Und zum Tagesschluss ein kleines Schmankerl, und zwar in doppelter Hinsicht.
Denn bei dem vorgestellten LG Potsdam, Beschl. v. 07.07.2021 – 25 Qs 42/21 -, den mir der Kollege Kappler jetzt erst – der Kollege ist schon zur Ordnung gerufen 🙂 – geschickt hat, handelt es sich um etwa die 7.000 Entscheidung, die ich auf meiner Homepage eingestellt habe. Und das ist dann schon eine „Anmerkung“ wert.
Die erste Entscheidung war übrigens der OLG Bamberg, Beschl. v. 25.02.2010 – 3 Ss OWi 206/10 zur Verwertbarkeit der Videomessung. Die habe ich am 14.03.2010 eingestellt. Seitdem ist dann doch reichlich Zeit verstrichen; von der Problematik der Vewertbarkeit einer Videomessung spricht übrigens heute kaum noch einer. 🙂
Das war also das erste Schmankerl. Und das zweite Schmankerl ist dann der Sachverhalt der Entscheidung. Es geht mal wieder um die Entziehung der Fahrerlaubnis nach den §§ 111a StPO, 69 StGB, und zwar wegen Sekundenschlafs. Die StA legt dem Beschuldigten zu Last, er sei am Steuer eingenickt und habe, als er beim Aufwachen ein parkendes Fahrzeug auf seiner Fahrbahn bemerkt habe, in einer Ausweichbewegung die Kontrolle über das Fahrzeug verloren und zwei parkende Fahrzeuge auf der gegenüberliegenden Seite sowie den Bordstein beschädigt. Also: Verstoß gegen § 315c Abs. I Nr. 1 b, Abs. 3 Nr. 1 StGB. Insoweit nichts Besonderes.
Aber: Das LG hat die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis durch das AG aufgehoben, mit einer dann doch bemerkenswerten Begründung:
„Die Kammer teilt zunächst die Einschätzung des Amtsgerichts, dass ein dringender Tatverdacht vorliegt. Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen, insbesondere der Zeugenaussagen und der Einlassung des Beschuldigten selbst, erscheint es als sehr wahrscheinlich, dass der Beschuldigte zum Unfallzeitpunkt infolge der Übermüdung und der Strapazen des Fastens nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen. Zwar führt nicht jegliche Ermüdung eines Kraftfahrers zur Bejahung der (vorsätzlichen) Begehung des § 315c I Nr. lb StGB. Zu verlangen ist vielmehr ein Zustand, der für den Beschuldigten die erkennbare Erwartung eines nahenden Sekundenschlafes mit sich bringt (vgl. LG Traunstein, Beschluss vom 8. 7. 2011 – 1 Qs 225/11). Zu Recht weist das Amtsgericht daraufhin, dass ein plötzliches Blackout ohne Vorankündigung unter den Gegebenheiten der Tat, insbesondere des langen Fastens, lebensfremd ist.
Es liegen jedoch besondere Umstände vor, von der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis ausnahmsweise abzusehen, da der Beschuldigte unwiderlegbar vorgebracht hat, infolge des ihm nach religiösen Vorschriften auferlegten Fastens während des Fastenmonats Ramadan habe zum Tatzeitpunkt eine Unterzuckerung vorgelegen.
Dem Gericht ist aus eigener Anschauung bekannt, dass Ursache für eine Unterzuckerung eine fehlende Mahlzeit in Verbindung mit körperlicher Anstrengung sein kann. In der Folge treten dann die typischen Symptome für Unterzuckerung wie Schwitzen, Zittern oder Schwindel auf. Ein Unterzucker bedeutet für den Organismus großen Stress. Der Körper muss vor allem die Versorgung des Gehirns sicherstellen, das auf Glukose als Energieträger zwingend angewiesen ist. Dazu beschleunigt er die Glykogenolyse (Zerlegung von Glykogen in Glukose) und die Zuckerneubildung (Gluconeogenese). Das wird dadurch erreicht, dass die Nebennieren vermehrt die Stresshormone Kortisol und Adrenalin ins Blut abgeben. In der Folgen entwickeln sich die typischen Symptome von Unterzucker: Schwindelgefühle, innere Unruhe und Reizbarkeit, plötzliches Schwitzen (Kaltschweißigkeit), Zittern, Hautblässe, Herzrasen und Blutdruckanstieg. Die Unterversorgung des Gehirns mit Glukose kann auch neurologische Symptome verursachen, und zwar bei fortschreitender Unterzuckerung.
Anzeichen sind dann: Kopfschmerzen, Müdigkeit und Kraftlosigkeit, Konzentrationsstörungen und Desorientiertheit, Sprachstörungen, Missempfindungen, selten sogar Lähmungserscheinungen, Bewusstlosigkeit, Ohnmacht, Krampfanfälle, Koordinationsprobleme. Diese Probleme können auch sehr plötzlich auftreten.
Dass die Unterzuckerung auf andere, dem Beschuldigten bekannte Gründe zurückzuführen ist, kann derzeit nicht festgestellt werden. Die Fastenzeit ist beendet Das Bundeszentralregister weist keine Eintragungen zu Verkehrsdelikten auf.
Es liegen deshalb ernsthafte Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich um eine Ausnahmesituation gehandelt hat. Eine Wiederholung und weitere Gefährdung der Allgemeinheit ist demnach – jedenfalls in dem hier maßgeblichen Zeitraum bis Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfindung – nicht zu befürchten.
Eine Abwendung von Gefahren erscheint hier deswegen bis zu einer endgültigen Klärung der Tatumstände im Rahmen der Hauptverhandlung nicht erforderlich. Die vorläufige Entziehung ist damit unverhältnismäßig. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB als ausgeschlossen erscheint. Die Einschätzung, ob bei dem Beschuldigten rücksichtsloses Verhalten vorlag, das ihn dazu verleitet hat, trotz Anzeichen körperlicher Schwäche am Steuer zu bleiben, bleibt den Erkenntnismöglichkeiten der Hauptverhandlung vorbehalten.“
„Interessant“ auch die Formulierung: „Dem Gericht ist aus eigener Anschauung bekannt….“. 😀
Gerade noch rechtzeitig zum Ramadan 2022 online 🙂 .