Und die dritte Entscheidung kommt dann vom KG. Thematik: Zwangsmittel nach § 230 Abs. 2 StPO bei sprachunkundigem Angeklagten.
Der Angeklagte war nicht zur Hauptverhandlung erschienen. Das AG hatte Haftbefehl nach § 230 Abs. 2 StPO erlassen. Dagegen sein Rechtsmittel, mit dem er dann beim KG mit dem KG, Beschl. v. 09.10.2020 – 4 Ws 80/20 – Erfolg hatte:
„Die weitere Beschwerde der Angeklagten, die ungeachtet dessen, dass der Haftbefehl nicht vollzogen wird, statthaft (vgl. nur Senat, Beschluss vom 19. Juli 2016 – 4 Ws 104/16 – [juris] mwN) und auch sonst zulässig erhoben ist, hat Erfolg.
1. Dabei kann die Frage, ob die Angeklagte unter der Anschrift E. Straße tatsächlich wohnhaft war und dort am 26. Mai 2020 ordnungsgemäß geladen werden konnte, offenbleiben. Ebenfalls dahinstehen kann, ob die strengen Anforderungen, die für den Erlass eines Sitzungshaftbefehls ohne vorherigen Versuch der Vorführung gelten (vgl. dazu Senat aaO) – und die durch die nicht ganz widerspruchsfreie Argumentation des Amtsgerichts und des angefochtenen Beschlusses schwerlich begründet werden konnten –, sowie die sonstigen Voraussetzungen der Verhältnismäßigkeit des Haftbefehlserlasses vorliegen.
2. Denn der Haftbefehl unterliegt, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hingewiesen hat, schon aus einem anderen Grund der Aufhebung.
Ausweislich des Aktenvermerks über die Ausführung der richterlichen Ladungsverfügung zur Hauptverhandlung war der Ladung der Angeklagten, die nach Aktenlage jedenfalls der deutschen Schriftsprache nicht hinreichend mächtig ist und für die deshalb die Anklageschrift übersetzt werden musste, keine Übersetzung der nach § 216 Abs. 1 Satz 1 StPO vorgesehenen Warnung, dass im Falle des unentschuldigten Ausbleibens die Verhaftung oder Vorführung erfolgen werde, in eine ihr verständliche Sprache beigefügt. Eine solche Übersetzung ist wegen des mit einer Verhaftung oder einer Vorführung verbundenen erheblichen Eingriffs erforderlich (vgl. [zu § 329 Abs. 3 StPO] KG, Beschluss vom 17. Juli 2019 – 2 Ws 116/19 – [juris]). Die Beifügung einer solchen Übersetzung war vom Richter nicht verfügt und ist ausweislich des Vordrucks StP 22, der die hier nicht geschehene Kenntlichmachung der Beifügung einer Übersetzung ausdrücklich vorsieht, auch nicht erfolgt. Das Fehlen der erforderlichen Übersetzung macht zwar die Ladung nicht unwirksam, führt aber dazu, dass von den Zwangsmitteln des § 230 Abs. 2 StPO kein Gebrauch gemacht werden darf (vgl. OLG Bremen NStZ 2005, 527; OLG Dresden StV 2009, 348; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2010, 49; KG aaO.; Gmel in KK-StPO 8. Aufl., § 216 Rn. 5, § 230 Rn. 10; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 63. Aufl., § 216 Rn. 4; § 184 GVG Rn. 3; Wickern in LR-StPO 26. Aufl., § 184 GVG Rn. 9; Becker in LR-StPO 27. Aufl., § 230 Rn. 15; s. auch [zu § 412 StPO] LG Heilbronn, Urteil vom 17. Juni 2010 – 5 Ns 44 Js 7003/09 – [juris = StV 2010, 406 Ls.]).“