Die Ungebühr vor Gericht. Ein Thema, dass die Rechtsprechung immer wieder beschäftigt. So auch das OLG Köln in seinem Beschluss v. 3. 2. 2010 – 2 Ws 62/10, über den auch der Kollege Ferner berichtet. Wäre da nicht der Vorwurf bzw. die Frage der angeklagten Rechtsanwältin gewesen, ob das Urteil schon geschrieben sei, dann könnte man m.E. über das Vorliegen von Ungebühr, an deren Vorliegen die Rechtsprechung an sich hohe Anforderungen stellt, streiten. M.E. kann man aber nicht darüber streiten, dass der Hinweis des OLG darauf, dass die Angeklagte als „Rechtsanwältin“ „Organ der Rechtspflege“ sei, in der Sache nicht zieht. Denn: Die Angeklagte wird als Angeklagte wegen ungebührlichen Verhaltens in Anspruch genommen. Da muss m.E. das „Organ der Rechtspflege“ außen vor bleiben. Anderenfalls würde man nämlich von einem angeklagten Rechtsanwalts ein besonders gebührliches Verhalten vor Gericht verlangen. Und da habe ich Probleme mit Art. 3 GG.
Manche Richter ertragen Ungebührlichkeiten mit Humor und Langmut, andere wissen sich nur mit Ordnungsmitteln zu helfen. Gerade bei recht schwierigen Angeklagten sollte man doch über den Dingen stehen. Kürzlich kommentierte mein Mandant zu meinem Entsetzen das Plädoyer des Staatsanwaltes laut und deutlich mit dem Wort: „A….loch“. Weder das Gericht noch der Staatsanwalt haben daran Anstoß genommen, sondern es einfach überhört. Und ein Freispruch in 3 von 4 angeklagten Fällen sowie eine moderate Strafe sind trotzdem herausgekommen. Der Staatsanwalt hat weder Anzeige wegen Beleidigung erstattet noch Rechtsmittel gegen die Freisprüche eingelegt. Man kann sich auch durch Souveränität Respekt verschaffen.
nicht nur „Man kann sich auch durch Souveränität Respekt verschaffen.“ sondern: „Man sollte sich auch durch Souveränität Respekt verschaffen.“ 🙂
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die begründung ist in der tat seltsam. und unabhängig von art. 3 gg geht sie auch völlig an der sache vorbei. die dame ist nicht als anwältin angeklagt, sondern steht als privatperson vor gericht. wäre sie als organ der rechtspflege in der verhandlung, könnte sie gebühren abrechnen.
ob ihr verhalten jedoch klug war, dürfte auf einem anderen blatt stehen.
http://www.an-online.de/news/topnachrichten-detail-an/1253117?_g=Anstiftung-zur-Falschaussage:-Anwaeltin-kassiert-hohe-Strafe
Also wenn ein Angeklagter A.loch zum Staatsanwalt sagen darf, ohne gerüffelt zu werden, dann läuft in deutschen Gerichten etwas schief. Wo sind wir denn? Das hätten andere Richter – völlig zu Recht – mit mehreren Tagen Ordnungshaft quittiert und mit einer Anzeige wegen Beleidigung (die dann vllt gg Geldauflage einstellen). Moralverfall, ähm, Wandel der Moralvorstellungen, haben wir sonst schon genug, aber in einem Gericht? Ne, ich finde das geht nicht, und es kommt nicht darauf an, obs dem Richter missfällt oder dem StA, es geht um die Rechtspflege insgesamt.
Wie man an der Kommentaren hier erkennen kann, sind nur wenige in der Lage sich durch Souveränität Respekt zu verschaffen …
@Miraculix:
A…ch ist eine Beleidigung, wenn sie in der Verhandlung geäußert wird, zwingend nach 183 GVG festzustellen und mE ist niemand verpflichtet, soooooo souverän zu sein, sich derartige Beleidigungen gefallen zu lassen. Anwälte sind schon sensibel und unsouverän und bemühen die RAK, wenn sie in einem Schrifsatz Winkeladvokat genannt werden. Richter, Anwälte, Staatsanwälte, Parteien, Zeugen, die in einer öffentlichen Verhandlung ggf. vor Presse und Publikum grob beleidigt (und damit meine ich nicht nur eine Unmutsäußerung) werden – der berühmte RA B. aus München soll ja mal eine Zeugin als „Drecksperson“ bezeichnet haben…-, müssen mE keineswegs so souverän sein, dies hinzunehmen.
Der Klügere gibt sonst so lange nach, bis er der Dumme ist. Und Souveränität kann auch in souveräner Handhabung des GVG zum Ausdruck kommen.
leicht offtopic: Gegenüber Zeugen, die vor Gericht erscheinen und aussagen müssen hat ein Gericht mE zudem auch Fürsorgepflichten dahingehend, dass sie nicht durch Verfahrensbeteiligte ungeahndet beleidigt werden
@meine5cent
Stimmt schon, man muss nicht suverän sein 🙂
Daß einem Angeklagten nach dem Plädoyer des Staatsanwaltes ein Schimpfwort rausrutscht wird aber nicht das Ende der Rechtspflege einläuten.
Das kommentarlose Hinnehmen von Formalbeleidigungen ist kein Ausdruck von Souveränität, sondern von Konfliktscheu und Durchsetzungsschwäche. Als Bürgerin wünsche ich mir solche Charaktereigenschaften von Staatsanwälten und Richtern gerade nicht.