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StPO I: Unterjährige Änderung der Gerichtsbesetzung, oder: Wirksamkeitsvoraussetzungen

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Und ab heute läuft es hier wieder normal. Urlaub ist vorbei.

Ich mache dann noch einmal einen StPO-Tag. den starte ich mit derm BayObLG, Beschl. v. 14.10.2024 – 206 StRR 320/24 – zur Wirksamkeit der unterjährigen Änderung eines Geschäftsverteilungsplanes. In der Revision hatte der Angeklagte die Unwirksamkeit der Änderung geltend gemacht. Mit Erfolg. Das BayObLG sieht mit „einigen Bauschschmerzen“ die Verfahrensrüge als zulässig erhoben an – bitte selbst lesen und die richtigen Schlüsse daraus ziegen – und führt dann zu Begründetheit aus:

„4. Die Verfahrensrüge ist auch begründet. Die Übertragung des den Angeklagten betreffenden Verfahrens auf die 7. Strafkammer ist nicht gesetzmäßig erfolgt. Das erkennende Gericht war nicht zur Verhandlung und Entscheidung im vorliegenden Verfahren berufen. Es liegt der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung vor, § 338 Nr. 1 StPO.

a) Der Senat geht von folgendem Prozessgeschehen aus:

Bei Vorlage der Berufungen gegen das Urteil des Amtsgerichts Freising vom 4. April 2023 an das Landgericht Landshut als Berufungsgericht mit Eingang am 8. August 2023 (Rev.Begr. S. 42, Bl. 1121 d.A.) war die 6. Strafkammer des Landgerichts Landshut gemäß dem zu diesem Zeitpunkt geltenden Geschäftsverteilungsplan für die Sache zuständig. Mit Datum vom 17. Oktober 2023 wurde seitens des Präsidiums der 15. Nachtrag zur richterlichen Geschäftsverteilung bei dem Landgericht Landshut für das Geschäftsjahr 2023 beschlossen, der unter Ziff. „I. Feststellung“ folgende Formulierung enthält:

„1. Die dritte Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) ist wegen mehrerer Anklagen der Europäischen Staatsanwaltschaft überlastet (vgl. Belastungsanzeige vom 10.03.2023). Es wird eine weitere Wirtschaftsstrafkammer (7. Strafkammer) eingerichtet.
2. Staatsanwältin als Gruppenleiterin Z. ist mit Wirkung vom 01.11.2023 zur Vorsitzenden Richterin am Landgericht ernannt worden. […]
(Beschluss S. 1; Rev.Begr. S. 78).

Unter II. Nr. 1 heißt es:
„Vorsitzende Richterin am Landgericht Z. wird Vorsitzende der 7. Strafkammer.“ (Beschluss S. 2, Rev.Begr. S.79).

II. Nr. 17 enthält folgende Regelung:

„Alle anhängigen Berufungsverfahren der 6. Strafkammer, die am 01.11.2023 noch anhängig sind und bei denen in der 6. Strafkammer noch kein Hauptverhandlungstermin für die Zukunft bestimmt ist, werden der 7. Strafkammer übertragen.“ (Beschluss S. 10, Rev.Begr. S. 87)

Das gegenständliche Berufungsverfahren wurde entsprechend dieser Regelung auf die 7. Strafkammer übergeleitet und von dieser weitergeführt. Das angefochtene Berufungsurteil wurde von der 7. Strafkammer erlassen.

b) Die Revision rügt zu Recht, dass der Präsidiumsbeschluss vom 17. Oktober 2023 jedenfalls in Ansehung der Übertragung der gegenständlichen Berufungssache auf die 7. Strafkammer den Anforderungen des § 21e Abs. 1, Abs. 3 GVG an eine unterjährige Änderung von Geschäftsaufgaben nicht standhält.

aa) Gemäß § 21e Abs. 1 GVG ist die Verteilung der richterlichen Geschäfte vor dem Beginn eines Geschäftsjahres für dessen Dauer zu bestimmen. Änderungen während des laufenden Geschäftsjahres haben dem Maßstab des § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG zu entsprechen. Dies ist der Fall, wenn sie aus den im Gesetz genannten Gründen, beispielsweise wegen der Überlastung eines Spruchkörpers, nötig werden.

