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Neuwagen noch mit ca. 3.300 km Laufleistung?, oder: Der „Schmelz der Neuwertigkeit“

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Urheber Morio

Heute im „Kessel Buntes“ dann zunächst mal ganz klassisch eine Entscheidung zum Verkehrszivilrecht, und zwar der OLG Hamm, Beschl. v. 10.04. 2918 – 9 U 5/18. Es handelt sich um einen nach § 522 ZPO ergangenen Beschluss, in dem das OLG der (Berufungs)Klägerin also mitteilt, dass es ihre Berufung gegen ein Urteil des LG Bielefeld für „aussichtslos“ hält.

Dort hatte die Klägerin (weitere) Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall geltend gemacht, der sich am 05.08.2016 auf der BAB 2 in der Nähe der Ausfahrt H. ereignet hat. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte für den durch einen ihrer Versicherungsnehmer mit dem PKW Fiat Punto xxx verursachten Schaden am PKW Porsche Macan der Klägerin zu hundert Prozent aufzukommen hat. Gestritten wird aber über die Höhe des Schadensersatzes. Der PKW Porsche der Klägerin war am 22.06.2016 erstzugelassen worden und hatte zum Zeitpunkt des Unfalls eine Laufleistung von 3.291 km. Die beklagte Versicherung regulierte auf Grundlage eines von der Klägerin in Auftrag gegebenen Schadensgutachtens die Differenz zwischen Netto-Wiederbeschaffungswert in Höhe von 80.252,10 € und Netto-Restwert in Höhe von 55.088,24 €, somit einen Betrag von 25.163,86 €. Die Klägerin hat den verunfallten PKW Porsche zu dem im Gutachten ermittelten Restwert verkauft und einen neuen PKW gleichen Typs zu einem Kaufpreis von 92.810,82 € angeschafft. Der Kaufpreis des beschädigten PKW Porsche betrug laut Rechnung vom 20.06.2016 92.401,92 € netto. Die Klägerin verlangt Erstattung der Differenz zwischen dem von der Beklagten zugrunde gelegten Wiederbeschaffungswert und dem zuletzt genannten Kaufpreis. Das hat das LG Bielefeld abgelehnt und die Klage abgewiesen. Und das OLG hält die Berufung nun für „aussichtslos“:

„1. Der Senat hält die Berufung der Klägerin einstimmig für aussichtslos. Das Landgericht ist zunächst in – ausweislich der Begründung seiner Entscheidung auch keineswegs schematisch, vielmehr sehr wohl unter Auseinandersetzung mit der klägerischen Auffassung erfolgter – Anwendung der von der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung hierzu aufgestellten Grundsätze (vgl. dazu auch die Darstellung bei Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl., § 249, Rn. 18 und 23 m. w. Nachw. sowie aus jüngerer Zeit etwa OLG Celle, NJW-RR 2012, 990) völlig zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin vorliegend den ihr unfallbedingt entstandenen Fahrzeugschaden nicht auf Neuwagenbasis abrechnen kann. Dabei kann letztlich offen bleiben, ob hier eine insoweit grundsätzlich hinreichend erhebliche Beschädigung des Fahrzeugs vorliegt. Nach einstimmiger Auffassung des Senats kann auch unter Berücksichtigung der weiteren technischen Entwicklung und nach heutiger wirtschaftlicher Verkehrsanschauung ein Fahrzeug, das zum Unfallzeitpunkt bereits knapp 3300 km gefahren wurde und bereits über 6 Wochen zugelassen war, jedenfalls nicht mehr als Neuwagen angesehen werden, bei dem ausnahmsweise im Falle einer erheblichen Beschädigung bei der Berechnung des ersatzfähigen Schadens auch der „Schmelz der Neuwertigkeit“ zugunsten des Geschädigten zu Buche schlagen kann. Ein Blick auf den Markt von sehr jungen Gebrauchtwagen bzw. Fahrzeugen mit Tageszulassung auch im hochpreisigen Fahrzeugsegment bestärkt den Senat in dieser Würdigung. Die Klägerin ist vorliegend bereits auf Wiederbeschaffungsaufwandsbasis entschädigt worden, hat also im Wege des Schadensersatzes die Mittel zur Beschaffung eines mit dem beschädigten Fahrzeug vergleichbaren unfallfreien Fahrzeugs erhalten. Der Senat vermag einstimmig keinen Grund zu erkennen, warum der Klägerin hier darüber hinaus ein Anspruch auf Ersatz der Kosten der Anschaffung eines höherwertigen Neufahrzeuges zustehen sollte, zumal es sich vorliegend um ein Firmenfahrzeug handelt. Ferner sieht der Senat – ebenfalls einstimmig – keinen Anlass, die aus Gründen der Rechtssicherheit von der Rechtsprechung sinnvollerweise entwickelten Faustregeln zur gebotenen engen Begrenzung der Ausnahmefälle, in denen der Schaden auf Neuwagenbasis abgerechnet werden kann, generell in Frage zu stellen und deshalb etwa die Revision zuzulassen.

