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OWi III: Verwerfung des Einspruchs des „entbundenen“ Betroffenen, oder: „Blöd oder faul“?

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Und wenn wir schon von Experten reden, dann haben wir hier beim AG Güstrow noch einen. Denn da hat ein Richter (am AG [?]) den Betroffenen vom Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden, (§ 73 Abs. 2 OWiG), dann aber mal eben schnell den Einspruch des Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, als der Betroffene dann – entschuldigt !!!! – in der Hauptverhandlung nicht erscheint.

Dass die Rechtsbeschwerde ein „Selbstläufer“ ist, liegt auf der Hand. Die erledigt das OLG im OLG Rostock, Beschl. v. 04.11.2019 – 21 Ss OWi 286/19 (B) – mit links 🙂 :

„Auf die zulässig erhobene Verfahrensrüge  286/1des Betroffenen war das Urteil des Amtsgerichts Güstrow vom 20.08.2019 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Güstrow zurückzuverweisen (§§ 79 Abs. 3 OWiG iVm § 349 Abs. 4 StPO). Das Amtsgericht hat den Betroffenen durch Beschluss vom 07.06.2019 von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gemäß § 73 Abs. 2 OWiG entbunden (BI. 32 d.A.). Dennoch hat das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid durch Urteil vom 20.08.2019 mit der Begründung verworfen, er sei unentschuldigt zur Hauptverhandlung nicht erschienen. Zutreffend führt die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 24.10.2019 aus, dass das Amtsgericht damit den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.“

Wenn man es liest, fragt man sich – drastisch ausgedrückt: Blöd oder faul? „Blöd“ würde stimmen, wenn der Amtsrichter nicht weiß, dass das nicht geht, „faul“ würde stimmen, wenn er seine eigenen Akten nicht kennt. Ich weiß nicht, was schlimmer ist.

OWi I: Terminsverlegung aus beruflichen Gründen?, oder: Nicht mit uns

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Heute mache ich dann noch einmal einen Entbindungs-/Verwerfungstag, also §§ 73, 74 OWiG. Die Entscheidungen, die ich vorstelle, kommen mal wieder alle drei vom BayObLG. Ich weiß, das verspricht nichts unbedingt Gutes, es lässt sich aber nicht ändern.

Ich eröffne mit dem BayObLG, Beschl. v. 15.10.2019 – 202 ObOWi 1768/19 – zur Frage der Darlegung der Verhinderung des Betroffenen, wenn dringende berufliche Gründe geltend gemacht werden, die der Teilnahme an der Hauptverhandlung entgegenstehen. Das AG hatte den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid – zum zweitenb Mal – wegen unerlaubter Abwesenheit verworfen. Die Rechtsbeschwerde hatte beim BayObLG keinen Erfolg:

„…………..Den hiergegen gerichteten Einspruch des Betroffenen verwarf das Amtsgericht mit Urteil vom 09.01.2019 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG, weil der Betroffene – ohne von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden worden zu sein – in der Hauptverhandlung vom 09.01.2019 unentschuldigt nicht erschienen sei. Auf die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen hob der Senat das Verwerfungsurteil des Amtsgerichts vom 09.01.2019 mit Beschluss vom 02.04.2019 auf und verwies die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurück, da es sich nicht hinreichend mit der Frage auseinandergesetzt hatte, ob es die prozessuale Fürsorgepflicht geboten hätte, dem Terminverlegungsgesuch des nach eigenem Bekunden akut erkrankten Verteidigers stattzugeben. Nach entsprechender Terminabsprache mit der Kanzlei des Verteidigers bestimmte das Amtsgericht mit Verfügung vom 10.04.2019 erneut Termin zur Hauptverhandlung auf 06.05.2019 um 08:10 Uhr. Die Terminsladung wurde dem Betroffenen sowie seinem Verteidiger jeweils am 12.04.2019 förmlich zugestellt. Mit am selben Tage bei dem Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom 02.05.2019 lehnte der Betroffene den zuständigen Richter am Amtsgericht wegen Besorgnis der Befangenheit ab und begründete dies mit der Ablehnung des Terminverlegungsgesuchs vom 09.01.2019. Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 03.05.2019, dem Verteidiger mitgeteilt per Telefax am selben Tage, wurde das Ablehnungsgesuch des Betroffenen vom 02.05.2019 als unbegründet zurückgewiesen. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 03.05.2019, welcher am 03.05.2019 (Freitag) um 11:46 Uhr bei dem Amtsgericht einging, beantragte der Betroffene, den auf 06.05.2019 (Montag) um 08:10 Uhr bestimmten Termin wegen beruflicher Verhinderung zu verlegen. Er sei als Fernsehkoch tätig und habe erstmals von seinem Sender die Chance bekommen, an der Livesendung vom 05.05.2019 teilzunehmen. Hierbei habe ihn der Sender als Fernsehkoch an eine Familie verlost, mit der er live vor der Kamera ein umfangreiches Menü koche. Daran schließe sich nach dem Ende der Livesendung um 19.30 Uhr der private Teil an, bei dem er den Gewinnern vereinbarungsgemäß den Rest des Abends „Open End“ zur Verfügung stehe. Würde er an diesem „bereits seit längerer Zeit gebuchten Termin“ nicht teilnehmen, sähe er sich einem erheblichen Imageschaden, aber auch dem drohenden Verlust künftiger beruflicher Chancen bei dem TV-Sender sowie erheblichen Schadensersatzansprüchen ausgesetzt. Seitens des Senders seien an der Livesendung ca. 50 Personen beteiligt. Dem Terminverlegungsgesuch waren umfangreiche schriftliche Unterlagen beigefügt, darunter die „Disposition“ des Senders (Stand 30.04.2019), aus welcher sich u.a. der genaue Ablauf der Fernsehproduktion ergibt, eine E-Mail Nachricht des Senders an den Betroffenen vom 30.04.2019 mit organisatorischen Hinweisen sowie einer unter dem 18.04.2019 erfolgten Buchungsbestätigung für ein elektronisches Flugticket, welches die Anreise von A. nach B. am 05.05.2019 und die Rückreise von B. nach A. am 06.05.2019 mit Ankunft in A. um 12.35 Uhr auswies. Am 03.05.2019 Uhr teilte das Amtsgericht dem Verteidiger um 12.35 Uhr per Telefax mit, dass es im Hinblick auf den Beschleunigungsgrundsatz bei dem auf 06.05.2019 um 08:10 Uhr anberaumten Hauptverhandlungstermin bleibe. Nachdem im Termin zur Hauptverhandlung vom 06.05.2019 weder der Betroffene noch sein Verteidiger erschienen waren, verwarf das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 10.09.2018 erneut gemäß § 74 Abs. 2 OWiG. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass dem Betroffenen die Terminsladung bereits am 12.04.2019 zugestellt worden sei, während die vorgelegten Unterlagen des TV-Senders erst vom 30.04.2019 datierten. Wenn dem Betroffenen die Teilnahme am Hauptverhandlungstermin derart wichtig sei, dass ein Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen nicht gestellt werde, sei es dem Betroffenen zumutbar, den privaten Teil der Veranstaltung zu einem Zeitpunkt zu verlassen, der ihm ein pünktliches Erscheinen zur Hauptverhandlung noch erlaubt hätte. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung von § 74 Abs. 2 OWiG und trägt im Wesentlichen vor, dass er sich bereits im Januar 2019 und damit lange vor Anberaumung des Gerichtstermins bzw. Zugang der Terminsladung am 12.04.2019 gegenüber dem TV-Sender vertraglich verpflichtet habe. Auch sei das Amtsgericht zu Unrecht davon ausgegangen, dass er die Veranstaltung sofort nach Ende des offiziellen Teils der Livesendung um 19:30 Uhr habe verlassen und an den Gerichtsort zurückreisen können. Das „Meet und greet“ im Anschluss an die Sendung sei von seinen vertraglichen Verpflichtungen umfasst gewesen, was er ebenfalls bereits im Verlegungsgesuch vorgebracht habe. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 22.08.2019 beantragt, auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen das Urteil des Amtsgerichts vom 06.05.2019 aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung nunmehr an einen anderen Richter des Amtsgerichts zurückzuverweisen……..

