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Wenn das Verfassungsgericht zweimal eingreifen muss, oder: Wenn die Pauschgebühr immer noch zu gering ist

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Im RVG-Pool tummelt sich heute zunächst ein Beschluss des VerfGH Berlin.

Bei dem VerfGH Berlin, Beschl. v. 12.05.2020 – VerfGH 175/20 handelt es sich um eine in meinen Augen bemerkenswerte Entscheidung. Der VerfGH Berlin hat nämlich in einem „Kampf“ um eine Pauschgebühr nach § 51 RVG das KG zum zweiten Mal gerügt. Das KG hatte bereits einmal die vom Pflichtverteidiger beantragte Pauschgebühr nicht gewährt. Das hat der VerfGH mit dem VerGH Berlin, Beschl. v. 22.04.2020 – VerfGH 177/19 – als verfassungswidrig beanstandet.

Das Verfahren ist dann fortgesetzt worden. Der Bezirksrevisor hat eine ergänzende Stellungnahme abgegeben und dabei im Wesentlichen an seiner ersten Stellungnahme festgehalten. Der Rechtsanwalt hat nunmehr eine Pauschgebühr nur für das Vorverfahren in Höhe von 25.000,00 EUR beantragt. Das KG hat für das Vorverfahren eine Pauschgebühr in Höhe von 812,50 EUR, 127,50 EUR mehr als die bereits bewilligten Gebühren in Höhe von 685,- EUR bewilligt. Es hat jetzt zwar die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG nach erneuter Prüfung bejaht. Aber: Mehr als diesen Betrag gebe es nach einer Gesamtschau der im Vorverfahren und im Hauptverfahren erworbenen Gebührenansprüche nicht. Im Rahmen einer solchen Gesamtbetrachtung verbleibe ein nicht kompensierter Zeitaufwand für die aufwändigere Tätigkeit des Beschwerdeführers im Vorverfahren. Es sei aber nicht erkennbar, dass der Beschwerdeführer im Vorverfahren in außergewöhnlichem Umfang beansprucht und seine Arbeitskraft überwiegend gebunden gewesen sei.

Das gefällt dem VerfGH erneut nicht:

„Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg. Der Beschluss des Kammergerichts verstößt gegen Art. 1 Abs. 2 VvB i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG und verletzt dadurch den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 7 VvB (1.). Das Kammergericht hat zudem bei der Bemessung der Pauschgebühr die Bedeutung und Tragweite der Berufsfreiheit des Beschwerdeführers aus Art. 17 VvB verkannt (2.).

1. Das Kammergericht hat die Bindungswirkung des Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes vom 22. April 2020 nicht hinreichend berücksichtigt und daher gegen Art. 1 Abs. 2 VvB i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG verstoßen. Dies stellt eine Verletzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 7 VvB dar.

Nach § 30 VerfGHG binden die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes die Verfassungsorgane sowie die Gerichte und Behörden des Landes Berlin. Das Bundesverfassungsgericht hat für die vergleichbare Bestimmung in § 31 Abs. 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht – BVerfGG – entschieden, dass die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts eine über den Einzelfall hinausgehende Bindungswirkung insofern entfalten, als die sich aus dem Tenor und den tragenden Gründen der Entscheidung ergebenden Grundsätze für die Auslegung der Verfassung von den Gerichten in allen künftigen Fällen beachtet werden müssen (BVerfG, Beschluss vom 1. Juli 2020 – 1 BvR 2838/19 -, juris Rn. 13). Dabei sind die den Tenor tragenden Entscheidungsgründe jene Rechtssätze, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck kommenden Gedankengang entfällt. Nicht tragend sind dagegen bei Gelegenheit der Entscheidung gemachte Rechtsausführungen, die außerhalb des Begründungszusammenhangs stehen. Bei der Beurteilung, ob ein tragender Grund vorliegt, ist von der niedergelegten Begründung in ihrem objektiven Gehalt auszugehen (BVerfG, Beschluss vom 18. Januar 2006 – 2 BvR 2194/99 -, juris Rn. 31). Die Nichtbeachtung der Bindungswirkung stellt einen Verstoß der in Art. 20 Abs. 3 GG statuierten Bindung der Rechtsprechung an Recht und Gesetz dar (BVerfG, Beschluss vom 10. Juni 1975 – 2 BvR 1018/74 -, juris Rn. 14).

Ein den Tenor tragender Entscheidungsgrund liegt in der Feststellung des Verfassungsgerichtshofes, wonach die weit überdurchschnittliche Inanspruchnahme im vorbereitenden Verfahren nicht durch einen unterdurchschnittlichen Umfang oder eine unterdurchschnittliche Schwierigkeit des Hauptverfahrens vor dem Schwurgericht kompensiert wurde. Soweit das Kammergericht erklärt, dass die Frage einer Gesamtbetrachtung der im Vorverfahren und im Hauptverfahren erworbenen Gebührenansprüche und die Möglichkeit einer Kompensation neu zu bewerten seien, stellt dies eine Missachtung der Bindungswirkung dar.

