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Angeklagter kartet nach – stört den BGH aber nicht…

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Im Posting Verständigung/Absprache – ein Rechtsprechungsmarathon hatte ich ja schon kurz über den BGH, Beschl. v. 29.11.2013 -1 StR 200/13, der sich mit den Auswirkungen gescheiterter Verständigungsgespräche befasst hat, berichtet. Und wie das manchmal so ist: Das Verfahren hat noch kein Ende. Es gibt in dem Verfahren nämlich einen „Nachfolgebeschluss“, der im Rahmen einer Anhörungsrüge ergangen ist. Der Angeklagte hatte nämlich nachgekartet und geltend gemacht, dass er von der Entscheidung des BGH überrascht worden sei, er sei auf einen  „Kritikpunkt an der Revisionsbegründung … aufmerksam gemacht worden“.

Darauf antwortet jetzt noch einmal der BGH im BGH, Beschl. v. 27?.?02?.?2014? – 1 StR ?200?/?13? – in Zusammenhang mit der Gehörsrüge des Angeklagten:

„Dabei ist verkannt, dass Art. 103 Abs. 1 GG zwar Überraschungsent-scheidungen verbietet, jedoch das Gericht grundsätzlich weder vor der Entscheidung zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet, noch dessen allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht begründet (BVerfG, Beschluss vom 27. November 2008 – 2 BvR 1012/08 mwN).

Darüber hinaus hat der Senat im Einzelnen dargelegt, dass „unabhängig von alledem“ – also von den sich aus dem Revisionsvorbringen ergebenden Zweifeln an der in Rede stehenden Angriffsrichtung – die Rüge auch in der Sache keinen Erfolg haben kann. Schon deshalb wäre selbst dann, wenn rechtliches Gehör verletzt wäre – was nicht der Fall ist -, dies nicht in i.S.d. § 356a StPO entscheidungserheblicher Weise geschehen.

Möglicherweise verkennt dies auch die Anhörungsrüge nicht, da sie ein-leitend darlegt, dass „dieser Gesichtspunkt für die Entscheidung des Senats wohl nicht tragend gewesen ist“. Ob ihr Vor-bringen zur Angriffsrichtung dennoch dahin verstanden werden will, dass es die angebrachte Anhörungsrüge begründen soll, mag unter den gegebenen Umständen auf sich beruhen bleiben. ….“

Von der versuchten zur vollendeten Vergewaltigung – führt das zur Aussetzung?

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Mit der Anklage wird dem Angeklagten u.a. eine versuchte schwere Vergewaltigung zur Last gelegt; in der Hauptverhandlung ergeht nach einer erweiterten Aussage der Geschädigten der rechtliche Hinweis, dass auch eine Verurteilung wegen vollendeter schwerer Vergewaltigung in Betracht kommt.Der Angeklagte stellt einen auf § 265 Abs. 4 StPO gestützten Aussetzungsantrag, der nicht zum Erfolg führt. Mit der Revision wird dann geltend gemacht, dass der Antrag auch nach § 265 Abs. 3 StPO hätte beschieden werden müssen. Der BGH, Beschl. v. 27.02.2013 – 2 StR 517/12 – sagt: Nein:

„Den ausdrücklich auf § 265 Abs. 4 StPO gestützten Aussetzungsantrag des Angeklagten hat das Landgericht rechtsfehlerfrei abgelehnt. Entgegen dem Revisionsvorbringen war die Strafkammer nicht gehalten, diesen Antrag auch als einen solchen nach § 265 Abs. 3 StPO zu behandeln und zu bescheiden, da insoweit schon die Voraussetzungen nicht vorlagen:

