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Islam-Ehe, oder: Zeugnisverweigerungsrecht?

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Der BGH, Beschl. v. 10.102.017 – 5 StR 379/17 – nimmt zur Frage Stellung, ob Eheleute, die die Ehe nach islamischem Recht geschlossen haben, ein Zeugnisverweigerungrecht entsprechend § 52 StPO zusteht. Der BGH verneint:

„Betreffend die Rüge einer Verletzung von § 52 StPO bemerkt der Senat ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts:

Eine in Deutschland vorgenommene Eheschließung ist nur dann gültig, wenn sie in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen wird (Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB; zur Problematik ausführlich Ebner/Müller, NStZ 2010, 657 mwN). Für eine analoge Anwendung von § 52 StPO auf hier (lediglich) nach islamischem Recht geschlossene „Ehen“ sieht der Senat keinen Anlass (vgl. Senge in KK-StPO, 7. Aufl., § 52 Rn. 14; Schmitt in Meyer-Goßner, StPO, 60. Aufl., § 52 Rn. 5; vgl. zur rechtlichen Bedeutung von lediglich nach religiösem Ritus geschlossenen, staatlich nicht anerkannten Ehen auch BVerwGE 123, 18). Die Umdeutung einer nach islamischem Recht vorgenommenen, nach deutschem Recht nicht rechtsgültigen „Eheschließung“ in ein Verlöbnis kommt ebenfalls nicht ohne weiteres in Betracht (vgl. Ebner/Müller aaO, insbesondere S. 660 f.; Herold, JA 2014, 454, 456).“

Mama als Entlastungszeugin, oder: Erstmals in der Hauptverhandlung vernommen?

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Der BGH, Beschl. v. 11.07.2017 – 3 StR 107/17 – macht noch einmal auf einen (potentiellen) Fehler bei der Beweiswürdigung aufmerksam, der in der Praxis häufiger festzustellen ist. Es geht um eine Verurteilung wegen Vergewaltigung. In der Hauptverhandlung ist die Mutter des Angeklagten als (Entlastungs)Zeugin vernommen worden. Die hat dabei – erstmals – ein „wichtiges Detail“ bekundet. Dem BGH gefällt die Beweiswürdigung des LG nicht:

„1. Im Hinblick auf die Beweiswürdigung stößt es auf rechtliche Bedenken, dass die Jugendkammer im Zusammenhang mit der Würdigung der den Angeklagten entlastenden Angaben seiner Mutter, denen die Jugendkammer nicht gefolgt ist, ausgeführt hat, es falle zunächst auf, dass die Mutter des Angeklagten diese Angaben erstmals bei ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung gemacht habe, während es nahe gelegen hätte, das betreffende „wichtige Detail, wenn es denn der Wahrheit entsprechen würde“, bereits im Ermittlungsverfahren ungefragt bei der Polizei anzugeben. Diese Formulierung könnte darauf hindeuten, dass das Landgericht gegen den vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung hervorgehobenen Grundsatz verstoßen hat, wonach die Unglaubwürdigkeit eines zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Zeugen aus Rechtsgründen nicht daraus hergeleitet werden darf, dass dieser im Ermittlungsverfahren geschwiegen bzw. von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht und sich erst in der Hauptverhandlung in einer den Angeklagten entlastenden Weise eingelassen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2015 – 3 StR 298/15, NStZ 2016, 301 mwN).“

Allerdings:

„Dies gefährdet den Bestand des Urteils indes nicht, weil nicht feststeht, dass der Rechtsfehler tatsächlich vorliegt. Denn den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass die Mutter des Angeklagten im Ermittlungsverfahren von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat, und eine diesbezügliche Verfahrensrüge ist nicht erhoben worden. Den Entscheidungsgründen zufolge ist es vielmehr möglich, dass die Mutter des Angeklagten bereits im Ermittlungsverfahren ausgesagt und lediglich das den Angeklagten entlastende „wichtige Detail“ erstmals in der Hauptverhandlung mitgeteilt hat; in diesem Fall ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, ihr Aussageverhalten bei der Beweiswürdigung zu Ungunsten des Angeklagten zu werten (vgl. dazu BGH, Urteil vom 2. April 1987 – 4 StR 46/87, BGHSt 34, 324, 327 ff.).“

Jetzt wird es eng für den „Rebellensenat“, oder: Wer A sagt muss auch B sagen?

