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OWi I: Standardisierte Messung ohne Rohmessdatenspeicherung, oder: Das BayObLG erklärt dem VerfG Saarland, wie es geht

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Heute dann drei verfahrensrechtliche Entscheidungen, und zwar alle aus dem Bußgeldverfahren. Zwei zu „Einsichtsfragen/Rohmessdaten und eine aus dem Rechtsbeschwerdeverfahren.

Ich eröffne mit dem (aktuellen) BayObLG, Beschl. v. 09.12.2019 – 202 ObOWi 1955/19 – zur Frage des Verstoßes gegen Gebot des fairen Verfahrens bzw. zu einem Verwertungsverbot bei einer standardisierten Messung ohne Rohmessdatenspeicherung. Ja, das ist die Problematik des VerfG Saarland, Urt. von 05.07.2019 – Lv 7/17).

Ich habe lange überlegt, wie ich es schreiben soll: „Das BayObLG nimmt Stellung…“ oder „…. äußert sich zu ….“. M.E. alles zu „schwach“/harmlos, denn das BayObLG rechnet mal wieder mit dem VerfG Saarland ab und erklärt den Richtern dort, was Sache ist. Denn schließlich: Wir sind – zusammen mit den anderen OLG – schlauer und ihr habe es nicht begriffen. Wen wundert es? Mich nicht. Und wer gedacht hatte, dass sich durch den Übergang des OLG Bamberg zum BayObLG etwas ändern würde, der hat falsch gedacht. Warum auch? Denn die agierenden Personen haben sich ja nicht geändert. Nur der Name des Gerichts.

Ich stelle dann hier nur die amtlichen Leitsätze ein.

  1. Die unterbliebene Überlassung von nicht zu den (Gerichts-) Akten gelangten Unterlagen sowie der (digitalen) Messdaten einschließlich der sog. Rohmessdaten oder der Messreihe stellt für sich genommen weder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs noch einen Verstoß gegen das faire Verfahren dar. Vielmehr handelt es sich bei den entsprechenden Anträgen um Beweisermittlungsanträge, deren Ablehnung nur unter Aufklärungsgesichtspunkten gerügt werden kann (u.a. Anschluss an OLG Bamberg, Beschl. v. 13.06.2018 – 3 Ss OWi 626/18 = NZV 2018, 425; OLG Oldenburg, Beschl. v. 13.03.2017 – 2 Ss [OWi] 40/17 = ZfSch 2017, 469 und 23.07.2018 – 2 Ss [OWi] 197/18; OLG Hamm, Beschl. v. 10.03.2017 – 2 RBs 202/16 bei juris und 20.06.2017 – 4 RBs 169/17 = ZD 2018, 374; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 28.02.2018 – 1 OWi 2 SsBs 106/17 = NStZ-RR 2018, 156 = ZfSch 2018, 349 sowie OLG Koblenz, Beschl. v. 17.07.2018 – 1 OWi 6 SsBs 19/18 bei juris; entgegen VerfGH des Saarlandes, Beschl. v. 27.04.2018 – Lv 1/18 = NZV 2018, 275 = DAR 2018, 557 = ZD 2018, 368).
  2. Von einem Verstoß gegen das faire Verfahren mit der Folge eines Verwertungsverbots ist nicht (allein) deshalb auszugehen, weil durch das zur Verfolgung der Verkehrsordnungswidrigkeit eingesetzte, alle Kriterien eines standardisierten Messverfahrens erfüllende Messgerät neben dem dokumentierten Messergebnis keine sog. Rohmessdaten für den konkreten Messvorgang aufgezeichnet, abgespeichert, vorgehalten oder sonst nach Abschluss der Messung zur nachträglichen Befundprüfung oder Plausibilitätskontrolle bereitgehalten oder diese Daten unterdrückt werden (u.a. Anschluss an OLG Oldenburg, Beschl. v. 09.09.2019 – 2 Ss [OWi] 233/19; OLG Köln, Beschl. v. 27.09.2019 – 1 RBs 339/19; KG, Beschl. v. 02.10.2019 – 162 Ss 122/19; OLG Stuttgart, Beschl. v. 19.09.2019 – 1 Rb 28 Ss 300/19 bei juris; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.11.2019 – 2 Rb 35 Ss 808/19 bei juris und OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.11.2019 – 1 Ss OWi 381/19 bei juris; entgegen VerfGH des Saarlandes, Urt. v. 05.07.2019 – Lv 7/17 = NJW 2019, 2456 = NZV 2019, 414 = DAR 2019, 500).

Und die Leitsätze bringe ich dann mal mit sämtlichen darin aufgeführten Entscheidungen (wie immer eine Fleißarbeit). Die Unterstreichung stammt nicht von mir, sondern vom BayObLG. Damit will man wohl richtig deutlich machen, wie anders man denkt.

Die Gründe – im Grunde bekannt – mag jeder selbst lesen und sich ein Urteil erlauben.

Nur zwei Anmerkungen noch:

Natürlich entscheidet der Einzelrichter. Warum auch nicht (?)

Und besonders schön finde ich die Passage:

„b) Auch sonst können die im Urteil des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes vom 05.07.2019 (a.a.O.) vertretenen (verfassungs-) rechtlichen Standpunkte weder in der Herleitung noch im Ergebnis überzeugen.

aa) Bedenken begegnet schon die der Argumentation des VerfGH des Saarlandes offenbar zugrunde liegende Annahme, den Betroffenen belastende technische Beweise könnten und müssten jederzeit und vollständig rekonstruierbar sein. Ein hiermit korrespondierender Anspruch auf Schaffung neuer, noch nicht existierender und deshalb auch für einen am Verfahren beteiligten potentiellen Antagonisten, etwa die Verfolgungsbehörde, nicht zugänglicher Beweismittel ist dem deutschen Verfahrensrecht fremd; er kann – auch als vermeintliches ‚Recht auf Plausibilisierung‘ (vgl. hierzu kritisch Teßmer, PTB-Mitteilungen 129 [2019] Heft 2, S. 99-102) – insbesondere nicht aus dem fair trial Grundsatz auch in seiner Ausprägung unter dem Aspekt der sog. Waffengleichheit oder dem damit verbundenen sog. Grundsatz der Wissensparität begründet werden (treffend in diesem Sinne und zur Untauglichkeit des vom VerfGH des Saarlandes [a.a.O.] zur Stützung seiner Auffassung bemühten Vergleichs mit den vom Bundesverfassungsgericht zur Zulässigkeit von Wahlautomaten entwickelten Grundsätzen KG a.a.O.).“

„Schön“, nicht wegen ihres sachlichen Gehalts, sondern wegen der zitierten „Lietratur“: „.…kritisch Teßmer, PTB-Mitteilungen 129 [2019] Heft 2, S. 99-102„. Der zitierte Autor ist RiOLG und – wie mir Kollegen berichten – einer der „Scharfmacher“ aus Hessen vom OLG Frankfurt, der in einem Heft der PTB geschrieben hat. Genau die richtige Stelle für solche Dinge. Man kann sich nur noch an den Kopf fassen.