1. Ein Verstoß gegen § 74 Abs. 2 OWiG ist entgegen der Rechtsauffassung der Rechtsbeschwerde, welcher sich auch die Generalstaatsanwaltschaft München in ihrer Antragsschrift vom 22.08.2019 angeschlossen hat, nicht gegeben. Eine genügende Entschuldigung lag nicht vor……..

b) Für die Frage, ob eine berufliche Verhinderung einen Anspruch auf Terminsverlegung begründet bzw. als ausreichende Entschuldigung für das Nichterscheinen in der Hauptverhandlung anzusehen ist, gilt nach einhelliger obergerichtlicher Rechtsprechung, dass berufliche Verpflichtungen gegenüber der Pflicht, zu einem bestimmten Zeitpunkt bei Gericht erscheinen zu müssen, zurückzutreten haben (vgl. nur BayObLG NStZ 2003, 93; OLG Bamberg OLGSt OWiG § 74 Nr. 19; OLG Hamm, Beschl. v. 15.12.2011 – 5 RBs 185/11 bei juris; OLG Brandenburg NStZ 2014, 672; OLG Hamm, Beschl. v. 04.11.2015 – 1 RBs 162/12 = BeckRS 2015, 20270; vgl. auch Göhler/Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. § 74 Rn. 29). Dem Interesse des Betroffenen an der Erledigung beruflicher oder geschäftlicher Angelegenheiten ist nur dann ausnahmsweise der Vorrang einzuräumen, wenn die Angelegenheit unaufschiebbar und von besonderer Bedeutung ist, sodass auch bei Anlegung des gebotenen strengen Maßstabs das Verlangen, der gerichtlichen Ladung Folge zu leisten, bei einer Gesamtbetrachtung unzumutbar erscheint (Rebmann/Roth/Herrmann OWiG 3. Aufl. § 74 Rn. 15 m.w.N.). Bei der gebotenen Interessenabwägung sind insbesondere Art und Anlass der beruflichen Inanspruchnahme auf der einen Seite sowie Bedeutung des den Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens bildenden Vorwurfs und Beweislage auf der anderen Seite zu berücksichtigen. Liegen danach zwingende berufliche Gründe vor, die ein Erscheinen des Betroffenen vor Gericht unzumutbar machen, so ist einem entsprechenden Terminverlegungsgesuch zu entsprechen bzw. der Betroffene, der nach rechtsfehlerhafter Ablehnung des Gesuchs nicht zur Hauptverhandlung erscheint, als entschuldigt anzusehen (BayVerfGH, Beschl. v. 20.05.2003 – Vf.36-VI-02 bei juris; OLG Bamberg OLGSt OWiG § 74 Nr 19; KK/Sengea.O. § 74 Rn. 32).

c) Allerdings hat nur der Betroffene Kenntnis von etwaigen privaten oder beruflichen Hinderungsgründen, die das Gericht in seine Güterabwägung einzustellen hat. Deshalb hat er die Hinderungsgründe dem Gericht im Einzelnen zu unterbreiten, sofern sie nicht offenkundig sind. Dabei steht das Erfordernis, insoweit schlüssig einen Sachverhalt vorzutragen, der geeignet ist, das Ausbleiben genügend zu entschuldigen, im Einklang mit der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung, wonach ein Beschwerdeführer, um dem Gebot der Rechtswegerschöpfung als Voraussetzung für eine erfolgversprechende Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs zu genügen, alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen hat, um eine Grundrechtsverletzung zu verhindern, wozu auch gehört, dass er seiner prozessualen Darstellungslast durch rechtzeitigen Vortrag aller ihn begünstigenden Umstände entsprochen hat (vgl. BVerfG NJW 2005, 3769; NStZ-RR 2005, 346). Eine andere Sicht wäre auch mit Sinn und Zweck der Vorschrift des § 74 Abs. 2 OWiG, das Verfahren zu beschleunigen und den Betroffenen, der Einspruch eingelegt hat, darin zu hindern, die Entscheidung über sein Rechtsmittel nach Gutdünken zu verzögern, indem er der Verhandlung fernbleibt, nicht vereinbar. Bei derartigen Fallkonstellationen muss das mit dem Beschleunigungsgebot konkurrierende Streben nach einer möglichst gerechten Sachentscheidung mit der Folge zurücktreten, dass im Einzelfall auch ein möglicherweise sachlich unrichtiges Urteil in Kauf zu nehmen ist (BGHSt 23, 331/334; OLG Koblenz NJW 1975, 322f.; OLG Bamberg OLGSt § 329 Nr 29). Beruft sich ein Betroffener auf eine zwingende beruflich bedingte Verhinderung, so ist daher erforderlich, die Art der Geschäfte selbst, deren Wichtigkeit und ihre unaufschiebbare Dringlichkeit darzulegen, damit das Gericht beurteilen kann, ob das Vorbringen die Unzumutbarkeit des Erscheinens vor Gericht begründen kann, wenn es zutrifft (BayObLG, Beschl. v. 27.06.2002 – 2 ObOWi 268/02 = NStZ 2003, 98; OLG Bamberg, Beschl. v. 14.01.2009 – 2 Ss OWi 1538/08 = OLGSt OWiG § 74 Nr 19; OLG Hamm VRS 39, 208; KG VRS 58, 47, 50; OLG Karlsruhe VRS 89, 130, 131; vgl. auch Rebmann/Roth/Herrmann a.a.O.).

