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Corona II: Maskentragepflicht, oder: Wer im Gericht keine Maske trägt, ist nicht erschienen

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Die zweite Entscheidung stammt vom AG Reutlingen. Das hat im AG Reutlingen, Urt. v. 14.08.2020 -9 OWi 29 Js 9730/20 – den Einspruch eines Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG wegen unentschuldigten Ausbleibens Betroffenen verworfen. Begründung – kurz gefasst: Der Betroffene habe ich geweigert, im Gerichtsgebäude eine Maske zu tragen, sei deshalb nicht eingelassen worden und daher unentschuldigt ausgeblieben.

Das AG geht in seiner Entscheidung von folgendem Sachverhalt aus:

„1. Die Stadt Reutlingen hat gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 14.04.2020 ein Bußgeld in Höhe von 75 Euro verhängt, weil er als Hundehalter oder Hundeführer seinen Hund nicht an der Leine geführt hatte. Hiergegen legte der Betroffene am 22.04.2020 form- und fristgerecht Einspruch ein.

Zum heutigen Termin zur Hauptverhandlung am Amtsgericht Reutlingen ist der Betroffene ungeachtet der durch Zustellungsurkunde vom 19.05.2020 nachgewiesenen Ladung unter Belehrung über die Folgen des Ausbleibens ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben, obwohl er von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung nicht entbunden ist.

a) Zwar erschien der Betroffene kurz vor Beginn der Hauptverhandlung pünktlich an der Gerichtspforte. Hier erklärte er aber, nicht bereit zu sein, eine Mund-Nasen-Bedeckung zum Zwecke des Infektionsschutzes zu tragen, selbst wenn ihm diese vom Gericht gestellt werde. Der Direktor des Amtsgerichts wurde durch die Wachtmeister hinzugerufen. Der Direktor des Amtsgerichts forderte den Betroffenen nochmals dazu auf, eine Maske zu tragen, da im Gerichtsgebäude durch den Direktor zum Zwecke des Infektionsschutzes angeordnet ist, dass jeder Besucher, Mund und Nase mit Hilfe einer Maske zum Zwecke des Infektionsschutzes anlässlich der Corona-Pandemie 2020 zu bedecken hat. Dem Betroffenen wurde durch den Direktor des Amtsgerichts eine Mitteilung des Kreisgesundheitsamtes vom gleichen Tage bekannt gegeben, wonach beim Betroffenen keine medizinischen Gründe für eine Ausnahme vom Maskengebot vorlägen. Der Betroffene beharrte darauf, keine Maske tragen zu wollen, und entschied sich sodann, eine Art Zitronen- bzw. Orangennetz über sein Gesicht zu ziehen. Das Tragen einer geeigneten, also nicht löchrigen Maske verweigerte er nach wie vor. Sodann machte der Direktor des Amtsgerichts von seinem Hausrecht Gebrauch und gewährte dem Betroffenen keinen Zutritt zum Gericht. Der Direktor bot dem Betroffenen nochmals an, dass dieser das Gericht ohne Weiteres betreten könne, wenn er einen Mund-Nasen-Schutz tragen würde. Dies lehnte der Betroffene abermals ab. Der Betroffene verließ sodann den Eingangsbereich des Amtsgerichts. Das soeben dargestellte Geschehen teilte der Direktor des Amtsgerichts sodann dem Richter im Hauptverhandlungssaal mit.

b) Durch Verfügung des Direktors des Amtsgerichts gilt im gesamten Gerichtsgebäude zum Zwecke des Infektionsschutzes anlässlich der Corona-Pandemie 2020 für jeden die Pflicht, während des Aufenthaltes im Gericht, Mund und Nase mit Hilfe eines Mund-Nasen-Schutzes zu bedecken. Diese Verfügung ist im Erdgeschoss durch einen Aushang bekanntgemacht. Zudem wird hierauf vor Betreten des Gebäudes durch die Wachtmeister hingewiesen. Durch Verfügung des Richters gilt darüber hinaus die Pflicht, im Verhandlungssaal für die Dauer der Verhandlung Mund und Nase mit Hilfe eines Mund-Nasen-Schutzes zu bedecken. Diese Verfügung ist dem Betroffenen schon mit seiner Ladung zum Termin bekanntgegeben worden.