(1) § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG muss im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2GG eng ausgelegt und entsprechend angewendet werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 1976, 5 StR 314/76, NJW 1976, 2029; s. auch Beschluss vom 21. April 2022, StB 13/22, BeckRS 2022,12653 Rn. 14 m.w.N.), denn eine Änderung im laufenden Geschäftsjahr birgt stets Gefahren für das verfassungsrechtliche Gebot des gesetzlichen Richters in sich.

Dies gilt in besonderem Maße für die Überleitung bereits anhängiger Verfahren, bei denen schon eine anderweitige Zuständigkeit begründet war. Deshalb ist es in solchen Fällen geboten, die Gründe, die eine derartige Umverteilung erfordern, umfassend und nachvollziehbar zu dokumentieren und den Verfahrensbeteiligten – jedenfalls auf Verlangen – zur Kenntnis zu bringen, um den Anschein einer willkürlichen Zuständigkeitsverschiebung auszuschließen (BGH BeckRS 2022, 12653 Rn. 14; Urteil vom 9. April 2009, 3 StR 376/08, NJW 2010, 625 Rn. 11; Beschluss vom 22. März 2016, 3 StR 516/15, NStZ 2016, 562; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 16. Februar 2005, 2 BvR 581/03, NJW 2005, 2689, 2690). Der Änderungsgrund muss im Beschluss des Präsidiums oder einem Protokoll der entsprechenden Präsidiumssitzung festgehalten werden, damit überprüfbar ist, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die nur ausnahmsweise zulässige Änderung der Geschäftsverteilung vorlagen (BGH NStZ 2016, 562).

(2) Diesen Anforderungen genügt der Beschluss des Präsidiums vom 17. Oktober 2023 bereits deshalb nicht, weil die erforderliche Dokumentation derjenigen Gründe fehlt, die das Präsidium zur Änderung der Geschäftsverteilung im hier maßgeblichen Punkt veranlasst haben. Es kann deshalb nicht beurteilt werden, ob die Überleitung des den Angeklagten betreffenden anhängigen Berufungsverfahrens von der 6. auf die 7. Strafkammer rechtmäßig war.

(i) Das Präsidium hat im Änderungsbeschluss (lediglich) festgestellt, Anlass für die Änderung der Geschäftsverteilung sei die Überlastung der 3. Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer; es werde eine weitere Wirtschaftsstrafkammer (7. Strafkammer) eingerichtet (Beschluss unter „I.“ Rev.Begr. S. 78). Dem lag eine Überlastungsanzeige der 3. Strafkammer (bereits vom 10. März 2023) zugrunde (Bezugnahme im Beschluss a.a.O.; Anzeige der Vorsitzenden der 3. Strafkammer vom 10. März 2023, Rev.Begr. S. 98 f.). Von einer Überlastung der 6. Strafkammer ist das Präsidium ersichtlich nicht ausgegangen. Weder im Beschluss noch in einer sonst dokumentierten Stellungnahme – die auch nachträglich zum Zweck der Heilung noch möglich gewesen wäre (vgl. KK-StPO/Diemer, 9. Aufl. 2023, § 21e GVG Rn. 15; BGH Beschluss vom 25. März 2021, 3 StR 10/20, BeckRS 2021, 13180 Rn. 39) – findet sich ein diesbezüglicher Hinweis. Aus der Verfügung des Vorsitzenden der 6. Strafkammer vom 16. August 2023 zu den gegenständlichen Verfahrensakten, die dahin lautet, eine „derzeitige“ Terminierung sei wegen der Belastung der Kammer nicht möglich, sie werde „nach Bewältigung der aktuellen Auslastung“ erfolgen (Rev.Begr. S. 45; Bl. 1124 d.A.), ergibt sich nichts anderes. Ausweislich der Verfügung ist diese lediglich den Verfahrensbeteiligten, nicht aber dem Präsidium des Landgerichts zugeleitet worden, die demzufolge eine Überlastung der 6. Strafkammer auch nicht dokumentiert hat. Im Übrigen ergibt sich aus der Verfügung auch inhaltlich keine dauerhafte Überlastung der 6. Strafkammer im Sinne des § 21e Abs. 3 GVG, allenfalls eine „derzeitige“ Auslastung mit anderen Verfahren; eine Terminierung nach deren Bewältigung wurde in Aussicht gestellt.