d) Nach diesen Maßstäben begegnet die Verwerfung des Einspruchs gemäß § 74 Abs. 2 OWiG nach vorangegangener Ablehnung des Terminverlegungsgesuchs durch das Amtsgericht im Ergebnis keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

aa) Während sich aus dem Terminverlegungsantrag des Betroffenen vom 03.05.2019 Art und Umfang der beruflichen Verpflichtung hinreichend ergeben und sich hieraus auch die erhebliche Bedeutung des Termins für das berufliche Fortkommen des Betroffenen zwanglos erschließt, entbehrt der Antrag indes hinreichender Tatsachen, aufgrund derer das Amtsgericht die Frage der unaufschiebbaren Dringlichkeit des Termins hätte beurteilen können. Entgegen dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde bleibt schon offen, ob der Betroffene seine Teilnahme an der Livesendung vom 05.05.2019 gegenüber dem Sender vor oder nach Erhalt der Ladungsverfügung am 12.04.2019 verbindlich zugesagt hat. Allein der Hinweis, es handele sich um einen „bereits seit längerer Zeit gebuchten Termin“, genügte insoweit nicht. Dem Amtsgericht war es auf solcher Grundlage nicht möglich, das Gewicht des konkreten Verhinderungsgrundes sowie die Möglichkeiten zu seiner Beseitigung zu beurteilen (vgl. auch KG, Beschl. v. 30.10.2000 – 2 Ss 242/00 bei juris), zumal sich den beigefügten Unterlagen hierzu lediglich entnehmen ließ, dass das Flugticket am 18.04.2019 um 17:23 Uhr gebucht worden war und die Einzelheiten der Livesendung dem Betroffenen – unter Übersendung des Flugtickets – am 30.04.2019 auf elektronischem Wege mitgeteilt worden waren. Nicht beigefügt waren dem Terminverlegungsgesuch vom 03.05.2019 die nunmehr mit der Rechtsbeschwerde vorgelegten Email-Nachrichten vom 24.01.2019 sowie vom 10.05.2019, mit denen belegt werden soll, dass der Betroffene die entsprechenden vertraglichen Verpflichtungen bereits im Januar 2019 eingegangen sein soll. Unabhängig vom Buchungszeitpunkt hätte es darüber hinaus in jedem Fall konkreter Darlegungen zur Unaufschiebbarkeit des Termins bedurft, d.h. zu der Frage, ob der Sender dem Betroffenen nicht auch zu einem anderen Zeitpunkt die Chance zur Teilnahme an der Livesendung eröffnet hätte bzw. ob es seitens des Senders Möglichkeiten gab, auch kurzfristig terminlich umzudisponieren, nachdem sich gerade bei Livesendungen stets – auch unvorhergesehene – Verhinderungen von Beteiligten ergeben bzw. sonstige Störungen eintreten können, die ein flexibles Umdisponieren verlangen.

bb) Nachdem das tatsächliche Vorbringen des Betroffenen im Terminverlegungsgesuch seines Verteidigers vom 03.05.2019 nebst den beigefügten Unterlagen hinreichend aussagekräftige Angaben zur Frage der unaufschiebbaren Dringlichkeit der Teilnahme des Betroffenen an der Livesendung vom 05.05.2019 vermissen ließ und diese auch keineswegs offenkundig war, sodass es solcher Angaben nicht bedurft hätte, war das Amtsgericht daher über die Unterrichtung des Verteidigers hinaus, dass es bei dem anberaumten Termin zur Hauptverhandlung verbleibe, zu keinen weitergehenden Maßnahmen, insbesondere nicht zur Einleitung freibeweislicher Ermittlungen zur Frage der Unaufschiebbarkeit des beruflichen Termins verpflichtet. Soweit in der Rechtsbeschwerdebegründung mit der Vorlage der beiden Email-Nachrichten vom 24.01.2019 sowie vom 10.05.2019 neuer Sachvortrag erfolgt ist, kann der Senat dieses Vorbringen – unbeschadet dessen, ob es geeignet gewesen wäre, das Fernbleiben des Betroffenen in der Hauptverhandlung zu entschuldigen bzw. zumindest die Verpflichtung des Gerichts zu weitere Aufklärung des geltend gemachten Verhinderungsfalles zu begründen – schon deshalb nicht berücksichtigen, weil es dem Amtsgericht nicht bekannt war und folglich seine Entscheidung, ob der Betroffene genügend entschuldigt sei oder ob dies jedenfalls weiterer Aufklärung bedurfte, nicht beeinflussen konnte (BayObLG NStZ 2003, 98).“