Mit der zugelassenen Anklage wurde dem Angeklagten u.a. eine ver-suchte schwere Vergewaltigung zur Last gelegt; in der Hauptverhandlung erging nach einer erweiterten Aussage der Geschädigten der rechtliche Hin-weis, dass auch eine Verurteilung wegen vollendeter schwerer Vergewaltigung in Betracht komme. Damit lagen zwar neu hervorgetretene Umstände vor; diese führten jedoch weder zur Anwendung eines schwereren Strafgesetzes (§ 265 Abs. 3 StPO) noch zu einer Erhöhung der Strafbarkeit (§ 265 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 StPO). Für die angeklagte versuchte schwere Vergewaltigung gilt die-selbe abstrakte Strafandrohung wie für das vollendete Delikt, lediglich mit der fakultativen Strafmilderung der §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB. Auf den mit dem Übergang vom versuchten zum vollendeten Delikt einhergehenden Wegfall dieser fakultativen Milderungsmöglichkeit kann ein Aussetzungsantrag nach § 265 Abs. 2 und 3 StPO nicht gestützt werden (vgl. BGH NJW 1988, 501 zum Entfall einer möglichen Milderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB).“

Wenn es ein Fall des § 265 Abs. 3 StPO gewesen wäre, dann hätte ausgesetzt werden müssen. Denn in § 265 Abs. 3 StPO heißt es „so ist … auszusetzen“.

Bleibt es beim „Zweier“, oder wird es ein (flotter) „Dreier“?

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I.d.R. ist die große Strafkammer nach den Änderungen bei § 76 Abs. 2 GVG zum 01.01.2012 – (so lange ist es schon her; vgl. dazu auch hier) – mit nur noch zwei Berufsrichtern besetzt. Etwas anderes gilt, wenn Sicherungsverwahrung zu erwarten ist (§ 76 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 GVG). In dem Zusammenhang stellt sich dann die Frage: Was ist, wenn bei der Eröffnungsentscheidung die Sicherungsverwahrung noch nicht abzusehen war, dann aber in der Hauptverhandlung ein rechtlicher Hinweis nach § 265 StPO in diese Richtung gegeben worden ist: Bleibt es beim „Zweier“, oder wird es ein (flotter) „Dreier“? Der BGH, Beschl. v. 14.11.2012 – 3 StR 335/12 – sagt: Es bleibt beim Zweier, es muss nicht neu entschieden und in „Dreierbesetzung“ verhandelt werden:

 „Zu der Rüge einer Verletzung des § 76 Abs. 2 GVG bemerkt der Senat:

Die Rüge bleibt auch insoweit ohne Erfolg, als sie beanstandet, die Strafkammer habe nicht erneut ihre Besetzung mit zwei Berufsrichtern geprüft und eine Besetzung mit drei Berufsrichtern beschlossen, nachdem sie in der Hauptverhandlung einen Hinweis auf die mögliche Anordnung einer Unterbrin-gung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) gegeben hatte. Sowohl nach Wortlaut und Systematik des § 76 GVG als auch nach der Intention des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucks. 17/6905 S. 10, 12) ist die begonnene Hauptverhandlung in der ursprünglich beschlossenen Besetzung zu Ende zu führen (vgl. entsprechend zu § 76 Abs. 2 GVG aF BGH, Beschluss vom 13. September 2011 – 5 StR 189/11, StraFo 2011, 517 mwN). Ein erneuter Beschluss über die Kammerbesetzung ist nach Beginn der Hauptverhandlung gemäß § 76 Abs. 5 GVG nur unter den hier nicht gegebenen Voraussetzungen möglich, dass die Sache vom Revisionsgericht zurückverwiesen oder die Hauptverhandlung ausgesetzt worden ist.“

Rechtlicher Hinweis – und danach?

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Fangen wir heute die Berichterstattung mal mit einer BGH-Entscheidung an, und zwar mit dem BGH, Beschl. v. 09.08.2012 – 1 StR 323/12, in dem es um die Frage des weiteren Vorgehens nach einem rechtlichen Hinweis gem. § 265 StPO geht.