Soweit das Landgericht der Klägerin auch die von dieser hilfsweise geltend gemachte fiktive Abrechnung auf Basis der (den Wiederbeschaffungsaufwand) übersteigenden Reparaturkosten zzgl. Wertminderung versagt hat, ist dies ebenfalls zutreffend und wird dies von der Berufung auch nicht angegriffen. Eine derartige fiktive Schadensabrechnung scheidet hier in der Tat deshalb aus, weil die Klägerin das verunfallte und nicht mehr fahrbereite Fahrzeug in keiner Weise repariert und dementsprechend auch nicht weitergenutzt, sondern unrepariert veräußert hat (vgl. dazu allgemein nur Palandt/Grüneberg, a.a.O., § 249, Rn. 24 m. w. Nachw.).“

Ferrari La Ferrari, oder: Ein Auto, das fast 2 Mio EUR kosten soll, und die „Tageszulassung“

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By Axion23 – LaFerrari in Beverly Hills, CC BY 2.0,

Wird in der Auftragsbestätigung zu einem Pkw-Kauf als Erstzulassung „Neu/Tageszulassung“ und als Kilometerstand „Werkskilometer“ festgehalten, so darf der Käufer davon ausgehen, dass der Wagen bis dahin nur auf einen Handelsbetrieb zugelassen war und die Zulassungsdauer bei maximal 30 Tagen lag. Ist das nicht der Fall, kann vom Kaufvertrag zurück getreten werden. Das ist das Fazit aus dem OLG Hamm. Urt. v. 18.05.2017 – 28 U 134/16. Und da ich heute nicht viel Zeit habe – es ist „Kronprinzessinnentag“ 🙂 , zitiere ich dazu – was ich sonst nur selten tue – aus der PM des OLG Hamm:

„Eine Dortmunder Firma, die mit hochwertigen Fahrzeugen handelt, muss einer Prager Handelsfirma eine Anzahlung von 40.000 Euro für einen Ferrari LaFerrari erstatten, weil sie den Ferrari zu den vereinbarten Konditionen nicht liefern konnte und die Prager Firma deswegen wirksam vom Vertrag zurückgetreten ist. Das hat der 28. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18.05.2017 entschieden und damit die erstinstanzliche Entscheidung des Landgerichts Dortmund bestätigt.

