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Gotthard-Raser, oder: In der Schweiz niedrig geflogen, in Deutschland in den Knast?

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Und als zweite Montagsentscheidung dann noch ein Raser-Fall, nämlich der sog. „Gotthard-Raser“ und dazu den LG Stuttgart, Beschl. v. 15.03.2018 – 21 StVK 172/17. In dem Verfahren geht es um die Vollstreckung von in der Schweiz verhängten Freiheitsstrafen hier in der Bundesrepublik. Der Beschuldigte ist 2014 in der Schweiz – Tempolimit dort 120 km/h – auf mehreren Autobahnen, darunter auch im Gotthard-Tunnel – mit streckenweise rund 200 km/h gefahren. Dabei hat er mehrere Autofahrer gefährdet und im Überholverbot überholt. Dafür wird dann in der Schweiz eine Freiheitsstrafe von 30 Monaten verhängt. Ein Jahr davon soll vollstreckt werden, der Rest wird zur Bewährung ausgesetzt. Und um die Vollstreckung der Haftstrafe in der Bundesrepublik geht es.

Das LG hat den Antrag, die Vollstreckung aus dem schweizer Urteil in der Bundesrepublik Deutschland für zulässig  zu erklären, zurückgewiesen. Begründung: Die Vollstreckung würde wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen. Der Verurteilte habe zwar grob verkehrswidrig gehandelt. Die Voraussetzungen der allein in Betracht kommenden deutschen Strafvorschrift des § 315 c Abs. 1 Nr. 2 b), d) und e) StGB lägen jedoch nicht vor. Das LG „vermisst“ in dem schweizer Urteil den in der deutschen Rechtsprechung vorausgesetzten „Beinaheunfall“. Nach deutschem Recht handele es sich lediglich um Ordnungswidrigkeiten. Und dann:

Im vorliegenden Einzelfall führt jedoch eine Gesamtbetrachtung aller Umstände zu dem Ergebnis, dass die Vollstreckung aus dem Urteil des Geschworenengerichts des Kantons Tessin gegen unabdingbare Grundsätze der verfassungsrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen würde.

Dies ergibt sich aus Folgendem:

Der im ausgehenden 18. Jahrhundert zur Beschränkung polizeilicher Eingriffe in Freiheit und Eigentum erstmals ausdrücklich formulierte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hat sich nach und nach zu einem der zentralsten Grundsätze der deutschen Rechtsordnung entwickelt. Er ist übergreifende Leitregel allen staatlichen Handelns und bindet die gesamte Staatsgewalt (so schon BVerfG NJW 1968, 979).

Dies gilt auch im Strafvollstreckungsverfahren mit internationalem Bezug (vgl. OLG Zweibrücken StV 1996, 105; OLG Stuttgart, NJW 2010, 1617 zum Erlass eines Auslieferungshaftbefehls aufgrund europäischen Haftbefehls). Der Verurteilte darf im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch nicht alleine deshalb schlechter gestellt werden, weil es sich um einen Fall grenzüberschreitender, international-arbeitsteiliger Strafrechtspflege handelt (vgl. Lagodny in Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl. 2012, § 73 IRG, Rn. 3).

Bei der Prüfung, ob eine ausländische Sanktion gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt, ist auch die Bewertung der vorgeworfenen Tat durch die deutsche Rechtsordnung in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfG NJW 1994, 2884). Vorliegend ergibt sich hieraus ein nicht mehr hinnehmbares Missverhältnis zwischen der zu vollstreckenden Freiheitsstrafe von einem Jahr und den in Deutschland vorgesehenen Rechtsfolgen für die nach hiesigem Recht nicht als Straftaten, sondern als Ordnungswidrigkeit zu ahndenden Taten.

Diese wären nach deutschem Recht lediglich mit Geldbußen zu ahnden gewesen. Selbst für massive Geschwindigkeitsüberschreitungen von mehr als 60 km/h sieht die Bußgeldkatalogverordnung Regelsätze von 600,00 € (außerorts) bzw. 680,00 (innerorts) € vor. Bei verkehrswidrigen Überholmanövern beträgt der Regelsatz 100,00 bis 150,00 €, im Falle einer – vorliegend gerade nicht festgestellten – Gefährdung oder Sachbeschädigung 250,00 €. Mithin sieht der deutsche Gesetzgeber solches Fehlverhalten, sofern nicht die Schwelle zur Strafbarkeit wegen (konkreter) Gefährdung des Straßenverkehrs gem. § 315 c StGB überschritten wird, als eher weniger schwerwiegend an.