Beide Anordnungen waren dem Betroffenen also bekannt. …..“

Die Begründung der Entscheidung durch das AG ist m.E. lesenswert. Ich stelle hier (nur) folgende Passagen ein, den Rest bitte selbst lesen:

„….. Die so gewonnenen Erkenntnisse werden schließlich durch eine Auslegung des § 74 Abs. 2 OWiG nach Sinn und Zweck bestätigt. § 74 Abs. 2 OWiG soll einem Betroffenen, der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid eingelegt hat, daran hindern, die Entscheidung über seinen Rechtsbehelf dadurch zu verzögern, dass er sich der Verhandlung entzieht (vgl. BGHSt 17, 188, 189). Insofern bezweckt die Vorschrift eine Verfahrensbeschleunigung und strebt nach einer möglichst gerechten Entscheidung. Ersteres zeigt sich daran, dass es nicht einmal im Ermessen des Gerichts steht, wie mit einem unentschuldigt ausbleibenden Betroffenen hinsichtlich seines Einspruchs zu verfahren ist: Der Einspruch ist zwingend zu verwerfen. Anderenfalls würde die Entscheidung über den Einspruch unnötig verzögert werden. Bestünde die Regelung des § 74 Abs. 2 OWiG nicht, böte sich für Betroffene geradezu ein Anreiz zur Verschleppung des Verfahrens (BGHSt 23, 331, 335). Unter Einbeziehung des von der Vorschrift verfolgten Zwecks kann es gerade nicht im Belieben und im Verhalten des Betroffenen stehen bzw. hiervon abhängen, ob eine Entscheidung über seinen Einspruch getroffenen werden kann. So wie der Betroffene eine Entscheidung über seinen Rechtsbehelf nicht herauszögern kann, indem er sich in einen verhandlungsunfähigen Zustand versetzt, so kann er die Entscheidung über seinen Einspruch im Bußgeldverfahren nicht herauszögern, indem er in einem Zustand erscheint, der es unter Beachtung des Infektionsschutzes und der Rechtsgüter der sonst im Gericht anwesenden Personen nicht ermöglicht, ihm Zutritt zum Gericht zu gewähren.

Nach alledem bleibt derjenige unentschuldigt aus i.S.d. § 74 Abs. 2 OWiG, der zu einem Hauptverhandlungstermin im Gericht in einem Zustand erscheint, der es aus Infektionsschutzgründen und mit Rücksicht auf die Rechtsgüter der anderen im Gericht befindlichen Personen nicht möglich erscheinen lässt, ihm unter Wahrung des Infektionsschutzes und der Rechtsgüter anderer Zutritt zum Gerichtsgebäude zu gewähren, obwohl es ihm ohne weiteres möglich wäre, einen solchen Zustand herzustellen, er hiervon aber beharrlich nicht abrücken will. Etwas anderes mag dann gelten, wenn dem Betroffenen das Tragen einer Maske zum Zwecke des Infektionsschutzes aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar wäre. Dies war hier unter Verweis auf das amtsärztliche Gutachten nicht der Fall.

2. Die an den Betroffenen gestellten Anforderungen zum Betreten des Gerichtsgebäudes und des Hauptverhandlungssaals, namentlich die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, sind verhältnismäßig.

Die Pflicht zum Tragen einer Maske haben der Direktor des Amtsgerichts im Gerichtsgebäude und der Richter in seinem Verhandlungssaal zum Infektionsschutz anlässlich der Corona-Pandemie 2020 angeordnet. Es ist allgemein bekannt, dass das SarsCov2-Virus und die durch dieses Virus ausgelöste Covid19-Erkrankung zu schwerwiegenden pathologischen Zuständen (Lungenentzündung, Herzrhythmusstörungen usw.) und sogar bis zum Tod führen kann. Weltweit sind bereits mehr als achthunderttausend Menschen, in Deutschland allein über neuntausend Menschen an oder im Zusammenhang mit Covid19 verstorben. Die Maßnahme der Maskenpflicht erfolgt zum Schutz der Gesundheit und des Lebens anderer (legitimes Ziel). Die Maßnahme ist geeignet, um dieses Ziel zu erreichen. Insoweit wird auf die umfangreichen Ausführungen des Robert-Koch-Instituts Bezug genommen und darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung aktuell sogar erwägt, eine Maskenpflicht am Arbeitsplatz anzuordnen. Die Maßnahme ist darüber hinaus erforderlich, da kein milderes, aber gleich effektives Mittel ersichtlich ist. Insbesondere senkt das Tragen einer Maske in Räumen das Ansteckungsrisiko durch Aerosole erheblich. Einfaches Abstandhalten kann dies nicht gewährleisten. Gleiches gilt für das schlichte Öffnen von Fenstern, weil kein Luftaustausch im eigentlichen Sinne gewährleistet ist. Ein effektiver Infektionsschutz verlangt nach weiteren Maßnahmen. In einer Zusammenschau ist das Tragen einer Maske erforderlich, um zu verhindern, dass möglicherweise Infizierte die Luft im Saal durch das Ausatmen mit Viren anreichern, die bei Erreichung einer gewissen Konzentration durch das Einatmen anderer ohne Weiteres zur Ansteckung führen können. Das Robert-Koch-Institut führt hierzu auf seiner Homepage (Stand: 25.08.2020) aus:

„Eine Übertragung von SARS-CoV-2 durch Aerosole ist in bestimmten Situationen über größere Abstände möglich, z.B. wenn viele Personen in nicht ausreichend belüfteten Innenräumen zusammenkommen und es verstärkt zur Produktion und Anreicherung von Aerosolen kommt. Das passiert insbesondere beim Sprechen mit steigender Lautstärke, aber auch beim Singen oder ggf. auch bei sportlicher Aktivität. Inwieweit es hier zur Übertragung kommen kann, ist noch nicht abschließend untersucht, jedoch ist es unter anderem zu Übertragungen von COVID-19 im Zusammenhang mit Chorproben und in einem Fitnesskurs gekommen. Im Rahmen der COVID-19-Pandemie ist es daher ratsam, derartige Situationen zu vermeiden.“

Erst in einer Gesamtwirkung gewährleisten die getroffenen Vorkehrungen (Abstand halten, Mund-Nasen-Bedeckung tragen etc.) einen effektiven Infektionsschutz. Schließlich ist auch die Angemessenheit der Maßnahme im engeren Sinne zu bejahen. Die Eingriffsintensität ist gering, dagegen sind die zu schützenden Rechtsgüter, namentlich Leben und Gesundheit,

überragend wichtige Rechtsgüter, sodass im Ergebnis einer Abwägung grundsätzlich allen Beteiligten das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung für die kurze Dauer einer Verhandlung am Amtsgericht zuzumuten ist. Auf individuelle Bedürfnisse kann durch Unterbrechungen der Hauptverhandlungen, wie sie auch dem Betroffenen hier angeboten wurden, Rücksicht genommen werden. Entsprechendes gilt für die Rücksichtnahme auf erkrankte Betroffene, denen das Tragen einer Maske aus gesundheitlichen unzumutbar ist und die daher vom Tragen einer Maske freigestellt werden. Zugleich strebt der Richter mit der Maßnahme den besonderen Schutz der Schwächeren der Gemeinschaft an, namentlich der Vorerkrankten, die unter einer Covid19-Infektion besonders leiden würden und nach gesicherten medizinischen Erkenntnissen daran überproportional häufig versterben (zum Überblick die Informationen des Robert-Koch-Instituts: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogruppen.html zuletzt abgerufen am: 25.08.2020; vgl. beispielhaft die aktuelle Studie von Holman/Knighton et al., in: Lancet Diabetes Endocrinol 2020 Published Online August 13, 2020 https://doi.org/10.1016/ S2213-8587(20)30271-0, zuletzt abgerufen am: 25.08.2020). Hierzu zählen insbesondere Menschen mit einem Lebensalter ab 50 bis 60 Jahren (siehe das Informationsblatt des Robert-Koch-Instituts: Informationen und Hilfestellungen für Personen mit einem höheren Risiko für einen schweren COVID-19-Krankheitsverlauf), Diabetikerinnen und Diabetiker, Lungen- und Herzkranke (Asthmaerkrankung, Herzrhythmusstörungen) sowie Immungeschwächte. Diese Mitmenschen sind tagtäglich im Gericht, sei es als Besucherinnen und Besucher, Servicemitarbeiterinnen und Servicemitarbeiter, Polizistinnen und Polizisten, Richterinnen und Richter usw. Der Schutz dieser Menschen aus der Mitte der Gemeinschaft zeigt sich als ein wesentlicher und weiterer gewichtiger Aspekt für die Maskenpflicht im Gericht und im Verhandlungssaal im Vergleich zu einem unwesentlichen, ja geradezu bagatellartig erscheinenden Eingriff betreffend die Pflicht zum kurzzeitigen Tragen einer Maske im Gericht und im Verhandlungssaal.“

Wenn ich lese: „Der Betroffene beharrte darauf, keine Maske tragen zu wollen, und entschied sich sodann, eine Art Zitronen- bzw. Orangennetz über sein Gesicht zu ziehen.“ erspart das m.E. jeden Kommentar.

Die Entscheidung ist rechtskräftig.

OWi III: Entbindung von der Anwesenheitspflicht zwingend, oder: Wie oft eigentlich noch?

Smiley

Und als dritte Entscheidung dann mal wieder etwas zur Verwerfung des Einspruchs wegen Ausbleiben des Betroffenen bzw. zur Problematik: Entbindungsantrag. Der OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 29.06.2020 – 3 Ss-OWi 422/20 – bringt dazu nichts Neues. Er lässt einen aber – jedenfalls mich – mit der Frage zurück: Wie oft müssen die OLG die vom OLG Frankfurt entschiedene Frage eigentlich noch entscheiden bzw. warum richten sich nicht alle Amtsrichter nach der insoweit eindeutigen ständigen Rechtsprechung der OLG?

