Der Kollege Nebgen hatte gestern in seinem Blog über einen ZAP-Beitrag von Egon Schneider zu „100 Seiten Revision“ berichtet. Zur Länge von Schriftsätzen ist dann hier kritisch Stellung genommen worden. Die Stellungnahme gipfelt darin, dass es heißt:
„Sicher gibt es Fälle, wo auch 100 Seiten eigentlich kurz und knapp sind; z.B. wenn es in einem Bauprozess um 200 Positionen geht. Geht es aber nur um ein Ding: nämlich z.B.: ist dem Verurteilten im Prozess ordnungsgemäß ein Mord nachgewiesen worden? dann sind 100 Seiten einfach zu viel. ….Böse gesagt: im zitierten Beispiel reicht schon die Angabe der Länge des Schriftsatzes aus, um zur Auffassung zu kommen, dass der Bescheid des BGH den Nagel auf den Kopf trifft.“
Der Kollege Nebgen hat sich darauf noch einmal gemeldet und die Rechtsprechung des BGH beklagt, die zu diesen langen Revisionsbegründungen führt.
Ich kann dem nur zustimmen und damit eine Lanze für den Revisionsverteidiger brechen. Wenn man die Rechtsprechung des BGH zu § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO – und leider auch die der OLG – sieht/kennt, dann hat man als Revisionsverteidiger gar keine andere Möglichkeit, als wirklich alles, aber auch alles vorzutragen, was mit dem geltend gemachten Verfahrensverstoß in Zusammenhang steht und möglicherweise von Bedeutung sein kann, wenn man nicht Gefahr laufen will, dass die Rüge unzulässig ist/wird (vgl. dazu auch hier). Das ist nicht nur bei sog. Negativtatsachen der Fall, sondern z.B. auch, wenn es um Verfahrensverzögerung geht, wenn es um einen Verstoß gegen § 81a Abs. 2 StPO geht usw., usw. Da sind schnell ganze Bücher zusammengeschrieben und auch schnell, da ja auch alle Beschlüsse und sonstige Verfahrenstatsachen vorgetragen werden müssen, 100 Seiten erreicht und manchmal auch übertroffen.
Im Zivilrecht mag es richtig sein, dass „10 oder eher noch 5 Seiten, gefüllt mit knackigen Argumenten“ – wie der Kollege in seinem Blog meint – genügen mögen. Im Strafverfahren zwingt eben die Rechtsprechung der Revisionsgerichte , „ganze Romane“ vorzutragen. Wenn ein Bauprozess mit einem Mordverfahren verglichen wird, vergleicht man Birnen mit Äpfeln. Die Aussage
„Geht es aber nur um ein Ding: nämlich z.B.: ist dem Verurteilten im Prozess ordnungsgemäß ein Mord nachgewiesen worden? dann sind 100 Seiten einfach zu viel.“
ist m.E. in ihrer Allgemeinheit falsch.
Sorry, aber ich habe ja nun selbst 15 Jahre lang mit Revisionen gekämpft :-). Manchmal sind 100 Seiten sogar noch zu wenig. Das Einzige was den Verteidiger „beruhigen“ sollte: Der Revisionsrichter muss es alles lesen :-).
Zum Hintergrund der konkreten Revision sollte nicht vergessen werden, dass es sich um den längsten Indizienprozess des Schwurgerichts München handelte mit 93 Verhandlungstagen und ca. 200 Beweisanträgen der Verteidigung (Mordfall Böhringer) –
es dürfte nachvollziehbar sein, dass in diesem Falle die Revisionsbegründung etwas länger ausfiel
dann sind 100 Seiten noch knapp 🙂
Manchmal dürfte dieser Zwang zur Lektüre für den Revisionsrichter tatsächlich zur Qual werden. In einem von mir durchgeführten Wiederaufnahmeverfahren habe ich aus Interesse mal in die über 90-seitige Revisionsbegründung des zuvor tätigen Kollegen geworfen.
Man merkte sehr schnell, dass dort kein Revisionsexperte am Werk gewesen war. Er schrieb in seiner Begründung, dass das Gericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, ein Zeuge habe in einer Hauptverhandlung dies und das bekundet.
Tatsächlich habe der Zeuge aber in seiner Vernehmung am x. Verhandlungstag jenes und welches ausgesagt. Als Beweis führte er dafür an: „Vorstehendes wird anwaltlich versichert, der Unterzeichner war selbst in der Verhandlung anwesend.“
Es verwunderte dann nicht mehr, dass die Revision mit dem üblichen Dreizeiler abgebügelt wurde.
Ja, bei einem solchen Verfahren können 100 Seiten eigentlich nur einen kleinen Teilbereich abdecken.
das sind/waren immer die „schönsten“ Revisionsbegründungen, in denen der Verteidiger mal so richtig darlegte, wie die Beweise hätten gewürdigt werden müssen und vor allem, wenn auf einen anderen Ablauf der Hauptverhandlung hingewiesen wurde. da erkannte man dann sofort, dass ein „Experte“ am Werk war :-).
Außerdem: Bei einem Bauprozess geht es um Geld, nur um Geld. Bei einem Mordprozess geht es darum, ob der Angeklagte für x Jahre seiner Freiheit beraubt wird. Und da kann 1 Ding schon wesentlich schwerer wiegen als 200 Positionen.
@Kollege Eickelberg
Ich denke, dass die Revisionsrichter oft ziemlich miese Revisionsbegründungen zu sehen bekommen. Gerne werden die Gebühren mitgenommen und gerne macht auch mal der Erbrechtler eine Revision, inkl. Beweiswürdigung. 😉
Ich gebe Revisionen an Kollegen, die das besser können als ich.
