Heute dann mal ein Tag der OLGs. Zunächst der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.06.2016 – 1 Ws 63/16 -, der schon länger in meinem Blogordner hängt. Aber es ist mit etwas anderes dazwischen gekommen. Aber heute bringe ich ihn dann.
Es geht um die Frage: Durfte der Angeklagte, der als sog. 1-Euro-Kraft in der ganztägigen Betreuung einer ersten Klasse einer Gemeinschaftsgrundschulde eingesetzt war, im Rahmen dieser Tätigkeit einem sechsjährigen Schüler „eine knallen“ = eine Ohrfeige versetzen. Das LG hatte „nein“ gesagt und den Angeklagten wegen Körperverletzung 8§ 223 StGB) verurteilt. Das OLG hat dasLG-Urteil aufgehoben und den Angeklagten frei gesprochen.
Zum Sachverhalt: Der Angeklagte hatte zunächst mit einigen Jungen aus der ersten Klasse der Schule auf dem Schulhof gespielt. Dabei ging es „durchaus wild“ zu. gwurde getobt. Irgendwann wurde es dem Angeklagten zu viel, er zog sich zurück. Das haben die Schülwer nicht realisiert und folgten ihm; seine verbalen Äußerungen befolgten sie nicht bzw. nahmen sie überhaupt nicht wahr. Ein Schüler, der zuvor bereits häufiger Verhaltensauffälligkeiten gezeigt hatte, begann den Angeklagten zu schlagen, einige andere stürmten auf den Angeklagten ein. Zwei Schüler spuckten in Richtung des Angeklagten; zumindest einer traf ihn hierbei auch. Insgesamt waren 5-10 Jungen der ersten Klasse beteiligt und schlugen den Angeklagten. Dieser überlegte sodann, wie er diese Situation beenden und weitere Schläge abwehren könne. Er entschied sich, dem ihm am nächsten befindlichen Schüler, einer der beiden „Spucker“, eine Ohrfeige zu versetzen, um die Situation zu beenden und sämtliche Kinder so von weiteren Schlägen abzuhalten.
Das OLG sagt: Durch Notwehr (§ 32 StGB) gerechtfertigt. Denn: Das Ohrfeigen des Schülers war eine erforderliche Verteidigungshandlung gem. § 32 Abs. 2 StGB. Und: Ein milderes Mittel, mit welchem der Angeklagte die Attacke der Kinder gleich wirksam, insbesondere gleich schnell, hätte beenden können, stand ihm in der konkreten Tatsituation nicht zur Verfügung. Der Angeklagte hatte eine nur verbale Einwirkung auf die Kinder erfolglos versucht. Das Beiseiteschieben oder –tragen der Kinder – oder jedenfalls der ihm am nächsten stehenden Kinder – wäre – so das OLG – dem den Kindern „körperlich massiv überlegenen“ Angeklagten zwar möglich gewesen, habe aber kein gleich geeignetes milderes Mittel zur Abwehr des Angriffs dargestellt. Das OLG hatte auch keine Problem damit, dass der Angeklagte nicht die Hilfe eine im Hof anwesenden hauptamtlichen Pädagogen in Anspruch nehmen oder sich dem Angriff durch Verlassen des Hofs hätte entziehen können. Denn:
Weder eine vorübergehende – dem Angegriffenen im Rahmen der Notwehr in der Regel ohnehin nicht zuzumutende (vgl. Fischer a.a.O. Rn. 32) – Flucht in das Schulgebäude noch die Inanspruchnahme von Hilfe durch den wenige Meter entfernt auf einer Mauer sitzenden hauptamtlichen Pädagogen hätte in gleicher Weise wie die Ohrfeige eine sofortige Beendigung des Angriffs erwarten lassen. Im Fall der Flucht in das Schulgebäude wäre angesichts des vorangegangenen Verhaltens der Kinder zu befürchten gewesen, dass diese den Angeklagten, wie auch schon nach seiner Entfernung von dem Ort des „Wasserspiels“, weiterhin verfolgen und dabei das zwischenzeitlich begonnene Schlagen und Spucken fortsetzen. Ob ein Hilferuf an den Kollegen zu einer sofortigen Beendigung des Angriffs geführt hätte, war zumindest höchst ungewiss. Angesichts dessen Beschäftigung mit der Betreuung anderer Kinder der Klasse war schon seine sofortige Reaktion nicht sichergestellt. Insbesondere war aber auch nicht ohne weiteres zu erwarten, dass die Kinder, die auf verbale Einwirkung durch den Angeklagten zuvor nicht reagiert hatten, nunmehr einer Aufforderung des hauptamtlichen Kollegen zur Beendigung ihrer Attacke auf den Angeklagten umstandslos sofort gefolgt wären. Andere nichtkörperliche Möglichkeiten der Einwirkung auf die Kinder zwecks sofortiger Beendigung des Angriffs standen auch dem hauptamtlichen Pädagogen nicht zur Verfügung.
Und: Nach Auffassung des OLG entfiel das sich aus § 32 StGB ergebende Recht des Angeklagten, sich durch eine Ohrfeige zu verteidigen, nicht deswegen, weil die Angreifer aufgrund ihres Alters nicht schuldfähig waren:
„Einer Entscheidung der Rechtsfrage, wie die Grenzen des Notwehrrechts gegen Angriffe schuldlos Handelnder im Einzelnen abstrakt zu bestimmen sind, bedarf es nicht. Bei den festgestellten Tatumständen greift weder eine der von der Rechtsprechung anerkannten Einschränkungen des Notwehrrechts noch liegen die teilweise weiter gefassten Voraussetzungen der in der Literatur befürworteten Einschränkungen des Notwehrrechts vor.
Der Angeklagte hatte keine Möglichkeit, dem Angriff ohne substantiellen Rechtsverlust auszuweichen. Ein Versuch auszuweichen wäre damit verbunden gewesen, dass der Angeklagte sich, wenn auch nur für kurze Zeit, länger von den Kindern hätte schlagen und bespucken lassen müssen. Diese ihm drohende weitere Beeinträchtigung seiner körperlichen Integrität und seiner Ehre war nicht gänzlich unerheblich. Seine Gegenwehr durch das Ohrfeigen des ihm an nächsten stehenden Kindes war weder maßlos noch stand sie unter Würdigung der damit einhergehenden Wirkungen für das Kind außer Verhältnis zu der von dem Angeklagten auf diese Weise von sich selbst abgewendeten drohenden weiteren Rechtsgutsverletzungen. Zwar drohten dem Angeklagten durch die ohne die Ohrfeige zu erwartenden weiteren Schläge mehrerer Erstklässler keine erheblichen Verletzungen, aber solche erlitt auch A. R. durch die Ohrfeige nicht. Diese führte nach den getroffenen Feststellungen zwar zu nicht unerheblichen Schmerzen, die aber nach nur etwa 10 Minuten wieder abgeklungen waren. Im Übrigen blieb sie folgenlos.“