(ii) Der Generalstaatsanwaltschaft ist einzuräumen, dass als weiterer Änderungsgrund gemäß § 21e Abs. 3 GVG in Betracht kommt, dass die Neubildung eines Spruchkörpers (7. Strafkammer) eine Neuverteilung von Geschäftsaufgaben erforderlich gemacht haben kann (vgl. dazu KK-StPO/Gericke, 9. Aufl. 2023, § 338 Rn. 30). Gleichwohl ist auch insoweit lediglich dokumentiert, dass infolge des außergewöhnlichen Geschäftsanfalls in der 3. Strafkammer (Wirtschaftsstrafkammer) der neu geschaffenen Kammer neben neu eingehenden Verfahren auch ein Teil der dort bereits anhängigen Wirtschaftsstrafsachen übertragen wird. Die Zuweisung auch anderer Verfahren, hier von bereits anhängigen Berufungsverfahren in allgemeinen Strafsachen, entbehrt einer Begründung. Dieser Mangel betrifft auch die Frage, aus welchen Gründen insoweit eine Umverteilung zum 1. November 2023 noch im laufenden Geschäftsjahr nötig war.

(3) Das Revisionsgericht hat die aufgezeigten Mängel bei seiner rechtlichen Prüfung zu berücksichtigen. Nach bisheriger ständiger Rechtsprechung unterliegt die Entscheidung des Präsidiums nach § 21 e Abs. 3 GVG nicht lediglich einer Vertretbarkeits – oder Willkürkontrolle, sondern ist einer vollständigen revisionsgerichtlichen Überprüfung unterworfen (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2013, 2 StR 116/13, NStZ 2014, 226 Rn. 17; Urteil vom 7. April 2021, 1 StR 10/20, NStZ 2023, 122 Rn. 17, je m.w.N; für den verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstab ebenso BVerfG, Beschluss vom 16. Februar 2005, 2 BvR 581/03, NJW 2005, 2689, 2690).

Ob, wie es die Generalstaatsanwaltschaft in ihrem Vorlageschreiben vertritt (S. 6), abweichend hiervon eine Prüfung lediglich auf objektive Willkür vorzunehmen ist, wenn das Präsidium die Annahme der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 GVG fehlerhaft beurteilt hat (angedeutet, aber letztlich offengelassen von BGH, Beschluss vom 21. April 2022, StB 13/22, BeckRS 2022, 12653 Rn. 25 und BGH, Beschluss vom 25. März 2021, 3 StR 10/20, BeckRS 2021, 13180 Rn. 44 ff.), bedarf keiner Entscheidung.