Ich finde es ebenso ärgerlich wie unredlich, daß sich die Revisionsgerichte einerseits darauf zurückziehen, es sei ihnen weder erlaubt noch seien sie verpflichtet, die Akte selbst durchzusehen, so daß man alles, was sich ohnehin aus der Akte ergibt noch einmal lang und breit auszuführen hat. Ein Verweis auf die Blattzahl wäre nicht weniger wert als dessen Inhalt in die Revisionsbegründungsschrift einzufügen.
Wenn das Revisionsgericht aber selbst ein Urteil für ungerecht und den Revisionsvortrag für zu knapp erachtet, hat man plötzlich kein Problem damit, sich im „Freibeweisverfahren“ selbst durch die Akte zu wühlen. Die Behauptung, Revisionsrichter würden die Akte nicht lesen, ist schlichtweg unsinnig. Die hohen Anforerungen an die Zulässigkeit einer Revisionsrüge waren vielleicht einmal als Arbeitsentlastung gedacht. Das Gegenteil ist jedoch eingetreten. Armdicke Schriftsätze sind die Folge.
Gerade weil Revisionsrichter ofmals Müll lesen müssen, vestehe ich nicht, dass insbesonderen die BGH-Richter sorgfältige Revisionen genauso wie hingeschmierte Revisionen behandelt und mit ständig neuen Erfindungen die Revisionshürden erhöhen. Wenn sich die Revisionsrichter nur halb so viel Mühe eben würden, wie sorgfältige Revisionsanwälte hätten wr einen Rechtsstaat der glückseligen. So muss der Staat halt ohne Rechts auskommen.
Sascha Petzold
gerade in punkto negativtatsachen schreien die revisionsgerichte doch förmlich nach ausufernden revisionsbegründungen. insofern sind sie nicht zu bedauern.
was mich aber mal wirklich interessieren würde: lesen revisionsrichter eine schön formatierte revisionsbegründung mit sauber eingefügten belegen aus dem protokoll eigentlich wohlwollender als ein zusammenkopiertes aktenkonvolut, wo man sich ständig fragt, wo in der begründung man sich eigentlich gerade befindet?
Die Frage können Sie sich doch selbst beantworten: Es liest sich leichter und was man leichter liest, liest man auch „wohlwollender“ – was immer das ist :-). Mit einem „Aktenkonvolut“ tut man sich schwer.
ich habe mich aber schon mal gefragt, ob ein wohlwollender revisionsrichter sich nicht länger mit der revision beschäftigen muss, wenn sie ein konvolut ist. und dies könnte ja auch zu intensiverer beschäftigung mit dem inhalt führen.
dass dem aber nicht so zu sein scheint, beruhigt mich doch. 🙂
bei einem Konvolut hat man irgend wann weniger Zeit/Lust auf den Inhalt. das ist bei einer schön formatierten Begründung nicht der Fall 🙂
das beruhigt mich wirklich. 😀
es freut mich, wenn dieser Blog auch zur Beruhigung beiträgt 🙂
Beschwerdebegründung, Revisionsbegründung, Berufungsbegründung…….was macht das
noch für einen Unterschied???
Ich denke mal keinen!!
Wenn ein AG Präsident einer Beschwerde wegen §111a StPO nicht Abhilft und sich dann, heraus stellt, das der Beschlussfassende Richter (hier der AG Präsident) noch nicht einmal Kenntniss vom Inhalt der Akte oder vom Inhalt der Beschwerdebegründung des RA`s hat sollte man sich die Frage stellen wie der Beschluss wohl zustande kam.
Und so ist es leider in vielen Fällen.
Einen Nachweis darüber zu führen ob der oder die zuständigen Richter überhaupt den Akteninhalt kennen, ist wohl eher Sinnlos.
Festzustellen das hier weder Kenntniss über den Sachverhalt noch den Inhalt der Akte
vorhanden ist kam zu Tage als der zuständige RA sich mit einem Schriftsatz direkt an den Richter ( AG Präsident ) wendete.
Nach Versendung des Schriftsatzes per Fax und dem Anwarten von einigen Tagen nach versendung, nahm der RA Telefonischen Kontakt zu dem Richter ( AG Präsident )auf.
Der hatte weder Kenntniss von dem Aktz. noch hatte der Herr AG Präsident Kenntniss über den Schriftsatz der an Ihn gerichtet war sowie dessen Inhalt.
Und spätestens jetzt stellt man sich die Frage, warum hat wohl der Herr AG Präsident keine Kenntniss über den Schriftsatz und dessen Inhalt????
Klarer Fall man liest erst gar nicht was man Vorgelegt bekommt und überlässt die Entscheidung einfach seinen Mitarbeitern ob und was weitergeleitet und welche Entscheidung getroffen wird.
Hat den Vorteil man braucht nur noch zu Unterzeichnen und nicht zu Lesen!!!!
Leider ist das in vielen Gerichtsverfahren gänginge Praxis.
Nämlich nach dem Motto:
Entschuldigung wie ist die richtige Formulierung ?
Lass mir Arbeiten ???? Oder lass mich Arbeiten ?????
Nein alles Falsch…… richtig heißt das!!!!
Lass andere Arbeiten !!!!
Ach und wer der Meinung sein sollte warum ausgerechnet der Herr AG Präsident,
den Akteninhalt oder Sachverhalt kennen sollte.
Dem sei gesagt das der Herr AG Präsident in diesem Verfahren selbst den Vorsitz führt
und Urteilender Richter ist.
Hallo, das ist – wenn das so zutrifft – eine ganz andere Problematik als die behandelte Länge der Revisionsbegründungen. Zudem darf im Revisionsverfahren – und nur darum geht es – der Revisionsreichter i.d.R. die Akte oder Teile davon gar nicht lesen.