Angesichts dieser, vom Gesetzgeber ausdrücklich so vorgegebenen und auch im Rahmen der rechtspolitischen Debatte über den Umgang mit sog. „Raser-Fällen“, die u.a. zur Schaffung des § 315d StGB (verbotene Kraftfahrzeugrennen) führte, soweit ersichtlich nicht in Frage gestellten, zurückhaltenden Sanktionierungspraxis mit zwar nicht gänzlich geringfügigen, aber der Höhe nach noch eher überschaubaren Geldbußen wäre vorliegend die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr ohne Bewährung, unter keinem denkbaren Gesichtspunkt hinnehmbar. Die Verschärfung der Rechtsfolgen von einer eher überschaubaren Geldbuße hin zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung liegt außerhalb des Rahmens, innerhalb dessen noch von einer dem Fehlverhalten angemessenen staatlichen Reaktion gesprochen werden könnte.

Die Vollstreckung von Freiheitsstrafe stellt einen der denkbar schwerwiegendsten Grundrechtseingriffe dar. Es werden deshalb ausschließlich Verstöße gegen Verhaltensnormen, die dem Schutz höherrangiger Rechtsgüter und der Bewahrung der elementaren Werte des Gemeinschaftslebens dienen, mit Freiheitsstrafen sanktioniert. Der Täter wird wegen eines vorwerfbaren sozialethisch schwerwiegenden Fehlverhaltens getadelt; mit der Strafe wird nach allgemeiner Anschauung ein ehrenrühriges, autoritatives Unwerturteil über Tat und Person des Täters gefällt (vgl. KK-OWiG/Mitsch, 5. Aufl. 2018, § 17, Rn. 5). Dementsprechend wird die Verhängung einer Freiheitsstrafe im Bundeszentralregister eingetragen.

Die Festsetzung einer Geldbuße als – einziger –  vorgesehener Sanktion für Ordnungswidrigkeiten ist anders als der Ausspruch einer Freiheitsstrafe durch den Richter sozialethisch neutral. Ihre Auferlegung bewirkt keine ins Gewicht fallende Beeinträchtigung des Ansehens und des Leumunds des Betroffenen (KK-OWiG/Mitsch a.a.O.). Sie stellt lediglich eine nachdrückliche Pflichtenmahnung dar und hat die Aufgabe, ein bestimmtes Ordnungsgefüge zweiten Ranges, unterhalb des Schutzbereichs der elementaren Rechtsgüter, in seinem Bestand zu bewahren (vgl. BVerfG NJW 1959, 619). Ordnungswidrigkeiten gehören mithin nicht zum Kernbereich des Kriminalstrafrechts.

Dementsprechend ist für die Festsetzung einer Geldbuße, der einzigen in Betracht kommenden Sanktion für Ordnungswidrigkeiten, im Gegensatz zur Strafe nicht zwingend ein Richterspruch erforderlich. Vielmehr kann eine Geldbuße auch von einer Verwaltungsbehörde festgesetzt werden. Ihrer Funktion als nachrangige Sanktion entspricht es auch, dass Geldbußen im Gegensatz zu Freiheits- und auch Geldstrafen nicht im Bundeszentralregister eingetragen werden.

Dagegen kommen freiheitsentziehende Maßnahmen nach deutschem Recht zur Sanktionierung von Ordnungswidrigkeiten unter keinen denkbaren Umständen in Betracht.

96 OWiG sieht lediglich Erzwingungshaft vor. Hierbei handelt es sich jedoch gerade nicht um eine Strafe, sondern um ein reines Beugemittel, das den Betroffenen nachdrücklich mahnen soll, entweder die rechtskräftig verhängte Geldbuße zu zahlen oder der Vollstreckungsbehörde seine Zahlungsunfähigkeit darzulegen (BVerfG NJW 1977, 293). Die Erzwingungshaft ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung deshalb gerade nicht mit einem ehrenrührigen, autoritativen Unwerturteil über eine Verhaltensweise des Betroffenen, dem Vorwurf einer Auflehnung gegen die Rechtsordnung und der Feststellung der Berechtigung dieses Vorwurfs verbunden, wie es Kennzeichen einer Kriminalstrafe ist. Ihr fehlt der Ernst der staatlichen Strafe, sie ist kein ersatzweises Übel für die begangene Ordnungswidrigkeit (BVerfG, a.a.O.).“