Die Frage, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Entlastung der 3. Strafkammer tatsächlich vorlagen, und nach welchem Maßstab dies zu überprüfen wäre, spielt für die hier maßgebliche Frage keine Rolle. Entscheidend ist, dass sich für die Regelung betreffend die 6. Strafkammer gar keine Begründung findet. Dem Senat ist es daher, unabhängig vom anwendbaren Prüfungsmaßstab, überhaupt nicht möglich nachzuvollziehen, aus welchen Gründen die Übertragung der bereits anhängigen Berufungssache erfolgt ist und nicht erst, ob das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 GVG zutreffend bewertet wurde.

c) Zudem bestehen durchgreifende Rechtsbedenken gegen die Bestimmtheit der Geschäftsverteilung, soweit sie den Übergang von in der 6. Strafkammer bereits anhängiger Berufungsverfahren davon abhängig gemacht hat, dass diese „am 01.11.2023 noch anhängig sind und bei denen in der 6. Strafkammer noch kein Hauptverhandlungstermin für die Zukunft bestimmt ist“ (II. Nr. 17 des Beschlusses, Rev.Begr. S. 87).

aa) Sämtliche Regelungen eines Geschäftsverteilungsplanes, der die gesetzlichen Bestimmungen über die Zuständigkeiten der jeweiligen Spruchkörper ergänzt, müssen die wesentlichen Merkmale gesetzlicher Vorschriften aufweisen. Sie müssen also im Voraus generell-abstrakt die Zuständigkeit der Spruchkörper und die Zuweisung der einzelnen Richter regeln, damit die einzelne Sache „blindlings“ aufgrund allgemeiner, vorab festgelegte Merkmale an den entscheidenden Richter gelangt und so der Verdacht einer Manipulation der rechtsprechenden Gewalt ausgeschlossen wird (BVerfG, Beschluss vom 23. Dezember 2016, 2 BvR 2023/16, BeckRS 2016,111809 Rn. 25; BGH BeckRS 2022, 12653 Rn. 11). Es muss im Vorhinein so genau wie möglich feststehen, welcher Richter für welches Verfahren im Einzelfall berufen ist (Münchener Kommentar zur StPO/Schuster, § 21e GVG Rn. 29 m.w.N.). Soweit bereits anhängige Verfahren von einer Neuverteilung bestehender Zuständigkeiten erfasst werden, sind diese Voraussetzungen nur dann erfüllt, wenn die Neuverteilung durch den Geschäftsverteilungsplans selbst erfolgt, nicht aber, wenn sie im Einzelfall sowohl die Neuverteilung als auch die Beibehaltung bestehender Zuständigkeiten ermöglichen und dabei die konkreten Zuständigkeiten von Beschlüssen einzelner Spruchkörper abhängig machen (BVerfG a.a.O. Rn. 26).

bb) Diesem Maßstab wird die gegenständliche Regelung nicht gerecht.

(1) Nach dem Inhalt der am 17. Oktober 2023 vom Präsidium beschlossenen Klausel sollte der Übergang bereits anhängiger Berufungsverfahren von zwei Voraussetzungen abhängig sein, die, so jedenfalls der Wortlaut, am 1. November 2023 noch vorliegen sollten: die Sache sollte noch anhängig und noch nicht (für die Zukunft) terminiert sein. Jedenfalls hinsichtlich der zweiten Voraussetzung lag es demnach in der Hand des Vorsitzenden der 6. Strafkammer, im verbleibenden Zeitraum zwischen dem 17. und dem 31. Oktober 2023 die Voraussetzungen für den Übergang des Verfahrens eintreten zu lassen oder zu verhindern, je nachdem, ob er die Sache noch terminieren oder dieses unterlassen würde. Damit handelt es sich um eine Bestimmung, die die Begründung einer konkreten, auf den Einzelfall bezogenen Zuständigkeit in unzulässiger Weise in die Entscheidungsgewalt eines Spruchkörpers gelegt hat, der gerade Adressat der generell-abstrakten Zuständigkeit sein sollte (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 31 für eine Regelung, die den Übergang von Verfahren an die Frage knüpft, ob bis zum Stichtag das Hauptverfahren noch eröffnet wird).

