In der Rechtsprechung häufiger findet man die Fälle, in denen nach einem Verteidigerwechsel von dem oder den neuen Verteidigern Rechtsmittel eingelegt wird – ggf. noch einmal -, nachdem aber bereits zuvor der frühere Verteidiger (s)ein Rechtsmittel zurückgenommen oder auf Rechtsmittel verzichtet hat. Dann geht es um die Wirksamkeit dieser Rücknahme oder des Verzichts. Maßgebend in dem Zusammenhang ist dann § 302 Abs. 2 Satz 2 StPO, wonach der Verteidiger für die Rücknahme/den Verzicht eine besondere Ermächtigung benötigt. Und darum, ob die vorgelegen hat, wird dann gestritten.
Mit der Frage hat sich jetzt der BGh (noch einmal) im BGH, Beschl. v. 02.03.2016 – 4 StR 580/15 – befasst. Das LG hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in sechs Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe verurteilt. Gegen dieses Urteil haben die nach dessen Verkündung neu gewählten Verteidiger Be. und J. sowie der Angeklagte selbst (Schreiben vom 1. September 2015) Revision eingelegt. Der BGH hat das/die Rechtsmittel als unzulässig angesehen, weil der Pflichtverteidiger des Angeklagten bereits am 26.08.2015 wirksam auf Rechtsmittel verzichtet hatte, wozu er – so der BGH – vom Angeklagten ausdrücklich ermächtigt war.
„1. Dieser Rechtsmittelverzicht wurde formgerecht erklärt.
Der Rechtsmittelverzicht ist grundsätzlich an die gleiche Form wie die Einlegung des Rechtsmittels gebunden. Er muss also zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich erklärt werden (§ 341 Abs. 1 StPO). Der schriftliche Rechtsmittelverzicht erfordert daher eine durch den Urheber selbst oder eine dazu ermächtigte Person niedergeschriebene Erklärung und die eindeutige Erkennbarkeit des Erklärenden (BGH, Beschluss vom 12. April 2011 – 4 StR 48/11, Rn. 4).
Der über die Verzichtserklärung des Pflichtverteidigers des Angeklag- ten G. auf der Geschäftsstelle des Landgerichts erstellte „Vermerk“ vom 26. August 2015 genügt diesen Anforderungen. Denn die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat dort nicht nur die Erklärung des Pflichtverteidigers des Angeklagten niedergeschrieben, sondern dieser hat die Erklärung selbst – über der Justizbeschäftigten – unterschrieben. Damit bestand weder über den Inhalt der Erklärung noch über die Person des Erklärenden irgendein Zweifel (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 2011 – 4 StR 48/11, Rn. 5; Beschluss vom 23. Juni 1983 – 1 StR 351/83, NJW 1984, 1974 f.).
2. Der Pflichtverteidiger des Angeklagten war zur Abgabe der Verzichtserklärung auch ermächtigt (§ 302 Abs. 2 StPO).
Eine Ermächtigung zum Rechtsmittelverzicht kann mündlich erteilt werden; zu ihrem Nachweis kann eine anwaltliche Erklärung genügen (BGH, Be-schluss vom 14. Januar 2003 – 4 StR 516/02, NStZ 2004, 55). Hier hatte der Pflichtverteidiger des Angeklagten G. , Rechtsanwalt C. , bei Abgabe der Verzichtserklärung am 26. August 2015 mitgeteilt, „namens und im Auftrag des Verurteilten G. “ zu handeln. An der Richtigkeit dieser Erklärung hat der Senat keinen Zweifel. Soweit Rechtsanwalt J. erklärt hat (Schriftsatz vom 7. September 2015), von einem Jo. erfahren zu haben, dass der Angeklagte G. „das Mandatsverhältnis“ mit Rechtsanwalt C. gekündigt habe und der Rechtsmittelverzicht offensichtlich ohne entsprechenden Auftrag erklärt worden sei, vermag dies die Richtigkeit der Erklärung von Rechtsanwalt C. nicht in Zweifel zu ziehen. Rechtsanwalt J. hatte zugleich mitgeteilt, „auf postalischem Wege“ Kontakt zu seinem Mandanten aufgenommen und diesen um eine weiter gehende Stellungnahme ersucht zu haben. Eine solche Stellungnahme ist nicht eingegangen. Stattdessen hat Rechtsanwalt J. unter dem 8. Oktober 2015 erklärt, dass er den Angeklagten nicht mehr vertrete.
3. Der somit wirksam erklärte Rechtsmittelverzicht kann als Prozess-handlung nicht widerrufen, wegen Irrtums angefochten oder sonst zurückgenommen werden. Die trotz wirksamen Rechtsmittelverzichts (mehrfach) eingelegte Revision ist daher als unzulässig zu verwerfen.“
Interessant an dem Beschluss: Dem BGH reicht, was ja auch richtig ist, dass der Pflichtverteidiger „bei Abgabe der Verzichtserklärung am 26. August 2015 mitgeteilt [hat], „namens und im Auftrag des Verurteilten G. “ zu handeln.“ Also nix mit schriftlicher Vollmacht/Ermächtigung. Ist also was für die „Vollmachtsverweigerer“.
Für mich stellt sich bei dem Sachverhalt vielmehr die Frage, warum der Pflichtverteidiger in der Geschäftsstelle rumgeistert und dort auch noch Erklärungen zum Rechtsmittelverzicht abgibt, nach dem die Hauptverhandlung offensichtlich schon beendet ist.
das ist eine andere (gute) Frage 🙂
Wenn man es „richtig“ findet, den Schutzzweck des § 302 II StPO praktisch auf Null herunterzufahren, darf man sich auch nicht wundern, wenn das mal in die Hose geht und der Angeklagte zum Opfer eines anwaltlichen Geisterfahrers wird.