die guten Richter immer dadurch ausgezeichnet, dass sie es sehr gut geschafft haben, mit Einwänden der Verteidigung umzugehen anstatt andauernd auf Konfrontationskurs zu gehen. In diesem Sinne bleibe ich dabei, dass es kindisch ist, wenn ein Richter trotz nicht völlig abwegiger Anhaltspunkte eine vielleicht zwanzigsekündige Belehrung nach § 55 StPO verweigert und die Kammer sodann auch noch einen entsprechenden Beschluss nach § 238 Abs. 2 StPO erlässt. Das ist eine Machtdemonstration, die weder klug ist noch Souveränität zum Ausdruck bringt (insbesondere, wenn man dann später auch noch zurückrudern muss…).
@Ref. iur.
Ich halte es für bedenklich, wenn eine Kammer anfangen würde, Anträge nicht nach ihrer eigenen rechtlichen Einschätzung zu bescheiden, sondern danach, was rechtlich alles so vertretbar ist und dazu die Verteidigung glücklich macht. Denken Sie darüber lieber nochmal nach.
Im Übrigen ist es unangenehm überheblich und unangebracht, einer Kammer „kindisches Verhalten“, „Dilettantismus“ etc. vorzuwerfen.
Ein Verfahren mit soviel öffentlicher Aufmerksamkeit ist eine enorm schwierige und unangenehme Aufgabe. Die Verteidigung kann nunmal das Gericht so richtig an den Pranger stellen und durch den Dreck ziehen, dank tatkräftiger Unterstützung der Presse. Dadurch wird mittlerweile ein enormer Druck auf das Gericht erzeugt, im Sinne der Verteidigung zu handeln, siehe bspw. ihr Vorschlag oben. Dem Gericht ist es dagegen nicht möglich, sich mit den gleichen Mitteln zur Wehr zu setzen.Es kann nur einfach weiter versuchen, das Verfahren sorgfältig im Einklang mit dem Gesetz zu leiten. Das bedarf schon einer gewissen Größe, die Sie hier nicht an den Tag legen.
@ 12 moritz
die verteidigung zieht das gericht mit tatkräftiger hilfe der presse durch den dreck, während dieses sich nicht wehren kann??
die kammer und die sta haben sich im vorfeld des verfahrens wahrlich nicht mit ruhm bekleckert. ob das nun an die presse durchgestochene aktenbestandteile waren oder nicht haltbare haftbefehle. seltsam auch, wenn die sta das beschleunigungsgebot so ernst nimmt, dass sie bereits anklagt, bevor die ermittlungen abgeschlossen sind. für mich klingt das eher nach „wie man in den wald hineinruft, so schallt es heraus“:
@N.N.:
Woher wissen Sie denn, wer die Aktenteile an die Presse „durchgestochen“ hat. und wer,vermuten Sie denn,hat wohl an den Spiegel die Kachelmann entlastenden Auszüge aus dem Glaubwürdigkeitsgutachten zugespielt?
Da außer den Verteidigern Nebenklagevertreter vermutlich auch Akteneinsicht nehmen,da offenbar die Verteidigung für die Tätigkeit der Privatgutachter ebenfalls Aktenbestandteile offensichtlich an diese weitergegeben hat und der Streukreis der Akteninhalte somit recht weit ist, ist Ihre Behauptung, die sei die Kammer oder die StA gewesen, einigermaßen mutig.
Offenbar hat auch Frau Rückert über den Verteidiger recht intensive Aktenkenntnis erlangt, die sie dann prompt dazu genutzt hat, ihn als unfähig darzustellen bzw. als „drittes Problem“ (!!!!) neben der „Opferzeugin“ und der Staatsanwaltschaft (http://www.zeit.de/2010/26/DOS-Justiz-Kachelmann?page=4), lesenswert auch
http://www.kanzlei-hoenig.info/ein-zuckersuesses-schwesterchen-in-der-that-sabine-heisst-die-canaille