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Ich hatte ja schon mehrfach über den BGH, Beschl. v. 04.06.2014 – 2 StR 656/13 (vgl. dazu 2. Strafsenat des BGH – “Rebellensenat”? – nee, nur “Unruhestifter”) berichtet. In dem Beschluss geht es um das Vorhaben des 2. Strafsenats die Rechtsprechung des BGH zu ändern und die Verwertung einer früheren richterlichen Vernehmung eines Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht, durch Vernehmung der richterlichen Vernehmungsperson nur dann als zulässig anzusehen,  wenn dieser Richter den Zeugen nicht nur über sein Zeugnisverweigerungsrecht, sondern auch qualifiziert über die Möglichkeit der Einführung und Verwertung seiner Aussage im weiteren Verfahren belehrt hat.

Dazu gibt es jetzt Antworten von drei der übrigen vier Strafsenate:

Der 1. Strafsenat und der 3. Strafsenat folgen – wie bereits der 4. Strafsenat – dem 2. Strafsenat und seiner beabsichtigten Änderungen nicht. Beide sind der Auffassung, dass ein Zeuge über die Verwertbarkeit seiner Aussage trotz späterer Zeugnisverweigerung nicht qualifiziert zu belehren ist. Eine solche Belehrung sei gesetzlich weder vorgeschrieben noch zur sachgerechten Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts erforderlich. Beim 3. Strafsenat stand zwar keine frühere Rechtsprechung entgegen, die er aufgeben oder an der er festhalten musste. „Der Senat neigt allerdings in der Sache dazu, an der bisherigen Rechtsprechung, wie sie mittlerweile seit mehreren Jahrzehnten praktiziert wird, festzuhalten.“

So, damit steht es dann 3 : 1 und es fehlt nur noch der 5. Strafsenat, wenn ich dessen Entscheidung nicht übersehen habe. Damit wird es, wenn man sich die Besetzung des Großen Senats für Strafsachen ansieht, da sicherlich eng für die Rechtsprechungsänderung. Und ich bin gespannt, ob der 2. Strafsenat angesichts dieser „Mehrheitsverhältnisse“ in den Großen Senat für Strafsachen zieht. Aber wahrscheinlich wird er es tun, getreu dem Spruch: Wer A sagt muss auch B sagen.

2. Strafsenat des BGH – „Rebellensenat“? – nee, nur „Unruhestifter“

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In der vergangenen Woche ist ein (weiterer) Anfragebeschluss des BGH auf der Homepage eingestellt worden, und zwar (wieder) ein Beschluss des 2. Strafsenats, und zwar der BGH, Beschl. v. 04.06.2014 – 2 StR 656/13. Dazu sind ja auch schon einige Postings in anderen Blogs gelaufen (vgl. z.B. hier: Verliert ein beliebtes Umgehungsmittel bald an Wert?). Auch LTO hat sich dazu geäußert. In dem dortigen Beitrag: „BGH: 2. Strafsenat will Rechtsprechung erneut ändern Alles was Sie sagen, kann und wird verwendet werden“ – taucht dann für den 2. Strafsenat des BGH und seinen Vorsitzenden Th. Fischer die Bezeichnung „Rebellensenat“ auf. Nun damit kann/muss er leben, musste der 1. Strafsenat ja früher auch, als er unter seinem ehemaligen Vorsitzenden „Oliver Kahn Senat  – „der hält alles -“ genannt wurde.