Hinweispflicht des Rechtsanwalts, oder: „Wie teuer wird das wohl?“

© Alex White _Fotolia.com

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§ 49b Abs. 5 RAO sieht eine Hinweispflicht des Rechtsanwalts vor Übernahme des Mandats auf die voraussichtlich entstehenden Anwaltskosten vor. Wegen der Einschränkung „Richten sich die zu erhebenden Gebühren nach dem Gegenstandswert, …..“ spielt die Vorschrift im Straf- und Bußgeldverfahren nicht ein so ganz große Rolle, da wir ja hier nur in sehr wenigen Fällen „gegenstandswertbezogen“ Gebühren haben, wie z.B. in der Nrn. 4143, 4144 VV RVG. Aber damit sind die mit der Hinweispflicht des Rechtsanwalts zusammenhängenden Problem noch nicht erledigt bzw. kann sich (auch) der Strafverteidiger nicht entspannt zurücklehnen. Denn: Auch er muss auf die Höhe der voraussichtlich entstehenden Gebühren hinweisen, wenn er entweder vom Mandanten ausdrücklich danach gefragt wird oder wenn der Mandant aus besonderen Umständen des Einzelfalls einen solchen Hinweis erwarten kann. Das ist das Fazit aus dem LG Stuttgart, Urt. v. 11.07.2016 – 27 O 338/15, in dem es um die Tätigkeit im Verfahren der Selbstanzeige wegen hinterzogener Einkommensteuer (§ 30 StBVV) ging:

2. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger nach den Kosten der Mandatierung gefragt hat. Bereits hierdurch wurde die Pflicht der Beklagten ausgelöst, die voraussichtlichen Kosten zu benennen.

a) Zwar ist im Erstberatungsgespräch eine genaue Bestimmung des Honorars in der Regel noch nicht möglich, weil dem Rechtsanwalt ein Ermessen zusteht, welches er naturgemäß erst nach Abschluss der Angelegenheit ausüben soll (§ 14 Absatz 1 RVG). Gleichwohl kann der Rechtsanwalt bereits eine Größenordnung und einen Rahmen für seine Vergütung benennen.

Zurecht weist der Kläger darauf hin, dass die Berechnungsfaktoren bereits im Erstberatungsgespräch bekannt waren: Es war bekannt, dass die Einkünfte aus elf Veranlagungsjahren (2003 bis 2013) nachzuerklären waren. Ausgehend von durchschnittlichen Verhältnissen, bei denen die Mittelgebühr anzusetzen ist (BGH, Urteil vom 19. Oktober 1995 – IX ZR 20/95, juris Rn. 26), wäre gem. § 30 StBVV mit einer 20/10-Gebühr aus dem gesetzlich vorgesehenen Mindestgegenstandswert von 8.000,00 Euro, mithin 866,00 Euro (Tabelle A), pro Veranlagungsjahr zu rechnen gewesen. Da gebührenrechtlich elf verschiedene Angelegenheiten vorliegen, wäre jeweils die Auslagenpauschale von 20,00 Euro abrechenbar gewesen (BGH, Urteil vom 21. November 1996 – IX ZR 159/95, juris Rn. 11) sowie die Umsatzsteuer in Höhe von 19 %, insgesamt 11.597,74 Euro. Bei Rechtfertigung der Höchstrahmengebühr von 30/10 von 1.299,00 Euro für jedes Veranlagungsjahr wäre mit 17.265,71 Euro zu rechnen gewesen.

Ein Rechtsanwalt kommt regelmäßig seiner Auskunftspflicht nach, wenn er den Kläger in der vorliegenden Situation auf dessen ausdrückliche Frage die entsprechende Größenordnung für den durchschnittlichen Fall nennt und darauf hinweist, dass sich die Gebühren bei überdurchschnittlichem Umfang oder Schwierigkeitsgrad auf bis zu ca. 17.300,00 Euro erhöhen können.

b) In der konkreten Beratungssituation hätte die Beklagte zusätzlich darauf hinweisen müssen, dass sie die Abrechnung der Höchstgebühr beabsichtigt, wie sie im Schreiben von Herrn Rechtsanwalt R. vom 16.12.2014 – vom Kläger als Anlage B 5 vorgelegt – deutlich zum Ausdruck kommt.

c) Ferner hätte die Beklagte darauf hinweisen müssen, dass sie die Rechtsauffassung vertritt, nicht nur für jede Steuerart und Veranlagungsjahr die Höchstgebühr des § 30 StBVV verlangen zu wollen, sondern gar zusätzlich für jede Einnahmenart……“

Sollte man als Verteidiger „auf dem Schirm haben“. Denn gibt man keinen bzw. – wie im entschiedenen Fall – einen nicht vollständigen Hinweis, dann besteht die Gefahr, dass der Gebührenanspruch nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB „verloren“ geht.

