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Tatprovokation? – nicht, wenn man selbst die „treibende Kraft“ ist

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Insbesondere in BtM-Verfahren spielen die Fragen, die mit der Verletzung des Rechts des Angeklagten auf ein  faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK) duch eine unzulässige Tatprovokation eine große Rolle. Die sind gesetzlich nicht geregelt; und werden im Übrigen auch im vorliegenden Referentenentwurf zur StPO-Reform nicht geregelt angesprochen. Demgemäß gibt es an der Stelle nur Richterrecht in einer umfangreichen BGH-Rechtsprechung, die der BGh im BGH, Beschl. v. 19.01.2016 – 4 StR 252/15 – noch einmal zusammengefasst hat. Da heißt es:

a) Der Bundesgerichtshof nimmt eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK aufgrund polizeilicher Tatprovokation an, wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person durch eine von einem Amtsträger geführte Ver-trauensperson in einer dem Staat zurechenbaren Weise zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2015 – 2 StR 97/14, NStZ 2016, 52, 54 f., Rn. 24; Beschluss vom 19. Mai 2015 – 1 StR 128/15, NStZ 2015, 541, 544, Rn. 24 f.; Urteil vom 30. Mai 2001 – 1 StR 42/01, BGHSt 47, 44, 47; Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 335). Ein in diesem Sinne tatprovozierendes Verhalten ist gegeben, wenn eine polizeiliche Vertrauensperson in Richtung auf das Wecken der Tatbereitschaft oder eine Intensivierung der Tatplanung mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkt. Auch bei anfänglich bereits bestehendem Anfangsverdacht kann eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation vorliegen, soweit die Einwirkung im Verhältnis zum Anfangsverdacht „unvertretbar übergewichtig“ ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2015 – 2 StR 97/14, NStZ 2016, 52, 54 f., Rn. 24; Beschluss vom 19. Mai 2015 – 1 StR 128/15, NStZ 2015, 541, 544, Rn. 24 f., Urteil vom 11. Dezember 2013 – 5 StR 240/13, NStZ 2014, 277, 279 Rn. 34 mwN). Spricht eine polizeiliche Vertrauensperson eine betroffene Person lediglich ohne sonstige Einwirkung darauf an, ob diese Betäubungsmittel beschaffen könne, handelt es sich nicht um eine Tatprovokation. Ebenso fehlt es an einer Provokation, wenn die Vertrauensperson nur die offen erkennbare Bereitschaft zur Begehung oder Fortsetzung von Straftaten ausnutzt (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2015 – 1 StR 128/15, NStZ 2015, 541, 544, Rn. 24 f., Urteil vom 30. Mai 2001 – 1 StR 42/01, BGHSt 47, 44, 47; Urteil vom 18. November 1999 – 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 338). In der Judikatur des Bundesgerichtshofes sind die Kriterien, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte an eine Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzende Tatprovokation stellt, berücksichtigt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Mai 2015 – 1 StR 128/15, NStZ 2015, 541, 544, Rn. 29). Danach liegt eine Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzende polizeiliche Provokation vor, wenn sich die Ermittlungsperson nicht mehr auf eine „weitgehend passive“ Strafermittlung beschränkt hat. Der Gerichtshof prüft dabei, ob es objektive Anhaltspunkte für den Verdacht gab, dass der Täter an kriminellen Aktivitäten beteiligt oder tatgeneigt war. Dabei können nach den konkreten Umständen des Einzelfalls die erwiesene Vertrautheit mit aktuellen Preisen von Betäubungsmitteln, die Fähigkeit zu deren kurzfristiger Beschaf-fung und eine Gewinnbeteiligung des Täters von Bedeutung sein (vgl. EGMR, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 54648/09, NStZ 2015, 412, 414, Rn. 49 ff. mwN). Bei der Differenzierung zwischen einer rechtmäßigen Infiltrierung durch eine Ermittlungsperson und der (konventionswidrigen) Provokation einer Straftat befasst sich der Gerichtshof mit der Frage, ob Druck ausgeübt wurde, die Straftat zu begehen. Dabei hat der Gerichtshof unter anderem darauf abgestellt, ob die Ermittlungsperson von sich aus Kontakt zu dem Täter aufgenommen, ihr Angebot trotz anfänglicher Ablehnung erneuert oder den Täter mit den Marktwert übersteigenden Preisen geködert hat (vgl. EGMR, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 54648/09, NStZ 2015, 412, 414, Rn. 52 mwN).

Und das hat der BGH uim entschiedenen Fall nicht „feststellen“ können, denn da war nach den Feststellungen wohl der Angeklagte „die treibende Kraft“:

„Mit Rücksicht auf die bestehende Verdachtslage beim Erstkontakt, der von dem Angeklagten ausgehenden Anfrage nach dem noch gefährlicheren Betäubungsmittel Kokain und der bei ihm durchgehend handlungsleitenden Gewinnorientierung kommt den weiteren Beiträgen der Vertrauensperson der Polizei nur noch eine nachgeordnete Bedeutung zu. Das festgestellte „Drängen“ der Vertrauensperson war ersichtlich nicht auf das Geschäft als solches, sondern lediglich auf dessen beschleunigte Abwicklung gerichtet. Aus den Verfah-rensakten, die der Senat mit Rücksicht auf das mögliche Vorliegen eines Ver-fahrenshindernisses herangezogen hat, ergeben sich keine weiter gehenden Anhaltspunkte für eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation.“

Aufrüstung beim BGH – auf einmal BGHSt?, oder: Tatprovokation beim BGH

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Ich habe länger überlegt, wie ich dieses Posting nennen soll. Zunächst hatte ich an“Beförderung beim BGH – auf einmal BGHSt? “ gedacht, dann an „Polizeiliche Tatprovokation nimmt Kurs auf Großen Senat“, mich dann aber eben doch für „Aufrüstung beim BGH – auf einmal BGHSt, ….?“ entschieden. Denn es scheint eine „Aufrüstung“ beim BGH gegeben zu haben, und zwar beim BGH, Beschl. v. 19.05.2015 – 1 StR 128/15.

