Wenn es um Schadensersatz-/Schmerzensgeldansprüche nach den §§ 823 Abs. 1, 830 Abs. 2, 253 Abs. 2 BGB geht, haben auch die Zivilgerichte häufig Sachverhalte zu überprüfen, die ggf. auch im Strafrecht eine Rolle spielen könnten. So grds. auch das OLG Karlsruhe im OLG Karlsruhe, Urt. v. 15.11.2012 – 9 U 43/11, wobei der Sachverhalt allerdings wegen des Alters des Inanspruchgenommenen – 13 Jahre, also strafunmündig – im Strafrecht schnell erledigt gewesen wäre. Nicht so im Zivilrecht, wenn es um die zivilrechtliche Haftung wegen einer psychischen Beihilfe eines 13-jährigen zu einem versuchten Tötungsdelikt geht.
Gegenstand des Urteils war folgender Sachverhalt:
„Die 1983 geborene Klägerin war im Jahr 2007 als Anerkennungspraktikantin im Kinder- und Jugendheim L. beschäftigt. Am 17.05.2007 war die Klägerin in dieser Einrichtung für die Betreuung der Kinder in der Wohngruppe „B.“ allein verantwortlich. Zu der Wohngruppe gehörte unter anderem der damals 12-jährige Beklagte Ziff. 1, der am 14.05.2007 in das Heim aufgenommen worden war. An dem fraglichen Tag lockte der Beklagte Ziff. 1 die Klägerin unter einem Vorwand in sein Zimmer. Als die Klägerin ihm beim Hinausgehen aus dem Zimmer den Rücken zuwandte, stieß der Beklagte Ziff. 1 der Klägerin ein 15 cm langes Küchenmesser in den Rücken. Der 12-jährige Beklagte Ziff. 1 wollte aus dem Heim (einer nicht geschlossenen Einrichtung) weglaufen. Er hatte die Vorstellung, durch die Tötung der Klägerin werde es ihm möglich sein, „abzuhauen“.
Das Küchenmesser hatte dem Beklagten Ziff. 1 kurz vorher der ebenfalls zur Wohngruppe „B.“ gehörende Beklagte Ziff. 3 (damals 11 Jahre alt) beschafft. Der Beklagte Ziff. 1 hatte vorher sowohl gegenüber dem Beklagten Ziff. 3 als auch gegenüber anderen Kindern des Heimes geäußert, er wolle die Klägerin „abstechen“, und aus dem Heim abhauen. Beim Beschaffen des Küchenmessers aus der Spülmaschine in der zur Einrichtung gehörenden Küche begleitete der zur selben Wohngruppe gehörende Beklagte Ziff. 2 (damals 13 Jahre alt) den Beklagten Ziff. 3.
Die Klägerin wurde durch den Angriff des Beklagten Ziff. 1 lebensgefährlich verletzt. Sie leidet bis heute unter den Folgen des Geschehens. Sie nimmt psychotherapeutische Behandlung in Anspruch. Die seelischen Belastungen durch die Tat haben dazu geführt, dass die Klägerin bisher nicht mehr als eine berufliche Halbtagstätigkeit ausüben kann.
Die Klägerin hat u.a. auch von dem Beklagten Ziff 2. Schmerzensgeld verlangt. Das LG hatte zugesprochen, das OLG hat aufgehoben. Sein Urteil hat folgende Leitsätze:
„1. Das bloße „Zugegensein“ eines 13-jährigen bei der Beihilfehandlung eines Dritten (Beschaffung des als Tatwaffe dienenden Küchenmessers) zu einem versuchten Tötungsdelikt des Haupttäters reicht für eine rechtlich relevante Beihilfehandlung des 13-jährigen nicht aus. Eine psychische Beihilfe setzt vielmehr voraus, dass der Haupttäter in seinem Tatentschluss bestärkt wird.
2. Eine psychische Beihilfe setzt außerdem – im Zivilrecht ebenso wie im Strafrecht – einen Unterstützungsvorsatz des Gehilfen voraus. Eine Haftung des 13-jährigen Kindes kommt daher nur dann in Betracht, wenn dieses bei seinem psychischen Tatbeitrag die Vorstellung gehabt hat, die Haupttat (beabsichtigte Tötung einer bestimmten Person) zu unterstützen oder zu fördern.
3. Bei einer Schmerzensgeldklage, die auf eine psychische Beihilfe des Beklagten zur Haupttat gestützt wird, obliegt die Beweislast für die objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Beihilfe der Klägerin.„
Aus der Begründung:
„Es kommt hinzu, dass der Beklagte Ziff. 2 zur Zeit des Geschehens ein 13-jähriges Kind war. Für das „Dabeisein“ eines Kindes in einer derart ungewöhnlichen Situation kann es in der Vorstellungswelt des Kindes viele Gründe und Motive geben, die mit den Beziehungen zu den anderen Kindern im Kinderheim zusammenhängen können, und die nicht zwingend dafür sprechen müssen, dass das Kind die Vorstellung hat, durch sein „Dabeisein“ die beabsichtigte Tötung einer Betreuerin zu fördern. Bei dem Beklagten Ziff. 2, der nur beim Beschaffen des Messers durch den Beklagten Ziff. 3 „dabei“ war, kommen insbesondere kindliche Vorstellungen von einer Zusammengehörigkeit mit anderen Kindern in Betracht, die nicht mit einem realen Bezug zum Tatgeschehen (Vorstellung der Förderung und Unterstützung einer Tötungshandlung) verbunden sein müssen.
d) Ein Beihilfevorsatz müsste sich zudem auf die Haupttat beziehen. Das heißt: Der Beklagte Ziff. 2 müsse die Vorstellung gehabt haben, dass der Beklagte Ziff. 1 ernsthaft die Absicht hatte, die Klägerin zu töten, und der Beklagte Ziff. 2 müsste diese Handlung gebilligt haben. Auch insoweit sieht der Senat in den Feststellungen des Landgerichts keine ausreichende Grundlage für eine – sichere – Schlussfolgerung auf die Vorstellungen des damals 13-jährigen Beklagten Ziff. 2 zum Zeitpunkt der Tat. Wenn ein erwachsener Betreuer damals – nach den Angaben der Zeugin T. – den Tötungsplan des Beklagten Ziff. 1 nicht ernst genommen hat, wird man wohl auch nicht ohne Weiteres davon ausgehen können, dass der damals 13-jährige Beklagte Ziff. 2 eine mögliche Tötung der Klägerin ernsthaft vor Augen hatte. Zu dieser Frage – Ernstnehmen der Tötungsabsicht des Beklagten Ziff. 1 – könnte unter Umständen noch eine weitere Aufklärung des Sachverhalts durch Zeugenvernehmungen zur Vorgeschichte der Tat – und zum damaligen Verhalten der Kinder in Betracht kommen. Ein Hinweis des Senats auf die Möglichkeit entsprechender Beweisanträge war jedoch nicht erforderlich. Denn eine Beihilfe des Beklagten Ziff. 2 scheidet in jedem Fall aus den oben ausgeführten anderen Gründen aus (keine sichere Feststellung einer objektiven Beihilfehandlung und keine sichere Feststellung eines Unterstützungsvorsatzes möglich).“
Ganz interessant zu lesen, wenn auch nicht alltäglich..