Der Angeklagte ist wegen Körperverletzung verurteilt worden, die in einem Lokal begangen wurde. Am Geschehen waren mehrere Personen beteiligt. Die Anklage ging noch davon aus, dass der Angeklagte im Lokal das Geschehen abgesichert, aber nicht selbst zugeschlagen hatte. Nach dem Plädoyer der Staatsanwältin erging dann der Hinweis, dass er der Schläger gewesen sein könnte. Der Angeklagte ist dann als Täter verurteilt worden. Seine Revision hält § 265 Abs. 1 StPO für verletzt. Ihm sei nicht eröffnet worden, dass er sich zu diesen Vorwürfen äußern könne. Auch die Staatsanwältin habe ihren Antrag nicht wiederholt. Hätte sich der Angeklagte geäußert, wäre er vielleicht niedriger bestraft worden.

Der BGH lässt die Frage, ob die Verfahrensrüge ordnungsgemäß ausgeführt worden ist, offen, sieht aber die Rüge als unbegründet an:.

(a) Dabei kann offen bleiben, ob hier bei einer Änderung des Sachverhalts ohne Änderung der rechtlichen Bewertung ein Hinweis – in entsprechender Anwendung von § 265 StPO – wegen des Ablaufs der Hauptverhandlung überhaupt geboten war (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2012 – 1 StR 45/11). Es liegt fern, dass der Angeklagte verkannt hätte, dass seine Angaben Urteilsgrundlage werden können.

(b) Im Übrigen ist eine gesonderte Befragung des Angeklagten nach einem Hinweis gemäß/entsprechend § 265 StPO zwar zweckmäßig (vgl. Stuckenberg in KMR, § 265 Rn. 48 mwN), unerlässlich aber nur, wenn sonst keine Verteidigungsmöglichkeit bestünde. So wäre es etwa rechtsfehlerhaft, unmittelbar nach dem Hinweis die Urteilsberatung zu beginnen oder das Urteil zu verkünden (vgl. Stuckenberg aaO mwN). So oder damit vergleichbar war es hier nicht. Nach dem Hinweis plädierte der Verteidiger, der Angeklagte hatte das letzte Wort; eine Erklärung, wonach eine beabsichtigte Stellungnahme zu dem Hinweis nicht auf der Stelle abgegeben werden könne (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 1965 – 5 StR 578/64), erfolgte nicht. Nach alledem bestand genügend Gelegenheit zur Verteidigung.

(3) Der unerläutert in die Ausführungen zu fehlender Verteidigungsmöglichkeit eingefügte Hinweis, die Staatsanwältin habe nicht erneut plädiert, hängt mit dem zusammenfassenden Ergebnis, der Angeklagte wäre bei einer eigenen Äußerung vielleicht milder bestraft worden, nicht klar zusammen.

(a) Ist aber nicht eindeutig, ob das geschilderte Geschehen auch deshalb gerügt sein soll, weil die Staatsanwältin nach dem Hinweis nicht nochmals das Wort erhielt, so spricht dies wegen insoweit unklarer Angriffsrichtung gegen eine derartige (weitere) Rüge (vgl. BGH, Beschluss vom 29. August 2006 – 1 StR 371/06; Sander/Cirener JR 2006, 300 jew. mwN).

(b) Außerdem könnte der Angeklagte nicht die fehlende Stellungnahme der Staatsanwältin zu diesem Punkt, sondern allenfalls die fehlende Möglichkeit hierzu rügen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. September 2008 – 1 StR 449/08). Die Staatsanwältin hätte jedoch entsprechend § 258 Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz StPO nochmals das Wort ergreifen können, wenn sie dies wegen eines zu-nächst von ihr nicht behandelten Gesichtspunkts für geboten gehalten hätte (vgl. Eschelbach in Graf (Hrsg.), BeckOK StPO, Edit 14, § 258 Rn. 16; Forkert-Hosser in Radtke/Hohmann, StPO, § 258 Rn. 18). Sie machte hiervon keinen Gebrauch; einer Aufforderung durch das Gericht bedurfte es nicht.