Nun, und worum geht jetzt aber eigentlich es? Die Antwort erschließt sich  aus den Überschriften der beiden zitierten Beiträge: Der 2. Strafsenat möchte die Rechtsprechung des BGH ändern. Und man kann hinzufügen: Mal wieder: Denn nach der Wahlfeststellung (vgl. dazu (BGH, Beschl. v. 28.01.2014 – 2 StR 495/12) mit Ungleichartige Wahlfeststellung ade? – entscheidet das ggf. der große Senat und Mit der ungleichartigen Wahlfeststellung geht es in den “Großen Senat für Strafsachen”??) hat der 2. Strafsenat in diesem Jahr dann mit dem Beschl. v. 04.06.2014 gleich den zweiten Anfragebeschluss an die anderen Senate gestartet. Jetzt also ein verfahrensrechtlicher Zopf, den er abgeschnitten haben möchte – der BGH soll also quasi eine neue Frisur bekommen, wenigstens in einem Teilbereich.

In der Sache geht es um ein alt bekanntes Problem, das den BGH schon in vielen Entscheidungen beschäftigt hat, nämlich um § 252 StPO, der nach allgemeiner Meinung ein umfassendes Beweisverwertungsverbot in Zusammenhang mit einem Zeugnisverweigerungsrecht enthält. Das geht dahin, dass ein Zeuge mit einem Zeugnisverweigerungsrecht als Angehöriger, der im Ermittlungsverfahren z.B. von der Polizei vernommen worden ist und dort Angaben gemacht hat, sich also nicht auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen hat, sich später in der Hauptverhandlung immer noch auf sein Verweigerungsrecht berufen kann. Dann darf – das regelt eben § 252 StPO – in der Hauptverhandlung nicht verlesen werden. Aber nicht nur das: Die Rechtsprechung hat das Verwertungsverbot ausgedehnt: Es darf z.B. auch der Vernehmungsbeamte nicht als Zeuge über den Inhalt der geführten Vernehmung befragt werden.

Soweit die Regel, von der es nach der Rechtsprechung eine Ausnahme gibt. Und das ist nach der BGH-Rechtsprechung die richterliche Vernehmung. Denn, wenn der Zeuge von einem Richter befragt worden ist, darf dieser Richter in einer Hauptverhandlung als Zeuge über den Inhalt der Vernehmung befragt werden. Damit will der 2. Strafsenat nun Schluss machen: Nach seiner Auffassung soll die Vernehmung des Richters und die Verwertung der vor ihm gemachten Angaben nur noch dann möglich sein, wenn der Zeuge in der richterlichen Vernehmung ausdrücklich über die spätere Verwertungsmöglichkeit belehrt worden ist. Also; „qualifizierte Belehrung“. Grund u.a.:

„Die von §§ 52, 252 StPO geschützten Interessen gebieten es vor diesem Hintergrund, den Zeugen auch darüber zu belehren, dass er an zu diesem Zeitpunkt endgültig und unwiderruflich über die Wahrnehmung des ihm zustehenden Zeugnisverweigerungsrechts zu entscheiden hat. Geschieht dies – wie bisher – nicht, leidet der Entschluss des Zeugen an einem durchgreifenden Mangel, weil er sich dieser Konsequenz seines Handelns nicht bewusst ist (vgl. zur notwendigen Belehrung eines Zeugen, der Angaben in der Hauptverhandlung verweigern, aber der Verwertung zuvor gemachter polizeilicher Angaben zulassen möchte, BGH, Beschluss vom 18. Juli 2007 – 1 StR 296/07, NStZ 2007, 712, 713).

