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Anwesenheit bei einem Parkverstoß nicht erforderlich, oder: Von „meinem Entbindungsspezialisten“

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Und den Abschluss des Tages macht dann der OLG Dresden, Beschl. v. 05.04.2017 – OLG 22 Ss 901/16 (Z) -, den mir der Kollege L.H. Kroll aus Berlin zugesandt hat. Er ist „mein Entbindungsspezialist“, weil ich von ihm sehr viele Entscheidungen zur Problematik der §3 73, 74 OWiG erhalte, in denen seine Rechtsbeschwerden erfolgreich gewesen sind. Das beweist meine These, dass man an der Stelle sehr schön Zeit gewinnen kann. Und es beweist, dass die Amtsrichter häufig „mit dem Kopf durch die Wand wollen“, wenn es um die Entbindung des Betroffenen von seiner Anwesenheitspflicht geht und auf dem Erscheinen in der Hauptverhandlung bestehen, so dass der Entbindungsantrag abgelehnt wird.

So auch der Richter beim AG Leipzig. Der hatte in einem Bußgeldverfahren, in dem es um eine Geldbuße von 35 € ging wegen Parkens auf einem Sonderparkplatz für Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung, beidseitiger Amelie oder Phokomelie sowie für blinde Menschen, ohne dass ein besonderer Parkausweis gut lesbar auslag, den Entbindungsantrag des Betroffenen abgelehnt und den Einspruch des dann ausgebliebenen Betroffenen nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Das OLG sagt: Geht nicht:

„Der Betroffene war vorliegend nach § 73 Abs. 2 OWiG von seiner Anwesenheitspflicht zu ent­binden. Nach dieser Bestimmung entbindet das Gericht den Betroffenen von seiner Verpflich­tung zum persönlichen Erscheinen, wenn er sich zur Sache geäußert hat oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht äußern werde und seine Anwesenheit zur Aufklä­rung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhaltes nicht erforderlich ist. Dabei ist zu beach­ten, dass die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt ist, dieses vielmehr verpflichtet ist, dem Antrag zu entsprechen, sofern die Vorausset­zungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (vgl. OLG Hamm, DAR 2016, 595; OLG Karlsruhe, NZV 2011, 95). Im vorliegenden Fall gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass aus dem Ge­sichtspunkt der Aufklärungspflicht die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung geboten gewesen wäre. Dem Betroffenen wurde ein Parkverstoß zur Last gelegt. Der Betrof­fene hatte jedoch seine Fahrereigenschaft bestritten und im Übrigen erklärt, dass er weitere Angaben zur Sache nicht machen werde. Damit waren jedoch die Voraussetzungen für die Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen gegeben und das Amtsgericht hätte dem Antrag stattgeben müssen. Denn es waren keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür er­kennbar, dass in der Hauptverhandlung von der persönlichen Anwesenheit des Betroffenen ein maßgeblicher Beitrag zur Aufklärung des Sachverhaltes, insbesondere zur Fahreridentifizie­rung, zu erwarten war. Solche wurden im Übrigen von der Tatrichterin in der den Antrag ableh­nenden Entscheidung auch nicht benannt. Im Übrigen hätte aber auch allein die theoretische Möglichkeit, der zur Hauptverhandlung geladene Zeuge könnte den Betroffenen als Fahrer des Fahrzeuges wiedererkennen, zur Ablehnung des Entbindungsantrages nicht genügt, wenn sich zuvor aus der Akte kein konkreter Hinweis dafür bot, dass der Zeuge entsprechende Be­obachtungen bezüglich des Führers des geparkten Fahrzeuges gemacht hatte (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O; BayObLG, VRS 64, 137 – zur sogn. Kennzeichenanzeige). Soweit das Amtsgericht die Ablehnung des Entbindungsantrages mit der Klärung der Frage begründet hat, ob ggf. ein Kostenbescheid nach § 25 a StVG gegen den Betroffenen erlassen wird, ist weder in der ablehnenden Entscheidung begründet noch anderweitig ersichtlich, inwieweit die­se Entscheidung vor dem Hintergrund der Erklärung des Betroffenen seine Anwesenheit in der Hauptverhandlung erforderlich gemacht hat.“

Als Verteidiger muss man wissen, dass der Weg in den Fällen, in denen es um eine geringfügige Geldbuße geht und die Rechtsbeschwerde zugelassen werden müsste, über § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG geht – Stichwort: Versagung des rechtlichen Gehörs.