Die beklagte Dortmunder Autohändlerin bot im Frühjahr 2015 über das Internet einen Ferrari LaFerrari zum Verkauf an. Dieses Ferrari-Modell war im März 2013 auf dem Genfer Autosalon vorgestellt worden. Die in einer kleinen Serie produzierten 499 Exemplare des Modells waren seinerzeit sofort ausverkauft. Die Klägerin, eine Handelsfirma aus Prag, war am Kauf des Ferrari interessiert und nahm mit der Beklagten Kontakt auf. Im März 2015 vereinbarten die Parteien den Verkauf des Ferrari LaFerrari für 1.950.000 Euro und hielten in der Auftragsbestätigung als Erstzulassung „Neu/Tageszulassung“ und als Kilometerstand „Werkskilometer“ fest. Vereinbarungsgemäß leistete die Klägerin sodann eine Anzahlung in Höhe von 40.000 Euro an die Beklagte. Mitte April 2015 trafen sich die Parteien zur Fahrzeugübergabe, die auf Betreiben der Beklagten in Nürnberg stattfinden sollte. Dort führte die Beklagte der Klägerin einen Ferrari LaFerrari vor, der im April 2014 erstmals zum Straßenverkehr zugelassen worden war und seitdem als Leasingfahrzeug genutzt wurde. Er hatte eine Laufleistung von 1.412 km. Da die Klägerin beanstandete, dass das Fahrzeug nicht den vereinbarten Bedingungen entspreche, verhandelten die Parteien über einen Preisnachlass. Nach Darstellung der Beklagten einigte man sich vor Ort auf einen Nachlass von 25.000 Euro. Einen kurz darauf von der Klägerin verlangten Nachlass von 100.000 Euro lehnte die Beklagte ab. Nachdem sich die Parteien in der Folgezeit nicht einigen konnten, erklärte die Klägerin u.a. den Rücktritt vom Kaufvertrag und verlangte die Erstattung der geleisteten Anzahlung. Mit diesem Begehren nimmt sie die Beklagte gerichtlich in Anspruch.

Das Rückzahlungsbegehren der Klägerin war erfolgreich. Nach der Entscheidung des 28. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm ist die Klägerin zu Recht vom abgeschlossenen Kaufvertrag zurückgetreten, so dass die Beklagte die Anzahlung zurückzuzahlen hat.

Nach dem abgeschlossenen Kaufvertrag habe die Klägerin davon ausgehen dürfen, dass ihr die Beklagte einen Ferrari mit den in der Auftragsbestätigung vereinbarten Beschaffenheitsmerkmalen zum Erwerb vermitteln würde, so der Senat. Dabei habe es sich zwar nicht um ein Fahrzeug handeln können, welches Ferrari kurz zuvor neu produziert habe. Denn solche Fahrzeuge des verkauften Typs seien am Markt nicht mehr erhältlich gewesen und hätten von der Beklagten ohnehin nicht vertrieben werden können, weil sie keine offizielle Ferrari-Händlerin sei. Dennoch habe die Klägerin davon ausgehen können, dass der zu liefernde Ferrari aufgrund der Angabe „Tageszulassung“ bis dahin nur auf einen Handelsbetrieb zugelassen gewesen sei und die Zulassungsdauer bei maximal 30 Tagen gelegen habe. Fahrzeuge mit Tageszulassungen würden nur formal auf einen Händler zugelassen, aber nicht im Straßenverkehr bewegt, so dass sie weiter als Neuwagen angesehen werden könnten. Dafür, dass die Beklagten einen derartigen Ferrari habe anbieten wollen, spreche auch die im Kaufvertrag enthaltene Angabe „Werkskilometer“. Werkskilometer bezeichneten eine Fahrstrecke, die nach der Produktion eines Fahrzeugs üblicherweise auf dem Werksgelände zurückgelegt werde, um an dem Fahrzeug noch letzte Tests und Abstimmungen vorzunehmen. Allerdings könne diese Fahrstrecke auch einige 100 km betragen, ohne dass die Neuwageneigenschaft infrage gestellt werde.

Der von der Beklagten angebotene Ferrari sei mangelhaft gewesen, weil er die genannten, vereinbarten Beschaffenheitsmerkmale nicht aufgewiesen habe. Er sei bereits seit einem Jahr zur Nutzung im Straßenverkehr zugelassen gewesen und habe auch eine über die üblichen Werkskilometer hinausgehende Fahrstrecke im öffentlichen Straßenverkehr zurückgelegt. Deswegen habe der Kilometerzähler im April 2016 eine Laufleistung von 1.412 km ausgewiesen. Diese Abweichungen seien erheblich und berechtigten die Klägerin zum Vertragsrücktritt.

Eine Einigung der Parteien auf einen – den Rücktritt der Klägerin ausschließenden – Preisnachlass von 25.000 Euro habe die Beklagte nicht nachgewiesen. Sie sei daher verpflichtet, der Klägerin die geleistete Anzahlung zu erstatten.2