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Zusätzliche Verfahrensgebühr bei Einziehung, oder: Beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts reicht

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Die zweite Entscheidung, der LG Aachen, Beschl. v. 01.04.2021 – 60 Qs 7/21 – nimmt noch einmal zur zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG Stellung.

Die Staatsanwaltschaft hat gegen den früheren Angeklagten ein Ermittlungsverfahren wegen Bandendiebstahls geführt. Der Rechtsanwalt war dem ehemaligen Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Mit der Anklageschrift wurde dem Angeklagten ein Einbruch in eine Tankstelle und die Entwendung von Tabakwaren im Wert von ca. 7.200,00 EUR zur Last gelegt. In der Anklageschrift heißt es: „Verbrechen des schweren Bandendiebstahls, strafbar gemäß §§ 244a Abs. 1, 25 Abs. 2, 74 StGB. Die sichergestellten und als Augenscheinobjekte aufgeführten Gegenstände unterliegen der Einziehung“. Das AG hat den ehemaligen Angeklagten auf Kosten der Landeskasse freigesprochen.

Der Verteidiger hat die Festsetzung von Wahlverteidigergebühren beantragt, und zwar u.a. auch eine 1,0 Verfahrensgebühr nach einem Gegenstandswert von 7.200,00 EUR nach Nr. 4142 VV RVG. Der Bezirksrevisor hat zu dem Antrag Stellung genommen und darauf hingewiesen, dass es sich bei der Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG um eine – zusätzliche – Verfahrensgebühr handle, die das Betreiben des Geschäfts u.a. im Hinblick auf die Einziehung von Wertersatz abgelten solle. Eine entsprechende Tätigkeit sei dem Akteninhalt jedoch nicht zu entnehmen. Die Gebühr sei daher abzusetzen. Darauf hat der Verteidiger erwidert, dass sich die Tätigkeit, die er im Hinblick auf die Einziehung von Wertersatz entfaltet habe, nicht unmittelbar aus dem Akteninhalt ergebe. Jedoch sei die Einziehung in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft enthalten. Auch wenn dies in der Anklageschrift nicht ausdrücklich beantragt worden sei, liege die Einziehung des Wertes von Taterträgen nach § 73c StGB nahe. Hierüber habe er den ehemaligen Angeklagten pflichtgemäß belehrt und beraten.

Der Bezirksrevisor ist bei seiner Auffassung verblieben, ebenso der Verteidiger. Das AG hat die Gebühr Nr. 4142 VV RVG nicht festgesetzt. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, dass die Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG abzusetzen sei, da die Gebühr nur dann entstehe, wenn der Verteidiger eine Tätigkeit erbringe und nachweise, die auf die Abwendung des Verfalls gerichtet sei (unter Bezugnahme auf Burhoff, RVG, 2. Aufl. Nr. 4142 Rn. 15). Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor und seien von dem Verteidiger auch nicht dargelegt.

Der Verteidiger hat sofortige Beschwerde eingelegt. Das AG hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Sache dem LG vorgelegt. Das hat darauf hingewiesen, dass es die sofortige Beschwerde für begründet erachtet. Das Amtsgericht hat sodann den Gegenstandswert des Verfahrens gem. § 33 Abs. 1 VV RVG auf 7.200,00 EUR festgesetzt.

Der Beschluss des LG fasst die Rechtsprechung sehr schön zusammen. Hier die Leitsätze:

  1. In strafprozessualen Kostenfestsetzungsverfahren besteht eine Abhilfemöglichkeit nicht. Ein gleichwohl erlassener Nichtabhilfebeschluss ist im Hinblick hierauf (deklaratorisch) aufzuheben (Anschluss an OLG Rostock, Beschl. v. 30. April 2018 – 20 Ws 78/18).

  2. Im zeitlichen Anwendungsbereich der §§ 73 ff. StGB i.d.F. des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung vom 13. April 2017 (BGBl. I S. 872) kommt es auf den Strafcharakter der (Einziehungs-)Maßnahme für Entstehung der Gebühr nach Nr. 4142 RVG-VV nicht mehr an, vielmehr kann die Gebühr für alle Maßnahmen nach §§ 73 ff. StGB n.F. anfallen.

