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Kann der Angeklagte den Pflichtverteidiger bezahlen?, oder: Leistungsfähig? Schonvermögen gibt es nicht

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Heute ist letzter Arbeitstag vor Weihnachten. Was soll man da noch bringen/machen? Schwierige Entscheidungen eignen sich sicherlich nicht, im Zweifel hat darauf eh niemand mehr Lust. Daher habe ich gedacht: Gebühren geht immer, die sind immer sehr wichtig, ob vor, an oder nach Weihnachten. 🙂

Es ist zwar kein Freitag, aber an Weihnachten darf man mal aus dem Tritt kommen. Und es hat den Vorteil, dass es dann am Montag normal weitergehen kann. Also dann heute zwei gebührenrechtliche Entscheidungen.

Und ich beginne mit dem OLG Brandenburg, Beschl. v. 03.11.2021 – 1 Ws 99/21 (S). Es geht um § 52 RVG, also um Ansprüche des Pflichtverteidigers gegenüber dem Mandanten. Die Vorschrift wird leider häufig übersehen.

Folgender Sachverhalt:

Der Rechtsanwalt war hier dem Angeklagten noch vor dessen Festnahme am 22.02.2019 als Pflichtverteidiger bestellt worden. Der Angeklagte ist vom LG Neuruppin u.a. wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes verurteilt worden. Das Urteil ist seit dem 26.08.2020 rechtskräftig. Darüber hinaus war der Rechtsanwalt dem Angeklagten in einem Strafverfahren vor dem LG Berlin, in dem der Angeklagte u.a. wegen räuberischer Erpressung verurteilt wurde, als Pflichtverteidiger beigeordnet. Dieses Urteil ist seit dem 01.09.2021 rechtskräftig.

Der Rechtsanwalt hat sowohl beim LG Berlin (Differenzgebühr in Höhe von 2.357,54 EUR) als auch beim LG Neuruppin (Differenzgebühr in Höhe von 2.423,13 EUR) die Feststellung beantragt, dass der Angeklagte ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie notwendigen Unterhalts zur Zahlung der Gebühren eines gewählten Verteidigers in der Lage sei. Das LG Berlin hat dem Antrag des Angeklagten stattgegeben. Seine hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das KG verworfen.

Hier hatt der Rechtsanwalt hat ausgeführt, der Angeklagte habe keine Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Dritten. Ob der Angeklagte, der sich seit dem 06.02.2019 in Haft befinde, gegenwärtig Einkünfte erziele, sei nicht bekannt. Der Rechtsanwalt habe jedoch im Auftrag des Angeklagten Honoraransprüche des Angeklagten aus geleisteter Übersetzungstätigkeit gegenüber dem Jugendamt in den Monaten Juni und Juli 2018 geltend gemacht. Dieses habe daraufhin insgesamt 4.749,50 EUR auf das Konto des Rechtsanwalts überwiesen. Zwischen ihm und seinem Mandanten habe die Absprache bestanden, dass bei Fälligkeit der Differenzgebühr für die Verfahren vor dem LG Berlin und dem LG Neuruppin die Zahlung des Jugendamtes beim Rechtsanwalt verbleiben solle. Von diesem Betrag seien lediglich 150,- EUR abzuziehen, welche bereits auf das Gefangenenkonto des Angeklagten eingezahlt worden seien. Ende des Jahres 2020 habe der Angeklagte dann überraschend um Rechnungslegung und die Einzahlung des verbleibenden Betrages in Höhe von 4.599,50 EUR auf das Gefangenenkonto gebeten. Er habe daraufhin am 05.01.2021 gegenüber dem Angeklagten die Aufrechnung erklärt, nämlich mit der Forderung aus dem hiesigen Verfahren in Höhe von 2.423,13 EUR sowie mit der Forderung aus dem Verfahren vor dem LG Berlin in Höhe von 2.357,54 EUR nebst den Forderungen aus der zivilrechtlichen Geltendmachung der Honoraransprüche des Angeklagten in Höhe von insgesamt 561,20 EUR. Da der Angeklagte der Aufrechnung widersprochen habe, sei die Feststellung der Leistungsfähigkeit des Angeklagten durch das Gericht erforderlich.

