Die dritte Entscheidung des Tages, der KG, Beschl. v. 18.08.2020 – 3 Ws (B) 152/20 – behandelt u.a. auch eine Problematik der Verjährungsunterbrechung, nämlich die Frage: Unterbrechung auch bei nicht zugehender Anhörung? Das KG hat bejaht:
1. Die von Amts wegen veranlasste Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen ergibt, dass die festgestellte Ordnungswidrigkeit – entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde – nicht verjährt ist.
Gemäß § 26 Abs. 3 StVG beträgt die Frist der Verfolgungsverjährung für Ordnungs-widrigkeiten nach § 24 StVG – wie hier – bis zum Erlass des Bußgeldbescheides drei Monate, danach sechs Monate.
a) Die zunächst dreimonatige Verjährungsfrist der am 28. Januar 2019 begangenen Ordnungswidrigkeit ist am 17. April 2019 durch die automatisiert veranlasste Über-sendung eines Anhörungsbogens an den Betroffenen unterbrochen und zugleich erneut in Gang gesetzt worden, § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 OWiG. Dass die Anhörung unter einer fehlerhaften Anschrift – nämlich unter der Angabe einer falschen Hausnummer – angeordnet worden und der Anhörungsbogen deshalb dem Betroffenen nicht zugegangen ist, hindert die Verjährungsunterbrechung nicht. Denn maßgeblich für die Anwendung des § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG ist die Anordnung der Anhörung (vgl. BGHSt 25, 6; Senat, Beschlüsse vom 21. August 2018 – 3 Ws (B) 185/18 –, juris und 28. Juni 2017 – 3 Ws (B) 148/17 –; OLG Hamm VRS 112, 46; BayObLG VRS 105, 301; OLG Frankfurt NJW 1998, 1328; OLG Stuttgart VRS 94, 456; Gürtler in Göhler, OWiG 17. Aufl., § 33 Rdn. 6a, 10; Ellbogen in Karlsruher Kommentar, OWiG 5. Aufl., § 33 Rdn. 23). Der Gesetzgeber hat damit den Unter-brechungstatbestand allein an ein Internum der Bußgeldbehörde geknüpft (OLG Hamm a.a.O.). Ist der Anhörungsbogen an eine unzutreffende Adresse gerichtet, führt dies nur dann nicht zu einer Unterbrechung der Verjährung, wenn der anordnende Beamte wusste, dass der Betroffene den Anhörungsbogen nicht erhalten werde (OLG Hamm a.a.O.). Für eine solchen Sachverhalt liegen indes keine Anhaltspunkte vor.
Der Einwand der Rechtsbeschwerde, der Betroffene sei infolge der falschen Melde- und Wohnanschrift nicht ausreichend individualisiert, trifft nicht zu. Denn die Identität des Betroffenen kann aus den weiteren Umständen – Vor- und Zuname, Wohnort, Straße, Geburtsdatum – zweifelsfrei abgeleitet werden (vgl. BGHSt 42, 283; OLG Hamm VRS 74, 121; BayObLG NZV 2003, 588) und stellt die verjährungsunterbrechende Wirkung der angeordneten Anhörung auch insoweit nicht Frage.
b) In der Folge ist mit der am 6. Mai 2019 durch die Verfolgungsbehörde angeordneten vorläufigen Verfahrenseinstellung wegen Abwesenheit des Betroffenen gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 OWiG eine weitere Verjährungsunterbrechung eingetreten. Zwar ist der Betroffene tatsächlich nicht abwesend gewesen. Vielmehr nahm die Verfolgungsbehörde dies fälschlicherweise an, denn das Polizeirevier Ludwigsfelde hatte die unzutreffende Auskunft erteilt, dass die Nummer des von dem Betroffenen bewohnten Hauses 7 (statt 9) lautet, so dass der an den Betroffenen zunächst abgesandte und mit der unrichtigen Hausnummer versehene Anhörungsbogen mit dem Vermerk des Briefzustellers „Empfänger unbekannt“ in den Rücklauf geraten ist. Die verjährungsunterbrechende Wirkung einer vorläufigen Verfahrenseinstellung wegen Abwesenheit des Betroffenen wird aber selbst dann ausgelöst, wenn die Annahme der Abwesenheit auf einem Irrtum der Behörde beruht, der hätte vermieden werden können. (Senat, Beschluss vom 21. August 2018 a.a.O.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19. September 2018 – 2 Rb 7 Ss 498/18 –, BeckRS 2018, 25542; OLG Bam-berg NStZ 2008, 532; BayObLG VRS 58, 389). Denn die enumerative Aufzählung der verjährungsunterbrechenden Handlungen in § 33 OWiG dient der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, weshalb grundsätzlich keine Einzelfallprüfung erfolgt, ob die jeweilige Unterbrechungshandlung objektiv tatsächlich geboten war (Senat, Be-schluss vom 21. August 2018 a.a.O.; OLG Karlsruhe a.a.O.; OLG Bamberg a.a.O.). Eine Unterbrechungswirkung wird nur dann abgesprochen, wenn es sich um eine die bloße Untätigkeit verdeckende Scheinmaßnahme handelt (BGH NStZ 1985, 545; Senat, Beschluss vom 21. August 2018 a.a.O.; OLG Karlsruhe a.a.O.; Gürtler a.a.O. § 33 Rdn. 3). Dies ist vorliegend ersichtlich nicht der Fall. Es kann deshalb dahinstehen, ob – so wie die Rechtsbeschwerde meint – dem zuständigen Sachbearbeiter der Berliner Verfolgungsbehörde hätte auffallen müssen, dass die mitgeteilte Haus-nummer des Betroffenen falsch war.
c) Das während der noch andauernden Verfahrenseinstellung von der Verfolgungs-behörde am 24. Mai 2019 an das Polizeirevier Ludwigsfelde zum Zweck der Aufenthaltsermittlung des Betroffenen gerichtete Ersuchen hat gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 StPO abermals zur Unterbrechung der Verfolgungsverjährung geführt.
d) Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG wurde die Verjährungsfrist am 24. Juli 2019 erneut unterbrochen, denn an diesem Tag ist der Bußgeldbescheid ergangen, der dem Betroffenen am 2. August 2019 wirksam zugestellt worden ist. Zugleich hat sich mit dem Erlass des Bußgeldbescheides die Verjährungsfrist gemäß § 26 Abs. 3 2. Alt. StVG auf sechs Monate verlängert. Es schlossen sich weitere Unterbrechungen an, und zwar durch den Eingang der Akten beim Amtsgericht am 1. Oktober 2019 nach Aktenübersendung durch die Amtsanwaltschaft Berlin (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 OWiG), durch die am 20. November 2019 erfolgte Anberaumung der Haupt-verhandlung (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 OWiG) sowie durch die Vernehmung des Betroffenen und des Zeugen X in der Hauptverhandlung am 2. März 2020 (§ 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG).“
Auf den Beschluss komme ich noch mal zurück.