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Rückwärtseinparken in Einbahnstraßen – hier haftet der „Einparker“ voll

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Im „Kessel Buntes“ heute dann zwei zivilrechtliche Entscheidungen. Zunächst stelle ich das OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.10.2017 – I-1 U 133/16 – vor. Das OLG entscheidet über einen Verkehrsunfall in Zusammenhang mit dem Rückwärtseinparken in einer Einbahnstraße. Dre Kläger parkt rückwärts ein, dabei kommt es zum Zusammenstoß mit dem Pkw des Beklagten. Das OLG sagt: Für beide nicht „unabwendbar“, die Gesamtabwägung führt jedoch dazu, dass der Beklagte – zumindest in diesem Fall – voll haftet, und zwar auf der Grundlage folgender Überlegungen/Thesen:

  • Für die Beklagte war das Unfallgeschehen schon deswegen abwendbar, weil sie bei größtmöglicher Vorsicht auf eine Rückwärtsfahrt in der Einbahnstraße hätte verzichten und nach einer Runde um den Berliner Platz den von ihr gewünschten Parkplatz sodann in einer deutlich ungefährlicheren Fahrt in Vorwärtsrichtung hätte erreichen können.
  • Der Beklagten fällt ein schuldhafter Verstoß gegen das Gebot, eine Einbahnstraße nur in die vorgeschriebene Fahrtrichtung zu befahren (Vorschriftszeichen 220, Anlage 2 zur StVO i.V.m. §§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO) sowie ein solcher gegen § 9 Abs. 5 StVO zur Last, welche sich die Beklagte zu 2. zurechnen lassen muss.
    • Die Beklagte zu 1. hat durch die Rückwärtsfahrt entgegen der Fahrtrichtung der Einbahnstraße gegen das Vorschriftszeichen 220, Anlage 2 zur StVO i.V.m. §§ 41 Abs. 1, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO verstoßen. denn:
    • Auch wenn das bloße Rückwärtseinparken in Einbahnstraßen zulässig ist, da es sich insoweit um ein zulässiges Rangieren des Kfz handelt, stellt das Rückwärtsfahren zu einer Parklücke ein Fahren gegen die vorgeschriebene Fahrtrichtung dar.
    • Der Beklagten zu 1. ist zudem ein Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO, jedenfalls aber ein erheblicher Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorzuwerfen.
    • Selbst soweit man die Auffassung vertritt, dass die durch § 9 Abs. 5 StVO geregelte Rückwärtsfahrt mit der erhöhten Aufmerksamkeitsanforderung vor allem dem Schutz des fließenden Verkehrs sowie dem Fußgängerverkehr dient (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, a.a.O., § 9 StVO Rn 67 m.w.N., ebenso Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 9 StVO Rn. 51 m.w.N.) und deswegen nicht gegenüber den vom Straßenrand Anfahrenden gilt, verbleibt eine erhebliche Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 1 Abs. 2 StVO seitens der Beklagten zu 1.
  • Dem Kläger ein Verstoß gegen die besonderen Sorgfaltspflichten als Anfahrendem aus § 10 S. 1 StVO oder auch nur ein Aufmerksamkeitsverschulden nach § 1 Abs. 2 StVO nicht entgegengehalten werden.
    • Nach § 10 StVO muss derjenige, der vom Fahrbahnrand anfahren will, sich so verhalten hat, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss er sich einweisen lassen. Dies betrifft grundsätzlich auch entgegenkommenden oder rückwärts fahrenden Verkehr (vgl. Senat, Urteil vom 15.05.2012, 1 U 127/11 m.w.N.). Jedoch kann sich derjenige, der verbotswidrig eine Straße entgegen der einzig zugelassenen Fahrtrichtung benutzt, nicht auf eine Schutzwirkung zu seinen Gunsten durch § 10 StVO berufen .
    • Die Beklagten konnten darüber hinaus auch keinen Verstoß des Klägers gegen § 1 Abs. 2 StVO nachweisen, weil dieser fahrend mit dem bereits erkennbar sich in Rückwärtsfahrt befindlichen Fahrzeug der Beklagten zu 1. kollidiert wäre.

Das führt(e) dann zu folgenden Leitsätzen:

  1. Durch das Vorschriftzeichen 220, Anlage 2 zur StVO i.V.m. § 41 Abs. 1 StVO ist auch das Rückwärtsfahren entgegen der allein zugelassenen Fahrtrichtung untersagt.
  2. Wer in einer Einbahnstraße in Fahrtrichtung vom Fahrbahnrand anfährt, muss nicht damit rechnen, dass ihm ein Kraftfahrzeug entgegen kommt. Im Falle einer Kollision besteht daher kein Anschein für ein Verschulden des vom Fahrbahnrand Anfahrenden, § 10 StVO.
  3. Dessen Mithaftung ist nur gerechtfertigt, wenn der Rückwärtsfahrer dem Anfahrenden ein unfallursächliches Aufmerksamkeitsverschulden nachweisen kann.

