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Urteilsgründe III: Strafaussetzung zur Bewährung, oder: Massiv und vielfach vorbestrafter Angeklagter

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Und als dritte Entscheidung zur Thematik „Urteilsgründe“ dann noch einmal das BayObLG, und zwar mit dem BayObLG, Beschl. v. 24.09.2021 – 202 StRR 98/21 – zu den Urteilsanforderungen zur Bewährungsaussetzung bei einem vielfach und massiv vorbestraften Angeklagten.

Das LG hatt (noch einmal) zur Bewährung ausgesetzt. Dem BayObLG reichen die Urteilsgründe insoweit nicht:

„Dagegen sind die Erwägungen, mit denen die Berufungskammer die Strafaussetzung zur Bewährung begründet hat, rechtsfehlerhaft.

a) Wie die Strafzumessung ist zwar auch die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ihm steht bei der Beantwortung der Frage, ob die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist, weil zu erwarten ist, dass der Angeklagte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird (§ 56 Abs. 1 StGB), ein weiter Bewertungsspielraum zu, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat. Das Revisionsgericht kann die Einschätzung des Tatrichters grundsätzlich nur auf Ermessensfehler und Rechtsirrtümer überprüfen (vgl. nur BGH, Urt. v. 22.07.2010 – 5 StR 204/10 = NStZ-RR 2010, 306; OLG Bamberg, Urt. v. 23.08.2016 – 3 OLG 8 Ss 58/16, bei juris – jew. m.w.N.). Selbst wenn das Revisionsgericht die Prognoseentscheidung des Tatgerichts für fragwürdig und die Auffassung der Anklagebehörde für überzeugender hält, hat es deshalb die subjektive Wertung der Strafkammer, soweit sie vertretbar ist und deshalb neben anderen abweichenden Meinungen als gleich richtig zu bestehen vermag, auch dann zu respektieren, wenn eine zum gegenteiligen Ergebnis führende Würdigung ebenfalls rechtlich möglich gewesen wäre. Die Entscheidung des Tatrichters, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe nach § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung auszusetzen, ist mithin vom Revisionsgericht, sofern keine Rechtsfehler vorliegen, bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen, weil allein der Tatrichter sich aufgrund des persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung und der Würdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten eine Überzeugung davon verschaffen kann, ob zu erwarten ist, dass sich der Angeklagte in Zukunft auch ohne Strafverbüßung straffrei führen wird (stRspr., vgl. nur OLG Bamberg a.a.O.; BayObLG, Urt. v. 15.07.2004 – 5St RR 182/04 = NStZ-RR 2004, 336; Fischer StGB 68. Aufl. § 56 Rn. 11 m.w.N.).

b) Ein sachlich-rechtlicher Mangel liegt allerdings dann vor, wenn der Bewährungsentscheidung ein im Gesetz nicht vorgesehener Maßstab zugrunde gelegt wird, die Anforderungen an eine günstige Täterprognose nach § 56 Abs. 1 StGB verkannt oder sich die Würdigung des Tatgerichts deshalb als unvollständig und damit als rechtsfehlerhaft erweist, weil sie nicht alle für die Prognoseentscheidung bedeutsamen Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen hat oder die Begründung der Strafaussetzung nicht nachprüfbar dargestellt ist.

c) Die Darlegungen des Landgerichts für seine Erwartung, der Angeklagte werde sich schon allein die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen (§ 56 Abs. 1 Satz 1 StGB), halten angesichts dieses Maßstabs einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