Das OLG führt aus:

„Das Amtsgericht verwarf mit dem angefochtenen Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG den Einspruch des nicht zur Hauptverhandlung erschienenen und nicht von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen entbundenen Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums Kassel vom 23. Oktober 2019, mit dem gegen den Betroffenen als Führer des Pkws mit dem amtlichen Kennzeichen pp., der am 12.8.2019 die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 45 km/h überschritten haben soll, eine Geldbuße in Höhe von 160,00 € sowie ein Fahrverbot von einem Monat verhängt worden war.

Gegen das Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

Die fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat mit der ordnungsgemäß ausgeführten Verfahrensrüge der Verletzung von §§ 73 Abs. 2, 74 Abs. 2 OWiG — zumindest vorläufig — Erfolg.

Das Unterlassen der rechtzeitig und begründet beantragten Entbindung des Betroffenen von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung am 13. Januar 2020 durch das Amtsgericht Bensheim war rechtsfehlerhaft und verletzte den Anspruch des Betroffenen auf das rechtliche Gehör, weil statt einer Sachentscheidung eine reine Prozessentscheidung erlassen wurde, in der das (ggf. nur schriftliche) Vorbringen des Betroffenen gerichtlich nicht gewürdigt wurde (OLG Frankfurt, Beschluss vom 22. Juni 2017 — 2 Ss OWi 614/17; OLG Bamberg, Beschluss vom 20.10.2007 – 2 Ss OWi 1409/08).

Nach § 73 Abs. 2 OWiG hat das Gericht den Betroffenen von seiner Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wenn dieser seine Fahrereigenschaft eingeräumt und im Übrigen angekündigt hat, sich in der Hauptverhandlung nicht weiter zur Sache zu äußern. Denn dann ist seine Anwesenheit zur Auf-klärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich (ständige Rechtsprechung des 2. Senats des OLG Frankfurt am Main, vgl. u. a. den Beschluss vom 13. März 2012, 2 Ss-Owi 62/12 m. N.). Dies gilt auch dann, wenn – wie hier – über ein Fahrverbot zu entscheiden ist, da der Betroffene zwar berechtigt, aber nicht verpflichtet ist, an einer weiteren Aufklärung der persönlichen Verhältnisse mitzuwirken (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 10. August 2005 – 2 Ss-OWi 152/05 – ).

Unter Berücksichtigung dieser Umstände hätte der Antrag des Betroffenen auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung vom Amtsgericht im Sinne des Antragsbegehrens entschieden werden müssen. Der Betroffene hatte mit Schreiben seines Verteidigers vom 10. Januar 2020 seine Fahrereigenschaft eingeräumt und mitgeteilt, weitere Angaben zur Sache in der Hauptverhandlung nicht zu machen. Unter diesen Umständen gab es keinen sachlichen Grund für die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung. Konkrete Anhaltspunkte für eine bei Erscheinen des Betroffenen noch zu erwartende Sachaufklärung waren vorliegend nicht gegeben. Das Amtsgericht hätte daher dem Entbindungsbegehren des Betroffenen entsprechen müssen und stand insoweit nicht in seinem freien Ermessen (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 10. August 2005 – 2 Ss-OWi 152/05 -).

Da das Amtsgericht den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen hätte entbinden müssen, war die Verwerfung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid wegen unentschuldigten Ausbleibens in der Hauptverhandlung rechtsfehlerhaft und das angefochtene Urteil daher aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht Bensheim zurückzuverweisen. Für die Zurückverweisung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts besteht kein Anlass.“

OWi III: Verwerfung des Einspruchs des „entbundenen“ Betroffenen, oder: „Blöd oder faul“?

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Und wenn wir schon von Experten reden, dann haben wir hier beim AG Güstrow noch einen. Denn da hat ein Richter (am AG [?]) den Betroffenen vom Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden, (§ 73 Abs. 2 OWiG), dann aber mal eben schnell den Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, als der Betroffene dann – entschuldigt !!!! – in der Hauptverhandlung nicht erscheint.

Dass die Rechtsbeschwerde ein „Selbstläufer“ ist, liegt auf der Hand. Die erledigt das OLG im OLG Rostock, Beschl. v. 04.11.2019 – 21 Ss OWi 286/19 (B) – mit links 🙂 :

„Auf die zulässig erhobene Verfahrensrüge  286/1des Betroffenen war das Urteil des Amtsgerichts Güstrow vom 20.08.2019 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Güstrow zurückzuverweisen (§§ 79 Abs. 3 OWiG iVm § 349 Abs. 4 StPO). Das Amtsgericht hat den Betroffenen durch Beschluss vom 07.06.2019 von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entbunden (BI. 32 d.A.). Dennoch hat das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid durch Urteil vom 20.08.2019 mit der Begründung verworfen, er sei unentschuldigt zur Hauptverhandlung nicht erschienen. Zutreffend führt die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 24.10.2019 aus, dass das Amtsgericht damit den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.“

Wenn man es liest, fragt man sich – drastisch ausgedrückt: Blöd oder faul? „Blöd“ würde stimmen, wenn der Amtsrichter nicht weiß, dass das nicht geht, „faul“ würde stimmen, wenn er seine eigenen Akten nicht kennt. Ich weiß nicht, was schlimmer ist.