Die zuständige Rechtspflegerin beim LG Neuruppin hat den Antrag des Beschwerdeführers zurückgewiesen. Sie hat das im Wesentlich damit begründet, dass ausgehend von dem vorhandenen Vermögen des Angeklagte in Höhe von 4.599,50 EUR nach Abzug des Schonvermögens in Höhe von 5.000,00 EUR kein einsetzbares Vermögen, welches für die Feststellung der Leistungsfähigkeiten heranzuziehen wäre. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Pflichtverteidigers hatte Erfolg:

„Nach § 52 Abs. 2 RVG kann der gerichtlich bestellte Rechtsanwalt vom Angeklagten die Zahlung der Gebühren eines Wahlverteidigers nur verlangen, soweit dem Angeklagten ein Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse zusteht oder nachdem das Gericht des ersten Rechtszuges auf Antrag des Rechtsanwalts nach Anhörung des Angeklagten festgestellt hat, dass dieser ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie notwendigen Unterhalts zur Zahlung in der Lage ist. Letztere Prüfung ist vorgesehen, weil die Bestellung eines Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger den Angeklagten kraft Gesetzes verpflichtet, dem Rechtsanwalt die Gebühren eines Wahlverteidigers zu zahlen. Diese Verbindlichkeit entsteht ohne Rücksicht darauf, ob der Angeklagte zu einer solchen Leistung willens und in der Lage ist. Der Gesetzgeber konnte die Geltendmachung solcher Forderungen nur zulassen, ohne dass unerträgliche Härten entstanden, wenn die vorherige Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Verpflichteten sichergestellt war (vgl. BGH, Urteil vom 03. Mai 1979 – III ZR 59/78 –, Rn. 21, juris).

Vorliegend lagen die Voraussetzungen für die Feststellung der Leistungsfähigkeit des Angeklagten vor. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit sind die wirtschaftlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Auflage Rn. 60 zu § 52).

……

Zwar ist der Angeklagte aufgrund seiner geringen Einkünfte nicht in der Lage, die Differenzgebühr aus seinen Einnahmen zu bestreiten. Bei der Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen sind aber auch Ansprüche, die der Angeklagte gegenüber Dritten hat (vgl. Burhoff/Volpert, a.a.O. Rn. 61 zu § 52). Dazu zählt vorliegend der Anspruch des Angeklagten gegenüber dem Beschwerdeführer auf Auszahlung der vom Jugendamt pp. auf dessen Konto überwiesenen 4.749,50 €, abzüglich der bereits an den Angeklagten gezahlten 150,- € (= 4.599,50 €). Aufgrund des ihm zustehenden und auch realisierbaren Anspruchs auf Zahlung von 4.599,50 € ist der Angeklagte hiernach als leistungsfähig anzusehen, ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie notwendigen Unterhalts, die im hiesigen Verfahren angefallenen Gebühren eines gewählten Verteidigers (Differenzgebühr) jedenfalls bis zu einer Höhe von 2.241,96 €  zu zahlen. Dieser Betrag ergibt sich daraus, dass von den zur Verfügung stehenden 4.599,50 € bereits ein Betrag in Höhe von 2.357,54 € als Differenzgebühr für das Verfahren vor dem Landgericht Berlin als verbraucht zu gelten hat.

Soweit die Rechtspflegerin in Ansehung der Vorschrift des § 90 SGB XII, auf den § 115 Abs. 3 ZPO verweist, dem Angeklagten ein Schonvermögen in Höhe von 5.000,00 € zuspricht, kann dem nicht gefolgt werden. Gegen die Anwendung dieser Norm spricht bereits die Tatsache, dass der Gesetzgeber in § 52 Abs. 2 Satz 1 RVG ohne Rücksicht auf die Vermögenslage eines Angeklagten dem Pflichtverteidiger zur Befriedigung seines Differenzerstattungsanspruchs einen Zugriff auf einen möglichen Erstattungsanspruch, den ein Angeklagter gegen die Staatskasse hat, zubilligt.

Dem Grunde nach handelt es sich bei dem Differenzerstattungsanspruch um einen zivilrechtlichen Anspruch des Beschwerdeführers gegen den Angeklagten, der seine Grundlage in § 52 Abs. 1 RVG hat.

In der Regel kann ein Gläubiger beim Schuldner vorhandenes Vermögen aber bis zur eigenen Befriedigung vollständig verwerten lassen. Anderes gilt nur bei Einkommen. Pfändet ein Gläubiger das Einkommen eines Schuldners, kann dies nur bis zur Pfändungsfreigrenze erfolgen, die jeder Person gemäß § 850c ZPO zusteht und die durch das Einkommen des Schuldners nicht überschritten wird.

