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Strafe III: Richtige Bemessung der Tagessatzhöhe, oder: Gewährung von Zahlungserleichterungen

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Und als letzte Entscheidung heute dann der BayObLG, Beschl. v. 09.01.2024 – 202 StRR 101/23, den ich schon mal wegen anderer Fragen vorgestellt habe (vgl. hier: Alkohol I: Zur alkoholbedingten Schuldunfähigkeit, oder: Nur vage Trinkmengenangaben).

Heute geht es um die Ausführungen des BayObLG zur Geldstrafe und zur Bemessung der Tagessatzhöhe:

„2. Die Bemessung der Geldstrafen hinsichtlich der jeweiligen Anzahl der Tagessätze und der hieraus gebildeten Gesamtstrafe weisen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Allerdings hält die Festsetzung der Tagessatzhöhe auf 50 Euro der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

a) Das Landgericht beschränkte sich zur Begründung seiner Entscheidung über die Tagessatzhöhe auf den bloßen Hinweis, dass diese „entsprechend der vom Angeklagten selbst geschilderten wirtschaftlichen Verhältnisse“ auf 50 Euro festzusetzen sei. Dies ist nicht nachvollziehbar. Zum einen hat das Landgericht diese Angaben an anderer Stelle des Berufungsurteils selbst in Zweifel gezogen, indem es sie als „unkonkret“ und „nebulös“ bezeichnet hat, so dass es in sich widersprüchlich ist, wenn sich das Tatgericht auf die entsprechende Einlassung stützt. Zum anderen rechtfertigt die im Berufungsurteil wiedergegebene Einlassung des Angeklagten zu seinen Einkommensverhältnissen als selbständiger Versicherungsmakler ohnehin nicht die Annahme eines monatlichen Nettoeinkommens in Höhe von 1.500 Euro. Hiernach hat der Angeklagte ausgesagt, er „zahle“ – nach Abzug der Aufwendungen für seine private Krankenversicherung in Höhe von etwa 450 Euro monatlich, der nicht näher bezifferten Mieten für die Geschäftsräume sowie eines Betrages von 500 Euro für „Investitionsschulden“ – monatlich 1.000 Euro netto „an sich aus“. Unter Zugrundelegung dieser Angaben erschließt sich schon rein rechnerisch die Festlegung der Tagessatzhöhe auf 50 Euro nicht, sodass nicht die Rede davon sein kann, dass der Bemessung der Tagessatzhöhe auf den Angaben des Angeklagten beruhen würde. Denn bei einem Selbstständigen bestimmt sich die Tagessatzhöhe grundsätzlich nach dem erzielten Gewinn, abzüglich der hierauf entfallenden Einkommensteuern, der für die soziale Absicherung erforderlichen Beträge (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 113/115) und gegebenenfalls etwaiger Unterhaltsverpflichtungen (BGH, Beschl. v. 14.01.2021 – 1 StR 242/20 = BeckRS 2021, 3064). Zu diesen Positionen verhält sich das Berufungsurteil nicht.