(2) Die Generalstaatsanwaltschaft weist zwar in ihrer Stellungnahme zutreffend darauf hin, dass Regelungen in einem Geschäftsverteilungsplan ebenso wie abstrakt-generelle Gesetze der Auslegung, auch im Lichte des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, zugänglich sind (Vorlageschreiben S. 7). Der Senat sieht jedoch keinen Spielraum für eine Interpretation dahingehend, dass es für die Frage, ob das Verfahren schon terminiert sei, auf den Tag des Präsidiumsbeschlusses ankommen solle, und deshalb kein Spielraum für eine Manipulation bis zum Stichtag 1. November 2023 gegeben sei. Die Bestimmung im Präsidiumsbeschluss stellt das Datum „01.11.2023“ den erst danach genannten beiden Voraussetzungen für einen Übergang der Sache voran, was dafür spricht, dass auch beide auf diesen Termin in der Zukunft bezogen sind. Auch aus der verwendeten Zeitform lassen sich keine abweichenden Schlüsse ziehen. Beide Voraussetzungen sind, nach Nennung des künftigen Stichtags, im Präsens formuliert („noch anhängig sind“; „noch kein Hauptverhandlungstermin für die Zukunft bestimmt ist“); für eine differenzierende Auslegung dahin, dass sich diese Klauseln auf unterschiedliche Daten beziehen könnten, sieht der Senat keinen ausreichenden Anhalt. Lediglich ergänzend sei bemerkt, dass auch der Vorsitzende der 6. Strafkammer selbst die Regelung dahin ausgelegt hat, dass er den Übergang der Sache durch eigene Terminierung noch verhindern könne, denn unter dem 26. Oktober 2023 hat er verfügt, dass ihm eine „Terminierung dieses Verfahrens […] vor dem 01.11.2023 nicht mehr möglich“ sei (Rev.Begr. S. 46; Bl. 1125 d.A.).

d) Wegen der aufgezeigten Verstöße gegen § 21e Abs. 3 GVG, Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG stellt sich die Überleitung des gegenständlichen Verfahrens von der ursprünglich zuständigen 6. Strafkammer des Landgerichts Landshut auf die 7. Strafkammer als unzulässig dar. Das erkennende Gericht war nicht vorschriftsmäßig besetzt. Es liegt der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 1 StPO vor.“

StPO I: Wirksamkeit der Anklage beim Vorwurf des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt

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Heute dann mal ein wenig StPO.

Und ich beginne mit dem schon etwas älteren BGH, Urt. v. 11.03.2020 – 2 StR 478/19. Es nimmt noch einmal zu den Anforderungen an eine ordnungsgemäße/wirksame Anklageschrift (§ 200 StPO) Stellung. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen den Angeklagten wegen des Vorwurfs des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt nach § 266a StGB Anklage erhoben. Das LG hat das Verfahren durch Urteil gemäß § 260 Abs. 3 StPO eingestellt. Hiergegen richtete sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die Erfolg hatte:

„Dem angefochtenen Urteil liegt folgendes prozessuales Geschehen zugrunde:

1. Mit Anklageschrift vom 19. Oktober 2016 wird dem Angeklagten zur Last gelegt, ab Januar 2011 in M. und danach in B. H. ein Gewerbe als Bodenleger betrieben, während dieser Zeit den für den Einzug der Beiträge zur Sozialversicherung zuständigen Stellen keine Arbeitnehmer gemeldet und entsprechend in 48 Fällen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung vorenthalten zu haben (§ 266a Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 StGB).

Der Angeklagte habe in der Anklage genannte, bulgarische Arbeiter angeworben, ihnen 1.000 € und später 1.400 € Monatslohn versprochen, sie nach ihrem Eintreffen in Deutschland beim Einwohnermeldeamt (zum Großteil unter seiner eigenen Adresse) angemeldet und sie dazu veranlasst, ein Gewerbe anzumelden. Den nicht der deutschen Sprache mächtigen Arbeitern sei die Bedeutung der Gewerbeanmeldung nicht bewusst gewesen. Sie hätten in der Folgezeit für den Angeklagten gearbeitet, der sie örtlich und zeitlich für die Aufträge seiner Firma eingeteilt sowie einen nach Arbeitsstunden berechneten Lohn gezahlt habe. Sie seien an seine Weisungen gebunden gewesen, seien nicht werbend aufgetreten, hätten über keinerlei geschäftliche Kontakte und zudem über kein Fahrzeug verfügt.