Ein weiterer den Tenor tragender Entscheidungsgrund findet sich in der Feststellung des Verfassungsgerichtshofes, dass die Stellung des Mandanten als Hauptbelastungszeuge im Zusammenhang mit verschiedenen Tatkomplexen bei der Bewertung der weit überdurchschnittlichen Bindung des Beschwerdeführers im vorbereitenden Verfahren zu berücksichtigen war. Soweit das Kammergericht annimmt, die Vernehmung des Mandanten als Zeuge in anderen Verfahren sei keine verfahrensbezogene Tätigkeit und könne daher für die Bewilligung der Pauschgebühr nicht berücksichtigt werden, verletzt es die Bindungswirkung des Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes.

Schließlich hat der Verfassungsgerichtshof bindend festgestellt, dass der Beschwerdeführer in der Bearbeitung anderer Mandate durch das Vorverfahren „erheblich eingeschränkt“ und „überdurchschnittlich gebunden“ gewesen ist. Soweit das Kammergericht erklärt, der Beschwerdeführer sei durch seine Inanspruchnahme im Vorverfahren nicht übermäßig belastet gewesen, liegt hierin ein weiterer Verstoß gegen die Bindungswirkung.

Auf diesen gegen die Bindungswirkung des Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes verstoßenden Feststellungen beruht die Annahme des Kammergerichts, für das Vorverfahren sei keine über den Betrag von 812,50 Euro hinausgehende Pauschgebühr zu bewilligen.

2. Das Kammergericht hat bei der Höhe der Bemessung der Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG Bedeutung und Tragweite der Berufsfreiheit des Beschwerdeführers verkannt.

Die Pflichtverteidigerbestellung ist ein Eingriff in die durch die Verfassung von Berlin grundrechtlich geschützte Berufsausübung (vgl. zu Art. 12 Abs. 1 GG: BVerfG, Beschlüsse vom 1. Februar 2005 – 2 BvR 2456/04 -, juris Rn. 4 und vom 28. April 1975 – 2 BvR 207/75 -, juris Rn. 12). Der Eingriff dient der Sicherung der Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens und damit dem Gemeinwohl. Zweck der Pflichtverteidigung ist es, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass Beschuldigte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhalten und das Verfahren ordnungsgemäß abläuft. Der Gesetzgeber hat die im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe der Pflichtverteidigung nicht als eine vergütungsfrei zu erbringende Ehrenpflicht angesehen, sondern dem Pflichtverteidiger eine Vergütung zuerkannt. Dass sein Vergütungsanspruch unter den gesetzlichen Rahmenhöchstgebühren des Wahlverteidigers liegt, ist durch einen im Sinne des Gemeinwohls vorgenommenen Interessenausgleich, der auch das Interesse an einer Einschränkung des Kostenrisikos berücksichtigt, gerechtfertigt, sofern die Grenze der Zumutbarkeit für den Pflichtverteidiger gewahrt ist. Das Grundrecht des Pflichtverteidigers auf freie Berufsausübung gebietet in besonders umfangreichen oder besonders schwierigen Verfahren, seiner Inanspruchnahme Rechnung zu tragen und ihn entsprechend zu vergüten. § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG soll dies sicherstellen (BVerfG, Beschlüsse vom 1. Juni 2011 – 1 BvR 3171/10 -, juris Rn. 17 f. und vom 20. März 2007 – 2 BvR 51/07 -, juris Rn. 3 f. jeweils m. w. N.; s. a. BT-Drs. 15/1971 S. 201). Nach dieser Vorschrift ist in Strafsachen dem gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt für das ganze Verfahren oder für einzelne Verfahrensabschnitte auf Antrag eine Pauschgebühr zu bewilligen, die über die Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis hinausgeht, wenn die in den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses bestimmten Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit nicht zumutbar sind.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 22. April 2020 ausführlich dargestellt, dass dem Beschwerdeführer ein unzumutbares Sonderopfer wegen der Zuerkennung einer zu geringen Gebühr für das Vorverfahren auferlegt und sein Grundrecht aus Art. 17 VvB dadurch verletzt wurde. Ein solches Sonderopfer liegt auch nach der nunmehr geringfügig über der Pflichtgebühr liegenden Pauschgebühr von 812,50 Euro vor. Ein Mehrbetrag von lediglich 127,50 Euro ist nicht geeignet, das vom Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 22. April 2020 dargestellte unzumutbare Sonderopfer durch den erhöhten Aufwand im Vorverfahren auszugleichen. Hierbei ist zu berücksichtigten, dass die Wahlanwaltshöchstgebühren für das gesamte Verfahren laut der Stellungnahme des Bezirksrevisors vom 9. Juli 2019 84.962,50 Euro und damit mehr als das Doppelte der dem Beschwerdeführer bislang gewährten Gebühren betragen.“

Wie gesagt: Bemerkenswert – gelinde ausgedrückt.