Und: Was mich erstaunt? Nun, dass der Amtsrichter trotz der m.E. eindeutigen Rechtsprechung der OLG hier auf der Anwesenheit des Betroffenen bestanden hat. Die Aufhebung war m.E. absehbar. Noch erstaunlich ist daher, dass die GStA das amtsrichterliche Urteil offenbar „gesund gebetet hat“. Denn anders ist der Verwerfungsantrag nicht zu erklären.

Berufungsverwerfung, oder: Wenn der Angeklagte seinem Arzt vertraut

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Da die mit dem § 329 StPO zusammenhängenden Fragen in der Praxis eine große Rolle spielen, hier dann nach dem OLG Hamm, Beschl. v. 25.10.2016 – 3 RVs 72/16 – dazu: Die Gerichtssprache ist deutsch, oder: Unwirksame Ladung?, der OLG Dresden, Beschl. v. 13.12.2016 – 1 OLG 13 Ss 802/16. Entschieden wird nichts Neues, aber es wird noch einmal deutlich, dass die Frage, ob der Angeklagte unentschuldigt nicht erschienen ist, immer auch davon abhängt, ob ihm in subjektiver Hinsicht ein Vorwurf wegen des Ausbleibens in der Hauptverhandlung gemacht werden kann:

„Der Tatrichter hat zwar – unter Hinzuziehung eines Sachverständigen – rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die vom Angeklagten vorgelegten ärztlichen Atteste keine „ausreichenden Hinweise für eine Flugunfähigkeit“ des Angeklagten enthalten und sich ihnen „keine medizinisch stichhaltigen Gründe für eine Reiseunfähigkeit per Flugzeug“ entnehmen lassen. Die aufgrund dessen getroffene Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei (objektiv) nicht genügend entschuldigt, ist deshalb nicht zu beanstanden.

Das Landgericht hat jedoch ersichtlich nicht bedacht, dass der Begriff der unentschuldigten Säumnis eine Pflichtverletzung auch in subjektiver Hinsicht voraussetzt (OLG Köln, VRS 97, 362; KG Berlin, Beschluss vom 29. März 1999 – 1 Ss 40/99; OLG Düsseldorf, StV 1985, 316 f.). Das Nichterscheinen kann daher einem Angeklagten nicht zum Vorwurf gemacht werden, wenn er in berechtigtem Vertrauen auf die Richtigkeit einer ärztlichen Diagnose und ggfs. eines ärztlichen Rates davon ausgeht, aus gesundheitlichen Gründen einen Gerichtstermin nicht wahrnehmen zu können oder zu sollen, und zudem annehmen kann, das eingereichte Attest reiche aus, um ihn genügend zu entschuldigen (OLG Köln, a.a.O.). Anhaltspunkte, dass vorliegend das ärztliche Attest – etwa durch Vorspiegeln falscher Symptome oder Erstellen eines Gefälligkeitsattests – durch den Angeklagten erschlichen war und damit für ihn ein Vertrauenstatbestand ersichtlich nicht begründet werden konnte, liegen nicht vor. Gleichfalls kann dem angefochtenen Urteil nicht entnommen werden, dass das Gericht dem Angeklagten nach Vorlage der ärztlichen Atteste in den Hauptverhandlungsterminen vom 10. und 14. Juni 2016 mitgeteilt hätte, dass diese nicht ausreichend seien, ihn hinreichend zu entschuldigen.“

Der Umstand wird häufig übersehen.

Die JVA als „Telefonvermittler“

1896_telephoneDas zweite Posting mit haftrechtlichem Einschlag betrifft den OLG Dresden, Beschl. v. 27.04.2016 – 2 Ws 19/16. In ihm geht es um die Frage: Hat die Vollzugsanstalt für Telefongespräche eines Sicherungsverwahrten die sog. „Vermittlerrolle“ sowohl für eingehende als auch für  ausgehende Gespräche. Darum haben sich in Sachsen ein Sicherungsverwahrter und die JVA gestritten. Das OLG sagt: Sowohl als auch:

„a) Wenngleich aus der im angefochtenen Beschluss mitgeteilten und daher dem Senat als Rechtsbeschwerdegericht auch unter revisionsrechtlichen Gesichtspunkten zugänglichen Ablehnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 11. Mai 2015 zu entnehmen ist, dass „die Prüfung“ einer Ermöglichung der Entgegennahme eingehender Telefonanrufe „noch nicht abgeschlossen“ sei (weshalb der Antrag des Sicherungsverwahrten vom 26. Mai 2015 auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff. StVollzG insoweit möglicherweise hätte verfrüht sein können), teilen die Beschlussgründe im Übrigen jedoch mit, dass sich die Antragsgegnerin sodann nachfolgend im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens dahingehend eingelassen hat, das Begehren des Untergebrachten insgesamt negativ zu verbescheiden, weil sie unter Berufung auf den (vermeintlich einschränkenden) Gesetzeswortlaut des § 31 SächsSVVollzG (Telefongespräche „führen“) lediglich ausgehende Gespräche des Antragstellers vermitteln wolle.

b) Diese beabsichtigte Handhabung eingehender Gespräche von Seiten der Antragsgegnerin genügt dem gesetzlichen Anspruch des Untergebrachten nicht. Die von ihr in Anspruch genommene (vermeintliche) Einschränkung im gesetzlichen Wortlaut greift nicht durch. § 31 Abs. 1 S. 1 SächsSVVollzG bestimmt, dass Telefongespräche (nur unter Vermittlung der Anstalt) „geführt“ werden können. Die Wortwahl („geführt) der gesetzlichen Bestimmung ist neutral und umfasst entgegen der eingeschränkten Auslegung durch die Antragsgegnerin sowohl eingehende als auch ausgehende Telefonate.

Die von ihr in Bezug genommene Begründung in den Gesetzgebungsrnaterialien (Sächs LT-Drs. 5/10937, S. 79), wonach mit der Formulierung „…Telefongespräche geführt“ verdeutlicht werde, dass „lediglich Anrufe des Untergebrachten aus der Anstalt möglich seien, hingegen keine Entgegennahme von Anrufen in der Anstalt“, ist ungeeignet, den gesetzlichen Anspruch des Untergebrachten zu beschränken.

Nach deutschen Sprachverständnis werden Gespräche ganz allgemein „geführt“, womit in der Bedeutung (vgl. Duden-online; http://www.duden.de/rechtschreibung/Ge-spraech#Bedeutungl) ein mündlicher Gedankenaustausch in Rede und Gegenrede über ein bestimmtes Thema einhergeht. In Bezug auf den Auslöser (Initiator) dieses Gedankenaustausches ist der sprachlichen Wendung dagegen nichts zu entnehmen. Sie ist neutral, weil dieser Gedankenaustausch erst zustandekommt („geführt“ wird), wenn der durch das Klingeln des Telefongerätes akustisch verdeutlichte Gesprächswunsch eines Anrufers — bei Einverständnis – vom jeweils Angerufenen angenommen worden ist. Ob es sich dabei um ein eingehendes (vom Außenstehenden initiiertes) oder ein ausgehendes (vom Untergebrachten initiiertes) Gespräch handelt, ist damit nicht festgelegt. Eine andere Sinnbedeutung ist bei vernünftigem Verständnis nicht möglich.“

Rüffel vom VerfGH, oder: Das OLG darf es sich bei Haftentscheidungen nicht zu einfach machen

HaftDer regelmäßige Leser dieses Blog weiß, dass ich immer gern über den Fortgang von Verfahren berichte, aus denen ich hier schon Entscheidungen vorgestellt habe. Und das tue ich dann jetzt auch mit dem VerfGH Sachsen, Beschl. v. 21.04.2016 – VerfG Vf. 16-IV-16 (HS), der im sog. Infinus-Verfahren (Vorwurf: Betrug) ergangen ist, in dem derzeit beim LG Dresden die Hauptverhandlung läuft. Über das Verfahren und die darin ergangenen Haftentscheidungen hatte ich teilweise schon berichtet, und zwar über den OLG Dresden, Beschl. v. 23.12.2014 – 2 Ws 542/14 (vgl. dazu Freibrief/Freilos – Erstaunliches zur U-Haft-Fortdauer vom OLG Dresden) und den dazu ergangenen VerfGH Sachsen, Beschl. v. 26.02.2015 – 7-IV-15, 8-IV-15 (vgl. Freibrief/Freilos – Erstaunliches zur U-Haft-Fortdauer aus Sachsen – II).

