Und als zweite Entscheidung dann das AG St. Ingbert, Urt. v. 10.11.2020 – 23 OWi 62 Js 1144/20 (2176/20). Gegenstand des Urteils: Verwertbarkeit einer Messung, Rohmessdaten usw.
Hier die Leitsätze – nicht von mir – sondern so stehen sie auf der Seite „Bürgerservice Saarland“.
1. In Bußgeldverfahren wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten ist eine stark zunehmende Tendenz von spezialisierten ortsansässigen wie auch überörtlichen (online-) Verteidigerbüros zu verzeichnen, Behörden und Gerichte zu „überfluten“ mit ausufernden Schriftsätzen und Anträgen (auf Beiziehung diverser Daten und Unterlagen, Akteneinsicht in solche Unterlagen, weitere Beweiserhebungen, Aussetzung der Hauptverhandlung etc.), Widersprüchen zur Verwertung von Beweismitteln (z.B. den Messfotos) sowie Vorlage von sog. Sachverständigengutachten, womit die Ordnungsgemäßheit von Messverfahren und Messungen in Frage gestellt werden soll, dies selbst bei geringfügigen Geldbußen.
2. Durch die Vorlage solcher Schriftsätze und Anträge – in zahlreichen Verfahren immer wieder uniform gleichlautend abgefasst, teils auch mit unzutreffenden oder irreführenden Zitaten aus der Rechtsprechung – sowohl gegenüber der Verwaltungsbehörde (oft verbunden mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG) wie auch gegenüber dem Gericht (vor und in der Hauptverhandlung) wird faktisch ein regulärer Geschäftsbetrieb erschwert, insbesondere im Hinblick darauf, dass die Verfahren mit angemessenem Aufwand in angemessener Zeit angesichts kurzer Verjährungsfrist von absolut 2 Jahren – ab Tattag – erledigt werden müssen.
3. Diese „Strategie“ steht in diametralem Kontrast zu Sinn und Zweck des sog. standardisierten Messverfahrens nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – gerade für den Bereich der massenhaft vorkommenden Verkehrsordnungswidrigkeiten mit vergleichsweise geringfügigen Sanktionen – und würde dazu führen, müsste all diesen Anträgen ernsthaft nachgegangen werden, dass Verkehrsverstöße nicht mehr effektiv ermittelt und sanktioniert werden könnten, was eine erhebliche Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit zur Folge hätte.
4. Die derart erwarteten Anforderungen an die Rechtsstaatlichkeit von Verfahren und den vermeintlich erforderlichen Grundrechteschutz von Betroffenen erscheinen angesichts weltweit wohl höchsten Standards der Messgeräte und Messverfahren überspannt entgegen der hierzu einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zum Strafverfahren): Müsste das Gericht allen Anträgen des Angeklagten auf weitere Sachaufklärung nachgehen, gewänne der Angeklagte einen Einfluss auf Dauer und Umfang des Verfahrens, der über das zu seiner Verteidigung Gebotene hinausginge und dazu führen könnte, dass die rechtsstaatlich geforderte Beschleunigung des Strafverfahrens ernstlich gefährdet wäre (BVerfG, Kammerbeschluss vom 6. August 2003 – 2 BvR 1071/03).
5. Hier könnte ein Einschreiten des Gesetzgebers für Klarheit sorgen, durch unmissverständliche Richtlinien festzuschreiben, welcher Daten und Dokumente es zur Ermittlung und Sanktionierung von Verkehrsverstößen bedarf, um einer uneinheitlichen Handhabung, wie sie in der Praxis vorkommt, entgegenzuwirken.
Da ist aber einer „angefressen“. Ich frage mich im Übrigen: Wie soll der Gesetzgeber das „festschreiben“. Das sind doch letztlich alles Einzelfälle. Im Übrigen: Wenn die Messungen so sicher sind/wären, erklärt sich mir nicht, warum Sachverständige immer wieder zu fehlerhaften Messungen kommen.
Nun ja, wir werden sehen, wie es weiter geht. Der Weg zum OLG dürfte auf der Hand liegen. das kann dan mal so richtig – Bamberg und das BayoBlG lassen grüßen -, was es vom VerfGH Saarland hält und der kann sich dann ggf. auch noch einmal äußern.