Zurechnung der Betriebsgefahr beim Sicherungseigentümer?

© rcx - Fotolia.com

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Im LG Stuttgart, Urt. v. 24.02.2016 – 13 S 46/15 geht/ging es um die Frage der Zurechnung der Betriebsgefahr. Der Kläger hat nach einem Verkehrsunfall die Beklagten auf Zahlung weiteren Schadenersatzes in Anspruch genommen. Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt Halter und Anwartschaftsberechtigter des an die L. sicherungsübereigneten beschädigten Fahrzeugs. Das  AG hat der Klage nur teilweise stattgegeben. In seiner Begründung führte das AG aus, dass dem Kläger ein Anspruch auf Ersatz von 50 % seines unfallbedingten Schadens zustehe. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme könne der Unfallhergang nicht aufgeklärt und ein Verschulden nicht festgestellt werden, da nicht geklärt werden könne, ob zuerst die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs ihren Abbiegevorgang oder der Beklagte Ziff. 1 seinen Überholvorgang eingeleitet habe. Daher sei von einer 50-prozentigen Haftung auszugehen. Mit der Berufung wird geltend gemacht, dass das AG bei sämtlichen Schadenspositionen von einer hälftigen Haftungsverteilung ausgegangen ist und nicht berücksichtigt hat, dass die L. als Sicherungseigentümerin nicht Halterin des klägerischen Fahrzeugs ist.

Das sieht das LG auch so:

„Das Amtsgericht hat in seinem Urteil festgestellt, dass der Hergang des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls nicht aufklärbar und daher ein Verschulden der unfallbeteiligten Fahrzeugführer nicht feststellbar ist. An diese Feststellungen des Amtsgerichts, welche ausdrücklich mit der Berufung nicht angegriffen wurden, ist die Kammer gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Unter Zugrundelegung dieses Sachverhalts scheidet -mangels festgestelltem Verschulden des Unfallgegners- ein deliktischer Anspruch gemäß § 823 BGB aus, sodass lediglich Schadenersatzansprüche aus der Gefährdungshaftung gemäß § 7 StVG bestehen.

2.1. Die Sicherungsnehmerin muss sich als Eigentümerin des Fahrzeugs, deren Ansprüche der Kläger vorliegend geltend macht, die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs, mangels anwendbarer Zurechnungsnorm, nicht zurechnen lassen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 10.07.2007, VI ZR 199/06; OLG Karlsruhe, Urteil vom 02.12.2013, 1 U 74/13).

In § 17 Abs. 2 StVG ist ausdrücklich die Haftungsverteilung der Halter untereinander geregelt. Eine analoge Anwendung dieser Norm auf Ansprüche des Fahrzeugeigentümers, welcher nicht Halter ist, scheidet aus. Denn trotz der Änderungen in § 17 Abs. 3 StVG hat der Gesetzgeber, dem ein Auseinanderfallen von Halter- und Eigentümerstellung bewusst war, die Regelung in § 17 Abs. 2 StVG unverändert beibehalten. Eine Analogie scheidet daher sowohl mangels einer unbewussten Lücke als auch im Hinblick auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut aus (vgl. BGH, Urteil vom 10.7.2007, VI ZR 199/06). Etwas anderes kann, nach Ansicht der Kammer, auch nicht aus den Ausführungen den BGH in seinem Urteil vom 7.12.2010, VI ZR 288/09 entnommen werden. Zwar führt er aus, dass in dem Fall wenn „wegen nicht nachweisbaren Verschuldens nur Ansprüche des Leasinggebers aus Gefährdungshaftung im Sinne des § 7 StVG [bestehen, der Fahrzeugeigentümer] sich im Haftungssystem des Straßenverkehrsgesetzes das Verschulden des Fahrers des Leasingfahrzeugs bereits bei der Geltendmachung eines Schadenersatzanspruchs gegen den Unfallgegner nach §§ 9, 17 StVG, § 254 BGB anspruchsmindernd zurechnen lassen“. Dies kann aber nur dann gelten, wenn zwar kein Verschulden des Unfallgegners jedoch ein Verschulden des Fahrers des Leasing- bzw. sicherungsübereigneten Fahrzeugs feststeht. Dies trifft jedoch für den streitgegenständlichen Verkehrsunfall gerade nicht zu.

