Kennt die Amtsrichterin § 30 StPO nicht?

Im Forum von LexisNexis Strafrecht wird gerade folgender Sachverhalt zur Diskussion gestellt, der mich zumindest erstaunt, ich wollte erst schreiben „schlicht fassungslos macht“ (auf die Kommentare wegen dieses Ausdrucks bin ich gespannt):

Mdt kommt – leider erst vorhin – mit Strafbefehl wegen Beleidigungen, die er im Gerichtssaal einer Zeugin im damaligen Strafverfahren gegenüber begangen haben soll. Strafbefehl wird durch die Richterin erlassen, die auch im damaligen Strafverfahren zuständig war. Im Strafbefehl ist diese Richterin auch als eine der Zeugen aufgeführt.

Ist diese Sachlage „nur“ für einen Antrag wegen Besorgnis der Befangenheit von Bedeutung (Mdt. hat bereits mehrfach Erfahrungen mit der Richterin und fühlt sich von ihr sehr negativ behandelt) oder hätte die Richterin wegen ihrer Zeugenstellung den Strafbefehl gar nicht erlassen dürfen und er ist deshalb auch ohne Befangenheitsantrag aufzuheben…“.

Was tun? Also: § 22 Nr. 5 StPO – Ausschluss der Richterin – greift noch nicht ein – formuliert ist mit „… vernommen ist“, aber für einen Befangenheitsantrag reicht es m.E.

Mir ist „unverständlich“, dass die Kollegin nicht von sich aus auf die Idee gekommen ist, sich selbst abzulehnen. Ein Blick ins Gesetz… und schon hätten wir § 30 StPO entdeckt. 🙂

16 Gedanken zu „Kennt die Amtsrichterin § 30 StPO nicht?

  1. RA T. Feltus

    „dass die Kollegin (…)“
    Wie…. habe ich was verpasst? Sind Sie nun doch wieder übergelaufen? 😉

    „und schon hätten wir § 30 StPo entdeckt“
    Ach Herr Burhoff, dazu haben doch Amtsrichter gar keine Zeit. Die StPO hat soooo viele §§, wenn die Richterin sich um jeden kümmern muss, dass schafft sie doch bei der „Überlastung“ der Gerichte gar nicht….
    Dafür sind doch die OLGs in der Regel da, die sollen doch ganz ganz viel Zeit haben 🙂

  2. Detlef Burhoff Beitragsautor

    zu 1) nee, bin ich nicht. Es gibt ja auch kein zurück. Darüber hat mich der Dienstherr ja auch eindringlich belehrt als ich gegangen bin. Ich habe mir nur angewöhnt – und halte daran fest – bei Juristen i.d.R. 🙂 von Kollegen zu sprechen.

    zu 2) Die Zeitkönnte man sich ja mal nehmen. Sie haben im Übrigen den Kommentar vorweggenommen, den ich von mitlesenden richterlichen Kollegen vom AG erwartet habe. Die verknüpfen ihn bei den Kommentaren in unserem Blog manchmal noch damit, dass die Richter am OLG Zeit haben, die sie dann für lukrative Nebentätigkeiten nutzen 🙂 ;-).

  3. Dogmatikgott

    …empfehlenswert ist eine Regelung im Geschäftsverteilungsplan:

    [Vertretung] ….soweit sich in einer neuen Sache zumindest ein Anklagevorwurf auf eine in der Hauptverhandlung begangene Tat bezieht, die Bezug zu einem früheren Verfahren aufweist, in welchem der an sich nun zuständige Richter damals tätig geworden ist, oder soweit er selbst die dem jetzigen Verfahren zugrunde liegende Anzeige erstattet hat.

    Das erspart auch langwierige dogmatische Diskussionen mit dem Vertreter (Aussagedelikte in der 3. Runde sind ja besonders beliebt…) über die „Geständnisfiktion“ im Strafbefehl oder ob es auf ein „Bestreiten“ ankommt o.ä. 🙂

    Meinen Namen sag ich nich, weil man den GVP googeln könnte…

  4. Gabrielle

    Finde ich jetzt offen gesagt im Strafbefehlsverfahren noch nicht so schlimm. Als Richterin und Zeugin in einer Person kann sie doch am besten beurteilen, ob ein hinreichender Tatverdacht vorliegt. In der anschließenden Hauptverhandlung geht das dann schon aus praktischen Gründen nicht mehr, weil sie schlecht andauernd zwischen Richter- und Zeugenstuhl hin- und hereilen kann, um sich selbst zu vernehmen…

  5. RA T. Feltus

    @ Gabrielle:
    Das ist aber nun nicht Ihr Ernst. Nicht schlimm…. Sie scheinen zu verkennen, was der Erlass eines Strafbefehls bedeutet.

    Aus praktischen Gründen könnte man nun auch wieder zur Inquisition zurück kehren und Gericht und Staatsanwaltschaft, na zumindest im Ermittlungsverfahren, zusammenlegen.

  6. Gabrielle

    Nein, das war nicht ganz ernst gemeint… Hatte ich ein 😉 vergessen?