OWi I: Terminsverlegung aus beruflichen Gründen?, oder: Nicht mit uns

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Heute mache ich dann noch einmal einen Entbindungs-/Verwerfungstag, also §§ 73, 74 OWiG. Die Entscheidungen, die ich vorstelle, kommen mal wieder alle drei vom BayObLG. Ich weiß, das verspricht nichts unbedingt Gutes, es lässt sich aber nicht ändern.

Ich eröffne mit dem BayObLG, Beschl. v. 15.10.2019 – 202 ObOWi 1768/19 – zur Frage der Darlegung der Verhinderung des Betroffenen, wenn dringende berufliche Gründe geltend gemacht werden, die der Teilnahme an der Hauptverhandlung entgegenstehen. Das AG hatte den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid – zum zweitenb Mal – wegen unerlaubter Abwesenheit verworfen. Die Rechtsbeschwerde hatte beim BayObLG keinen Erfolg:

„…………..Den hiergegen gerichteten Einspruch des Betroffenen verwarf das Amtsgericht mit Urteil vom 09.01.2019 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG, weil der Betroffene – ohne von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden worden zu sein – in der Hauptverhandlung vom 09.01.2019 unentschuldigt nicht erschienen sei. Auf die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hob der Senat das Verwerfungsurteil des Amtsgerichts vom 09.01.2019 mit Beschluss vom 02.04.2019 auf und verwies die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurück, da es sich nicht hinreichend mit der Frage auseinandergesetzt hatte, ob es die prozessuale Fürsorgepflicht geboten hätte, dem Terminverlegungsgesuch des nach eigenem Bekunden akut erkrankten Verteidigers stattzugeben. Nach entsprechender Terminabsprache mit der Kanzlei des Verteidigers bestimmte das Amtsgericht mit Verfügung vom 10.04.2019 erneut Termin zur Hauptverhandlung auf 06.05.2019 um 08:10 Uhr. Die Terminsladung wurde dem Betroffenen sowie seinem Verteidiger jeweils am 12.04.2019 förmlich zugestellt. Mit am selben Tage bei dem Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom 02.05.2019 lehnte der Betroffene den zuständigen Richter am Amtsgericht wegen Besorgnis der Befangenheit ab und begründete dies mit der Ablehnung des Terminverlegungsgesuchs vom 09.01.2019. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 03.05.2019, dem Verteidiger mitgeteilt per Telefax am selben Tage, wurde das Ablehnungsgesuch des Betroffenen vom 02.05.2019 als unbegründet zurückgewiesen. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 03.05.2019, welcher am 03.05.2019 (Freitag) um 11:46 Uhr bei dem Amtsgericht einging, beantragte der Betroffene, den auf 06.05.2019 (Montag) um 08:10 Uhr bestimmten Termin wegen beruflicher Verhinderung zu verlegen. Er sei als Fernsehkoch tätig und habe erstmals von seinem Sender die Chance bekommen, an der Livesendung vom 05.05.2019 teilzunehmen. Hierbei habe ihn der Sender als Fernsehkoch an eine Familie verlost, mit der er live vor der Kamera ein umfangreiches Menü koche. Daran schließe sich nach dem Ende der Livesendung um 19.30 Uhr der private Teil an, bei dem er den Gewinnern vereinbarungsgemäß den Rest des Abends „Open End“ zur Verfügung stehe. Würde er an diesem „bereits seit längerer Zeit gebuchten Termin“ nicht teilnehmen, sähe er sich einem erheblichen Imageschaden, aber auch dem drohenden Verlust künftiger beruflicher Chancen bei dem TV-Sender sowie erheblichen Schadensersatzansprüchen ausgesetzt. Seitens des Senders seien an der Livesendung ca. 50 Personen beteiligt. Dem Terminverlegungsgesuch waren umfangreiche schriftliche Unterlagen beigefügt, darunter die „Disposition“ des Senders (Stand 30.04.2019), aus welcher sich u.a. der genaue Ablauf der Fernsehproduktion ergibt, eine E-Mail Nachricht des Senders an den Betroffenen vom 30.04.2019 mit organisatorischen Hinweisen sowie einer unter dem 18.04.2019 erfolgten Buchungsbestätigung für ein elektronisches Flugticket, welches die Anreise von A. nach B. am 05.05.2019 und die Rückreise von B. nach A. am 06.05.2019 mit Ankunft in A. um 12.35 Uhr auswies. Am 03.05.2019 Uhr teilte das Amtsgericht dem Verteidiger um 12.35 Uhr per Telefax mit, dass es im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz bei dem auf 06.05.2019 um 08:10 Uhr anberaumten Hauptverhandlungstermin bleibe. Nachdem im Termin zur Hauptverhandlung vom 06.05.2019 weder der Betroffene noch sein Verteidiger erschienen waren, verwarf das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 10.09.2018 erneut gemäß § 74 Abs. 2 OWiG. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass dem Betroffenen die Terminsladung bereits am 12.04.2019 zugestellt worden sei, während die vorgelegten Unterlagen des TV-Senders erst vom 30.04.2019 datierten. Wenn dem Betroffenen die Teilnahme am Hauptverhandlungstermin derart wichtig sei, dass ein Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen nicht gestellt werde, sei es dem Betroffenen zumutbar, den privaten Teil der Veranstaltung zu einem Zeitpunkt zu verlassen, der ihm ein pünktliches Erscheinen zur Hauptverhandlung noch erlaubt hätte. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung von § 74 Abs. 2 OWiG und trägt im Wesentlichen vor, dass er sich bereits im Januar 2019 und damit lange vor Anberaumung des Gerichtstermins bzw. Zugang der Terminsladung am 12.04.2019 gegenüber dem TV-Sender vertraglich verpflichtet habe. Auch sei das Amtsgericht zu Unrecht davon ausgegangen, dass er die Veranstaltung sofort nach Ende des offiziellen Teils der Livesendung um 19:30 Uhr habe verlassen und an den Gerichtsort zurückreisen können. Das „Meet und greet“ im Anschluss an die Sendung sei von seinen vertraglichen Verpflichtungen umfasst gewesen, was er ebenfalls bereits im Verlegungsgesuch vorgebracht habe. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 22.08.2019 beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts vom 06.05.2019 aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung nunmehr an einen anderen Richter des Amtsgerichts zurückzuverweisen……..