Ebenfalls scheiden als Zurechnungsnormen § 9 StVG sowie § 254 BGB aus…….“

Klassiker: Unachtsames Öffnen der Pkw-Tür – volle Haftung des Türöffners

entnommen wikimedia.de Urheber Marcel Heller at de.wikipedia

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Einen m.E. verkehrszivilrechtlichen Klassiker behandelt das LG Stuttgart, Urt. v. 22.04.2015 – 13 S 172/14, nämlich die Frage nach dem  Verschulden des Fahrers eines am rechten Fahrbahnrand geparkten Fahrzeugs durch unachtsames Öffnen der Autotür in den Verkehrsraum des fließenden Verkehrs hinein und die damit zusammenhängende Haftungsquote des Fahrers. Das LG Stuttgart sagt – mit der h.M.: Diese Unachtsamkeit begründet ein erhebliches Verschulden, hinter dem die einfache Betriebsgefahr des Fahrzeugs im fließenden Verkehr, das mit der sich öffnenden Tür kollidiert, regelmäßig zurücktritt.

„2) Die Kammer folgt nämlich nicht der Rechtsansicht des Amtsgerichts, dass die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs neben dem erheblichen Verschulden auf Klägerseite bestehen bleibe; jene tritt hier zurück.

a) Nach 17 Abs. 1 StVG hängt bei einer Schadensverursachung durch mehrere Kraftfahrzeuge die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Fahrzeug verursacht worden ist. Diese Abwägung ergibt hier, dass die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs den Unfall so überwiegend fahrlässig verursacht hat, dass im Verhältnis dazu die Betriebsgefahr des Fahrzeuges des Beklagten Ziff.1 kein anspruchsminderndes Eigengewicht hat.

Nicht nur nach der ständigen Kammerrechtsprechung, sondern auch nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs tritt die einfache Betriebsgefahr regelmäßig hinter einem erheblichen Verschulden der Gegenseite zurück (vgl. BGH Urteil vom 27.05.2014 – VI ZR 279/13). Gerade bei dem plötzlichen Öffnen der Fahrertür eines parkenden Pkws unter Verstoß gegen § 14 StVO ist nach ganz herrschender Ansicht, welcher die Kammer folgt, von einem solchen schweren Verschulden auszugehen, weil das Fließen des Verkehrs nur dann gewährleistet ist, wenn sich die mit angemessener Geschwindigkeit und regelgerechtem Abstand Vorbeifahrenden darauf verlassen können, dass nicht unerwartet eine Fahrzeugtür in den Fahrbereich hinein geöffnet wird (vgl. beispielhaft LG Saarbrücken Beschluss vom 28.01.2010 – 13 S 228/09; KG Beschluss vom 06.03.2008 – 12 U 59/07; LG Limburg Urteil vom 09.10.2009 – 4 O 341/08; OLG Hamburg Beschluss vom 11.06.2004 – 14 U 35/04; OLG Stuttgart Urteil vom 07. 04.2010 – 3 U 216/09).

b) Im vorliegenden Fall liegt auch keine erhöhte Betriebsgefahr vor, welche ausnahmsweise nicht zurücktreten würde. Darauf, dass an der Unfallstelle regelmäßig und auch zum Unfallzeitpunkt starker Parksuchverkehr geherrscht habe, kann sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Denn aus diesem Vortrag würde sich auch dann, wenn er unstreitig wäre, weder ein vermindertes Verschulden der Klägerseite noch eine erhöhte Betriebsgefahr auf der Beklagtenseite ergeben. Auch bei regem Parksuchverkehr muss ein Aussteigender mit großer Vorsicht vorgehen und ein Fahrender darf sich darauf verlassen, dass nicht unvermittelt eine Türe geöffnet wird.

