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Auch gebührenrechtlicher Nachschlag, oder: Nachtragsanklage

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Und als zweites gebührenrechtliches Schmankerl dann den OLG Brandenburg, Beschl. v. 19.12.2107 – 2 Ws 136/17, der eine gebührenrechtliche Probmeatik in Zusammenhang mit der Erhebung einer Nachtragsanklage (§ 266 StPO) löst. Folgender Sachverhalt:

In einem beim LG anhängigen Verfahren hatte die Staatsanwaltschaft unter dem 05.082009 Anklage wegen sexuellen Missbrauchs in 33 Fällen in der Zeit von 1991 bis Anfang 2005 erhoben. In der Hauptverhandlung vom 29.07. 2010 erhob sie Nachtragsanklage wegen weiterer vier Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs von Kindern in der Zeit von 1991 bis 2000. Mit Beschluss vom 24.09.2010 bezog das LG die Nachtragsanklage nach vorheriger Zustimmung durch den früheren Angeklagten in das Verfahren ein. Der Verteidiger hat bei der Vergütungsfestsetzung auch Grundgebühr, Hauptverfahrensgebühr und Auslagenpauschale für die in dem Verfahren unter dem 29.07.2010 erhobene Nachtragsanklage geltend gemacht. Die sind nicht festgesetzt worden. Das OLG sieht das anders:

„Dem Verteidiger stehen auch die für die Nachtragsanklage geltend gemachten Gebühren zu.

Ob dem Verteidiger im Falle der Erhebung einer Nachtragsanklage und deren Einbeziehung in ein laufendes Verfahren dafür eigene Gebühren verlangen kann, hängt davon ab, ob es sich bei der Nachtragsanklage um einen selbständigen Rechtsfall im Sinne der Anm. 1 zu Nr. 4100 des Vergütungsverzeichnisses Anlage 1 zum RVG (VV RVG), mithin um eine selbständige Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG handelt (vgl. dazu Burhoff in Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl., Nr. 4100 VV Rn. 37). Der Senat bejaht diese Frage.

Entscheidend ist insoweit der strafrechtliche Vorwurf, der dem Angeklagten gemacht wird und die Art und Weise seiner Behandlung durch die Strafverfolgungsbehörden. Dabei gilt im Grundsatz, dass jedes von diesen betriebene Ermittlungsverfahren ein eigenständiger Rechtsfall ist, solange die Verfahren nicht verbunden sind (vgl. Burhoff a.a.O.). Umgekehrt stellen mehrere Tatvorwürfe in demselben Ermittlungsverfahren dieselbe Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG dar (vgl. Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 22. Aufl., § 15 Rn. 19).

Bei der Nachtragsanklage (§ 266 StPO) besteht die Besonderheit, dass sie ermöglicht, weitere Vorwürfe gegen den Angeklagten in einer bereits laufenden Hauptverhandlung in das Verfahren einzubeziehen. Dies dient der Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens sowie auch der Prozesswirtschaftlichkeit (vgl. Stuckenberg in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 266 Rn. 1) und erspart dem Angeklagten ein weiteres Verfahren. Dabei ist die Nachtragsanklage die einzige gesetzlich zulässige Möglichkeit, den Gegenstand eines laufenden Hauptverfahrens zu erweitern. Ihre Erhebung steht aber im Ermessen der Staatsanwaltschaft. Sie kann die Verfolgung der neuen Vorwürfe auch einem gesonderten Verfahren vorbehalten (vgl. Stuckenberg a.a.O. Rn. 8). Entscheidet sich die Staatsanwaltschaft für letzteres oder stimmt der Angeklagte einer Einbeziehung der Vorwürfe aus der Nachtragsanklage nicht zu, kann nicht zweifelhaft sein, dass das dann zu führende neue Verfahren eine eigenständige Angelegenheit darstellt.

Die Erhebung der Nachtragsanklage und deren Einbeziehung hängt vom Verhalten der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten ab. Sie stellt eine Ausnahme dar, die ein sonst regelmäßig gesondert zu führendes Verfahren erspart. Es ist keine Rechtfertigung dafür ersichtlich, beides gebührenrechtlich verschieden zu behandeln. Es kann deshalb insoweit nicht darauf ankommen, welches verfahrensmäßige Schicksal neue Tatvorwürfe letztlich nehmen, wenn sie doch im Grundsatz Gegenstand verschiedener Verfahren wären (so im Ergebnis auch Burhoff, RVGreport 2014, 293).“

Zutreffend, klar. Und: Es ist immer wieder schön, sich selbst zitiert zu sehen. 🙂

 

Nachtragsanklage – was man beachten muss

Die Nachtragsanklage (§ 266 StPO) führt immer wieder zu revisionsrechtlich bedeutsamen Fehlern. Einer ist, dass in der Hitze/Hektik der Hauptverhandlung der erforderliche Einziehungsbeschluss vergessen wird. So auch beim LG Paderborn. Das Ergebnis ist dann, dass insoweit ein Verfahrenshindernis besteht, dass zur Einstellung des Verfahrens (insoweit) führt, es sei denn, das Gericht (!!) hat sonst klar zu erkennen gegeben, „dass es die Nachtragsanklage zum Gegenstand der Verhandlungsentscheidung machen wollte“ (vgl. BGH, Beschl. v. 08.11.2011 – 4 StR 612/10).

Die Einstellung steht einer neuen Anklage natürlich nicht im Wege.