b) Wenn das Tatgericht aber – wie hier – ein Nettoeinkommen zugrunde legt, das mit der Einlassung des Angeklagten nicht in Einklang zu bringen ist, ist es gehalten, diese plausibel zu widerlegen, indem es entweder entsprechende Ermittlungen anstellt bzw., sofern die Ermittlung zu einer unangemessenen Verzögerung des Verfahrens führen würde oder der erforderliche Aufwand nicht im Verhältnis zur Höhe der Geldstrafe stehen würde (BGH, Urt. v. 13.07.2017 – 1 StR 536/16 = StraFo 2017, 465 = wistra 2018, 43 = BGHR AO § 370 Abs 1 Konkurrenzen 25), das erzielte oder erzielbare Nettoeinkommen nach § 40 Abs. 3 StGB im Schätzungsweg bestimmt. Im Falle der Vornahme einer Schätzung ist es erforderlich, dass das Tatgericht die konkreten Schätzgrundlagen, von denen es ausgeht, darlegt. Da das Landgericht dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, weist das Berufungsurteil nicht nur ein einfach gesetzliches Begründungsdefizit auf, weil das Revisionsgericht nicht in die Lage versetzt wird, die Richtigkeit der getroffenen Entscheidung nachzuprüfen (BayObLG, Beschl. v. 18.10.2023 – 202 StRR 76/23 bei juris = BeckRS 2023, 31058; OLG Köln, Beschl. v. 23.03.2021 – III-1 RVs 50/21 bei juris; KG, Beschl. v. 19.11.2019 – [3] 121 Ss 143 = OLGSt StGB § 219a Nr 1; MüKo-StGB/Radtke 4. Aufl. § 40 Rn. 121), sondern verstößt zudem gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschl. v. 01.06.2015 – 2 BvR 67/15 = wistra 2015, 388 = DAR 2015, 576 = NStZ-RR 2015, 335 = NZV 2016, 48 = NStZ-RR 2016, 46 = StV 2016, 554).

3. Darüber hinaus hat das Landgericht rechtsfehlerhaft nicht in Erwägung gezogen, ob dem Angeklagten Zahlungserleichterungen nach § 42 StGB zu bewilligen sind. Da die Entscheidung nach § 42 StGB zwingend vorgeschrieben ist, muss sich das Urteil damit befassen, wenn die Anwendung der Vorschrift nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen eines Angeklagten naheliegt (vgl. BGH, Beschl. v. 20.02.2018 – 2 StR 348/17 = NStZ-RR 2018, 238 = BGHR StGB § 42 Zahlungserleichterungen 2 = StV 2019, 440). Dies ist hier der Fall, weil schon in Anbetracht der hohen Tagessatzanzahl und seiner bisherigen, vom Landgericht nicht widerlegten Angaben zu den Einkommensverhältnissen damit zu rechnen ist, dass der Angeklagte den Betrag der Geldstrafe nicht aus laufendem Einkommen, Rücklagen oder Vermögen sofort begleichen kann (vgl. BGH a.a.O.; Beschl. v. 18.09.2019 – 2 StR 196/19 bei juris u. 19.12.2018 – 4 StR 198/18 bei juris).“

Berufung II: Ratenzahlung in der 1. Instanz gewährt, oder: Es gilt das Verschlechterungsverbot

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Die zweite Entscheidung kommt vom KG. Das hat im KG, Beschl. v. 05.02.2021 – (3) 121 Ss 189/20 (1/21) – zur Geltung des Verschlechterungsverbotes (§ 331 StPO) auch bei gewährter Ratenzahlung ausgeführt:

„Allerdings verstößt die von der Strafkammer vorgenommene Erhöhung der dem Angeklagten gestatteten monatlichen Ratenzahlungen auf 200 Euro gegenüber der erstinstanzlich festgesetzten Rate von 100 Euro gegen das Verschlechterungsverbot im Sinne des § 331 Abs. 1 StPO.

Das in den §§ 331 Abs. 1, 358 Abs. 2 Satz 1 StPO für das Rechtsmittelverfahren und in § 373 Abs. 2 Satz 1 StPO für die Wiederaufnahme normierte Verbot der Verschlechterung gewährleistet, dass der Angeklagte bei seiner Entscheidung, ob er von einem ihm zustehenden Rechtsmittel bzw. einem Wiederaufnahmeantrag Gebrauch machen will, nicht durch die Besorgnis beeinträchtigt wird, es könne ihm durch die Einlegung ein Nachteil erwachsen (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2019 – 5 StR 387/18 –, juris m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 63. Aufl., § 331 Rn. 1 m.w.N).

Das Verschlechterungsverbot gilt nach seinem Wortlaut grundsätzlich für alle Rechtsfolgen der Tat in Art und Höhe. Durchbrochen wird es aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen (§ 331 Abs. 2, § 358 Abs. 2 Satz 2, § 373 Abs. 2 Satz 2 StPO) nur für die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus und in der Entziehungsanstalt.