  3. Für den Anfall der Gebühr nach Nr. 4142 RVG-VV genügt jede Tätigkeit des Rechtsanwalts, die dieser im Zusammenhang mit der Einziehung erbringt. Die Gebühr wird daher bereits durch die außergerichtliche nur beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst. Es genügt insoweit, dass der Rechtsanwalt eine beratende Tätigkeit darlegt und anwaltlich versichert. Erforderlich ist darüber hinaus, dass im Zeitpunkt der Beratung eine Einziehung „in Betracht kam“ bzw. „nach Aktenlage geboten“ war, „ernsthaft in Betracht kam“ bzw. „nahelag“. Hiervon ist immer dann auszugehen, wenn aufgrund der Aktenlage mit einem Einziehungsantrag in der Hauptverhandlung zu rechnen war oder weil in der Anklage die Einziehung beantragt worden ist.

Rücknahme des Einspruchs gegen den Strafbefehl, oder: Das AG Tiergarten hat ein anderes RVG

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Und den Reigen der RVG-Entscheidungen eröffne ich heute mit dem AG Tiergarten, Beschl. v. 04.02.2021 – 254 Ds 231/19, den mir der Kollege Pagels aus Torgau geschickt hat.

Der Kollege war Pflichtverteidiger.  Als der angeklagte Mandant zur Hauptverhandlung beim AG nicht erschienen ist, hat das AG gem. § 408a Abs. 1 StPO einen Strafbefehl erlassen. Da der Kollege zunächst keinen Kontakt zu seinem Mandanten bekommen konnte, um die Frage zu besprechen, ob Einspruch eingelegt werden soll oder nicht, hat er gem. § 410 StPO Einspruch eingelegt. Nachdem er nach etwa drei Wochen die Angelegenheit besprechen konnte, ist der Einspruch zurückgenommen worden. Bei der Vergütungsfestsetzung hat der Kollege dann auch die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 Nr. 3 VV RVG geltend gemacht. Die wurde nicht festgesetzt. Das Rechtsmittel des Kollegen hatte keinen Erfolg.

„Die Gebühr gemäß VV 4141 RVG ist hier nicht entstanden.

Sofern ein Verteidiger den Angeklagten dahingehend berät, gegen einen Strafbefehl nach § 408 a StPO keinen Einspruch einzulegen, entsteht diese unstreitig nicht (u, a. OLG Nürnberg, 20.05.2009 — 2 Ws 132/09). Dies gilt entsprechend auch für eine baldige Rücknahme des Einspruchs.

VV 4141 I Nr. 3 RVG bezieht sich auf originäre Cs-Sachen, in denen durch Rücknahme des Einspruchs eine Hauptverhandlungstermin entbehrlich wird. Hier handelt es sich jedoch um eine Ds-Sache, in der die Hauptverhandlung bereits anberaumt war und am 07.05.2020 nur mangels Anwesenheit des Angeklagten nicht bis zum Abschluss durchgeführt werden konnte. Anders wäre der kostenrechtliche Ansatz nur dann zu bewerten, wenn nach der Eröffnung des Hauptverfahrens und vor Terminierung der Verteidiger an dem Erlass eines Strafbefehls mitwirkt (AG Bautzen AGS 2007, 307), so dass der Hauptverhandlungstermin entbehrlich wird, was hier nicht der Fall war.

Auch in den Konstellationen, in denen ein Hauptverhandlungstermin bereits stattgefunden hat, ausgesetzt wurde und nur durch Rücknahme des Rechtsmittels der neu anberaumte Hauptverhandlungstermin entbehrlich wird, entsteht die Gebühr nach VV 4141 RVG nicht (OLG Frankfurt. Beschl. v. 05.03.2011, 2 Ws 177/11). Dasselbe gilt für das Entfallen von Fortsetzungsterminen (OLG Köln, AGS 2006, 339). Daher ergibt sich auch aus einer analogen Anwendung von VV 4141 RVG hier keine andere Bewertung.“

Für mich ist es erschreckend, wie Gerichte zum Teil mit den anwaltlichen Gebühren umgehen und wie gering die Kenntnisse im Gebührenrecht sind. Zudem hat man auch den Eindruck – zumindest mal wieder bei dieser Entscheidung -, dass man als Entscheider nicht mal eben in einen Kommentar schaut, um eine Frage/Antwort abzusichern. Da wird offenbar einfach nur in Internetbanken pp. gesucht und die Entscheidung, die zu passend scheint, als das non plus ultra dargestellt, ohne zu hinterfragen, ob das überhaupt die h.M. ist und ob man, wenn man ein wenig gesucht hätte, auf der dann gefundenen Grundlage nicht ggf. anders entscheiden müsste. Aber: Warum soll man sich die Mühe machen? Es ist ja nicht das eigene Geld, um das es geht.

