Heute dann noch voraussichtlich der letzte „Kessel Buntes“ in 2020, denn am nächsten Samstag ist 2. Weihnachtsfeiertag. Da wird es wahrscheinlich keine Entscheidungen geben.
Heute stelle ich dann zunächst noch das OLG Celle, Urt. v. 11.11.2020 – 14 U 71/20 – vor. Das OLG hatte über das Haftungsverhältnis aus erhöhter Betriebsgefahr eines landwirtschaftlichen Fahrzeugs mit Überbreite und großer Masse im Verhältnis zum Verschulden eines Pkw-Fahrers wegen Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot zu entscheiden. Dabei spielte die Frage eine Rolle, ob und wie eine fehlenden Ausnahmegenehmigung nach § 70 Abs. 1 StVZO im Rahmen der Haftungsabwägung zu berückscihtigen ist.
Folgenrder Kurzsachverhalt: Am Unfalltag kam es auf einer im Begegnungsverkehr zur Kollision zwischen dem VW Golf V des Klägers war, und einem vom Beklagten zu 2) geführten, bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Feldhäcksler. Der Kläger fuhr vor der Kollision hinter einem Kleintransporter, der – wie auch weitere Fahrzeuge – das Beklagtenfahrzeug ohne Kollision passierten. Der genaue Unfallhergang ist/war zwischen den Parteien streitig.
Bei dem Feldhäcksler handelte es sich um ein landwirtschaftliches Fahrzeug mit Überbreite (3,45 m), für dessen Zulassung und Betrieb eine Ausnahmegenehmigung nach § 70 Abs. 1 StVZO erforderlich ist, die am Unfalltag nicht (mehr) vorlag.
Das LG ist von einer Haftungsquote von 60 : 40 zu Lasten des Klägers ausgegangen. Der Unfallschaden sei von dem Häcksler zu 40% und dem VW Golf des Klägers zu 60% verursacht worden. Dem Beklagten zu 2) sei ein Verstoß gegen § 3 Abs. 1 StVO vorzuwerfen, weil eine gefahrene Geschwindigkeit von 25 bis 30 km/h keine ausreichend geringe Geschwindigkeit darstelle, um andere Fahrzeuge das überbreite Fahrzeug passieren zu lassen; eine Geschwindigkeit von 10 bis 15 km/h wäre angemessen gewesen. Der Beklagte zu 2) habe damit auch gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen, weil ein Sicherheitsabstand von mindestens 1 m zwischen den sich begegnenden Fahrzeugen nicht habe eingehalten werden können. Keinen Verursachungsbeitrag stelle dagegen die Tatsache dar, dass die Ausnahmegenehmigung nach § 70 Abs. 1 StVZO bereits abgelaufen war. Dem Kläger sei demgegenüber ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot gemäß § 2 Abs. 2 StVO vorzuwerfen, weil er nicht äußerst weit rechts gefahren und nicht auf das Bankett ausgewichen sei; darüber hinaus stehe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass der Kläger sich unmittelbar vor der Kollision mit seiner linken Fahrzeugflanke über die Fahrbahnmitte hinaus auf dem Gegenfahrstreifen befunden habe. Der Unfall sei für den Kläger auch vermeidbar gewesen, da ein Idealfahrer hinter dem Kleintransporter ebenfalls nach rechts ausgewichen wäre und sein Fahrzeug zunächst zum Stehen gebracht hätte, bis die Ursache für das Fahrmanöver des Kleintransporters erkennbar wäre.
Die Berufung hatte keinen Erfolg. Das OLG sagt: Keine günstigere Quote als 60 : 40. Hier die Leitsätze:
- Kann ein Fahrzeug mit Überbreite, das bereits den Grünstreifen neben der Fahrbahn mitbenutzt, wegen Alleebäumen nicht noch weiter rechts fahren, ist ein der Überbreite geschuldetes gleichzeitiges Überfahren der (gedachten) Mittellinie der Fahrbahn nicht vorwerfbar.
- Eine fehlende Ausnahmegenehmigung nach § 70 Abs. 1 StVZO ist im Rahmen der Haftungsabwägung nach §§ 17 Abs. 1, Abs. 2, 18 Abs. 3 StVG nicht zu berück-sichtigen, weil die Norm nicht dem Individualrechtsschutz anderer Verkehrsteilnehmer dient und deshalb ein Unfall bzw. der Unfallschaden außerhalb des Schutz-zwecks der Norm liegt.
- Kommt es im Begegnungsverkehr auf einer gerade verlaufenden Straße ohne Fahrbahnmarkierungen bei Tageslicht zu einer Kollision zwischen einem landwirt-schaftlichen Fahrzeug mit Überbreite, das so weit nach rechts gesteuert wird, wie es tatsächlich möglich ist, mit einem Pkw, der die Fahrbahnmitte grundlos leicht überschreitet, so tritt die Haftung aus Betriebsgefahr für das landwirtschaftliche Fahrzeug nicht zurück, sondern fließt mit 30 % in die Haftungsquote ein.