Rückwärtseinparken und Einparkautomatik: Sorgfaltspflicht bleibt beim Fahrer

© Thaut Images Fotolia.com

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Im Moment spielen die mit dem Rückwärtsfahren zusammenhängenden Fragen in der Rechtsprechung zur Unfallschadenshaftung eine große Rolle. Ich erinnere in dem Zusammenhnag an das BGH, Urt. v. 15.12.2015 – VI ZR 6/15 (vgl. dazu BGH zum Rückwärtsfahren: Wenn der andere steht, kein Anscheinsbeweis). Mit einem „Rückwärtsfahrfall“ hatte nun auch das AG Gelsenkirchen zu tun, und zwar im AG Gelsenkirchen, Urt. v. 03.05. 2016 – 427 C 74 / 15 – mit einer besonderen Variante. Nämlich dem Rückwärtseinparken in eine Paklücke unter zuhiklfenahme einer Einparkautomatik. Der Kläger hatte in dem Verfahren Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall verlangt, bei dem er selber zum Unfallzeitpunkt rückwärts auf einer Straße in eine Parklücke einparken wollte. Hierfür hatte er eine Einparkautomatik eingesetzt, die für ihn die entsprechende Analyse der Parklücke und die Steuerung des Fahrzeugs beim Einparkvorgang übernahm. Laut der Bedienungsanweisung des Herstellers oblag es ihm als Fahrzeugführer allerdings weiterhin, diesen Vorgang auf ein gefahrloses Einparken zu überwachen, während er angemessen Gas gibt und den Hinweisen im Display zu folgen hat. Der Kläger hatte behauptet, dass der Beklagte während dieses Einparkvorgangs aus Unachtsamkeit von hinten gegen sein Fahrzeug gefahren wäre, während ihn kein Fehlverhalten treffen könnte, da die Einparkautomatik für ihn die Überwachung übernimmt und eine Gefahrenquelle nicht angezeigt hatte. Der Beklagte hatet dagegen eingewandt, zum Unfallzeitpunkt hinter dem Fahrzeug der Klägerseite gestanden zu haben, während der Kläger unachtsam gegen ihn gefahren wäre. Durch ein Sachverständigengutachten wurde nachgewiesen, dass das klägerische Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt rückwärts bewegt wurde, während das Fahrzeug der Beklagtenseite aller Wahrscheinlichkeit nach gestanden hat.

Das AG hat die Klage abgewiesen:

„Nach dem in jeder Hinsicht überzeugenden und in Anbetracht der Fotodokumentation nachvollziehbaren Sachverständigengutachten – gegen welches die Parteien keine Einwendungen erhoben haben – ist festzuhalten, dass das Fahrzeug des Beklagten zu 1) im Zeitpunkt der Kollision stand, während das Klägerfahrzeug rückwärts gefahren wurde. Dieses Ergebnis stimmt auch mit der insoweit glaubhaften Aussage der Zeugin L. überein.

In dem vorliegenden Fall spricht die Tatsache, dass das Fahrzeug des Beklagten zu 1) zum Zeitpunkt der Kollision stand, für das alleinige Verschulden des Klägers, hinter dem auch die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs vollständig zurücktritt.

Denn nach der gemäß § 9 Abs. 5 StVO gebotenen äußersten Sorgfalt ist die vorherige und ständige Rückschau beim Rückwärtsfahren unerlässlich. Der zurücksetzende Fahrzeugführer hat in ständiger Bremsbereitschaft bei rückwärtigem Verkehr sofort anzuhalten und darauf zu achten, dass der Gefahrraum hinter seinem Fahrzeug frei ist und von hinten wie von den Seiten frei bleibt; anderenfalls muss er sofort anhalten können. Auch auf eine Einparkhilfe darf er sich nicht verlassen. (vgl. Hentschel/König/Dauer, StraßenverkehrsR 42. Aufl., § 9 Rn. 51).

Wegen der besonderen Gefahren, die das Rückwärtsfahren für die übrigen Verkehrsteilnehmer mit sich bringt, muss der Rückwärtsfahrende sich auch beim Einrangieren in eine Parklücke ganz besonders sorgfältig verhalten. Diesem Sorgfaltserfordernis ist der Kläger offensichtlich nicht nachgekommen.

Der Einwand des Klägers, dass sein Fahrzeug mit einer Einparkautomatik ausgestattet ist, die die Verkehrslage automatisch überprüfen und das Fahrzeug bei Gefahr stoppen würde, ist unerheblich. Denn einerseits gebietet es die erhöhte Sorgfaltspflicht schon nicht, sich auf eine solche Einparkhilfe zu verlassen. Andererseits wird auch die Einparkautomatik des Klägerfahrzeugs noch dadurch aktiv gesteuert, dass beim Einparken durch den Fahrzeugführer Gas gegeben und gebremst werden muss. Das Sachverständigengutachten hat insoweit eindeutig dargelegt, dass der Fahrzeugtyp des klägerischen Fahrzeugs bei sich annähernden Gefahren nicht automatisch anhält, sondern aktiv von dem Fahrer gebremst werden muss.“