Zur Sache: Hätte hier der Amtsrichter mal in einen Kommentar geschaut, er wäre – hoffentlich – zu einer anderen Entscheidung gekommen bzw. hätte kommen müssen. Denn schon der Ansatz, die Nr. 4141 Anm. 1 Nr. 3 VV RVG beziehe sich – nur – auf originäre Cs-Sachen, in denen durch Rücknahme des Einspruchs eine Hauptverhandlungstermin entbehrlich werde, ist falsch. Das ergibt sich nicht aus dem Gesetz. Das unterscheidet in Nr. 4141 Anm. 1 Nr. 3 VV RVG nämlich nicht zwischen einem „originärem“ Strafbefehlsverfahren und einem nach § 408a StPO erlassenen Strafbefehl. In der Nr. 3 heißt es einfach nur: „..durch Rücknahme gegen den Strafbefehl …“. Dementsprechend wird auch an keiner Stelle in Rechtsprechung oder Literatur bisher die vom AG vertretene Auffassung vertreten. Gott sei Dank,. Denn sie widerspricht auch Sinn und Zweck der Nr. 4141 VV RVG, die honorieren soll, dass das Verfahren ohne Hauptverhandlung zu Ende geht, wodurch dem Verteidiger Gebühren, nämlich die Terminsgebühr für die Teilnahme am Hauptverhandlungstermin, verloren gehen. Dafür bietet die Nr. 4141 VV RVG einen Ausgleich. Das gilt aber auch in den Fällen, in denen ggf. ein Strafbefehl nach § 408a StPO erlassen worden und vom Verteidiger, der keinen Kontakt zum Mandanten hat, vorsorglich Einspruch eingelegt worden ist.

Mehr zu dem Ganzen demnächst in AGS und/oder StRR.

Einstellung des Verfahrens wegen Verfolgungsverjährung, oder: Zusätzliche Verfahrensgebühr?

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Bei der zweiten Entscheidung des Tages handelt es sich um den AG Erkelenz, Beschl. v. 26.01.2021 – 5 OWi-311 Js 1142/19-174/19. Das AG hat die Nr. 5115 VV RVG nach Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung festgesetzt:

Die Erinnerung ist zulässig und begründet.

Die vom Verteidiger zur Festsetzung beantragte Gebühr gem. VV-Nrn. 5115 i.V.m. 5107 RVG in Höhe von € 65,00 ist entgegen der Gründe des angefochtenen Beschlusses wohl entstanden.

Das Verfahren wurde durch Beschluss vom 24.04.2020 nicht nur vorübergehend eingestellt. Die Verfahrenseinstellung wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung gem. § 206a StPO ist erfolgt, nachdem der Verteidiger zuvor ausweislich BI. 29 GA die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt hat. Da die Verfolgungsverjährung während der Gutachtenerstellung eingetreten ist, wie das Gericht gern. BI. 93 selber festgestellt hat, ist die durch den Verteidiger erfolgte Beantragung der Einholung eines Sachverständigengutachtens als eine die Einstellung des Verfahrens fördernde Tätigkeit anzusehen (vgl. RVG-Kommentar Gerold/Schmidt, 24. Auflage, Rn. 6 zu RVG VV 5115).

Die zur Festsetzung beantragte Gebühr ist unter Berücksichtigung der Kriterien des § 14 RVG auch nicht unangemessen hoch, so der Erinnerung abzuhelfen und zusätzlich zu den durch den angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 16.11.2020 für den früheren Betroffenen festgesetzten notwendigen Auslagen in Höhe von € 337,37 weitere € 77,35, bestehend aus der vorstehend genannten Gebühr in Höhe von € 65,00 nebst anteiliger Umsatzsteuer (19 % gern. VV-Nr. 7008 RVG) in Höhe von € 12,35, somit insgesamt € 414,72 festzusetzen waren.“

Die Ausführungen zum Grund sind zutreffend, die zur Höhe der Gebühr überflüssig/falsch, da es sich bei der Nr. 5115 VV RVG um eine Festgebühr in Höhe der Rahmenmitte handelt.