    @Feltus

    Im deutschen Strafrecht gilt ab Anklageerhebung ohnehin das Inquisitionsprinzip. Anders als etwa im angloamerikanischen Strafrecht handelt es sich nicht um ein kontradiktorisches Parteiverfahren, der Staatsanwalt muß nichts beweisen. Das Gericht ist auch nicht an Beweis- oder sonstige Anträge der Staatsanwaltschaft gebunden, sondern ermittelt selbst fröhlich vor sich hin (vgl. Roxin, Strafverfahrensrecht, 25. Auflage, § 17 C), was bekanntlich dazu führt, daß Richter eher geneigt sind, Engagement für die Herbeischaffung von belastenden, nicht von entlastenden Beweismitteln zu entfalten.

    Wenn es darum geht, einen Belastungszeugen aus dem Dschungel von Vietnam herbeizuschaffen, werden von Amts wegen alle Mittel in Bewegung gesetzt. Benennt der Angeklagte auch nur einen in Holland wohnenden Zeugen, gilt dieser gleich als unerreichbar; jedenfalls wird nicht mit halb so viel Aufwand ermittelt.

    Von der Grundstruktur unterscheidet sich der deutsche Strafprozeß – mit Ausnahme des die reine Inquisition modizfizierenden Anklagegrundsatzes – wenig von der mittelalterlichen Inquisition (vgl. Roxin, a.a.O.). Deswegen spielt das Kreuzverhöhr (§ 239 StPO) in der Praxis keine Rolle; deswegen ist der deutsche Strafrichter nicht wirklich neutral.

  7. Burschi

    @ #2 zu 2): Nein, in aller Regel widmen sich Richter auch nach ihrer Beförderung ans OLG mit voller Hingabe ihren Dienstaufgaben und fühlen sich mit denselben angemessen beschäftigt. Deswegen kann man sie normalerweise ja auch zur allseitigen Zufriedenheit bis zur Pensionierung im Amt belassen … 🙂

  8. FrankR

    Zwei Sachen hätte ich anzumerken:

    1. Dreistes Ansinnen an die Richterin auch noch ins Gesetz gucken zu sollen. Nicht das „ein Blick ins Gesetz erspart uns Geschwätz“ auch noch zum Standard erhoben wird. *kopfschüttel*

    2. Ein wenig ökonomisches Denken hätte ich Ihnen schon zugetraut. *traurigguck* Vor einigen Jahren gab es einen, wie ich finde, bahnbrechenden Ansatz das Justizsystem ökonomisch nach vorne zu bringen. Es wurde sogar ein Lehrfilm mit prominenter Besetzung gefertigt. Augenscheinlich ist dieses Werk an ihnen allen vorbei gerauscht. *kopfschütteltststsmach* Vlt. haben sie ja die Möglichkeit diesen noch irgendwo zu sehen und zu lernen. *begeistertnick* Ich glaub der hieß „Judge Dread“, mit Sly in der Hauptrolle.

  9. Ein Staatsanwalt

    Der BGH hat es schon in den 50ern (BGHSt 14, 219) eindeutig festgestellt:
    „[D]er Ausschließungsgrund des § 22 Ziff. 5 StPO (…) liegt nur vor, wenn der Richter oder Schöffe in der Sache als Zeuge vernommen ist; es genügt nicht, daß er als Zeuge geladen war.“

    Wenn noch nicht einmal die Ladung für den Ausschließungsgrund genügt, wird auch die bloße Benennung in der Anklage (oder im Strafbefehl) nicht ausreichen. Sofern der Richter als Zeuge nicht benötigt wird (etwa im Fall eines Geständnisses) gibt es keinen Anlass, ihn als Richter auszuschließen.

    Neben Sitzungsstraftaten ist der übliche Fall, bei dem so etwas vorkommen kann, der Straf- und Ermittlungsrichter eines kleinen Amtsgerichts, der die geprügelte Ehefrau im Ermittlungsverfahren vernommen hat und im Strafverfahren erst dann ausgeschlossen ist, wenn die Frau nunmehr von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht und der Richter als Zeuge tatsächlich benötigt wird.

  10. Kurt

    Es würde den Herren vermutlich leichter fallen, die Fassung zu behalten, wenn sie vorher mal einen Kommentar zu Rate gezogen hätten. Daraus hätte sich nämlich nur ergeben, dass es sich (jedenfalls auf der Basis der hier genannten Tatsachen) nicht nur offensichtlich nicht um einen Ausschließungsfall handelt, sondern genauso offensichtlich nicht um einen Befangenheitsfall.

  11. Detlef Burhoff

    für die erste Frage brauche ich keinen Kommentar, über die zweite kann und sollte man m.E. streiten. Aber das hängt sicherlich auch vom richterlichen Selbstverständnis ab.

  12. OG

    Mit ist diese Verfahrensweise ebenfalls unverständlich. Leider ist sie dem BGH verständlich. In 5 StR 32/99 hat er entschieden, daß es sogar zulässig sei, wenn eine in einer Verhandlung begangenen Straftat in der selben Verhandlung gleich mitabgeurteilt wird.

  13. klabauter

    @RA Siebers: im Ausgangspost wirft Herr Burhoff der Richterin vor, nicht ins Gesetz geschaut zu haben.
    Hätte sie sich (vielleicht hat sie es ja?)darüher hinaus im Kommentar und den dort zitierten Rechtsprechungsnachweisen schlau gemacht, hätte sie keinen Anlass zur Nichtunterzeichnung gefunden. Sie werfen ihr jetzt vor, sich der Kommentarliteratur (bzw. der dort zitierten Rechtsprechung) konform verhalten zu haben.
    Also worin soll eigentlich der Fehler liegen?

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