Auch schon etwas älter ist das OLG Karlsruhe, Urt. v. 16.07.2019 – 14 U 60/16. Entschieden hat das OLG über die Haftung nach einem (Verkehrs)Unfall mit folgendem Sachverhalt:
Die Klägerin war mit ihrem Fahrrad auf einem ca. 3,4 m breiten Rad- und Fußweg neben ihrem Ehemann im Sportgelände eines Freiburger Stadtteils unterwegs. Dort hatten die drei volljährigen Beklagten eine ca. 15 m lange und ca. 3 – 5 cm breite farbige Slackline über den Weggespannt. Diese befand sich zwischen den jeweils deutlich neben dem Weg befindlichen Pfosten eines Basketballkorbs und eines Pavillons in einer Höhe von ca. 15 bis 25 cm über dem Boden. Die Slackline war nicht zusätzlich optisch gesichert. Die Klägerin hat die Slackline übersehen und fuhr dagegen. Infolge des abrupten Halts stürzte sie über ihren Fahrradlenker und fiel mit Kopf und Schultern auf den Asphaltboden. Die Klägerin erlitte schwere Verletzungen. Sie war etwas mehr als fünf Monate arbeitsunfähig.
Das LG hatte die Beklagten dem Grunde zu 100% verurteilt, jedoch nur 10.000,00 € Schmerzensgeld und nur einen Teil des eingeklagten materiellen Schadens zugesprochen. Dagegen hatten beiden Parteien Berufung eingelegt. Das OLG ist ebenfalls von einer 100-igen Haftung ausgegangen, das Schmerzensgeld hat es auf 25.000 € erhöht:
„Wie vom Landgericht bereits ausgeführt, haften die Beklagten gemäß § 823 Abs. 1 BGB sowie gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 32 StVO, § 315 b StGB zu 100% für die Folgen des Unfalls vom 24.10.2009.
1. Die Beklagten installierten eine Slackline quer über den Geh- und Radweg. Sie schufen dadurch ein verbotenes Verkehrshindernis im Sinne des § 32 StVO und bereiteten gleichzeitig gemäß § 315 b StGB ein Hindernis, durch das sie die Sicherheit im Straßenverkehr beeinträchtigten und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen gefährdeten.
a) Bei dem Geh- und Radweg, auf dem sich der Unfall ereignete, handelte es sich um eine Straße im Sinne des § 32 StVO und des § 315 b StGB.
Die Verhaltensvorschriften der StVO beziehen sich grundsätzlich nur auf Vorgänge im öffentlichen Verkehrsraum. „Öffentlich“ im Sinne des Straßenverkehrsrechts ist eine Verkehrsfläche immer dann, wenn auf ihr der Verkehr eines Personenkreises, der durch keinerlei persönliche Beziehungen miteinander verbunden ist, zugelassen wird (Heß in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Auflage 2018, StVO, § 1 Rn. 6). Die Öffentlichkeit wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass die Benutzung nach sachlichen Merkmalen beschränkt ist (für Fuß- oder Radweg: OLG Zweibrücken, Urteil vom 22.09.1989 – 1 U 211/88, NZV 1990, 476; Heß, a.a.O. Rn. 7). Hier handelte es sich um ein öffentliches Sportgelände, das Befahren des Weges mit dem Fahrrad und die Benutzung als Fußgänger waren jedermann gestattet.
Der Begriff der Straße in § 315 b StGB erfasst auch Fahrrad- und Gehwege. Entscheidend ist auch hier lediglich die Widmung für den öffentlichen Verkehr, also die ausdrückliche Zulassung oder wenigstens das stillschweigende Dulden der Nutzung durch jedermann seitens des Verfügungsberechtigten (Pegel, in: Münchner Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2019, § 315c Rn. 6). Bei dem Geh- und Radweg handelte es sich somit auch um eine Straße im Sinne des § 315 b StGB.
