Im Moment spielt das Thema „Schlafkontrolle“ bei Th. Middelhoff in den Blogs eine große Rolle; von „Schlafentzug“ zu sprechen, geht mir etwas weit. Der Kollege Hoenig hat in zwei Beiträgen dazu berichtet (vgl. einmal hier „Der rote Punkt an der Zellentür“ und „Es geht noch dunkelroter“), Udo Vetter hat im LawBlog einen Beitrag gepostet (vgl. hier: Faktische Folter) und auch der Beck-Blog hat sich gemeldet mit: Suizidprophylaxe oder Folter? Zum Fall Middelhoff. Wenn man das so liest, ist man schon mehr als irritiert, dass es so etwas gibt – aber siehe unten – und dass es keine anderen Kontrollmöglichkeiten gibt/geben soll.
Irritiert bin ich allerdings auch ein wenig über die Verteidigung von Th. Middelhoff. Mir leuchtet nämlich nicht ein, warum man gegen diese Art und Dauer der Überwachung nicht zur Zeit der Anordnung/Durchführung im November/Dezember 2014 gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen hat; mir ist jedenfalls dazu nichts bekannt. Aber vielleicht hatte Th. Middelhoff ja bereits zu dem Zeitpunkt sein Vertrauen – wenn er es denn jemals hatte – in LG Essen und OLG Hamm verloren, nachdem man dort seine Haftprüfungsanträge immer wieder zurückgewiesen hat (vgl. dazu jüngst Middelhoff bleibt drin – auch 900.000 € Kaution reichen nicht). Warum also jetzt? Vielleicht wirklich ein wenig Begleitmusik zu einem neuen Haftprüfungsantrag, über den u.a. LTO berichtet (vgl. dazu hier)?
Aber unabhängig davoN. Ich bin gespannt, wie es weitergeht, nachdem sich nun ja auch die Politik schon eingeschaltet hat (vgl. dazu aus der Berliner Zeitung). Allerdings: „Das NRW-Justizministerium reagiert gelassen„, so der Tagesspiegel, an einer Befragung im Rechtsausschuss des Landtages NRW wird der nordrhein-westfälische Justizminister aber dann doch wahrscheinlich nicht vorbei kommen.
Wer allerdings glaubt, dass die Schlafkontrolle von Th. Middelhoff ein Einzelfall ist, der hat sich geirrt. Ich zitiere dazu aus eine Mail, die mich heute erreicht hat. Da heißt es u.a.:
„…..aktuell steht bekanntlich die mittels Licht durchgeführte Überwachung von Herrn Middelhoff massiv in der Kritik (http://www.faz.net/aktuell/wissen/schlafentzug-von-gefangenen-ein-anschlag-auf-die-gesundheit-13525436.html).
Dies ist indessen nichts neues bzw. in der – auch und vor allem baden-württembergischen – Vollzugspraxis völlig üblich, ja sogar noch schlimmer. Beispielsweise werden in den Justizvollzugsanstalten des Landes Baden-Württemberg Gefangene, mit denen die Justizvollzugsanstalten zeitweise überfordert sind, im Rahmen sog. „besonderer Sicherungsmaßnahmen“ in einer „Beruhigungszelle“ untergebracht – in nacktem Zustand. Dabei wird dieser spezielle Haftraum permanent (also 24h) mit grellem Licht beleuchtet und zugleich per Kamera überwacht. Obwohl an diese – rein präventive – Maßnahme angesichts der Eingriffsintensität von Gesetzes wegen strenge Anforderungen gelten, wird sie viel zu leichtfertig verhängt.
Eine – mir vorliegende und im Anhang beigefügte – Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart belegt dies. In jenem Fall war der in der JVA Ravensburg inhaftierte Gefangene wegen eines „Wortwechsels“ mit einem Bediensteten in einem solchen Haftraum untergebracht worden. Das Oberlandesgericht ging davon aus, dass die Maßnahme „unter keinem Gesichtspunkt gerechtfertigt“ (also willkürlich) gewesen sei. Ferner warf es die Frage auf, wieso die JVA dem Gefangenen zur Wahrung seiner Menschenwürde – statt ihn nackt zu unterbringen – „nicht eine Ersatzkleidung (zur Not aus Papier)“ zur Verfügung gestellt habe. Da der Gefangene infolge der permanenten Beleuchtung des Haftraums mit grellem nicht habe schlafen können, wies das Oberlandesgericht darauf hin, dass das Licht prinzipiell „so weit abgedunkelt“ werden müsse, dass der Gefangene „Schlaf finden“ könne. Schließlich kritisierte das Gericht auch die Dauer der Maßnahme. Es sei „unklar, wieso die besondere Sicherungsmaßnahme über zwei Tage hinweg aufrechterhalten“ worden sei. Bezüglich letzterem ist zu erwähnen, dass die Unterbringung in einem derartigen Haftraum (Beruhigungszelle) ab dem dritten Tag der Genehmigung des Justizministeriums bedarf, weswegen die Justizvollzugsanstalten die Maßnahme ganz bewusst vor dieser Grenze beenden, um das Ministerium nicht informieren zu müssen. Denn eine Verpflichtung der Justizvollzugsanstalten zu einer abschließenden Meldung jeder einzelnen Unterbringung existiert nicht.
Erst jüngst hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die nackte Unterbringung eines Gefangenen in einer Beruhigungszelle als Verstoß gegen das Folter-Verbot gerügt und die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von 10.000 € Entschädigung verurteilt (http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/egmr-ruegt-haftbedingungen-eine-woche-nackt-in-der-beruhigungszelle/).
Angeblich ist die baden-württembergische Justiz inzwischen (teilweise) dazu übergegangen, die Beruhigungszellen dergestalt umzufunktionieren, dass das Licht gedimmt werden kann. Aber auch hierfür gibt es keine Rechtsgrundlage. Das Bundesverfassungsgericht hat dies bereits im Jahr 2008 klargestellt (http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20080124_2bvr166106.html – Randnummer 43: „unzulässige […] unabgeschirmte Beleuchtung des Haftraums“). Dabei hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, dass anstelle einer Beleuchtung oder Kameraüberwachung der Einsatz von Infrarot- bzw. Wärmebildtechnik oder nur eine „lediglich akustische“ Überwachung geprüft und erörtert werden müsse.
Schlafentzug wird auch in der baden-württembergischen JVA Heimsheim praktiziert, und zwar in der Weise, dass die Beleuchtung der (normalen) Hafträume in der Transportabteilung um 5:00 Uhr (von außen zentral) eingeschaltet wird. Dies soll offenbar dazu dienen, den Schlaf der Gefangenen (zwangsweise) zu beenden, damit nicht jeder Gefangene, der später per Transport in eine andere JVA verlegt werden soll, einzeln geweckt werden muss. Die Maßnahme dient mithin der „Entlastung“ der Bediensteten. Auch für diese Maßnahme gibt es freilich keine Rechtsgrundlage.„
Ich lasse das mal unkommentiert stehen. Der Absender der Mail ist übrigens nach eigenen Angaben „im Vollzug tätig“. Und den oben angesprochenen OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.11.2010 – 4 Ws 208/10 (V) – hat man gleich mitgeschickt. Wenn man das alles so liest, dann hat man schon den Eindruck: Guantanamo ist vielleicht gar nicht so weit weg.