Waren die Meldungen dazu bisher eher negativ, so sind sie jetzt erfreulich (nun ja, kommt darauf an, das OLG Dresden wird es anders sehen). Denn: Der Verteidiger hatte nach mehr als zwei Jahren Untersuchungshaft erneut während laufender Hauptverhandlung die Haftentlassung seines Mandanten beantragt. Das LG hatte das erneut abgelehnt und das u.a. damit begründet, dass die Hauptverhandlung keine Aspekte ergeben habe, die den dringenden Tatverdacht bzw. eine die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigende Straferwartung in Frage stellen könnten. Es sei bedacht worden, dass bei einer Verurteilung wegen Beihilfe zum banden- und gewerbsmäßigen Betrug der Strafrahmen auf höchstens 7 Jahre 6 Monate vermindert sei. Es hätten sich zudem Hinweise dafür ergeben, dass ein etwaiges Betrugsgeschehen schon deutlich vor dem angeklagten Tatzeitpunkt begonnen habe. Das OLG hat die dagegen gerichtete Beschwerde verworfen und hat sich dabei weitgehend auf die Ausführungen des LG bezogen.

Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hatte dann jetzt Erfolg. Dem VerfGH Sachsen hat es dann jetzt gereicht. Er moniert, dass es sich LG und OLG dann doch ein wenig zu einfach gemacht haben. Denn:

„… Es hängt von der jeweiligen Sachlage im Einzelfall ab, wann fehlende Ausführungen zur Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit gegen das Freiheitsgrundrecht verstoßen. In sich schlüssige und nachvollziehbare Erwägungen — gemessen am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz — sind aber bei Haftfortdauerentscheidungen nach § 122 StPO immer notwendig (vgl. z.B. SächsVerfGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 Vf. 7-1V-I0 [HS]/Vf. 8-1V-10 [e.A.] —juris Rn. 18).

b) Angesichts der zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidungen bereits seit mehr als zwei Jahren andauernden Untersuchungshaft und einer gesetzlichen Straferwartung von zwischen 3 Jahren 9 Monaten und 7 Jahren 6 Monaten werden der Beschluss des Oberlandesgerichts vom 26. Februar 2016 und der Beschluss des Landgerichts vom 22. Dezember 2015 in der Form der Nichtabhilfeverfügung vom 11. Februar 2016 den Anforderungen an die Begründungstiefe nicht gerecht.

Die Beschlüsse des Landgerichts und des Oberlandesgerichts setzen sich im Zusammenhang mit der prognostizierten Straferwartung nicht mit der hier gebotenen Begründungstiefe mit dem hypothetischen Ende und der Ausgestaltung einer möglicherweise zu verhängenden Freiheitsstrafe auseinander (vgl. zur Maßgeblichkeit des tatsächlich zu erwartenden Freiheitsentzugs: SächsVerfGH, Beschluss vorn 14. August 2012 — Vf. 60-IV12 [HS]/Vf. 61-IV-12 [e.A.]; BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 2012 —2 BvR 644/12 — juris Rn. 35, 37: KG Berlin, Beschluss vom 3. November 2011, StV 2012, 350 [351]; Creuß in BeckOK, StPO, Stand: 1. Juni 2012, § 112 Rn. 17) und unterlassen eine hierauf bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung. Des Weiteren enthalten die Entscheidungen keine hinreichenden Ausführungen zu einer möglichen Aussetzung der Vollstreckung des Strafrestes nach § 57 StGB, obwohl der Beschwerdeführer nicht vorbestraft ist und nach rechtskräftiger Verurteilung erstmalig eine Freiheitsstrafe verbüßen würde (vgl. BVerfG, a.a,0.).“

Wie gesagt, wird man beim OLG nicht so gerne lesen den Rüffel. Aber gelesen hat man den Beschluss des VerfGH, zumindest beim LG. Denn das hat den Haftbefehl inzwischen im LG Dresden, Beschl. v. 25.04.2015 – 5 KLs 100 Js 7387/12 – außer Vollzug gesetzt. Na bitte. Geht doch. Und auf einmal geht es auch schnell 🙂 .

Wer ein Pferd führt, reitet nicht… zumindest in Sachsen

entnommen wikimedia.org Urheber EddyDD www.tristan2002.de

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OLG haben es manchmal insofern schwer, als sie sich auch mit abgelegenen Materien befassen müssen. So das OLG Dresden, das sich im OLG Dresden, Beschl. v. 10.09.2015 – OLG 26 Ss 505/15 (Z) – mit der Auslegung des § 12 Abs. 1 WaldG Sachsen befassen musste. Der erlaubt das Reiten im Wald nur auf dafür ausgewiesenen Wegen. Im entschiedenen Fall hatte aber die Betroffene, die Betreiberin eines Reiterhofes ist, mit Gästen, mit denen sie einen Ausritt unternommen hatte, einen ausgewiesenen Reitweg verlassen, um zu einer Wiese zu gelangen, wo man einen Imbiss zu sich nehmen wollte. Dorthin wurde aber nicht geritten, sondern die Pferde wurden dorthin per Zügel geführt . Das AG hatte dennoch einen Verstoß gegen § 12 Abs. 1 des WaldG Sachsen angenommen. verstoßen zu haben.