1. Ein Verstoß gegen § 74 Abs. 2 OWiG ist entgegen der Rechtsauffassung der Rechtsbeschwerde, welcher sich auch die Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Antragsschrift vom 22.08.2019 angeschlossen hat, nicht gegeben. Eine genügende Entschuldigung lag nicht vor……..

b) Für die Frage, ob eine berufliche Verhinderung einen Anspruch auf Terminsverlegung begründet bzw. als ausreichende Entschuldigung für das Nichterscheinen in der Hauptverhandlung anzusehen ist, gilt nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung, dass berufliche Verpflichtungen gegenüber der Pflicht, zu einem bestimmten Zeitpunkt bei Gericht erscheinen zu müssen, zurückzutreten haben (vgl. nur BayObLG NStZ 2003, 93; OLG Bamberg OLGSt OWiG § 74 Nr. 19; OLG Hamm, Beschl. v. 15.12.2011 – 5 RBs 185/11 bei juris; OLG Brandenburg NStZ 2014, 672; OLG Hamm, Beschl. v. 04.11.2015 – 1 RBs 162/12 = BeckRS 2015, 20270; vgl. auch Göhler/Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. § 74 Rn. 29). Dem Interesse des Betroffenen an der Erledigung beruflicher oder geschäftlicher Angelegenheiten ist nur dann ausnahmsweise der Vorrang einzuräumen, wenn die Angelegenheit unaufschiebbar und von besonderer Bedeutung ist, sodass auch bei Anlegung des gebotenen strengen Maßstabs das Verlangen, der gerichtlichen Ladung Folge zu leisten, bei einer Gesamtbetrachtung unzumutbar erscheint (Rebmann/Roth/Herrmann OWiG 3. Aufl. § 74 Rn. 15 m.w.N.). Bei der gebotenen Interessenabwägung sind insbesondere Art und Anlass der beruflichen Inanspruchnahme auf der einen Seite sowie Bedeutung des den Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens bildenden Vorwurfs und Beweislage auf der anderen Seite zu berücksichtigen. Liegen danach zwingende berufliche Gründe vor, die ein Erscheinen des Betroffenen vor Gericht unzumutbar machen, so ist einem entsprechenden Terminverlegungsgesuch zu entsprechen bzw. der Betroffene, der nach rechtsfehlerhafter Ablehnung des Gesuchs nicht zur Hauptverhandlung erscheint, als entschuldigt anzusehen (BayVerfGH, Beschl. v. 20.05.2003 – Vf.36-VI-02 bei juris; OLG Bamberg OLGSt OWiG § 74 Nr 19; KK/Sengea.O. § 74 Rn. 32).