Gebühren nach Einstellung des Bußgeldverfahrens, oder: Erstattung von Sachverständigenkosten

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Heute ist Freitag und damit hier der Tag von RVG-Entscheidungen. Und ich stelle dazu heute zwei Entscheidungen aus dem Bußgeldverfahren vor. Beide haben – zumindest u.a. – die Thematik der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG zum Gegenstand.

Ich beginne mit dem LG Zweibrücken, Beschl. v. 02.12.2020 – 1 Qs 33/20. Dort hatte der Kollege den Betroffenen im Bußgeldverfahren verteidigt. Das ist vom AG nach § 47 Abs. 2 OWiG auf Kosten der Landeskasse, der auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen auferlegt worden sind, eingestellt. Die vom Kollegen geltend gemachten Gebühren dann sind nur zum Teil festgesetzt worden. Dagegen hat der sofortige Beschwerde eingelegt.

Die hat in der Sache einerseits Erfolg, hat aber dennoch zur Festsetzung eines gegenüber dem angefochtenen Beschluss geringeren Betrages geführt. Das LG führt aus, dass bei Rechtsmitteln kein Verschlechterungsverbot besteht, was der h.M. entspricht. Und dann:

„Die Verfahrensgebühr, Nr. 5103 VV RVG, war jedoch abzusetzen. Bei dieser handelt es sich um die Verfahrensgebühr für das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde. Nach Vorbemerkung 5.1.2 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG gehört zu dem Verfahren vor der Verwaltungsbehörde auch das Verwarnungsverfahren und das Zwischenverfahren (§ 69 OWiG) bis zum Eingang der Akten bei Gericht. Ausweislich BI. 42 f. d.A. wurde die Sache mit Verfügung vom 07.06.2019 von der Verwaltungsbehörde an das Amtsgericht Landstuhl abgegeben. Damit war das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde beendet, eine Verfahrensgebühr für das dortige Verfahren konnte nicht mehr anfallen. Das Verfahren endet spätestens mit dem Eingang der Akten bei Gericht (§ 69 Abs. 3 S. 1 OWiG) bzw. mit einer sonstigen vorherigen verfahrensbeendenden Maßnahme (Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, Vorbemerkung 5.1.2 Rn 3 mwN). Die Verteidigerin hat sich jedoch erst mit Schriftsatz vom 19.11.2019 gegenüber dem Amtsgericht Landstuhl bestellt. Zu diesem Zeitpunkt war das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde jedoch bereits beendet. Daher konnte eine Verfahrensgebühr nach Nr. 5103 VV VVG nicht mehr anfallen. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Verteidigerin mit der Verwaltungsbehörde im Anschluss noch einmal schriftlich korrespondiert hat. Nach Beendigung des Verwaltungsverfahrens kann dieses nicht durch erneute Korrespondenz wieder in das vorhergehende Stadium zurückversetzt werden. Sogar eine Zurückverweisung von Seiten des Gerichts an die Verwaltungsbehörde lässt grundsätzlich eine erneute Verfahrensgebühr für das Tätigwerden vor der Verwaltungsbehörde nicht entstehen (ebenda, Rn 4). Erst recht muss dies gelten, wenn von Seiten der Verteidigung ohne Zurück-verweisung mit der Verwaltungsbehörde korrespondiert wird. Der erhöhte Aufwand kann freilich im Rahmen des § 14 RVG Berücksichtigung finden.

……

Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts Landstuhl ist die zusätzliche Gebühr nach Nr. 5115 VV RVG ebenfalls angefallen und mit EUR 160,00 festzusetzen. Jedenfalls auch – was ausreicht durch die anwaltliche Mitwirkung wurde die (erneute) Hauptverhandlung entbehrlich. Das Amtsgericht Landstuhl hat den Termin vom 13.02.2020 ausgesetzt. Im Anschluss hieran hat es das Verfahren nach § 47 OWiG eingestellt. Zur Begründung hat das AG Landstuhl auf die Nichtvorlage von Informationen bzw. Unterlagen abgestellt, die die Verteidigerin angefordert, welche ihr aber von Seiten der Verwaltungsbehörde nicht zur Verfügung gestellt wurden. Dies reicht aus, um den Anfall der Gebühr nach Nr. 5115 VV RVG zu rechtfertigen. Die Höhe der Gebühr richtet sich nach Nr. 5515 VV RVG Abs. 3 Satz 2 für den Wahlanwalt nach der Rahmenmitte der jeweiligen Verfahrensgebühr. Diese beträgt – wie zutreffend beantragt – EUR 160,00.