Der Umstand, dass der Angeklagte – wie von ihm dargelegt – weitere Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Wohnungs- und Baugesellschaft pp., der Staatsanwaltschaft Frankfurt (Oder) sowie gegenüber dem Job-Center hat, steht dem nicht entgegen.“

Bausparvertrag muss herhalten für Verfahrenskosten

Mal etwas anderes als Straf- und Bußgeldsachen, nämlich Verfahrenskostenhilfe. Habe ich sonst wenig(er) mit zu tun. Ich finde die Entscheidung aber ganz interessant, wahrscheinlich werden die „Fachleute“ mir jetzt sagen oder kommentieren, nichts Besonderes, aber dennoch: Hier ist dann der OLG Naumburg, Beschl. v. 23.05.2013 – 8 WF 95/13 VKH, de sich mit der Frage der Beurteilung der Bedürftigkeit eines Beteiligten für die von ihm beantragte Verfahrenskostenhilfe befasst. Es geht um die Auswirkungen, die ein Bausparvertrag auf die Bedürftigkeit hat. Das OLG berücksichtigt ihn, auch in dem Bausparvertrag das Kind bzw. Kinder als Berechtigte für die Leistung nach dem Todesfall des Beteiligten bestimmt worden sind, für die Verfahrenskosten, soweit die angesparte Summe das Schonvermögen übersteigt.

„Gem. § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO, § 90 Abs. 1 SGB XII ist daher das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen, also auch Guthaben auf Bausparkonten.

Nach Würdigung aller Gesamtumstände ist das Sparvermögen auf den Bausparkonten auch dem Vermögen der Antragsgegnerin zuzuordnen. Sie ist – unabhängig von der Begünstigungsregelung im Todesfall – Inhaberin des jeweiligen Sparkontos und damit Gläubigerin der entsprechenden Auszahlungsforderungen. Maßgeblich für die Zuordnung ist das hier geltende Recht des BGB. Kontoinhaber ist danach derjenige, der im konkreten Einzelfall nach dem erkennbaren Willen des die Kontoeröffnung Beantragenden Gläubiger der Bank werden soll (vgl. BGH Urteil vom 02.02.1994 – IV ZR 51/93; OVG SchlH Urteil vom 21.11.2007 – 2 LB 29/07; Schinkels in: jurisPK-BGB, 6. Aufl. 2012, § 328 BGB, Rdn. 48.). Das ist vorliegend die Antragsgegnerin. Wenn eine andere Person berechtigt sein soll, muss sich das aus den Kontounterlagen ergeben, BGH a.a.O. Insofern können auch minderjährige Kinder mit der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters (§ 107 BGB) etwaige Sparkonten eröffnen. Dass die Kinder J. und N. im Bausparvertrag jeweils als Berechtigte für die Leistung nach dem Todesfall bestimmt worden sind, ändert daran nichts. Denn die Kinder erwerben das Recht auf diese Leistung im Zweifel erst mit dem Tod der Antragsgegnerin, § 331 Abs. 1 Satz 2 BGB. Bis dahin ist es der Antragsgegnerin möglich, über das Guthaben zu verfügen. Die Kinder haben vor dem Tod der Antragsgegnerin damit nicht einmal eine Anwartschaft, sondern lediglich eine Chance auf einen künftigen Rechtserwerb (vgl. Schinkels in: jurisPK-BGB, 6. Aufl. 2012, § 331 BGB, Rdn. 7). Aus diesem Grund ist der Antragsgegnerin das Vermögen auf dem Bausparkonto – unabhängig von dem vorgetragenen elterlichen Verwendungszweck – nach bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen allein zuzurechnen und damit nach den hier maßgebenden sozialhilferechtlichen Grundsätzen zu verwerten.

Aus diesem Vermögen kann die Antragsgegnerin den Betrag für die Verfahrenskosten aufbringen. Das ist auch zumutbar. Denn unter Berücksichtigung des abzusetzenden Schonvermögens gem. § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO, § 90 Abs. 3 SGB XII i.V. mit § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII, das sich auf 2.600 € beläuft, errechnet sich der einzusetzende Vermögensbetrag von 2.429,44 € (1.937,64 € + 3.091,80 €) – 2.600 €).“