Die Gewerbeanmeldung sei lediglich zum Schein erfolgt, um die ansonsten fälligen Beiträge zur Sozialversicherung zu sparen. Auf diese Weise sei es für die Monate Februar 2011 bis einschließlich Dezember 2014 zu Beitragshinterziehungen von 148.287,35 € an Arbeitgeberanteilen und 141.685,46 € an Arbeitnehmeranteilen gekommen, die für jeden der 47 Monate in der Anklageschrift jeweils einzeln aufgeschlüsselt dargelegt werden.

2. Die Anklage wurde durch Beschluss des Landgerichts vom 7. Juni 2017 mit der Maßgabe zugelassen, dass lediglich 47 Handlungen im Rechtssinne vorliegen, und das Hauptverfahren eröffnet.

3. Das Landgericht hat das Verfahren in der Hauptverhandlung vom 17. Mai 2019 mit Urteil gemäß § 260 Abs. 3 StPO eingestellt und dies damit begründet, dass die Anklageschrift der gemäß § 200 Abs.1 Satz 1 StPO zu fordernden Umgrenzungsfunktion nicht gerecht werde. Weder aus dem konkreten Anklagesatz noch aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen lasse sich entnehmen, welcher konkrete Sozialversicherungsträger jeweils von der angeklagten Beitragshinterziehung betroffen sein solle. Dies sei jedoch zwingende Voraussetzung einer Anklage wegen einer Straftat nach § 266a StGB. Die Angabe der jeweils zuständigen Sozialversicherungsträger sei hier erforderlich, weil die vorliegende Anklage auch hinsichtlich der erbrachten Arbeitsleistungen keinerlei zeitliche und betragsmäßige Zuordnung vornehme. Die Angaben zu den beschäftigten Arbeitnehmern enthielten teilweise nur Vornamen oder Bezeichnungen ihrer Gruppenzugehörigkeit, Angaben zum jeweiligen Einsatzort, zur Einsatzzeit und zum Umfang der jeweiligen Arbeitsstunden fehlten vollständig. Somit sei der Prozessgegenstand nicht hinreichend unverwechselbar gekennzeichnet, da es an einer Benennung der jeweils zuständigen Sozialversicherungsträger und die an diese monatlich abzuführenden Beiträge fehle. Es wäre daher eine nahezu beliebige Zuordnung der Arbeitnehmer zu den in der Anklageschrift aufgeführten einzelnen Monaten möglich, so dass eine Verteidigung für den Angeklagten kaum möglich sei.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Mit der vom Landgericht gegebenen Begründung kann das Verfahren nicht eingestellt werden. Die Anklage und der Eröffnungsbeschluss sind wirksam, weil sie die notwendigen Angaben zur Bestimmung des Prozessgegenstandes enthalten und damit ihrer Umgrenzungsfunktion genügen.

1. Eine Anklage ist nur dann unwirksam mit der Folge, dass das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen ist, wenn etwaige Mängel ihre Umgrenzungsfunktion betreffen (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 24. Januar 2012 – 1 StR 412/11, BGHSt 57, 88, 90 f. Rn. 12 mwN). Dies ist hier nicht der Fall.