 

Allgemeines „Geplausche“ in der HV reicht nicht für Sicherungsverwahrung

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Beim BGH hatte jetzt ein Verteidiger7Angeklagter mit einer Verfahrensrüge (beim 1. Strafsenat [!!]) Erfolg, der folgender Sachverhalt zugrunde lag: In der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft Augsburg findet sich im Anklagesatz kein Hinweis darauf, dass die Anordnung einer Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten in Betracht kommt. Die Ladung zur Hauptverhandlung, allerdings nur an den Verteidiger gerichtet, enthielt demgegenüber folgenden maschinenschriftlichen Zusatz: „Gem. § 265 StPO wird darauf hingewiesen, dass aufgrund des Gutachtens des SV A. vom 21.09.11 die Unterbringung des Angeklagten im Maßregelvollzug nach § 66 StGB in Betracht kommt. Auf richterliche Anordnung: …“. Im Hauptverhandlungsprotokoll vom 14. 11.2011 findet sich folgende Eintragung: Der Angeklagte wurde vom Vorsitzenden gemäß § 243 Abs. 5 StPO darüber belehrt, dass es ihm freistehe, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Dabei wurden vom Vorsitzenden einerseits die durch ein mindestens teilweises Geständnis möglichen Verfahrensvorteile, andererseits – ohne dass ein nochmaliger förmlicher Hinweis nach § 265 StPO erfolgte – die im Falle einer Verurteilung auch wegen Vergewaltigung drohende An-ordnung der Sicherungsverwahrung angesprochen. Dazu der BGH, Beschl. v. 26.06.2012 – 1 StR 158/12:

„.. Da weder die Revisionsgegenerklärung noch dienstliche Äußerungen das Gegenteil bekunden, ist danach davon auszugehen, dass dem Angeklagten ein förmlicher Hinweis entsprechend § 265 StPO nicht erteilt wurde (zu dessen Erforderlichkeit vgl. BGH NStZ-RR 2004, 297 und NStZ 2009, 227). Dabei kann dahinstehen, ob der Zusatz in der Terminsladung hierfür ausreichend gewesen wäre, denn insoweit wurde dieser Hinweis nur dem Verteidiger, nicht aber dem Angeklagten erteilt, was aber gemäß § 265 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StPO (KK-StPO/Engelhardt, 6. Aufl., § 265 Rn. 19) erforderlich gewesen wäre.
3. Der Angeklagte konnte – anders als bei dem der Entscheidung BGH NStZ 1992, 249 zugrunde liegenden Sachverhalt – einen entsprechenden Hinweis auch nicht aus einem Gerichtsbeschluss entnehmen, wonach die Einholung eines Gutachtens zur Frage der Anordnung der Sicherungsverwahrung beschlossen wurde; denn ein solches Gutachten war nicht vom Gericht, sondern noch vor Anklageerhebung von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben worden.
Nachdem sich insoweit weder aus dem Hauptverhandlungsprotokoll, noch aus der Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft und dienstlichen Äußerungen Hinweise hierauf ergeben, muss der Senat davon ausgehen, dass der Angeklagte aus dem Gang der Hauptverhandlung nicht unzweifelhaft und eindeutig entnehmen konnte, dass im Urteil gegen ihn die Sicherungsverwahrung angeordnet werden könnte.

Und – was dann beim 1. Strafsenat überrascht:

4. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil bezüglich der Anordnung der Sicherungsverwahrung auf dem Rechtsfehler beruht. Die Revision begründet überzeugend, dass der Angeklagte, wenn er vom Gericht einen entsprechenden Hinweis erhalten hätte, sich anders und wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Insbesondere hätte er, abweichend von seiner Verteidigungsstrategie, weder Angaben zur Sache noch zu seinen persönlichen Verhältnissen zu machen, sich dann zur Sache eingelassen und auch Angaben zu den persönlichen Verhältnissen gemacht. Jedenfalls hätte er auch Angaben