c) Allerdings hat nur der Betroffene Kenntnis von etwaigen privaten oder beruflichen Hinderungsgründen, die das Gericht in seine Güterabwägung einzustellen hat. Deshalb hat er die Hinderungsgründe dem Gericht im Einzelnen zu unterbreiten, sofern sie nicht offenkundig sind. Dabei steht das Erfordernis, insoweit schlüssig einen Sachverhalt vorzutragen, der geeignet ist, das Ausbleiben genügend zu entschuldigen, im Einklang mit der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung, wonach ein Beschwerdeführer, um dem Gebot der Rechtswegerschöpfung als Voraussetzung für eine erfolgversprechende Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs zu genügen, alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen hat, um eine Grundrechtsverletzung zu verhindern, wozu auch gehört, dass er seiner prozessualen Darstellungslast durch rechtzeitigen Vortrag aller ihn begünstigenden Umstände entsprochen hat (vgl. BVerfG NJW 2005, 3769; NStZ-RR 2005, 346). Eine andere Sicht wäre auch mit Sinn und Zweck der Vorschrift des § 74 Abs. 2 OWiG, das Verfahren zu beschleunigen und den Betroffenen, der Einspruch eingelegt hat, darin zu hindern, die Entscheidung über sein Rechtsmittel nach Gutdünken zu verzögern, indem er der Verhandlung fernbleibt, nicht vereinbar. Bei derartigen Fallkonstellationen muss das mit dem Beschleunigungsgebot konkurrierende Streben nach einer möglichst gerechten Sachentscheidung mit der Folge zurücktreten, dass im Einzelfall auch ein möglicherweise sachlich unrichtiges Urteil in Kauf zu nehmen ist (BGHSt 23, 331/334; OLG Koblenz NJW 1975, 322f.; OLG Bamberg OLGSt § 329 Nr 29). Beruft sich ein Betroffener auf eine zwingende beruflich bedingte Verhinderung, so ist daher erforderlich, die Art der Geschäfte selbst, deren Wichtigkeit und ihre unaufschiebbare Dringlichkeit darzulegen, damit das Gericht beurteilen kann, ob das Vorbringen die Unzumutbarkeit des Erscheinens vor Gericht begründen kann, wenn es zutrifft (BayObLG, Beschl. v. 27.06.2002 – 2 ObOWi 268/02 = NStZ 2003, 98; OLG Bamberg, Beschl. v. 14.01.2009 – 2 Ss OWi 1538/08 = OLGSt OWiG § 74 Nr 19; OLG Hamm VRS 39, 208; KG VRS 58, 47, 50; OLG Karlsruhe VRS 89, 130, 131; vgl. auch Rebmann/Roth/Herrmann a.a.O.).

d) Nach diesen Maßstäben begegnet die Verwerfung des Einspruchs gemäß § 74 Abs. 2 OWiG nach vorangegangener Ablehnung des Terminverlegungsgesuchs durch das Amtsgericht im Ergebnis keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

aa) Während sich aus dem Terminverlegungsantrag des Betroffenen vom 03.05.2019 Art und Umfang der beruflichen Verpflichtung hinreichend ergeben und sich hieraus auch die erhebliche Bedeutung des Termins für das berufliche Fortkommen des Betroffenen zwanglos erschließt, entbehrt der Antrag indes hinreichender Tatsachen, aufgrund derer das Amtsgericht die Frage der unaufschiebbaren Dringlichkeit des Termins hätte beurteilen können. Entgegen dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde bleibt schon offen, ob der Betroffene seine Teilnahme an der Livesendung vom 05.05.2019 gegenüber dem Sender vor oder nach Erhalt der Ladungsverfügung am 12.04.2019 verbindlich zugesagt hat. Allein der Hinweis, es handele sich um einen „bereits seit längerer Zeit gebuchten Termin“, genügte insoweit nicht. Dem Amtsgericht war es auf solcher Grundlage nicht möglich, das Gewicht des konkreten Verhinderungsgrundes sowie die Möglichkeiten zu seiner Beseitigung zu beurteilen (vgl. auch KG, Beschl. v. 30.10.2000 – 2 Ss 242/00 bei juris), zumal sich den beigefügten Unterlagen hierzu lediglich entnehmen ließ, dass das Flugticket am 18.04.2019 um 17:23 Uhr gebucht worden war und die Einzelheiten der Livesendung dem Betroffenen – unter Übersendung des Flugtickets – am 30.04.2019 auf elektronischem Wege mitgeteilt worden waren. Nicht beigefügt waren dem Terminverlegungsgesuch vom 03.05.2019 die nunmehr mit der Rechtsbeschwerde vorgelegten Email-Nachrichten vom 24.01.2019 sowie vom 10.05.2019, mit denen belegt werden soll, dass der Betroffene die entsprechenden vertraglichen Verpflichtungen bereits im Januar 2019 eingegangen sein soll. Unabhängig vom Buchungszeitpunkt hätte es darüber hinaus in jedem Fall konkreter Darlegungen zur Unaufschiebbarkeit des Termins bedurft, d.h. zu der Frage, ob der Sender dem Betroffenen nicht auch zu einem anderen Zeitpunkt die Chance zur Teilnahme an der Livesendung eröffnet hätte bzw. ob es seitens des Senders Möglichkeiten gab, auch kurzfristig terminlich umzudisponieren, nachdem sich gerade bei Livesendungen stets – auch unvorhergesehene – Verhinderungen von Beteiligten ergeben bzw. sonstige Störungen eintreten können, die ein flexibles Umdisponieren verlangen.