Hätte man m.E. auch anders lösen können. Wollte man aber wohl nicht.

Entbindung I: Klassiker abgelehnter Entbindungsantrag, oder: Kennzeichenanzeige

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Heute dann ein Entbindungs-/Verwerfungstag, also §§ 73, 74 OWiG. Und den beginne ich mit dem KG, Beschl. v. 07.11.2017 – 3 Ws (B) 309/17. Hängt schon ein wenig länger bei mir, passt aber heute ganz gut. Es ist der Klassiker: Abgelehnter Entbindungsantrag und dann Verwerfung durch das AG:

„2. Die Rüge ist auch begründet. Das Amtsgericht hätte den Betroffenen von der Verpflichtung, in der Hauptverhandlung persönlich erscheinen zu müssen, entbinden müssen. Dazu ist es nach § 73 Abs. 2 OWiG verpflichtet, wenn der Betroffene sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht äußern werde, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Liegen diese Voraussetzungen vor, steht die Entscheidung nicht im Ermessen des Gerichts; vielmehr ist dem Antrag zu entsprechen (vgl. Senat in std. Rspr., Beschlüsse vom 5. Juni 2014 und vom 8. Juni 2011 jeweils aaO sowie VRS 111, 146; Beschlüsse vom 5. Oktober 2007 – 3 Ws (B) 522/07 – und 2. August 2006 – 3 Ws (B) 395/06 –; OLG Dresden DAR 2005, 460).

Die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG lagen hier vor.

Der Betroffene hat beantragt, von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen nach §§ 73, 74 OWiG entbunden zu werden. Außerdem hat er unmissverständlich erklärt, in der Hauptverhandlung keine Erklärung abzugeben. Und schließlich verband sich mit der Anwesenheit des – schweigenden – Betroffenen nicht die Erwartung, dass der Sachverhalt aufgeklärt werden konnte. Denn der Betroffene hatte seinen zur Hauptverhandlung geladenen Neffen als – möglichen – Fahrer benannt. Das angefochtene Urteil bezeichnet demgegenüber keine konkreten Umstände, warum die Anwesenheit des Betroffenen zur Aufklärung des Sachverhalts hätte beitragen können. In Betracht käme insoweit, dass der Betroffene durch den Anzeigenerstatter beim Abparken des Fahrzeugs beobachtet wurde oder sich als Fahrer zu erkennen gegeben hat und in der Hauptverhandlung hätte wiedererkannt werden können. Die Rechtsmittelschrift legt aber dar, dass dem Verfahren eine Kennzeichenanzeige zugrunde liegt. Der Senat hat diese Verfahrenstatsache in der Akte bestätigt gefunden und hält es demzufolge für fernliegend, dass der Betroffene in der Verhandlung wiedererkannt worden wäre oder seine Anwesenheit anderweitig zur Aufklärung des Sachverhalts hätte beitragen können.“

„Ich habe keinerlei Vertrauen zu meinem Verteidiger, gebe ihm aber Vertretungsvollmacht, da das Gericht mir keinen Fahrtkostenzuschuss zahlt“

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Einen etwas ungewöhnlichen Sachverhalt behandelt der OLG Dresden, Beschl. v. 06.09.2017 – 1 OLG 24 Ss 6/17 -, den mir der Angeklagte des Verfahrens selbst übersandt hat. Der Angeklagte ist vom AG u.a. wegen Körperverletzung verurteilt worden. Dagegen wendet sich dieser mit der Verfahrensrüge, die Hauptverhandlung habe in unzulässiger Weise in seiner Abwesenheit stattgefunden (§ 338 Nr. 5 StPO).