b) Die über die Straße gespannte Slackline stellte ein Hindernis im Sinne der § 32 StVO, § 315 b StGB dar. Nach herrschender Meinung erfasst der räumliche Schutzbereich des § 32 StVO auch den Luftraum über dem Straßenkörper, da auch in den Luftraum hineinragende Gegenstände – insbesondere durch die Gefahr von Kollisionen mit Verkehrsteilnehmern – die Verkehrssicherheit als Schutzgut des § 32 StVO gefährden können (Sauthoff, in: Münchner Kommentar zum StVR, 1. Auflage 2016, StVO, § 32 Rn. 13; Hühnermann, in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Auflage 2018, StVO, § 32 Rn. 5; Rogler, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Auflage 2016, StVO, § 32 Rn. 28; OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 26.05.2017 – 13 U 21/14, BeckRS 2017, 138275).
c) Dieses Hindernis gefährdete die Sicherheit des Verkehrs. Insbesondere war zu befürchten, dass sich nähernde Radfahrer die Slackline zu spät als solche wahrnehmen, in diese hineinfahren und stürzen könnten. Diese abstrakte Gefährdung des Verkehrs führte auch zu einer konkreten Gefährdungssituation im Sinne des § 315 b StGB, wobei sich die konkrete Gefährdung der Klägerin durch den Unfall realisierte.
d) Die Beklagten verursachen die Verkehrsgefährdung und die konkrete Gefährdung der Klägerin auch zumindest grob fahrlässig.
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden ist, schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt wurden und dasjenige nicht beachtet wurde, was im gegebenen Fall jedermann hätte einleuchten müssen (Rolfs/Binz, in: Münchner Kommentar zum StVR, 1. Auflage 2017, BGB § 276 Rn. 12; BGH, Urteil vom 16.02.1979 – I ZR 97/77, NJW 1979, 2474).
Hier war den Beklagten bekannt, dass der Weg von Radfahrern befahren wurde. Die Beklagten haben eingeräumt, dass vor dem Sturz der Klägerin bereits drei Personen, darunter zwei Radfahrer, gezwungen waren, das Hindernis zu umfahren. Es lag auf der Hand, dass Radfahrer mit einem solchen Hindernis nicht rechnen und ihre Aufmerksamkeit nicht auf den Bereich 15 bis 25 cm über dem Boden vor ihnen richten würden. Es war daher schon deshalb naheliegend, dass die Gefahr bestand, dass ein Radfahrer die Slackline übersehen und infolgedessen stürzen würde. Spätestens aber als die Beklagten sich zudem noch von der Stelle entfernten, ohne die Slackline vorher zu beseitigen oder zu kennzeichnen, und so auch nicht mehr durch ihre Übungen auf der Slackline auf die Gefahrensituation aufmerksam machten, ließen sie die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße außer Acht.
e) Sowohl § 32 StVO (Gunnar Geiger, in: Münchner Kommentar zum StVR, 1. Auflage 2017, BGB, § 823 Rn. 174; OLG Frankfurt, Urteil vom 10.09.1991 – 14 U 244/89, NJW 1992, 318) als auch § 315 b StGB (Gunnar Geiger, a.a.O.; BGH, Urteil vom 23.11.1955 – VI ZR 193/54, NJW 1956, 217) sind Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Diese Schutzgesetze wurden von den Beklagten schuldhaft verletzt. Daneben haften die Beklagten aufgrund ihrer grob fahrlässigen Sorgfaltspflichtverletzung gemäß § 823 Abs. 1 BGB für die Schäden der Klägerin.
2. Der Umfang der Haftung der Beklagten ist auch nicht wegen eines Mitverschuldens der Klägerin beschränkt.
a) Ein Mitverschulden der Klägerin ist nicht erwiesen. Die Beweislast für das Vorliegen eines Mitverschuldens des Geschädigten trägt der Schädiger. Das gilt sowohl für den Grund des Mitverschuldens als auch für dessen Gewicht. Kann die Mitverursachung durch den Geschädigten nicht bewiesen werden, geht dies zu Lasten des Schädigers (Oetker, in: Münchner Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, § 254 Rn. 145; Lorenz, in: Beck’scher Online Kommentar zum BGB, 50. Edition, Stand 01.05.2019, § 254 Rn. 69; ständige Rechtsprechung, vgl. nur BGH, Urteil vom 20.02.2013 – VIII ZR 339/11, NJW 2013, 2018)…..“