Eine in diesem Sinn qualifizierte Belehrung bietet hingegen eine sichere Grundlage für die Entscheidung des Zeugen. Sie kann zudem seinen Blick auf die bei ihm bestehende Konfliktsituation schärfen, die ansonsten für den Angehörigen oft erst unmittelbar vor und während der Hauptverhandlung erkenn- und spürbar wird (vgl. Eisenberg, NStZ 1988, 488, 489; so auch Sander/Cirener, aaO, § 252, Rn. 10).“

Ich bin gespannt, wie die anderen Senate auf die Anfrage reagieren und ob sie diesen Weg des 2. Strafsenats mitgehen werden. Ich wage die Behauptung, dass zumindest nicht alle Strafsenate dem 2. Strafsenat folgen werden, und dann geht es in den Großen Senat für Strafsachen. Folgen wird dem 2. Strafsenat sicherlich auch nicht der GBA, denn für die Staatsanwaltschaften wird – wenn sich die Auffassung des 2. Strafsenats durchsetzt – das Ermitteln sicherlich nicht einfacher, wenn die Zeugen bei einer richterlichen Vernehmung „qualifiziert belehrt“ werden müssen.

Abschließend dann aber doch noch mal die Frage: Wird man mit zwei Anfragebeschlüssen nun gleich zum „Rebellensenat“? M.E. nicht, aber immerhin „Unruhestifter“, das ist/wird man. Vor allem, wenn man dann noch die Diskussion um das „10-Augen-Prinzip“ mit einbezieht (vgl. dazu: Wie viele Augen hat ein BGH-Senat: Vier Augen oder doch zehn Augen? 🙂 ), die vom Vorsitzenden des Senats losgetreten worden ist.

Die (unehrenhafte) Antwort, die zur Ehre gereicht

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Die mit einem Zeugnisverweigerungsrecht/Auskunftverweigerungsrecht zusammenhängenden Fragen spielen auch im Zivilverfahren eine Rolle und erlangen vor allem dann Bedeutung, wenn Strafverfahren anhängig sind/waren. Anders als im Strafverfahren nach § 55 StPO kann im Zivilverfahren der Zeuge das Zeugnis auch verweigern, wenn ihm die Beantwortung der Frage zur Unehre gereichen würde (384 Nr. 2, 1. Alt. ZPO). Und darum haben beim OLG Düsseldorf nach einem Strafverfahren die Parteien des beim OLG anhängigen Zivilschadensersatzverfahrens und ein Zeuge gestritten. Das OLG sagt dazu im OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.03.2014 – I 14 W 18/14: Ein Zeugnisverweigerungsrecht kann in den Fällen, in denen zu Gunsten des Zeugen ein Strafverfolgungshindernis besteht, nicht mit drohendem Ehrverlust dadurch begründet werden, dass der Zeuge sich bei wahrheitsgemäßer Beantwortung der Beweisfragen selbst einer Straftat bezichtigen müsste.

Ok, aber das reicht dann auch, oder muss ich nachlegen und ausführen:

„Unehre meint eine nicht zumutbare Herabsetzung des Ansehens, wobei es auf das Bewusstsein der Rechtsgemeinschaft, nicht aber auf das einer Gruppe ankommt, allerdings unter Berücksichtigung der örtlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse im Umfeld des Zeugen (Musilak, ZPO, 10. Aufl. 2013, Rdnr. 5). Der Zeuge ppp. versucht den ihm angeblich drohenden Ehrverlust damit zu begründen, dass er sich bei wahrheitsgemäßer Beantwortung der Beweisfragen selbst einer Straftat bezichtigen müsste. Dies kann als Begründung für einen angeblich drohenden Ehrverlust insbesondere in Fällen, in denen wie hier zu seinen Gunsten ein Strafverfolgungshindernis besteht, jedoch nicht ausreichen. Gerade in den Fällen, in denen von der Zeugenaussage erhebliche vermögensrechtliche Ansprüche gegen einen strafrechtlich verurteilten Schädiger abhängen, ist dem Zeugen bei verjährten eigenen Straftaten eine Selbstbezichtigung aus Gründen der Schadenswiedergutmachung zuzumuten. Es würde ihm im Ansehen der Rechtsgemeinschaft im Gegenteil zur Ehre gereichen, wenn er sich zur Wahrheit bekennt und nicht durch die Berufung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen torpediert.“

Schön nicht?