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„…unzulängliche Kenntnis des Vorsitzenden der Strafkammer vom Akteninhalt.“ ist kein Wiederaufnahmegrund

© Avanti/Ralf Poller - Fotolia.com

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Bei manchen Postings muss ich ewtas länger überlegen, um eine „Headline“ zu finden, die ins Auge fällt und das Interesse des (potentiellen) Lesers weckt. Beim OLG Naumburg, Beschl. v. 13.04.2015 –  2 Rv 42/15 – war das indes nicht der Fall. Da war die Tendenz in der „Headlinie“ von vornherein klar. Denn: Wann liest man schon mal so deutlich in einem obergerichtlichen Beschluss Kritik am LG-Strafkammervorsitzenden, indem „unzulängliche Kenntnis des Vorsitzenden der Strafkammer“ vom Akteninhalt vom OLG moniert wird. So eben das OLG Naumburg zu einem Beschluss einer kleinen Strafkammer des LG Magdeburg. Dort hatte der Vorsitzende der Strafkammer in der Hauptverhandlung das Verfahren gegen den Angeklagten nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt, am nächsten Tag dann aber mitgeteilt, er wolle wieder aufnehmen und dann die Hauptverhandlung durchgeführt und mit einem Urteil abgeschlossen. So nicht, sagt das OLG Naumburg:

Das Verfahren wurde wieder aufgenommen, weil der Vorsitzende in der Hauptverhandlung den Akteninhalt teilweise nicht gekannt hatte. Dies ist kein zulässiger Wiederaufnahmegrund.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift an den Senat vom 23. März 2015 ausgeführt:

„Das Landgericht Magdeburg hat mit Beschluss vom 29.10.2014 das Verfahren wirksam gemäß §§ 154 Abs. 2i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StPO eingestellt im Hinblick darauf, dass die Strafe, zu der die Verfolgung führen kann, neben den Strafen, die der Angeklagte in den Verfahren der Staatsanwaltschaft Magdeburg 235 Js 6541/14 und 778 Js 16752/14 zu erwarten habe, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt. Der gerichtliche Einstellungsbeschluss hat nach § 154 Abs. 2 StPO eine beschränkte materielle Rechtskraft (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl. 2014, § 154 Rn. 17) und beendet die gerichtliche Anhängigkeit (vgl. OLG Celle, Urteil vom 04.04.1984, 1 Ss 117/84 – zitiert nach juris).

Mit der Einstellung durch Gerichtsbeschluss gemäß § 154 Abs. 2 StPO entsteht ein in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis, das nur durch einen förmlichen Wiederaufnahmebeschluss nach § 154 Abs. 5 StPO beseitigt werden kann (vgl. BGH NStZ 2007, 476).

Zwar hat das Landgericht Magdeburg nach Anhörung des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft der Sache nach einen Wiederaufnahmebeschluss gefasst. Entgegen dem Vortrag des Revisionsführers schließt § 154 Abs. 4 StPO eine Wiederaufnahme bereits vor rechtskräftigem Abschluss des anderen Verfahrens auch nicht aus (vgl. KK-Diemer, StPO, 7. Aufl. 2013, § 154 Rn. 30).

Da aber die Wiederaufnahme nur zulässig ist, wenn die Grundlage des Einstellungsbeschlusses nachträglich wegfällt und das Gesetz die Wiederaufnahme des Verfahren nur unter den in § 154 Abs. 4 StPO genannten Voraussetzungen zulässt, wird trotz Vorliegen eines Wiederaufnahmebeschlusses das Verfahrenshindernis nicht beseitigt, wenn die materiellen Voraussetzungen für die Wiederaufnahme nicht vorliegen [vgl. BGH NStZ-RR 2007, 83; KG Berlin Beschluss vom 19.03.2009, (4) 1 Ss 98/09 – zitiert nach juris].

So ist es hier. Zwar ist anerkannt, dass § 154 Abs. 4 StPO die zur Wiederaufnahme führenden Gründe nicht abschließend enthält und dass sowohl Einstellung als auch Wiederaufnahme jeweils eine Ermessensentscheidung des mit der Sache befassten Gerichts darstellt und sich daher hinsichtlich ihrer konkreten Grundlagen naturgemäß weitgehend einer gerichtlichen Überprüfung entziehen (vgl. OLG Frankfurt NStZ 1985, 39).

Im Hinblick auf die beschränkte Rechtskraft und die unter Umständen auch Vertrauen erweckende Befriedungsfunktion der Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO bedarf es aber für die Aufnahme eines nach Abs. 2 der Norm eingestellten Verfahrens eines sachlich einleuchtenden Grundes (KK-Diemer a. a. O.).

Auch wenn der Wiederaufnahmebeschluss vom 30.10.2014 keine Begründung enthält, ergibt sich aus dem Verfahrensgang und der Verfügung des Vorsitzenden der 8. Strafkammer vom 30.10.2014 (Bd. I Bl. 147 d.A.) zweifelsfrei, dass das Gericht die Wiederaufnahme des Verfahrens beschlossen hat, weil es durch den mit der Sache in 1. Instanz befassten Strafrichter darauf hingewiesen worden ist, dass sich aus den Akten bereits ergebe, dass es sich bei der Einlassung des Angeklagten um widerlegbare „Schutzbehauptungen “ handele.

Die vorliegend unzulängliche Kenntnis des Vorsitzenden der Strafkammer vom Akteninhalt stellt einen solchen sachlichen Grund für die Wiederaufnahme aber nicht das. Bereits aus dem amtsgerichtlichen Urteil folgte, dass sich in der dortigen Hauptverhandlung keine Anhaltspunkte für mögliche Exspektanzen des Angeklagten ergeben haben. Das weiter angeführte Schreiben der Stadtsparkasse Magdeburg vom 06.06.2014 befand sich ebenfalls in der Akten (Bd. 1 BI. 94 d. A.).

Die zur Wiederaufnahme herangezogenen Umstände hätte das Landgericht Magdeburg im Zeitpunkt der Einstellungsentscheidung sämtlich kennen können.“

Dazu zwei Dinge – zu der „unzulänglichen Aktenkenntnis“ muss man m.E. nichts ausführen:

  1. Eingestellt worden ist auf Antrag der Staatsanwaltschaft, wiederaufgenommen worden ebenfalls mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft. Dort kann man also die Akteninhalt offenbar auch nicht.
  2. Wiederaufnahme durch das LG, weil „weil es durch den mit der Sache in 1. Instanz befassten Strafrichter darauf hingewiesen worden ist, dass sich aus den Akten bereits ergebe, dass es sich bei der Einlassung des Angeklagten um widerlegbare „Schutzbehauptungen “ handele“. Der Amtsrichter kannte den Akteninhalt also. Allerdings erschließt sich mir nicht, wieso er den Vorsitzenden der Berufungskammer „hinweist“. „Großer Senat“ bei der Kaffeerunde?