bb) Nachdem das tatsächliche Vorbringen des Betroffenen im Terminverlegungsgesuch seines Verteidigers vom 03.05.2019 nebst den beigefügten Unterlagen hinreichend aussagekräftige Angaben zur Frage der unaufschiebbaren Dringlichkeit der Teilnahme des Betroffenen an der Livesendung vom 05.05.2019 vermissen ließ und diese auch keineswegs offenkundig war, sodass es solcher Angaben nicht bedurft hätte, war das Amtsgericht daher über die Unterrichtung des Verteidigers hinaus, dass es bei dem anberaumten Termin zur Hauptverhandlung verbleibe, zu keinen weitergehenden Maßnahmen, insbesondere nicht zur Einleitung freibeweislicher Ermittlungen zur Frage der Unaufschiebbarkeit des beruflichen Termins verpflichtet. Soweit in der Rechtsbeschwerdebegründung mit der Vorlage der beiden Email-Nachrichten vom 24.01.2019 sowie vom 10.05.2019 neuer Sachvortrag erfolgt ist, kann der Senat dieses Vorbringen – unbeschadet dessen, ob es geeignet gewesen wäre, das Fernbleiben des Betroffenen in der Hauptverhandlung zu entschuldigen bzw. zumindest die Verpflichtung des Gerichts zu weitere Aufklärung des geltend gemachten Verhinderungsfalles zu begründen – schon deshalb nicht berücksichtigen, weil es dem Amtsgericht nicht bekannt war und folglich seine Entscheidung, ob der Betroffene genügend entschuldigt sei oder ob dies jedenfalls weiterer Aufklärung bedurfte, nicht beeinflussen konnte (BayObLG NStZ 2003, 98).“

Hätte man m.E. auch anders lösen können. Wollte man aber wohl nicht.

Entbindung I: Klassiker abgelehnter Entbindungsantrag, oder: Kennzeichenanzeige

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Heute dann ein Entbindungs-/Verwerfungstag, also §§ 73, 74 OWiG. Und den beginne ich mit dem KG, Beschl. v. 07.11.2017 – 3 Ws (B) 309/17. Hängt schon ein wenig länger bei mir, passt aber heute ganz gut. Es ist der Klassiker: Abgelehnter Entbindungsantrag und dann Verwerfung durch das AG:

„2. Die Rüge ist auch begründet. Das Amtsgericht hätte den Betroffenen von der Verpflichtung, in der Hauptverhandlung persönlich erscheinen zu müssen, entbinden müssen. Dazu ist es nach § 73 Abs. 2 OWiG verpflichtet, wenn der Betroffene sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, steht die Entscheidung nicht im Ermessen des Gerichts; vielmehr ist dem Antrag zu entsprechen (vgl. Senat in std. Rspr., Beschlüsse vom 5. Juni 2014 und vom 8. Juni 2011 jeweils aaO sowie VRS 111, 146; Beschlüsse vom 5. Oktober 2007 – 3 Ws (B) 522/07 – und 2. August 2006 – 3 Ws (B) 395/06 –; OLG Dresden DAR 2005, 460).

Die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG lagen hier vor.

Der Betroffene hat beantragt, von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen nach §§ 73, 74 OWiG entbunden zu werden. Außerdem hat er unmissverständlich erklärt, in der Hauptverhandlung keine Erklärung abzugeben. Und schließlich verband sich mit der Anwesenheit des – schweigenden – Betroffenen nicht die Erwartung, dass der Sachverhalt aufgeklärt werden konnte. Denn der Betroffene hatte seinen zur Hauptverhandlung geladenen Neffen als – möglichen – Fahrer benannt. Das angefochtene Urteil bezeichnet demgegenüber keine konkreten Umstände, warum die Anwesenheit des Betroffenen zur Aufklärung des Sachverhalts hätte beitragen können. In Betracht käme insoweit, dass der Betroffene durch den Anzeigenerstatter beim Abparken des Fahrzeugs beobachtet wurde oder sich als Fahrer zu erkennen gegeben hat und in der Hauptverhandlung hätte wiedererkannt werden können. Die Rechtsmittelschrift legt aber dar, dass dem Verfahren eine Kennzeichenanzeige zugrunde liegt. Der Senat hat diese Verfahrenstatsache in der Akte bestätigt gefunden und hält es demzufolge für fernliegend, dass der Betroffene in der Verhandlung wiedererkannt worden wäre oder seine Anwesenheit anderweitig zur Aufklärung des Sachverhalts hätte beitragen können.“