Das OLG sieht es anders und meint: Wer führt, reitet nicht.  Die Auffassung des AG sei mit dem Wortsinn des § 12 Abs. 1 SächsWaldG im Hinblick auf die Auslegung des Wortes „Reiten“ nicht vereinbar:

„Das Amtsgericht hat vorliegend den Ordnungswidrigkeitentatbestand als erfüllt angesehen, weil zum Reiten im Sinne des § 12 SächsWaldG auch das Führen von Pferden gehöre, da es für das Entstehen von Schäden an Waldwegen unerheblich sei, ob ein Pferd geritten oder am Zügel geführt werde.

Diese am Schutzzweck des Sächsischen Waldgesetzes orientierte Auslegung des Begriffes „Reiten“ übersteigt jedoch die nach den vorgenannten Maßstäben zu bestimmende, vom möglichen Wortsinn der Bußgeldbewährung markierte, äußerste Grenze zulässiger richterlicher Auslegung.

a) Zwar wollte der Landesgesetzgeber nach dem erkennbaren Regelungszweck des §12 Abs. 1 Satz 1 SächsWaldG die Gefahren und Beeinträchtigungen vermeiden, die sich sowohl für Fußgänger als auch für Reiter aus einer Begegnung auf engem Raum ergeben. Zugleich dient die Beschränkung des Reitens im Wald dem Schutz des Waldbodens und damit auch dem Interesse des Waldeigentümers bzw. Besitzers (vgl. Sächsischer Verfassungsgerichtshof, Urteil vom 23.09.1999, Az.: Vf 47-IV-98).

Eine allein am Gesetzeszweck orientierte Auslegung des Begriffes „Reiten“ ließe daher auch ein (bloßes) Führen eines Pferdes am Zügel als unter den Verbotstatbestand fallend zu. Art. 103 Abs. 2 GG verbietet es jedoch, eine Straf- oder Bußgeldbestimmung über ihren eindeutigen, einer Auslegung nicht zugänglichen Wortlaut hinaus, allein im Blick auf den Normzweck anzuwenden (BVerfG, a. a. O.). Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation (BVerfGE 64, 389; 71, 108). Die Wortsinngrenze ist dabei aus Sicht des Normadressaten zu bestimmen, da Art. 103 Abs. 2 GG die Vorhersehbarkeit der Strafandrohung für en Normadressaten garantieren will (vgl. BVerfGE 92, 1) .

b) Unter dem Wort „Reiten“ wird nach allgemeiner Auffassung verstanden, eine Fortbewegungsart eines Menschen auf dem Rücken eines Tieres, meist eines Pferdes, bzw. das Sichfortbewegen auf einem Reittier (besonders einem Pferd) (vgl. Duden online, Stichwort Reiten; Wikipedia, Stichwort Reiten).

Demgegenüber ist das Führen eines Pferdes am Zügel gerade keine Nutzung des Tieres zur Fortbewegung, sondern insoweit ein Aliud zum Reiten. Der – auch vom Amtsgericht herangezogenen – Ansicht des Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg, das Führen eines Pferdes stelle sich als Unterfall des Reitens dar (vgl. OVG Brandenburg, NUR 1997, 562), kann jedenfalls insoweit nicht gefolgt werden, als damit die Auslegung des Begriffes „Reiten“ über seinen Wortsinn hinaus auch das Führen eines Pferdes erfassen sollte.

Die hier vertretene Auffassung, dass zwischen dem Reiten und dem Führen eines Pferdes schon vom Wortsinn her ein Unterschied besteht, wird auch dadurch gestützt, dass der Bundesgesetzgeber etwa in § 28 Abs. 2 StVO zwischen dem Reiten und dem Führen eines Pferdes ausdrücklich unterscheidet, indem es dort heißt: „Wer reitet, Pferde oder Vieh führt oder Vieh treibt, unterliegt sinngemäß den für den gesamten Fahrverkehr einheitlich bestehenden Verkehrsregeln und Anordnungen“.“