……

Ebenso wenig festsetzbar waren die Kosten der eingeholten gutachterlichen Überprüfung durch die GFU GmbH in Höhe von brutto EUR 828,24. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (vgl. bereits Beschluss der Kammer vom 26.10.2010, 1 Qs 66/10. NStZ-RR 2011, 95; 1 Qs 24/20 vom 08.07.2020) sind die Kosten privater Ermittlungen nicht erstattungsfähig. weil die damit verbundenen Auslagen regelmäßig nicht notwendig sind. Es ist Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden, den Sachverhalt zu ermitteln. Da die StPO einem Betroffenen bzw. Angeklagten die Möglichkeit gibt, Beweisanträge zu stellen und die Aufnahme von Ermittlungen anzuregen, sind eigene Ermittlungen grundsätzlich nicht erforderlich. Ausnahmsweise kommt allerdings eine Erstattung der Kosten in Betracht, wenn das Privatgutachten zur Verteidigung trotz der bestehenden amtlichen Aufklärungspflicht erforderlich ist. Dabei beurteilt sich die Frage, ob ein Privatgutachten erforderlich war, aus einer Beachtung „ex ante“ aus der Sicht des jeweiligen Betroffenen bzw. Angeklagten zum Zeitpunkt der Vornahme der Handlung, hier also der Gutachtenbeauftragung. Beweiserhebungen sind aufgrund des geltenden Amtsermittlungsprinzips Sache der Staatsanwaltschaft bzw. des Gerichts. Vorrangig sind daher insbesondere Beweisanträge zu stellen (vgl. KG StraFo 2012, 380; OLG Celle StV 2006, 32; OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 127; LG Duisburg RVGreport 2013, 156; KK-Gieg, § 464a Rn 7; Meyer-Goßner/Schmitt, § 464a Rn 16).

An dieser Rechtsprechung hält die Kammer fest. Deshalb setzt ein Erstattungsanspruch grundsätzlich voraus, dass alle prozessualen Mittel zur Erhebung des gewollten Beweises ausgeschöpft worden sind und dass sich der Betroffene nicht mehr anders verteidigen konnte (vgl. u.a. KG StraFo 2012. 380).

Nach diesen Maßstäben liegt keine Erstattungsfähigkeit vor. Der Betroffene hat keinen Beweisantrag gestellt, er hat auch keine Einwendungen gegen die Ordnungsgemäßheit der Messung vor-gebracht. Keineswegs konnte sich der Verurteilte deshalb nicht mehr anders verteidigen als mit der Einholung einer privaten gutachterlichen Stellungnahme bzw. eines Privatsachverständigen-gutachtens. An der Ausschöpfung der ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Mittel mangelt es.“

Zutreffend sind die Ausführungen des LG zum Verschlechterungsverbot und zu den Verfahrensgebühren Nr. 5103, 5115 VV RVG.

Unzutreffend sind m.E. die Ausführungen zur Erstattungsfähigkeit der Kosten des privaten Sachverständigengutachtens. Offenbar hat es sich um die Überprüfung einer mit einem standardisierten Messverfahren erfolgten Geschwindigkeitsmessung gehandelt. Insoweit war aber schon vor der Entscheidung des BVerfG v. 12.11.2020 (2 BvR 1616/18),  in der Rechtsprechung (teilweise) anerkannt, dass die insoweit entstandenen Kosten dem Betroffenen zu erstatten sind (LG Wuppertal AGS 2016, 38; Beschl. v. 8.2.2017 – 26 Qs 214/17, RVGreport 2018, 223). Denn wie soll der Betroffene als Laie die von der Rechtsprechung für einen Beweisantrag geforderten konkreten Einwände gegen die Messung ermitteln können? Und wenn die Rechtsprechung erhöhte Anforderungen an die Darlegung einer konkreten Fehlmessung bei Verwendung eines standardisierten Messverfahrens stellt und verlangt, dass konkrete Anhaltspunkte für eine technische Fehlfunktion der standardisierten Messeinrichtung vorgebracht werden, um eine weitergehende Aufklärungspflicht des Gerichts zu begründen, dann muss andererseits die Beauftragung eines Privatsachverständigen bereits mit Zustellung des Bußgeldbescheides für den Betroffenen notwendig erscheinen, ohne dass der Betroffene einen Beweisantrag stellen muss. Das LG Zweibrücken macht hier erneut einen Teufelskreis aus, in dem sich der Betroffene befindet: Du muss einen Beweisantrag stellen. Wenn du dir dafür benötigten Informationen bei einem Sachverständigen besorgst, werden die dadurch entstehenden Kosten aber nicht erstattet. So geht es m.E. nicht.

Zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG, oder: Rat zur bestreitenden Einlassung ist Mitwirkung

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Heute ist dann „Gebührenfreitag“. Und an dem stelle ich zwei positive gebührenrechtliche Entscheidungen vor – ja die gibt es 🙂 .

Ich beginne mit dem AG Aschaffenburg, Beschl. v. 16.12.2020 – 390 AR 81/20, den mir die Kollgin Waterstradt aus Aschaffenburg geschickt hat. Themati ist mal wieder die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG. Das AG hatte das Verfahren nach einer bestreitenden Einlassung der Beschuldigten nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt. Rechtspfleger und Bezirksrevisor waren der Auffassung: Die Nr. 4141 VV RVG ist nicht entstanden. Das AG hat festgesetzt:

„Die Gebühr nach Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 des Vergütungsverzeichnisses zu § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG, die allgemein als Befriedungsgebühr bezeichnet wird, entsteht, wenn das Verfahren durch die anwaltliche Mitwirkung nicht nur vorläufig eingestellt wird (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 2011 – IX ZR 153/10 -, Rn. 7, juris)

Allgemein gilt zunächst, dass eine Sachbehandlung nach § 154 Abs. 1 StPO als eine solche Verfahrenseinstellung mit dem Ziel der Endgültigkeit der Einstellung im Sinne dieses Gebührentatbestands darstellt (Gerold/Schmidt/Burhoff, 24. Aufl. 2019, RVG VV 4141 Rn. 16).

Hierzu muss allerdings eine anwaltliche Mitwirkung an der Einstellung des Verfahrens vorliegen. Für die Mitwirkung bei der Erledigung des Verfahrens genügt jede Tätigkeit des Verteidigers, die zur Förderung der Verfahrenseinstellung geeignet ist. Nach dem Ausschlusstatbestand des Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG entsteht die Gebühr nur dann nicht, wenn eine auf die Förderung gerichtete Tätigkeit nicht ersichtlich ist. Mit dem Ausschlusstatbestand der Nr. 4141 Abs. 2 VV RVG sollen offensichtlich nur sachfremde Eingaben und sich in keiner erkennbaren Weise auf die Sache selbst beziehende Tätigkeiten des Rechtsanwalts ausgeschlossen werden.

Vorliegend wurde am 17.09.2019 ein Haftprüfungstermin beim Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Aschaffenburg durchgeführt. Bei diesem war Frau Rechtsanwältin Pp. anwesend und gab für die damals noch Beschuldigte eine Erklärung ab. Hierbei wurde ein kleiner Teil der Taten, die Gegenstand des Haftbefehls waren, eingeräumt. Der größere Teil wurde bestritten. Eine solche Einlassung erfordert erfahrungsgemäß immer eine vorherige Absprache mit dem Mandanten und eine Auseinandersetzung mit der Verfahrensakte. Dies reicht aus, um den Gebührentatbestand des Nr. 4141 VV RVG zu erfüllen (so auch LG Trier , Beschl. v. 22.1.2007 – 5 Qs 222/06). Denn welchen Umfang die anwaltliche Mitwirkung hat, ist grundsätzlich unerheblich. Dem Wortlaut der Regelung kann keine weitergehende Anforderung an die Quantität oder Qualität des anwaltlichen Mitwirkungsbeitrags entnommen werden. Für die Beurteilung kommt es daher einzig darauf an, ob ein Beitrag des Verteidigers vorliegt, der objektiv geeignet ist, das Verfahren in formeller und/oder materieller Hinsicht im Hinblick auf eine Verfahrensbeendigung außerhalb der Hauptverhandlung zu fördern (vgl. LG Verden , Beschl. v. 29.10.2020 — 4 KLs 461 Js 23425/20). Gerade das Bestreiten von Taten kann erfahrungsgemäß die Staatsanwaltschaft zu der Einschätzung gelangen lassen, dass ein weiterer Ermittlungsaufwand nicht mehr verhältnismäßig ist, sodass letztlich eine Einstellung nach § 154 StPO eine sachgerechte Verfahrensbeendigung darstellt. Es erscheint auch vorliegend durchaus möglich, dass dies ein Beweggrund für die Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 1 StPO gewesen ist.“