Der Rüge liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

„Das Amtsgericht Dresden hatte in vorliegender Sache am 15. Januar 2016 das Hauptverfahren eröffnet und ab dem 26. Mai 2016 die Hauptverhandlung durchgeführt. Nachdem der Angeklagte im Termin vom 09. August 2016 nicht erschienen ist, hat das Amtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft Dresden mit Beschluss vom gleichen Tage gegen den Angeklagten wegen der oben genannten Taten gemäß § 408 a StPO einen Strafbefehl erlassen und gegen ihn eine Gesamtgeldstrafe von 100 Tagessätzen verhängt. Nach rechtzeitig eingegangenem Einspruch hat das Amtsgericht am 19. September 2016 erneut Hauptverhandlungstermin bestimmt. Mit Schreiben vom 18. August 2016 hat der Angeklagte hinsichtlich dieses Termins die Bewilligung eines Vorschusses für Fahrt- und Übernachtungskosten beantragt, da er jetzt in Bonn aufenthältlich sei. Aus einem Vermerk des Strafrichters vom 22. September 2016 ergibt sich, dass dieser Antrag beim Amtsgericht am 19. August 2016 eingegangen, aber erst am 15. September 2016 diesem vorgelegt worden ist. Eine Entscheidung über den Antrag ist nicht erfolgt. Den Hauptverhandlungstermin am 19. September 2016 hat der Angeklagte nicht wahrgenommen. Allerdings hat er am 12. September 2016 seinem Verteidiger, Rechtsanwalt pp1, eine schriftliche Vertretungsvollmacht folgenden Inhalts ausgestellt:

„Herr pp. erteilt Herrn Rechtsanwalt pp1 aus Dresden schriftliche Vertretungsvollmacht in dem Verfahren vor dem Amtsgericht Dresden – Strafrichter – mit dem Aktenzeichen 231 Ds 301 Js 24500/14.

Diese Vollmacht ermächtigt nicht zur – Rücknahme, Beschränkung und Verzicht von Rechtsmitteln und Rechtsbehelfen – Abgabe von Erklärungen zur Sache.

Der Vollmachtgeber erklärt ausdrücklich: Ich habe keinerlei Vertrauen zu Rechtsanwalt pp1. Die Erteilung der Vertretungsvollmacht dient nur dem Zweck der Verhinderung nachteiliger Folgen für das Ausbleiben in der Hauptverhandlung (§ 411 Abs. 2 StPO). Der Vollmachtgeber hält die Rüge, unverteidigt im Sinne des § 338 Nr. 7 StPO zu sein, vollumfänglich aufrecht.

Der Vollmachtgeber möchte nach wie vor von einem ersuchten Richter vernommen werden, § 233 StPO.

Zur Erteilung der Vertretungsvollmacht sieht sich der Vollmachtgeber durch das Gericht genötigt, da auch ein Fahrtkostenvorschuss bisher nicht ausgezahlt worden ist oder das Amtsgericht Bonn angewiesen worden ist, Fahrkarten auszustellen.“

Die Hauptverhandlung fand in Abwesenheit des Angeklagten statt. Ein Aussetzungsantrag der Verteidigung wurde nicht verbeschieden.“

Das OLG hebt auf:

Das Amtsgericht hätte nicht in Abwesenheit des Angeklagten zur Sache verhandeln dürfen, da die Voraussetzungen des § 41 1 Abs. 2 Satz 1 StPO nicht gegeben waren. Danach kann sich der Angeklagte zwar in der Hauptverhandlung durch einen Verteidiger mit schriftlicher Vertretungsvollmacht vertreten lassen. Das Erscheinen des Vertreters ermöglicht aber nicht die Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten, der seinen Willen, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, deutlich zum Ausdruck gebracht hat (OLG Karlsruhe StV 1986, 289; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 60. Aufl. § 411 Rdnr. 4).