Dass der Beklagte Ziff.1 anhand eines aufleuchtenden Innen- oder Kontrolllichts an der Tür des Pkws des Klägers die Absicht der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs vorab hätte erkennen können, hat das Amtsgericht gerade nicht festgestellt, weswegen auch insoweit die Betriebsgefahr nicht erhöht ist. Und schließlich führte auch der Umstand – wenn er denn tatsächlich so gegeben gewesen wäre -, dass sich die Beifahrerin auf dem Gehweg neben dem klägerischen Fahrzeug befand, nicht zu einem anderen Ergebnis. Zum einen steht schon gar nicht fest, ob der Beklagte diese Beifahrerin in der herrschenden Dunkelheit sehen konnte und gesehen hat. Zum anderen ist die Berufungskammer der Ansicht, dass Personen auf dem Gehweg vorbeifahrenden Fahrzeugen keinen Anlass geben, einen größeren Abstand als 0,5 m zu parkenden Fahrzeugen einzuhalten oder besonders langsam (deutlich unter 30 km/h) zu fahren. Personen auf dem Gehweg sind ein ständiges und keineswegs zu besonderer Vorsicht Anlass gebendes Phänomen. Eine Vermutung, dass Personen auf dem Gehweg bedeuten, dass demnächst jemand aus dem Fahrzeug steigen werde, neben dem sie sich befinden, gibt es nicht.“

Da lohnt sich dann doch mal ein Blick nach hinten 🙂

Strafbefehl: Nur mit Übersetzung ist Zustellung wirksam….

© M. Schuppich - Fotolia.com

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Die neuen Vorschriften der §§ 187 Abs. 2 GVG, 37 Abs. 3 StPO ziehen Kreise. Sie sehen u.a. vor, dass einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Beschuldigten/Angeklagten auch nicht rechtskräftige Urteile zu Übersetzen sind (§ 187 Abs. 2 GVG) und in dem Fall dann mit der Zustellung des Urteils auch dessen Übersetzung zuzustellen ist (§ 37 Abs. 3 StPO). Nun ist aber in § 37 Abs. 3 StPO nur von „Urteil“ die Rede, nicht aber auch – wie in § 187 Abs. 2 GVG – von „Strafbefehl“.  Und damit stellt(e) sind die Frage: Was ist mit der Übersetzung eines Strafbefehls? Muss sie mit zugestellt werden oder nicht? Und wenn sie zugestellt werden muss: Welche Folgen hat es, wenn die Zustellung der Übersetzung unterbleibt.

Eine m.E. überzeugende Antwort gibt darauf der LG Stuttgart, Beschl. v. 12. 5. 2014 – 7 Qs 18/14, wenn es sagt:

  • § 37 Abs. 3 StPO ist im Strafbefehlsverfahren analog anzuwenden. Daher ist dem Angeklagten der Strafbefehl zusammen mit der Übersetzung zuzustellen, wenn ihm nach § 187 Abs. 1 und Abs. 2 GVG eine Übersetzung des Strafbefehls zur Verfügung zu stellen ist.
  • In diesem Falle beginnt nach § 37 Abs. 3 StPO die Einspruchsfrist nicht vor Zustellung der schriftlichen Übersetzung zu laufen; eine Zustellung ohne schriftliche Übersetzung ist unwirksam.
  • Der Mangel der unwirksamen Zustellung wird durch nachträgliche Zustellung der schriftlichen Übersetzung behoben mit der Folge des Beginns des Fristenlaufs.

Zur Begründung verweist das LG auf den Sinn und Zweck der Neuregelung des § 37 Abs. 3 StPO sei, im Falle eines nicht (hinreichend) der deutschen Sprache mächtigen Angeklagten zur Sicherung eines fairen Verfahrens die Rechtsmittelfrist erst mit Zustellung der schriftlichen Übersetzung in Gang zu setzen, weshalb eine Zustellung ohne Übersetzung unwirksam sei. Die Neuregelung des § 187 Abs. 2 Satz 1 GVG, auf den § 37 Abs. 3 StPO verweise, solle das Recht auf ein faires Verfahren wahren und gewährleisten, dass der Angeklagte die wesentlichen Verfahrensvorgänge nachvollziehen und sich im Verfahren verständlich machen könne. Und dies führt nach Auffassung des LG zur analogen Anwendung des § 37 Abs. 3 StPO auf Strafbefehle. Die ausdrückliche Regelung in § 37 Abs. 3 StPO hat der Gesetzgeber leider versäumt.