Dieser Beschluss war zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung am 30.07.2015 zunächst ein ganz „normaler“ Beschluss, jetzt hat er – auf einmal, und zwar seit dem 04.08.2015, 🙂 – Leitsätze und ist sogar zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen:

„BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________

GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3;
EMRK Art. 6 Abs. 1;
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2.
1. Zu den Voraussetzungen einer konventionswidrigen polizeilichen Tatprovokation (Anschluss an BGHSt 47, 44 ff.).
2. Zu den Anforderungen an eine Verfahrensrüge, mit der eine (rechtsstaats-widrige) polizeiliche Tatprovokation gerügt werden soll.“

Da fragt man sich natürlich, was das soll und warum? Nun, es gibt m.E. eine Erklärung bzw. der Grund für die „Aufrüstung“ könnte in Folgendem liegen:

Der Beschluss in 1 StR 128/15 datiert vom 19.05.2015. Er liegt damit zeitlich vor der Grundsatzentscheidung des 2. Senats im BGH, Urt. v. 10.06.2015 – 2 StR 97/14 ebenfalls zur Frage der Tatprovokation, konnte aber von diesem nicht berücksichtigt werden, weil es zu 1 StR 128/14 bislang weder Gründe noch eine Pressemitteilung gab. Und offenbar spricht man beim BGH auch nicht über solche Dinge (wie denn auch, wenn man Thomas Fischer liest :“Manche Kollegen grüßen uns nicht einmal mehr“ 🙂  ).

Bislang liegen die Gründe zu 2 StR 97/14 noch nicht vor. Wenn man aber mal die PM, die es zu der Entscheidung gibt, mit den Gründen von 1 StR 128/15 vergleicht, dann stellt man sehr schnell fest – was an sich nicht überrascht, dass die beiden Senate in ihren Ansichten in ganz verschiedene Richtungen gehen, und zwar selbst dann, wenn im konkreten, vom 1. Strafsenat im Beschl. v. 19.05.2015 entschiedenen  Sachverhalt der 2. Strafsenat vielleicht zu keinem anderen Ergebnis gekommen wäre, da wohl der „Extremfallcharakter“ zu verneinen ist.

Die Musik spielt aber in den Grundsatzüberlegungen, die m.E. zum Teil miteinander unvereinbar sind. Die Frage der Umsetzung der EGMR-Rechtsprechung könnte also doch noch vor den Großen Senat für Strafsachen kommen. Es sei denn, dass eine Divergenz „im Tatsächlichen“ vermieden werden kann. Ob das allerdings auf Dauer gelingt, wage ich zu bezweifeln und dafür dürfte auch der 2. Strafsenat derzeit wohl nicht der richtige Ansprechpartner sein. Unabhängig davon: Es gibt ja immer auch noch die Vorlagemöglichkeit nach § 132 Abs. 4 GVG.

Und damit bekommt m.E. die Aufrüstung schon einen Sinn: Der 1. Strafsenat bringt sich in Stellung, indem man seinen eigenen Beschluss (auch [?] auf BGHSt hochstuft und mit amtlichen Leitsätzen versieht.

Kann aber natürlich auch sein, dass das alles nur Kaffeesatzleserei ist und hinter der „Aufrüstung“ vielleicht nur ein Fehler der Dokumentationsstelle steht, die den BGH, Beschl. v. 19.05.2015 – 1 StR 128/15 einfach nur zu früh veröffentlicht hat. Wir werden sehen, wohin die Reise geht…..

Ach so: Und natürlich ist der BGH, Beschl. v. 19.05.2015 – 1 StR 128/15 lesenswert. Aber da ist mal wieder Selbststudium angesagt 🙂 .

Der Alkoholtestkauf – faires Verfahren verletzt?

Das OLG Bremen setzt sich im OLG Bremen, Beschl. v. 31.10. 2011 –  2 SsRs 28/11 – mit der Frage auseinander, ob bei einem Alkoholtestkauf eines jugendlichen Testkäufers ggf. der Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt wird, was u.a. ein Beweisverwertungsverbot zur Folge haben kann. Das OLG hat die Frage verneint:

„Werden an einen von der Polizei angeleiteten jugendlichen Testkäufer bei einem Kontrollkauf entgegen § 9 Abs. 1 JuSchG alkoholische Getränke abgegeben, liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vor, wenn der Testkäufer die Schwelle zur Tatprovokation nicht überschreitet. Eine Tatprovokation liegt nicht vor, wenn der Testkäufer lediglich das Verhalten eines „normalen“ Kunden an den Tag legt und darüber hinaus nichts unternimmt, um Bedenken des Verkäufers zu zerstreuen, der Kunde habe nicht das notwendige Mindestalter für den Erwerb der Alkoholika.“