Und als letzte Entscheidung dann der OLG Celle, Beschl. v. 07.09.2023 – 2 Ws 244/23 – zur (behaupteten) fahrlässigen Tötung durch Verletzung von Verkehrssicherungspflichten.
Das OLG geht von folgendem Sachverhalt aus:
„Die Staatsanwaltschaft hat nach mehrjährigen Ermittlungen am 23.02.2023 Anklage gegen den Angeschuldigten S. sowie die Angeklagte L. S. R. wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen am 17. und 18.06.2019 sowie im Zeitraum 12.02.2017 bis 18.06.2019 erhoben. In der Anklageschrift wurde folgender Sachverhalt zur Last gelegt:
Am 18.06.2020 kam es auf dem Gelände des W. H., zu einem Unglücksfall, bei dem der elfjährige V. F. D. beim Spielen von einer außerhalb des Spielplatzes auf einem ca. 100 m langen Schienenstrang abgestellten, in eine Sitzbank umgebauten, tatsächlich aber durch Schieben beweglichen, ca. 400 kg schweren Lore überrollt und getötet wurde. Die Lore entsprach gem. des Sachverständigengutachtens vom 24.06.2022 nicht den Vorschriften DIN EN 1176 und wäre mithin nicht als Spielgerät zugelassen worden. V. F. D. hatte zusammen mit 10 anderen Kindern auf bzw. mit der Lore gespielt. Die Kinder schoben die Lore in beide Richtungen, wobei stets einige Kinder auf der Lore saßen und einige Kinder sich vor, neben und hinter der Lore aufhielten. Aus ungeklärter Ursache kam V. F. D. vor der Lore zu Fall und wurde von dieser im Bereich der Brust überrollt. Er erlitt mehrere Frakturen im Brustbereich, wodurch Blut in seine Lungen gelangte und er noch am Unfallort gegen 10:55 Uhr verstarb.
Die Angeschuldigte R. war als angestellte Försterin für die Besucher zuständig, die mehrere Tage in dem W. eingebucht waren. Die 5. Klasse des T.-H.-Gymnasiums aus W. reiste am 17.06.2019 mit 28 Schülern und 2 Lehrern am W. an, um dort eine Woche zu verbringen. Die Einweisung der Lehrer und Schüler in das Gelände des W. erfolgte am 17.06.2019 durch die Angeschuldigte, wobei sie nicht auf die Beweglichkeit und die damit verbundene Gefährlichkeit der Lore hingewiesen hat, obwohl sie von der Fahrbereitschaft gewusst hatte. Die Lore war eindeutig erkennbar nicht mit einem irgendwie gearteten Schutz versehen, der es verhindert hätte, dass Gegenstände oder – wie vorliegend geschehen – Personen unmittelbar vor die Räder geraten und bei fahrender Lore von dieser überrollt werden können.
Die Angeschuldigte hätte das Spielen mit der Lore verbieten, jedenfalls die Lehrer und Schüler auf die Gefährlichkeit des Spielens mit der Lore hinweisen müssen. Hätten die Angeschuldigten die nötigen Hinweise an die Lehrer und Schüler erteilt, wäre es mit an der Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu dem Unfall und dem damit verbundenen Tod des V. F. D. gekommen.
Der Angeschuldigte S. war zum Unglückszeitpunkt seit dem 12.02.2017 Leiter des W. und hatte es unterlassen, die Lore, die bereits seit 2013 in der Form auf dem Gelände des W. stand und mindestens seit 2016 als fahrbereites Spielelement genutzt wurde, sicherheitstechnisch überprüfen zu lassen, oder diese Aufsicht an eine andere Person zu übertragen. Das Gelände wurde jährlich durch den Zeugen B. begutachtet, dem jedoch durch den Angeschuldigten in fahrlässiger Weise nicht mitgeteilt worden war, dass die Lore fahrbereit war und in dieser Form zum Spielen von Kindern genutzt wurde.
Hätte der Angeschuldigte die notwendigen Maßnahmen (Überprüfung und Sicherung der Lore) ergriffen oder ergreifen lassen, wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu dem Unfall und dem Tod des Kindes gekommen.“
Nach der Durchführung weiterer Ermittlungen hat das LG Verden mit dem angefochtenen Beschluss hinsichtlich der Angeklagten R. die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Hinsichtlich des Angeschuldigten S. hat es die Eröffnung des Hauptverfahrens aus tatsächlichen Gründen abgelehnt, da er der angeklagten Tat nicht hinreichend verdächtig sei.
Gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft mit dem Ziel, die Zulassung der Anklage und die Eröffnung des Hauptverfahrens auch hinsichtlich des Angeschuldigten S. zu beschließen.
Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg. Ich beschränke mich wegen des Umfangs der Entscheidungsgründe hier auf die Leitsätze. Die lauten:
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- Bei der Übertragung von Verkehrssicherungspflichten im Rahmen vertikaler Arbeitsteilung hängt der Umfang der verbleibenden Kontrollpflichten für die mit der Überwachung betraute Person davon ab, inwieweit dem Delegaten bei der Ausführung seiner Tätigkeit Eigenverantwortlichkeit zukommt.
- Soweit bei komplexen oder besonders gefahrgeneigten Großbauprojekten aufgrund bekannter und besonderer Gefährdungslagen ein strengerer Maßstab an den Umfang der Überwachungs- und Kontrollpflichten angelegt werden kann, ist dieser Maßstab nicht vergleichbar mit Überwachungspflichten, die sich auf die Wahrnehmung allgemeiner Verkehrssicherungspflichten – wie etwa Streupflichten – durch damit betraute Personen auf einem als nicht außergewöhnlich anzusehenden Außengelände beschränken.
- Personen, denen innerhalb des Arbeitsverhältnisses die Verkehrssicherungspflicht für ein Außengelände übertragen worden ist, sind von ihrer Verantwortlichkeit nicht hinsichtlich solcher Gefahrenquellen entbunden, die bereits vor ihrem Eintritt in die Verantwortlichkeit durch andere Personen geschaffen worden sind und sich in der Folgezeit nicht realisiert haben.
- Es stellt eine Überspannung der Anforderungen an eine mit Überwachungspflichten betraute Person dar, wenn man von ihr auf Grundlage der allgemeinen Gefahrenabwehrpflicht erwarten würde, eine für sie bis dahin gänzlich unbekannte Gefahrenlage zunächst zu ermitteln. Eine Kontrollpflicht beinhaltet gerade nicht, die übertragene Aufgabe selbständig vorzunehmen. Rechtsmittel gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).