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Grobe Fahrlässigkeit und StrEG-Entschädigung, oder: Billigkeitserwägungen?

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Heute Gebührentag – also RVG-Entscheidungen. Aber da mein Ordnet zu der Thematik leer ist, gibt es heute eine Entscheidung zum StrEG und eine kostenrechtliche.

Ich beginne mit dem KG, Beschl. v. 02.02.2022 – 2 Ws 144/21 – zum StrEG, und zwar zur Anwendung zivilrechtlicher Zurechnungsmaßstäbe im Rahmen des § 5 Abs. 2 StrEG. Dem ehemaligen Beschuldigten wurde mit dem Unterbringungsbefehl des AG eine versuchte Brandstiftung gemäß § 306 Abs. 1 Nr. 4, § 22, § 23 StGB zur Last gelegt. Er soll in einem S-Bahn-Waggon mit einem Streichholz den Stoffbezug einer Sitzbank entzündet haben, der hierdurch auf einer Fläche von 3 x 5 cm in Brand geraten sein soll und dabei die Inbrandsetzung des gesamten Wagons zumindest billigend in Kauf genommen haben. Der an einer paranoiden Schizophrenie leidende Beschuldigte ist am 14.03.2021 vorläufig festgenommen worden, seine einstweilige Unterbringung gemäß § 126a StPO wurde bis zum 08.10.2021 im Krankenhaus des Maßregelvollzugs Berlin vollzogen.

Im Sicherungsververfahren hat das LG mit Urteil vom 08.10.2021 von der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen und festgestellt, dass ein Anspruch auf eine Entschädigung für die einstweilige Unterbringung nicht bestehe. Gegen die Versagung der Entschädigung wendet sich der ehemalige Beschuldigte mit seiner sofortigen Beschwerde. Die hatte Erfolg.

Das KG führt u.a. aus:

„4) Für die vom Landgericht angenommene entsprechende Anwendung des § 829 BGB im Rahmen des § 5 Abs. 2 StrEG ist kein Raum (offen gelassen: BGH, Beschluss vom 29. November 1978 aaO). Es fehlt an der für eine analoge Anwendung vorausgesetzten Vergleichbarkeit der Interessenlage und an einer planwidrigen Regelungslücke.

a) Gemäß § 829 BGB hat – sofern der Schadensersatz nicht von einem aufsichtspflichtigen Dritten erlangt werden kann – eine nach §§ 827, 828 BGB nicht verantwortliche Person gleichwohl den von ihr verursachten Schaden insoweit zu ersetzen, als die Billigkeit nach den Umständen, insbesondere nach den Verhältnissen der Beteiligten, eine Schadloshaltung erfordert und ihm nicht die Mittel entzogen werden, deren er zum angemessenen Unterhalt sowie zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten bedarf. Die Norm beruht auf dem schlichten Rechtsgedanken, dass der wohlhabende Täter auch dann subsidiär für die Vermögensverluste der anderen Seite einstehen soll, wenn er aufgrund fehlenden Entwicklungsstandes oder geistiger Störung für die Folgen seiner Tat nicht verantwortlich gemacht werden kann (vgl. Staudinger/Oechsler aaO § 829 Rn. 1). Der ursprünglich allgemein als „Millionärsparagraph“ bezeichnete § 829 BGB (vgl. BGH NJW 1980, 1623, 1624; BGH NJW 1958, 1630, 1632) ist als Ausfallhaftung zu verstehen, die ausnahmsweise den nicht verantwortlichen Verursacher zum Schadensersatz verpflichtet, sofern die wirtschaftlichen Verhältnisse zwischen Schädiger und Geschädigtem eine Schadloshaltung des Letzteren erfordern. Seinem Zweck nach ist er als Kompensation für die nach §§ 827, 828 BGB verursachten Härten und als Ausdruck der Verteilungsgerechtigkeit zu begreifen (vgl. BeckOGK/Schneider, 1.11.2021, BGB § 829 Rn. 2). Die aufgrund der identischen Interessenlage nach ganz herrschender Meinung anerkannte „spiegelbildliche Anwendung“ des § 829 BGB im Rahmen des Mitverschuldens gemäß § 254 BGB (vgl. Staudinger aaO Rn. 66 mwN; BeckOGK/Schneider aaO Rn. 27 mwN) führt indes – anders als das Landgericht annimmt – nicht zu einer entsprechenden Anwendung auch im Rahmen des § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG. Denn die Interessenlage ist nicht vergleichbar.

Während der primäre Zweck der entsprechenden Anwendung des § 829 BGB im Rahmen des § 254 BGB die Vermeidung unbilliger wirtschaftlicher Härten darstellt (vgl. Staudinger/Oechsler aaO Rn. 67), verfolgt der Entschädigungsausschluss des § 5 Abs. 2 StrEG einen anderen Zweck. Hier geht es um die Versagung einer Entschädigung an denjenigen, der sie nicht verdient, weil er durch sein eigenes Verhalten die Strafverfolgungsmaßnahme ausgelöst hat (vgl. Kunz aaO Rn. 40) und nicht um den Schutz des Staatshaushalts unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten.

b) Die entsprechende Anwendung der zivilrechtlichen Vorschriften im Rahmen des § 5 Abs. 2 StrEG beschränkt sich damit auf Fragen der Zurechnung. Raum für außerhalb des StrEG normierte Billigkeitserwägungen besteht nicht. Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, eine planwidrige Regelungslücke liegt nicht vor. Den Gesetzesmaterialien lässt sich entnehmen, dass sich der Gesetzgeber der Frage von Billigkeitserwägungen im Rahmen des Entschädigungsanspruchs bewusst war. Der Rechtsausschuss hat im Gesetzgebungsverfahren „den Antrag abgelehnt, die Versagungsgründe um eine Generalklausel zu ergänzen, wonach die Entschädigung soll versagt werden können, wenn ihre Gewährung ‚angesichts der besonderen Umstände des Falles offensichtlich unbillig‘ sei. Nach Auffassung der Mehrheit würde eine solche Klausel dem Gericht einen zu weiten Ermessensspielraum einräumen, aus dem Rechtsanspruch auf Entschädigung praktisch einen Billigkeitsanspruch machen (…)“ (vgl. BT-Drucks. VI/1512 S. 3). Danach ist von einer abschließenden Regelung im StrEG auszugehen.“