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Fleißig sind offenbar die Amtsrichter in Baden-Württemberg – oder: Soll man lachen oder weinen?

© Gina Sanders - Fotolia.com

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In die Kategorie: „Soll man lachen., soll man weinen?“ gehört für mich der eine gebührenrechtliche Frage behandelnde LG Ravensburg, Beschl. v. 05.03.2015 – 2 Qs 27/15 Jug. Es ging in dem Beschwerdeverfahren noch um die Bemessung einer Terminsgebühr für die Teilnahme an einer Hauptverhandlung beim Strafrichter, die 50 Minuten gedauert hatte. Der Verteidiger hatte die Mittelgebühr geltend gemacht, das AG hatte 100 € festgesetzt, das LG meint, 150 € seien angemessen. Begründung:

„Der Kammer erscheint es angemessen, zwar wegen der Dauer der Hauptverhandlung, die in etwa die Hälfte der durchschnittlichen Dauer einer Hauptverhandlung beim Amtsgericht betrug, die Gebühr von 100 € zu erhöhen, jedoch nicht um mehr als 50 €, so dass eine Gebühr in Höhe von 150 € festzusetzen ist.

Es ist hauptsächlich auf den Umfang, also die Zeitdauer der Hauptverhandlung ab-zustellen (AG Koblenz, JurBüro 2005, 33). Die Dauer der Hauptverhandlung bemisst sich ab dem Zeitpunkt der Ladung bis zum Ende.

Der Ansatz der Mittelgebühr von 275,00 € ist im vorliegenden Fall nicht sachangemessen. In einem amtsgerichtlichen Verfahren vor dem Strafrichter ist als durchschnittliche Dauer einer Hauptverhandlung ein bis zwei Stunden anzusehen. Die Hauptverhandlung dauerte hier lediglich 50 Minuten, weshalb die Festsetzung der Mittelgebühr nicht nur überhöht sondern auch unbillig wäre. Zudem wurden weder ein Zeuge gehört noch plädiert. Die Schwierigkeit des Sachverhalts wurde mit der Grundgebühr mitberücksichtigt, bei der die Mittelgebühr festgesetzt wurde.

Dazu meine ersten Gedanken:

  1. Alle Achtung: Die Beschwerdekammer eines LG zitiert als einzige Belegstelle eine amtsgerichtliche Entscheidung, obwohl die Fachzeitschriften voll sind von auch obergerichtlichen Entscheidungen, die zur Bemessung von (Termins)Gebühren Stellung nehmen (vgl. die zahlreichen Nachweise bei Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn. 68 ff.; aus der Rechtsprechung nur grundlegend KG RVGreport 207, 180). Das alleinige Zitat einer amtsgerichtlichen Entscheidung lässt für mich den Eindruck entstehen, dass man einfach keine große Lust hatte, sich mit den anstehenden Fragen zu befassen. Zumindest ist das bei mir so.
  2. Wenn man den Maßstab sieht, den das LG anlegt – „in einem amtsgerichtlichen Verfahren vor dem Strafrichter ist als durchschnittliche Dauer einer Hauptverhandlung ein bis zwei Stunden anzusehen“ – kann man daraus nur folgern: In Baden-Württemberg sind die Amtsrichter entweder besonders fleißig oder sie verhandeln besonders langsam. Denn von einem Durchschnitt von „ein bis zwei Stunden“ auszugehen ist m.E. angesichts der i.d.R. doch sehr kurzen Hauptverhandlungsdauer beim Strafrichter übersetzt. M.E. wird der Durchschnitt erheblich unter dieser Grenze liegen und maximal eine Stunde betragen (s. auch Burhoff/Burhoff, RVG, Vorbem. 4 VV Rn. 73). Selbst das erscheint mir schon (zu) hoch.
  3. Falsch ist es, wenn das LG meint, die vom Verteidiger geltend gemachte Schwierigkeit der Sache bei der Bemessung der Terminsgebühr deshalb nicht mehr berücksichtigen zu können – oder sogar „dürfen“? – weil die bereits „mit der Grundgebühr mitberücksichtigt, bei der die Mittelgebühr festgesetzt worden ist.“ Falls das LG meint, dass dadurch das Bemessungskriterium „Schwierigkeit der Sache“ verbraucht und daher bei der Bemessung der Terminsgebühr nicht mehr herangezogen werden könne – so liest es sich für mich –, beruht das auf einem schlicht falschen Verständnis des § 14 Abs. 1 RVG. Denn die dort angeführten Bemessungskriterien sind bei der Bemessung der Wahlanwaltsgebühren nicht nur einmal heranzuziehen, wie hier offenbar bei der Grundgebühr, und danach dann für andere Gebühren „verbraucht“. Vielmehr sind alle Gebühren unter jeweiliger Berücksichtigung der in § 14 Abs. 1 RVG angeführten Kriterien zu bemessen. Es spielt also die Schwierigkeit der Sache nicht nur ggf. bei der Bemessung der Grundgebühr Nr. 4100 VV RVG, sondern auch bei den Verfahrensgebühren und etwaigen Terminsgebühren eine Rolle. Das sollte eine Beschwerdekammer eines LG wissen.

Zurück zur Ausgangefrage: Ich habe mich für das Weinen entschieden…

Das sozial adäquate Verhalten an Karneval

entnommen wikimedia.org Superbass - Own work

entnommen wikimedia.org
Superbass – Own work

Bei meiner Recherche nach Entscheidungen zu Karneval – heute/jetzt startet die 5. Jahreszeit im Rheinland und die Entscheidung mit der Terminierung auf 11.11. am 11.11. ist schon oft gelaufen – bin ich auf das LG Ravensburg, Urt. v. 26.09.2013 – 4 O 47/13 – gestoßen, das sich mit „sozialadäquatem Verhalten“ am Rande eines Fasnachtsumzuges befasst. Nun, es geht nicht um die erlaubte bzw. unerlaubte/nicht angemessene Menge Alkohol, die ggf. jemand zu sich genommen hat, sondern um das Verhalten von jungen Leuten bei einer Tanzveranstaltung nach einem Fasnachtsumzug (ja, nicht ganz Karneval, aber immerhin 🙂 .

