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„Richter lässt Polizisten-Killer laufen“…

so titelt die Bild-Zeitung zu dem gestern bekannt gewordenen Freispruch durch den BGH im Hells Angels-Prozess beim LG Koblenz. War m.E. zu erwarten, dass es so oder ähnlich heißen würde. Wir hatten ja gestern auch schon über den Freispruch berichtet. Allerdings unter einer anderen Überschrift: „Irrtümliche Notwehr” bei der Tötung eines Polizeibeamten – Freispruch durch den BGH.

Vgl. auch hier im LawBlog mit (derzeit) 157 (!!) Kommentaren – bunt gemischt.

„Irrtümliche Notwehr“ bei der Tötung eines Polizeibeamten – Freispruch durch den BGH

Der BGH meldet gerade mit seiner PM Nr. 174/11 vom Freispruch durch den BGH (!!!) in einem Totschlagsverfahren, das beim LG Koblenz gelaufen ist. In der PM heißt es:

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Verurteilung eines Mannes wegen Totschlags an einem Polizeibeamten durch das Landgericht Koblenz aufgehoben und den Angeklagten freigesprochen.

Das Landgericht hat Folgendes festgestellt: Der Angeklagte, ein führendes Mitglied des Motorradclubs „Hell´s Angels“, hatte erfahren, dass er von Mitgliedern des konkurrierenden Clubs „Bandidos“ ermordet werden solle. Zeitgleich erließ das Amtsgericht in einem gegen den Angeklagten geführten Ermittlungsverfahren einen Durchsuchungsbefehl für seine Wohnung. Wegen der zu befürchtenden Gewaltbereitschaft des Angeklagten und seiner polizeibekannten Bewaffnung wurde zur Vollstreckung des Durchsuchungsbefehls ein Sondereinsatzkommando (SEK)der Polizei hinzugezogen.

Am Tattag versuchte das SEK gegen 6.00 Uhr morgens, die Tür des Wohnhauses des Angeklagten aufzubrechen, um ihn und seine Verlobte im Schlaf zu überraschen. Der Angeklagte erwachte durch die Geräusche an der Eingangstür,
bewaffnete sich mit einer Pistole Kal. 45, die mit acht Patronen geladen war, und begab sich ins Treppenhaus, wo er das Licht einschaltete. Er erblickte von einem Treppenabsatz aus durch die Teilverglasung der Haustür eine Gestalt, konnte diese aber nicht als Polizisten erkennen. Vielmehr nahm er an, es handle sich um schwerbewaffnete Mitglieder der „Bandidos“, die ihn und seine Verlobte töten wollten. Er rief: „Verpisst Euch!“ Hierauf sowie auf das Einschalten des Lichts reagierten die vor der Tür befindlichen SEK-Beamten nicht; sie gaben sich nicht zu erkennen und fuhren fort, die Türverriegelungen aufzubrechen.

Da bereits zwei von drei Verriegelungen der Tür aufgebrochen waren und der Angeklagte in jedem Augenblick mit dem Eindringen der vermeintlichen Angreifer rechnete, schoss er ohne weitere Warnung, insbesondere ohne einen Warnschuss abzugeben, nun gezielt auf die Tür, wobei er billigend in Kauf nahm, einen der Angreifer tödlich zu treffen. Das Geschoss durchschlug die Verglasung der Tür, drang durch den Armausschnitt der Panzerweste des an der Tür arbeitenden Polizeibeamten ein und tötete diesen.

Die Schwurgerichtskammer des Landgerichts hat den Angeklagten wegen dieses Geschehens wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von acht ahren und sechs Monaten verurteilt. Das Landgericht hat angenommen, der Angeklagte habe zwar irrtümlich die Voraussetzungen einer Notwehrlage angenommen, er habe aber auch unter diesen Voraussetzungen nicht ohne Vorwarnung die tödliche Waffe einsetzen dürfen.

Der 2. Strafsenat hat die Verurteilung aufgehoben und den Angeklagten insoweit freigesprochen, weil auf der Grundlage der
landgerichtlichen Feststellungen ein Fall strafloser Putativnotwehr gegeben war. Nach ständiger Rechtsprechung ist die irrtümliche Annahme einer Notwehrlage im Ergebnis ebenso zu behandeln wie ein Fall tatsächlich gegebener Notwehr. Danach
muss der gezielte Einsatz einer lebensgefährlichen Waffe zwar grundsätzlich stets zunächst angedroht und ggf. auch ein Warnschuss abgegeben werden. Ein rechtswidrig Angegriffener muss aber nicht das Risiko des Fehlschlags einer
Verteidigungshandlung eingehen. Wenn (weitere) Warnungen in der konkreten „Kampflage“ keinen Erfolg versprechen oder die Gefahr für das angegriffene Rechtsgut sogar vergrößern, darf auch eine lebensgefährliche Waffe unmittelbar
eingesetzt werden. Nach den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Landgerichts war hier ein solcher Fall gegeben. Im Augenblick – irrtümlich angenommener – höchster Lebensgefahr war dem Angeklagten nicht zuzumuten,
zunächst noch durch weitere Drohungen oder die Abgabe eines Warnschusses auf sich aufmerksam zu machen und seine „Kampf-Position“ unter Umständen zu schwächen.

Dass es durch die Verkettung unglücklicher Umstände zum Tod des Polizeibeamten kam, war dem Angeklagten daher nicht anzulasten. Weil dieser seinen Irrtum auch nicht fahrlässig verursacht hatte, konnte er auch wegen fahrlässiger Tötung nicht verurteilt werden.

Urteil vom 2. November 2011 – 2 StR 375/11″

 

Lehrbuchentscheidung des BGH zur Putativnotwehr

Der 1. Strafsenat des BGH hat im Beschl. v. 11.08.2010 – 1 StR 351/10 – erneut ein Urteil des LG Mannheim aufgehoben, nachdem er in der Sache bereits mit Beschluss vom 29. 9, 2009 (1 StR 476/09) die erste Veruretilung des Angeklagten aufgehoben hatte. In der Sache geht es um eine Putativnotwehrlage bei Verwendung eines Messers im Rahmen gefährlicher Körperverletzung durch einen körperlich unterlegenen Täter. Der BGH führt u.a. aus, dass ein körperlich unterlegener Täter, der zuvor massiver körperlicher Gewalt seitens des Opfers ausgesetzt war und diesem kurz darauf im Treppenhaus wieder begegnet, ein mitgeführtes Messer als Verteidigungsmittel einsetzen darf. Dies gelte auch dann, wenn das Opfer keinen neuerlichen Angriff beabsichtigt, der Täter aber irrtümlich vom Vorliegen eines Angriffs ausgeht, weil sich das Opfer ihm nähere. Es handelt sich insofern um einen Erlaubnistatbestandsirrtum. Und: Schwinge der Täter das Messer vor der Verwendung, so könne darin die Androhung des Einsatzes der Waffe gesehen werden, unabhängig davon, ob das Opfer das Messer auch tatsächlich wahrnimmt.

Zunächst: Der BGH hat an ein anderes LG zurückverwiesen.

Sodann: ich war neulich von einem Kommentator gebeten worden, auf examensrelevante Entscheidungen hinzuweisen. Dies ist m.E. eine 🙂