Im Kessel Buntes dann heute zunächst das OLG Celle, Urt. v. 16.12.2020 – 14 U 77/19 – zur Frage des Haftungsausschluss nach § 8 Nr. 2 StVG betreffend einen aussteigenden Beifahrer.
Dazu folgender Sachverhalt: Der Beklagte zu 1) fuhr nachts mit dem bei der Beklagten zu 3) Kfz-haftpflichtversicherten Taxi, dessen Halter der Beklagte zu 2) war, eine BAB . Der Beklagte zu 1) beförderte die britischen Soldaten T., C. und H. Die Fahrgäste waren erheblich alkoholisiert, bei T. wurde später eine BAK von 1,79 ‰ festgestellt. Der Beklagte zu 1) stoppte das Fahrzeug auf dem Seitenstreifen, weil sich der hinten links sitzende H. übergeben musste. Der Beifahrer T. stieg aus und begab sich zur linken hinteren Tür, die H. zwischenzeitlich geöffnet hatte, um seinem Kameraden zu helfen. Kurze Zeit später näherte sich auf der rechten von drei Fahrspuren ein bei der Klägerin haftpflichtversicherter Sattelzug, der vom Zeugen W. gesteuert wurde. Er kollidierte mit der geöffneten Türe des Beklagtenfahrzeugs und erfasste T., der dabei schwer verletzt wurde und später infolge der Unfallverletzungen verstarb.
Die Klägerin regulierte die Schäden des Verstorbenen, dessen Erben und des Vereinigten Königreichs unter Annahme einer Mithaftungsquote des Getöteten von 25 %. Nunmehr macht die Klägerin gegenüber den Beklagten Regressansprüche geltend und begehrt Erstattung von 50 % ihrer Aufwendungen. Die Beklagten sehen eine Mithaftung gegenüber dem Getöteten nicht, insbesondere da die Haftung nach § 8 Nr. 2 StVG ausgeschlossen sei.
Das LG hatte die Klage abgewiesen, das OLG hat ihr dem Grunde nach stattgegeben, Zur Anwendung des § 8 StVG führt das OLG aus:
„dd) Die Haftung der Beklagten ist auch nicht nach § 8 Nr. 2 StVG ausgeschlossen.
Diese Vorschrift schließt die Gefährdungshaftung des Kfz-Halters aus, wenn der Verletzte bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs oder Anhängers tätig war. Erfasst werden Personen, die durch die unmittelbare Beziehung ihrer Tätigkeit zum Betrieb des Kraftfahrzeugs den von ihm ausgehenden besonderen Gefahren stärker ausgesetzt sind als die Allgemeinheit, auch wenn sie nur aus Gefälligkeit beim Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig geworden sind (König in: Hentschel/Dauer/König, a.a.O., § 8 StVG Rn. 3 f.). Der Sinn und Zweck des gesetzlichen Haftungsausschlusses besteht darin, dass der erhöhte Schutz des Gesetzes demjenigen nicht zuteilwerden soll, der sich durch seine Tätigkeit den besonderen Gefahren des Kraftfahrzeugbetriebs freiwillig aussetzt (u. a. Senat, Urteil vom 17. Februar 2000 – 14 U 32/99 –, Rn. 13 m. w. N, juris). Als Ausnahmevorschrift ist die Bestimmung des § 8 Nr. 2 StVG eng auszulegen BGH, Urteil vom 05. Oktober 2010 – VI ZR 286/09 –, Rn. 23, juris). Für die Anwendung des § 8 StVG kommt es nicht auf die Art der Tätigkeit zur Zeit eines Schadensfalles an, sofern sie nur der Förderung des Betriebes des Kfz dient. Doch setzt die Tätigkeit bei dem Betrieb eines Kfz im Allgemeinen eine gewisse Dauer voraus, wie sie beispielsweise der Fahrer im Verkehr ausübt. Fehlt es an einer Dauerbeziehung, wie es bei gelegentlichen Hilfeleistungen an dem Betriebe unbeteiligter Personen der Fall ist, so kann eine den Haftungsausschluss nach § 8 Nr. 2 StVG herbeiführende Tätigkeit nach Sinn und Zweck des Gesetzes nur angenommen werden, wenn sie in einer so nahen und unmittelbaren Beziehung zu den Triebkräften des Kfz steht, dass der Tätige nach der Art seiner Tätigkeit den besonderen Gefahren des Kfz-Betriebs mehr ausgesetzt ist als die Allgemeinheit (BGH, a. a. O.).