So liegt der Fall aber hier. Zwar liegt eine schriftliche Vertretungsvollmacht für den Verteidiger Rechtsanwalt pp1. Dieser ist aber zu entnehmen, dass der Angeklagte sie nur deshalb ausgestellt hat, weil er negative Folgen hinsichtlich eines Ausbleibens im Hauptverhandlungstermin, den er aufgrund der ausstehenden Gewährung eines Fahrtkostenvorschusses und der ihm dadurch nicht möglichen Anreise von Bonn nicht wahrnehmen könne, befürchtete. Damit ergibt sich aber, dass der Angeklagte die Absicht hatte, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, so dass das Amtsgericht jedenfalls nicht hätte verhandeln dürfen, ohne den rechtzeitig vor der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Fahrtkostenzuschuss zu verbescheiden. Eine Verhandlung in dessen Abwesenheit gemäß § 41 1 Abs. 2 Satz 1 StPO kam vor diesem Hintergrund nicht in Betracht. Die Verhandlung in Abwesenheit des Angeklagten verstößt danach gegen § 338 Nr. 5 StPO, wonach ein Urteil stets auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen ist, wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat. Das Urteil unterliegt bereits aus diesem Grunde der Aufhebung, so dass es auf die vom Angeklagten weiter erhobene Verfahrensrüge und die ebenfalls erhobene Sachrüge nicht mehr ankommt.“

Verwerfung III: „Musst nicht zum Termin kommen“ kann als Entschuldigung reichen…

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In Verwerfung III geht es dann nicht um die Berufungsverwerfung nach § 329 StPO (vgl. dazu den OLG Frankfurt, Beschl. v. 02.11.2015 – 1 Ss 322/15 und dazu: Verwerfung I: Nachforschen muss das LG, oder: So einfach ist das nicht…. sowie den OLG Köln, Beschl. v. 24.06.2016 – 1 RVs 114/16) sondern um die Verwerfung des Einspruchs im Bußgeldverfahren nach § 74 Abs. 2 OWiG. Aber die Problematik unterscheidet sich nicht von der des § 329 Abs. 1 StPO, so dass der OLG Frankfurt, Beschl. v. 06.05.2016 – 2 Ss-OWi 222/16 – gut in diese Serie passt. Das OLG beanstandet, dass das AG keinerlei Ausführungen zu den Entschuldigungsgründen gemacht hat:

Da das Rechtsbeschwerdegericht bei einem Verwerfungsurteil nach § 74 Abs. 2 OWiG allein anhand der mitgeteilten Umstände prüft, ob das Amtsgericht den Begriff der genügenden Entschuldigung verkannt hat, müssen darin die Umstände, die nach Auffassung des Betroffenen sein Ausbleiben entschuldigen sollten, ebenso ausführlich und vollständig enthalten sein wie die Erwägungen des Tatrichters, sie nicht als Entschuldigung anzusehen. Diesen Anforderungen genügt das Verwerfungsurteil nicht. Ein damit gegebener Begründungsmangel ist allenfalls dann unschädlich, wenn die von dem Betroffenen vor Erlass des Urteils vorgebrachten Entschuldigungsgründe von vornherein und offensichtlich ungeeignet wären, sein Fernbleiben zu entschuldigen.

Vorliegend sind den Urteilsgründen keinerlei Feststellungen zu den vorgebrachten Entschuldigungsgründen sowie zu den Erwägungen zu entnehmen, aus welchen Gründen das Amtsgericht das Entschuldigungsvorbringen nicht als ausreichend angesehen hat.

Die Ablehnung des Terminverlegungsantrags vom 14.09.2015, der dem Amtsgericht im Termin vorlag, in den Urteilsgründen geht nicht auf die im Schriftsatz enthaltene Mitteilung ein, der Mandant sei darüber informiert worden, dass er nicht zum Termin anreisen müsse. Dieser Begründungsmangel ist nicht deshalb unschädlich, weil das Entschuldigungsvorbringen ohnehin für eine genügende Entschuldigung nicht ausreichend wäre. Die Mitteilung eines Verteidigers, dass eine Pflicht zum Erscheinen vor Gericht zu einem bestimmten Termin nicht bestehe., ist zwar nicht uneingeschränkt geeignet, ein Verschulden des Betroffenen auszuschließen. Sind Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit einer derartigen Mitteilung erkennbar, muss der Betroffene diesen gegebenenfalls durch Nachfrage bei Gericht nachgehen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 30.07.2014, VRS 127,164-165(2014)). Da sich das angefochtene Urteil indes zu dem Entschuldigungsvorbringen nicht verhält, kann der Senat nicht überprüfen, ob das Amtsgericht im vorliegenden Fall den Begriff der genügenden Entschuldigung verkannt hat.

Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Kassel zurückzuverweisen.