aa) Für eine günstige Legalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB kommt es auf die im Zeitpunkt der tatrichterlichen Verhandlung zu bejahende Erwartung künftiger straffreier Lebensführung an, wobei für diese Erwartung eine durch Tatsachen begründete Wahrscheinlichkeit sprechen muss. Hierzu hat der Tatrichter eine erschöpfende individuelle Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen, die Rückschlüsse auf das künftige Verhalten des Täters zulassen. Bei einem Angeklagten, der trotz bewilligter Strafaussetzung zur Bewährung erneut straffällig geworden ist, kann vor allem dann, wenn er zeitnah nach solchen Entscheidungen und während offener Bewährung weitere Straftaten begeht, in der Regel nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit erwartet werden, dass er sich anders als in der Vergangenheit verhalten wird (vgl. BGH, Urt. v. 17.05.1988 – 1 StR 138/88 = StV 1989, 15 = NStE Nr 22 zu § 56 StGB = BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 9; OLG Bamberg a.a.O.). Die Begehung von Straftaten während einer Bewährungszeit belegt vielmehr, dass die frühere Prognose falsch war, weshalb eine erneute günstige Prognose nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Gesichtspunkte infrage kommen kann (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung 6. Aufl. Rn. 212). Eine derartige Konstellation liegt hier vor, nachdem der Angeklagte in der Vergangenheit Bewährungszeiten nicht durchgestanden hat. Noch mehr gilt diese Einschätzung dann, wenn der Angeklagte – wie hier – mehrjährigen Freiheitsentzug erlitten hat und gleichwohl wieder straffällig wurde. Gegen den Angeklagten wurden bislang wegen schwerwiegender Straftaten 2 Jahre Jugendstrafe sowie insgesamt 3 Jahre und 6 Monate Freiheitsstrafen vollstreckt. Zwar ist in solchen Fällen eine erneute Bewährung nicht von vornherein ausgeschlossen (BGH, Urt. v. 22.07.2010 – 5 StR 204/10 = NStZ-RR 2010, 306; 10.11.2004 – 1 StR 339/04 = NStZ-RR 2005, 38; Beschl. vom 04.01.1991 – 5 StR 573/90 = BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 15; OLG Bamberg a.a.O.). Indes muss es sich bei den Umständen, die der Tatrichter zum Beleg seiner Erwartung einer straffreien Lebensführung des Angeklagten in Zukunft heranzieht, um solche handeln, die zeitlich der Tatbegehung nachfolgten. Lagen die Gesichtspunkte, die bei isolierter Betrachtung für eine günstige Legalprognose sprechen können, dagegen schon im Zeitpunkt der Verwirklichung der abzuurteilenden Taten vor, sind diese grundsätzlich nicht geeignet, die durch das frühere Bewährungsversagen und die Begehung der neuen Taten trotz langjährigen Strafvollzugs indizierte negative Kriminalprognose zu entkräften (OLG Bamberg a.a.O. mit zust. Anm. Peglau, jurisPR-StrafR 1/2017 Anm. 3). Zudem muss bei massiv vorbestraften Tätern, die sich – wie der Angeklagte – viele Jahre im Strafvollzug befunden haben, den neuen Gesichtspunkten besonderes Gewicht zukommen, um trotz dieser für die Prognose äußerst negativen Indizien die Erwartung künftiger Straffreiheit begründen zu können.

bb) Derartige nachträgliche Umstände, die trotz langjährigen Strafvollzugs und der Tatsache, dass der Angeklagte erneut vielfach und wegen einschlägiger Delikte trotz bestehender Führungsaufsicht rückfällig wurde, gleichwohl die Erwartung rechtfertigen könnten, dass er sich nunmehr die jetzige Verurteilung zur Warnung dienen lässt und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten begehen wird, zeigt das angefochtene Urteil indes nicht in rechtsfehlerfreier Weise auf.

(1) Soweit das Landgericht die Strafaussetzung zur Bewährung auf die „neue Arbeitsstelle“ stützt, die der Angeklagte als Gebäudereiniger innehat, stellt dies bereits keinen neuen Umstand im genannten Sinne dar. Denn ausweislich der Urteilsfeststellungen befand er sich nach der letzten Haftentlassung, die im April 2015 erfolgte, bis zum Herbst 2019, also auch zu den Zeitpunkten der Verwirklichung der zahlreichen Taten, die Gegenstand der Verurteilung sowie Grundlage der einbezogenen Strafen sind, ebenfalls in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis als Gebäudereiniger. Das Arbeitsverhältnis stellt damit keinen neuen Aspekt dar, der die Einschätzung zuließe, dass der Angeklagte sich hierdurch künftig von der Begehung neuer Straftaten abhalten ließe.

(2) Der Hinweis der Berufungskammer auf die nach Begehung der verfahrensgegenständlichen Taten erfolgreich absolvierte „Suchttherapie“ könnte war durchaus ein nachträglich eingetretener Gesichtspunkt sein, der möglicherweise Rückschlüsse auf eine positive Legalprognose im Sinne des § 56 Abs. 1 StGB zulässt. Indes sind die diesbezüglichen Feststellungen im Berufungsurteil unzulänglich. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe lässt sich zwar noch hinreichend schlussfolgern, dass es sich um eine Drogenentzugstherapie handelte. Allerdings sind sowohl die Feststellungen als auch die diesbezügliche Beweiswürdigung zum Erfolg der Therapie unzulänglich. Das Berufungsurteil beschränkt sich auf die knappe Darlegung, die Therapie sei „regulär abgeschlossen“ und der Angeklagte lebe „seit gut einem Jahr drogenfrei“. Insoweit hätte sich geradezu aufgedrängt, nähere Feststellungen zur Entlassungssituation zu treffen, was etwa durch Beiziehung etwaiger Berichte der Therapieeinrichtung oder Vernehmung von Therapeuten ohne weiteres möglich gewesen wäre. Zudem bleibt im Dunkeln, aufgrund welcher Beweismittel sich die Berufungskammer davon überzeugt hat, dass der Angeklagte keine Betäubungsmittel mehr konsumiert. Überdies hat das Landgericht einen Kausalzusammenhang zwischen der früheren Drogenabhängigkeit und seiner bisherigen Delinquenz nicht in hinreichendem Maße herausgearbeitet. Sollten die in der Vergangenheit vom Angeklagten verwirklichten Straftaten zumindest teilweise in keinem Zusammenhang mit der von der Berufungskammer angenommenen Sucht gestanden haben, so müsste der Frage nachgegangen werden, inwiefern selbst eine erfolgreich absolvierte Drogenentzugstherapie überhaupt geeignet wäre, den Angeklagten von Straftaten künftig abzuhalten.“