Als zweite Entscheidung stelle ich dann den BGH, Beschl. v. 24.06.2021 – 5 StR 67/21 – vor.
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Diebstahls einer etwa 100 kg schweren Goldmünze verurteilt – das ist also wohl der „Bode-Museum-Fall“. Dagegen die Revision, mit der einer der Angeklagten rügt „im Kern, dass die Aussage einer Zeugin zu seinen Lasten verwertet wurde.“. Ohne Erfolg.
„a) Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:
Während laufender Hauptverhandlung meldete sich zwischen zwei Hauptverhandlungstagen an einem Samstag die damalige Freundin des zum Tatvorwurf schweigenden Angeklagten R. , die Zeugin A. , von sich aus bei der Polizei. Sie hatte mit dem Angeklagten R. gestritten. Im Rahmen einer Vernehmung wegen häuslicher Gewalt machte sie Angaben dazu, dass der Angeklagte sich ihr gegenüber damit gebrüstet habe, am Diebstahl der Goldmünze beteiligt gewesen zu sein. Die Bereitschaftsstaatsanwältin wurde von der Polizei darüber informiert und beantragte eine richterliche Vernehmung der Zeugin. Vom Termin wurden weder die Angeklagten noch ihre Verteidiger noch die Mitglieder der erkennenden Kammer unterrichtet, sondern lediglich die zuständige Staatsanwaltschaft, woraufhin nach ca. einer Stunde eine Oberstaatsanwältin zur Vernehmung hinzukam und noch wenige Minuten an der Vernehmung teilnehmen konnte.
Die Zeugin gab an, dem Angeklagten gegenüber vorab angekündigt zu haben, sowohl zu Körperverletzungen als auch zum Diebstahl aus dem Museum gegen ihn bei der Polizei aussagen zu wollen. In der richterlichen Vernehmung belastete sie den Angeklagten erheblich und erläuterte detailliert, welche selbstbelastenden Angaben dieser ihr gegenüber gemacht, welche teuren Rolex-Uhren er „trotz Hartz IV“ erworben und welchen teuren Schmuck er ihr geschenkt habe. Die Ermittlungsrichterin erließ einen am Ende des Vernehmungsprotokolls wiedergegebenen Beschluss, wonach die Benachrichtigung des Angeklagten und der Verteidiger von der Zeugenvernehmung gemäß § 168c Abs. 5 Satz 2 StPO wegen Gefährdung des Untersuchungszwecks unterbleibe, weil nicht auszuschließen sei, dass die Angeklagten und die dahinterstehende Großfamilie Einfluss auf die Zeugin nehmen würden. Vier Tage später widerrief die Zeugin gegenüber der Polizei per SMS ihre belastenden Angaben. In einer polizeilichen Vernehmung erklärte sie am nächsten Tag, sie habe dem Angeklagten „eins auswischen“ wollen, nach einem Streit die Polizei zu sich nach Hause gerufen und dann Sachen erzählt, die sie sich ausgedacht habe.
Den Inhalt ihrer ehemals belastenden Angaben aus der ermittlungsrichterlichen Vernehmung hat die Zeugin ausweislich der Urteilsgründe in ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung geschildert. Hierauf hat sich das Landgericht bei seiner Beweiswürdigung als „weiteres gewichtiges Indiz“ zur Überführung des Angeklagten R. gestützt.
Die Revision wendet sich gegen die Verwertung dieser Angaben unter mehreren Gesichtspunkten: Die ermittlungsrichterliche Vernehmung der Zeugin sei mangels Zuständigkeit des Ermittlungsrichters verfahrenswidrig gewesen, rechtsfehlerhaft seien hiervon weder die Angeklagten noch ihre Verteidiger benachrichtigt worden und es habe keine Gelegenheit zur konfrontativen Befragung der Zeugin gegeben. Die Zeugin habe deshalb qualifiziert über die Unverwertbarkeit ihrer Angaben gegenüber der Ermittlungsrichterin belehrt werden müssen.
b) Einen durchgreifenden Rechtsfehler zeigt die Revision damit nicht auf.
aa) Es kann dahinstehen, ob die Rüge zulässig erhoben ist. Bedenken bestehen insoweit, als die Revision näheren Vortrag zur Ausgangssituation (Angaben der Zeugin A. in Zusammenhang mit ihrer Anzeige wegen häuslicher Gewalt gegenüber der Polizei) vermissen lässt und teilweise auch die konkrete Angriffsrichtung der Rüge unklar bleibt.
bb) Die Verfahrensrüge ist jedenfalls unbegründet. Die Angaben der Zeugin A. zu ihrer ermittlungsrichterlichen Vernehmung waren entgegen der Auffassung der Revision nicht unverwertbar, so dass es nicht darauf ankommt, dass in der Hauptverhandlung nach dem insoweit relevanten Protokoll (vgl. § 274 Satz 1 StPO; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 273 Rn. 7) kein Widerspruch gegen die Verwertung erhoben wurde.