Folgender Sachverhalt:

„Am 28.1.2012 fand nachmittags in E (R) ein Fasnachtsumzug statt. Der Beklagte nahm hieran als Mitglied der Narrengruppe R, einer Unterabteilung des TSV A e.V., teil. Im Anschluss an den Umzug fand in der Turnhalle, immer noch im Rahmen der Fasnachtsveranstaltung, eine Party statt. Die damals 20 Jahre alte Klägerin kam mit ihrer jüngeren Schwester M, ihrem damaligen Freund P H und dem Bekannten St H gegen Ende des Umzugs nach E; die jungen Leute begaben sich dann direkt zum Bereich der Turnhalle.

Dort trafen sie auf den Beklagten, der zumindest P H bereits kannte. Während die jungen Leute beieinander standen, hob der Beklagte die Klägerin hoch und legte sie über seine Schulter, drehte sich mit ihr und setzte sie wieder ab. Er machte dies wenig später ein zweites Mal. Wie das Absetzen der Klägerin aussah und ob sie sich sogleich hierbei verletzte ist streitig. Jedenfalls lag die Klägerin dann auf dem Boden, musste von Mitarbeitern des Sanitätsdienstes versorgt und schließlich mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht werden.

Das LG lehnt eine Haftung des Beklagten, eines „überaus stämmigen jungen Mannes“ ab:

3. Dem Beklagten ist jedenfalls kein Verstoß gegen rechtlich vorgegebene Verhaltensmaßstäbe anzulasten.

a) Das Aufnehmen der Klägerin geschah im unmittelbaren Umfeld des Fasnachtstreibens in Form eines Umzuges mit anschließender Party in der Turnhalle; der Beklagte hatte bereits am Umzug teilgenommen, die Klägerin und ihre Begleiter kamen spätestens zur anschließenden Party. Angesichts dieser Rahmensituation, ergänzend aber auch mit Blick auf das Alter der Beteiligten, war das Verhalten des Beklagten sozialadäquat. Die Klägerin selbst macht nicht einmal geltend, dass sie bereits das erste Aufnehmen entschieden abgelehnt oder gar dem Beklagten danach deutlich zu verstehen gegeben habe, dass er dies gefälligst zu unterlassen habe. Erst als er sie ein zweites Mal aufnahm, erklärte sie, er solle aufhören, was er dann auch gleich zum Anlass nahm, sie wieder abzusetzen. Dem Beklagten ist deshalb nicht vorzuwerfen, dass er die Klägerin überhaupt ein zweites Mal hochnahm.

Auch im Zusammenhang mit dem Absetzen der Klägerin ist dem Beklagten nichts vorzuwerfen. Es gibt – auch außerhalb des sozialen Nahbereichs – zahlreiche Situationen, in denen Menschen in unzweifelhaft sozialadäquater Weise im unmittelbaren Körperkontakt auf andere einwirken, beispielsweise bei Begrüßungs- oder Verabschiedungsritualen oder bei Sport und Tanz. Welche Sorgfaltsanforderungen hierbei zu beachten sind, richtet sich ganz nach der konkreten Situation und dem jeweiligen Gegenüber. Hier hatte es der Beklagte nicht mit einem kleinen Kind zu tun, einem Körperbehinderten oder einem gebrechlichen alten Menschen, sondern mit einer erwachsenen jungen Frau von zwar eher zierlicher Statur, aber ohne irgendwelche wahrnehmbare gesundheitliche Einschränkungen. Der Beklagte musste deshalb die Klägerin, als er sie nach dem spielerischen Hochnehmen wieder absetzen wollte, nicht wie ein rohes Ei oder eine Porzellanvase behandeln und denkbar behutsam auf dem Boden absetzen. Er durfte sie ohne weiteres in aufrechter Haltung bei einem nur noch relativ geringen Abstand der Füße zum Boden aus seinen Händen hinabgleiten lassen; denn er musste dabei nicht damit rechnen, dass die Beklagte sich beim Auftreffen auf den Boden verletzen würde.

b) Eine Haftung des Beklagten ist daher nicht gegeben.

Nimmt man eine erfolgsbezogene Rechtswidrigkeitsprüfung vor, ist zwar die Rechtswidrigkeit des Verhaltens des Beklagten durch die hierbei (mit)herbeigeführte Rechtsgutsverletzung indiziert; da dem Beklagten aber nicht anzulasten ist, dass er die gebotene Sorgfalt verletzt habe, fehlt es dann am Verschulden. Bei einer verhaltensbezogenen Beurteilung der Rechtswidrigkeit dagegen ist trotz der bewirkten Verletzung bereits die Rechtswidrigkeit zu verneinen, nachdem der Beklagte in sozialadäquater Weise und unter Beachtung der gebotenen Sorgfalt agiert hat. Weiterer Ausführungen zu diesem rechtsdogmatischen Theorienstreit bedarf es – zumal Fragen der Notwehr oder von Beseitigungs- oder Unterlassungsansprüchen nicht aufgeworfen sind – nicht (vgl. näher Palandt-Sprau a.a.O. § 823 Rn. 24 mit zahlr. Nachw.).

Also: Alaaf, Helau und was man sonst so sagt/ruft.