Grundsätzlich nehmen auch die vom erstinstanzlichen Gericht nach § 42 StGB bewilligte Zahlungserleichterungen am Verschlechterungsverbot teil (vgl. KG, Beschlüsse vom 4. April 2018 – (5) 121 Ss 44/18 (26/18) – und 15. April 2015 – (2) 161 Ss 72/15 (23/15) –; OLG Hamburg MDR 1986, 517; Frisch in SK, StPO 5. Aufl., § 331 Rn. 48; Gössel in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl., § 331 Rn. 46 m.w.N.).

Die Gegenansicht, wonach Zahlungserleichterungen uneingeschränkt zum Nachteil des Angeklagten geändert werden dürfen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O, § 331 Rn. 6; Beukelmann in Radtke/Hohmann, StPO, § 331 Rn. 4; Grube in Leipziger Kommentar, StGB 13. Aufl., § 42 Rn. 23; Albrecht in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB 5. Aufl., § 42 Rn. 10), übersieht, dass Zahlungserleichterungen in der Urteilsformel festzulegen sind und die Schlechterstellung des Angeklagten hinsichtlich der Zahlungsmodalitäten einer Geldstrafe zweifellos die Höhe der Rechtsfolgen der Tat im Sinne des § 331 Abs. 1 StPO tangiert (vgl. OLG Hamburg a.a.O.; Paul in KK, StPO 8. Aufl., § 331 Rn. 4).

Der in § 331 Abs. 1 StPO verwendete Begriff der „Höhe der Rechtsfolgen“ kann allerdings nicht isoliert auf Entscheidungen nach § 42 StGB bezogen werden in dem Sinne, dass die vom Erstrichter festgesetzte Geldstrafe nicht nur ihrer Gesamthöhe nach, sondern auch als „Monatsrate“ für das Rechtsmittelgericht als Obergrenze festgeschrieben wäre (vgl. OLG Schleswig NJW 1980, 1535). Denn nach § 459a Abs. 2 Satz 2 StPO ist es sogar der Vollstreckungsbehörde möglich, bei Vorliegen neuer Tatsachen eine rechtskräftige Entscheidung nach § 42 StGB zum Nachteil des Verurteilten nachträglich zu ändern oder aufzuheben. Demzufolge kann es auch dem Berufungsgericht nicht stets verboten sein, die vom Erstgericht festgesetzte Ratenhöhe zum Nachteil des Angeklagten zu verändern oder eine Ratenzahlungsbewilligung ganz zu versagen (vgl. OLG Schleswig a.a.O.), nämlich dann nicht, wenn die Voraussetzungen des § 459a Abs. 2 Satz 2 StPO vorliegen (vgl. KG, Beschlüsse vom 4. April 2018 und 15. April 2015 a.a.O.; OLG Hamburg a.a.O.; OLG Schleswig a.a.O.; Fischer, StGB 68. Aufl., § 42 Rn. 13; Gössel a.a.O.; Brunner in KMR, StPO 63. EL, § 331 Rn. 35; Rautenberg/Reichenbach in Gercke/Julius/Temming/Zöller, StPO 6. Aufl., § 331 Rn. 8; Brunner in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO 4. Aufl., § 331 Rn. 35).

Vorliegend sind neue Tatsachen im Sinne des § 459a Abs. 2 Satz 2 StPO jedoch nicht festzustellen. Die Strafkammer hat gleichwohl bei nahezu gleich gebliebenen Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Angeklagten zwar die Tagessatzhöhe unverändert festgesetzt, aber die monatliche Rate verdoppelt.

Der Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot zwingt jedoch nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Vielmehr kann der Senat gemäß § 354 Abs. 1 StPO die Zahlungserleichterungen selbst gewähren, denn der Sachverhalt liegt einfach und das Landgericht hat hierfür ausreichende Feststellungen getroffen …….“