Da sich die Zeugin mit ihrem Aussagebegehren von sich aus an die Polizei gewandt hat, liegt zunächst kein Fall einer – lediglich bei Störung der Hauptverhandlung problematischen – Nachermittlung zur Sache durch die Staatsanwaltschaft vor (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 7. Mai 2019 – 5 StR 623/18; Urteil vom 1. Februar 1955 – 1 StR 691/54; RGSt 60, 263; zur Problematik insgesamt auch KK-StPO/Schneider, 8. Aufl., § 202 Rn. 9 f.; MüKo-StPO/Wenske, § 202 Rn. 6; MüKo-StPO/Kölbel, § 160 Rn. 75; MüKo-StPO/Brocke, § 150 GVG Rn. 11 ff.; Schneider, NStZ 2010, 54 f.; Strauß, NStZ 2006, 556; Hildenstab NStZ 2008, 249; Strate, StV 1985, 337; Odenthal, StV 1991, 441; Mosbacher, JuS 2020, 128 f.).
Zwar beließ es die Bereitschaftsstaatsanwältin anschließend nicht bei der polizeilichen Vernehmung der Zeugin, sondern beantragte deren ermittlungsrichterliche Vernehmung zu einem Thema der bereits laufenden Hauptverhandlung. Der Senat kann offenlassen, ob sich dieses Vorgehen als rechtsfehlerhaft darstellt, wogegen die ersichtliche Eilbedürftigkeit sprechen könnte (vgl. zur Problematik KK-StPO/Griesbaum, 8. Aufl., § 162 Rn. 14 aE; KK-StPO/Schneider, 8. Aufl., § 202 Rn. 10; LR-Erb, StPO, 27. Aufl., § 162 Rn. 5; LR-Stuckenberg, StPO, 27. Aufl., § 202 Rn. 8, jeweils mwN). Denn die Zeugin wollte ihre Aussage unbedingt am Samstag machen; gerade in Fällen der von der Zeugin behaupteten häuslichen Gewalt ist eine Aussagebereitschaft häufig nur situativ vorhanden, was schnelles Handeln unter Einschaltung des Ermittlungsrichters zur Beweissicherung erfordern kann (vgl. zur Problematik näher Jaklin, NStZ 2021, 70; Mosbacher, JuS 2008, 688). Aus einem möglichen Verstoß gegen die Zuständigkeitsbestimmung des § 162 Abs. 3 Satz 1 StPO (vgl. OLG Stuttgart MDR 1983, 955) würde kein Beweisverwertungsverbot folgen, da eine polizeiliche Vernehmung der von sich aus aussagebereiten und insoweit gleichermaßen zur Wahrheit verpflichteten Zeugin ohne weiteres möglich war und damit der Vernehmungsinhalt hypothetisch auch auf diese Weise hätte erlangt werden können.
Der Senat kann auch offenlassen, ob der Ausschluss der Angeklagten und Verteidiger von der Vernehmung rechtsfehlerhaft war. Eine umfassende Unverwertbarkeit derjenigen Angaben der Zeugin in der Hauptverhandlung, die sich auf ihre Vernehmung vor der Ermittlungsrichterin beziehen, würde sich daraus nicht ergeben. Wegen eines Verstoßes gegen § 168c StPO fehlerhaft zustande gekommene richterliche Vernehmungen dürfen ohnehin als nichtrichterliche Vernehmung in die Hauptverhandlung eingeführt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 24. April 2019 – 4 StR 16/19, NStZ-RR 2019, 222 mwN). Dabei ist – unter Beachtung der §§ 250 ff. StPO – nicht nur die Verlesung derartiger Vernehmungsprotokolle möglich, sondern erst recht können Vernehmungspersonen über den Inhalt der Vernehmung als Zeugen gehört werden (BGH, Beschluss vom 31. Januar 2001 – 3 StR 237/00, StV 2002, 584 m. Anm. Wohlers). Nichts anderes gilt für die Vernehmung der Aussageperson selbst, sofern sie als Zeugin über den Inhalt ihrer früheren Vernehmung berichtet. Dass die Strafkammer den Angaben der Zeugin in der Hauptverhandlung zu ihrer früheren Vernehmung im Rahmen der Beweiswürdigung eine besondere Bedeutung hätte zukommen lassen, weil diese vor einer richterlichen Vernehmungsperson statt vor der Polizei gemacht worden waren (vgl. BGH aaO), ist nicht ersichtlich. Eine Rüge mit der Stoßrichtung, insoweit sei kein ausdrücklicher Hinweis erfolgt (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 1997 – 5 StR 234/96, NStZ 1998, 312, 313), ist nicht erhoben.
Nach alledem bestand auch für die von der Revision geforderte „qualifizierte Belehrung“ der Zeugin kein Anlass.
Weil es vorliegend nicht um die Ersetzung der Vernehmung einer Zeugin durch Einführung ihrer Aussage vor dem Ermittlungsrichter ohne weitere Befragungsmöglichkeit in der Hauptverhandlung geht, sondern lediglich um die Einführung der Vernehmungsinhalte durch Vernehmung der Zeugin in der Hauptverhandlung, besteht kein Konflikt mit dem Konfrontationsrecht (Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK).“
Aber:
„2. Da das Revisionsverfahren durch eine Nr. 167 RiStBV widersprechende Zurückstellung der Aktenübersendung nach Eingang der Revisionsbegründungsschriften um etwa fünf Monate rechtsstaatswidrig verzögert wurde, stellt der Senat dies fest; einer weiteren Kompensation des Verstoßes bedarf es unter den vorliegenden Umständen nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – 5 StR 539/20). Der lediglich geringfügige Teilerfolg lässt es nicht unbillig erscheinen, die Angeklagten mit den gesamten Kosten ihrer jeweiligen Revisionen zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).“