a) Die Umgrenzungsfunktion der Anklage dient dazu, den Prozessgegenstand festzulegen, mit dem sich das Gericht auf Grund seiner Kognitionspflicht zu befassen hat. Sie erfordert neben der Bezeichnung des Angeschuldigten Angaben, welche die Tat als geschichtlichen Vorgang unverwechselbar kennzeichnen. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll (Senat, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 524/10, BGHSt 56, 183, 186). Jede einzelne Tat muss sich als historisches Ereignis von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen des Angeschuldigten unterscheiden lassen, damit sich die Reichweite des Strafklageverbrauchs und Fragen der Verfolgungsverjährung eindeutig beurteilen lassen (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 26. April 2017 – 2 StR 242/16, wistra 2018, 49). Dabei muss die Schilderung umso konkreter sein, je größer die allgemeine Möglichkeit ist, dass der Angeklagte verwechselbare weitere Straftaten gleicher Art verübt hat (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 8. August 1996 – 4 StR 344/96, BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 20 mwN). Die Umstände, welche die gesetzlichen Merkmale der Straftat ausfüllen, gehören hingegen – wie sich schon aus dem Wortlaut des § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO ergibt – nicht zur Bezeichnung der Tat (Senat, Urteil vom 2. März 2011, aaO). Wann die Tat in dem sonach umschriebenen Sinne hinreichend umgrenzt ist, kann nicht abstrakt, sondern nur nach Maßgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalls festgelegt werden (vgl. LR-StPO/ Stuckenberg, 27. Aufl., § 200 Rn. 18; MüKo-StPO/Wenske, § 200 Rn. 18 ff. jeweils mwN).

b) Für den hier maßgeblichen Bereich des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt führt dies nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dazu, dass im Anklagesatz das relevante Verhalten und der Taterfolg im Sinne von § 266a StGB anzuführen sind, wobei es einer Berechnungsdarstellung der nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge dort nicht bedarf (BGH, Urteil vom 9. Januar 2018 – 1 StR 370/17, NJW 2018, 878, 879). Erforderlich sind im Einzelnen Angaben zur Arbeitgeberstellung des Angeklagten und damit zu seiner Zahlungspflicht. Weiter sind für den konkret zu bezeichnenden Tatzeitraum die jeweiligen Beitrags- und Beschäftigungsmonate zu benennen, für die trotz bestehender Pflicht Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt wurden. Dabei sind für die relevanten Monate im Tatzeitraum auch die jeweils nicht abgeführten Sozialversicherungsbeiträge, aufgeschlüsselt nach Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteilen, aufzuführen, wobei es nicht vonnöten ist, diese hinsichtlich der betreffenden Monate nach einzelnen Personen aufzuschlüsseln (BGH, Urteil vom 9. Januar 2018, aaO).

Zwar ist es mit Blick auf die Informationsfunktion der Anklageschrift regelmäßig angezeigt, im wesentlichen Ermittlungsergebnis (§ 200 Abs. 2 Satz 1 StPO; Nr. 112 RiStBV) die für eine nachvollziehbare Darstellung der Berechnung der Abgabenverkürzung erforderlichen Tatsachenfeststellungen sowie Berechnungen oder Schätzungen anzuführen. Auch erscheint es zweckmäßig, die Ausführungen bereits an den für das Gericht geltenden Maßstäben auszurichten. Fehlen derartige Angaben oder erweisen sie sich als ungenügend, kann dies für sich allein indes die Wirksamkeit der Anklage nicht in Frage stellen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Januar 2018, aaO mwN). Die Wirksamkeit der Anklage als Verfahrensvoraussetzung nicht berührende Mängel der Informationsfunktion sind gegebenenfalls im gerichtlichen Verfahren durch gerichtliche Hinweise in entsprechender Anwendung von § 265 StPO auszugleichen (Senat, Beschluss vom 26. April 2017 – 2 StR 242/16, wistra 2018, 49, 50).

2. Ausgehend hiervon fehlt es im vorliegenden Fall nicht an der in jeder Lage des Verfahrens zu beachtenden Verfahrensvoraussetzung einer wirksamen Anklageschrift und eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses……“

Rest dann bitte im Volltext lesen.