Ausgehend von diesen Grundsätzen war der Getötete nicht bei dem Betrieb des Taxis tätig. Er fuhr als Beifahrer mit, wurde also lediglich befördert. Dies allein genügt nicht (vgl. auch König in: Hentschel/Dauer/König, a. a. O., Rn. 4 m. w. N.). Auch das Öffnen der Tür, Aussteigen und Hingehen zum Mitfahrer H., um diesem zu helfen, vermag die Annahme, der Getötete sei damit beim Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig geworden, bei lebensnaher Betrachtung unter Berücksichtigung der gebotenen engen Auslegung des § 8 Nr. 2 StVG (s.o.) nicht zu begründen. Denn mit diesem Verhalten wird der Betrieb des Kfz nicht gefördert oder sonst in irgendeiner Weise auf den Betrieb des Fahrzeugs eingewirkt. Eine unmittelbare Beziehung zu den Triebkräften des Kfz besteht nicht. Auch war der Getötete dadurch den besonderen Gefahren des Kraftfahrzeugbetriebs nicht in maßgeblichem Umfang mehr ausgesetzt als zuvor als beförderter Beifahrer. Soweit das Oberlandesgericht München in einer Entscheidung aus dem Jahr 1966 annahm, der Insasse eines Kfz, der beim Aussteigen selbst die Tür öffnet, sei insoweit beim Betrieb des Kfz tätig; der Kraftdroschkenunternehmer hafte daher dem zahlenden Fahrgast nicht nach den Grundsätzen der Gefährdungshaftung, wenn dieser bei einem solchen Vorgang verletzt wird (vgl. OLG München, Urteil vom 24. Juni 1966 – 10 U 866/66 –, juris), folgt der Senat dem nicht (ebenfalls kritisch: König in: Hentschel/Dauer/König, a. a. O., Rn. 4).
ee) Der Verweis der Beklagten auf §§ 104, 106 SGB VII geht fehl. Der Beklagte zu 1) bzw. die Beklagten waren nicht Unternehmer im Sinne von §§ 104 Abs. 1, 136 Abs. 3 SGB VII. Der Unfall stellt keinen Versicherungsfall im Sinne von § 7 SGB VII – Arbeitsunfall oder Berufskrankheit – dar, was aber erforderlich wäre (vgl. (Hollo in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 104 SGB VII, Rn. 11, juris). Entgegen der auch in der Berufungserwiderung vertretenen Ansicht war der Geschädigte auch nicht gesetzlich unfallversichert, weil die Voraussetzungen des von den Beklagten angeführten § 2 Abs. 1 Nr. 13 a) Alt. 2 SGB VII nicht vorliegen. Gemäß dieser Vorschrift sind kraft Gesetzes versichert solche Personen, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus erheblicher gegenwärtiger Gefahr für seine Gesundheit retten. Die Beklagten vertreten die Ansicht, der Geschädigte habe den Zeugen H. vor gemeiner Gefahr schützen bzw. in Not Hilfe leisten wollen. Denn das Handeln des Geschädigten habe nur dazu gedient zu verhindern, dass der Zeuge H. aus dem Fahrzeug aussteige und auf die Autobahn torkele. Letzteres ist jedoch nicht erwiesen (dazu s.u. lit. ff) (3)) bzw. Spekulation. Dass ein sofortiges Einschreiten des Geschädigten objektiv erforderlich war, um den Zeugen H. zu schützen, ist nicht erwiesen. Der von den Beklagten angeführte Fall, den das Bundesozialgericht zu entscheiden hatte, ist nicht vergleichbar. Denn dort war eine Gefahrensituation gegeben, weil neben der Mittelleitplanke eine Stützradführungshülse lag, die bis an den Rand der Überholspur ragte; das Bundessozialgericht bejahte deshalb das Tatbestandsmerkmal der gemeinen Gefahr (vgl. BSG, Urteil vom 27.03.2012 – B 2 U 7/11 R –, juris).“