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Bewährung III: Beharrliche Kontaktverweigerung, oder: Immer wieder vorwerfbar

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Den Abschluss im Bewährungsreigen macht dann das LG Münster mit dem LG Münster, Beschl. v. 21.12.2017 – 9 Qs 40/17, den mir der Kollege H. Urbanzyk aus Coesfeld geschickt hat. Der Verurteilte ist wegen Diebstahls und gemeinschaftlichen Diebstahls im besonders schweren Fall sowie Sachbeschädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Die Bewährungszeit war auf 2 Jahre festgesetzt worden. Weil er sich der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers beharrlich entzogen und dadurch Anlass zu der Besorgnis gegeben hatte, dass er erneut Straftaten begehen werde, hat das AG Coesfeld dem Verurteilten aufgegeben, 30 Stunden gemeinnützige Arbeit abzuleisten. Diese Auflage hat er fristgerecht erfüllt.
Mit dem angefochtenen Beschluss  hat das AG Coesfeld dann aber die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Verurteilte habe keinen Kontakt zu seinem Bewährungshelfer gehalten und trotz mehrerer schriftlicher Aufforderungen des Gerichts Gesprächstermine mit diesem nicht wahrgenommen. Außerdem sei er Vorladungen zu Anhörungsterminen nicht nachgekommen. Damit habe sich der Verurteilte der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers beharrlich entzogen.

Das LG sieht das anders:

„Die Voraussetzungen für einen Widerruf der Strafaussetzung gemäß § 56 f Abs. 1 Nr. 2 StGB liegen nicht vor. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Verurteilte sich der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers beharrlich entzieht und dadurch Anlass zu der Besorgnis gibt, dass er erneut Straftaten begehen werde.

Der Verurteilte leidet unter einer schweren emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ, wodurch er in seiner Lebensführung erheblich eingeschränkt ist. Das ergibt sich aus dem zwischenzeitlich in dem vorgenannten Strafverfahren (4 Ns — 82 Js 7351/16 — 42/16 LG Münster) eingeholten psychiatrisches Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie W. T. Aus diesem Grund steht der Verurteilte auch unter umfassender gesetzlicher Betreuung. Die Aufgabenkreise des Betreuers umfassen u.a. die Regelung des Postverkehrs sowie die Vertretung gegenüber Behörden. Ausweislich der in dem Betreuungsverfahren eingeholten ärztlichen Stellungnahme des Kreismedizinaldirektors Dr. T. führt die Persönlichkeitsstörung des Verurteilten zu Minderungen seiner sozialen Leistungsfähigkeit und der Selbstversorgung, weswegen er nicht in der Lage ist, seine Angelegenheiten zu besorgen. Auf dieser Grundlage kann das mangelhafte Kontaktverhalten des Verurteilten jedenfalls nicht als beharrlich eingestuft werden. Die Voraussetzungen des § 56 f Abs. 1 Nr. 2 StGB erfordern, dass er immer wieder willentlich und verantwortlich den Einfluss des Bewährungshelfers unmöglich macht. Das kann aufgrund des hier vorliegenden Krankte eitsbildes nicht festgestellt werden.

Zusätzlich kann aufgrund der vorgenannten Diagnose nicht festgestellt werden, dass eine eventuelle negative Sozialprognose darauf beruht, dass der Verurteilte sich der Leitung und Weisung des Bewährungshelfers entzieht. Als Ursache dürfte vielmehr die vorliegende schwere Persönlichkeitsstörung zu Grunde zu legen sein.“

Pflichti II: Pflichtverteidger im Verfahren nach § 35 BtMG, oder: Nur ausnahmsweise

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Die zweite „Pflichtverteidigerentscheidung“ kommt vom LG Münster. Es handelt sich um den LG Münster, Beschl. v. 30.04.2018 – 9 Qs 19/18 -, den mir der Kollege H. Urbanzyk aus Coesfeld gesandt hat. Thematik: Beiordnung eines Pflichtverteidgers im Verfahren nach § 35 BtMG. Dazu meint das LG: Einen Pflichtverteidiger gibt es nur ausnahmsweise:

Zwar kann in analoger Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch im Zurückstellungsverfahren gemäß §§ 35, 36 BtMG geboten sein (Jena NStZ 2010, 525-526). Entscheidend für die Notwendigkeit einer Verteidigung sind im Vollstreckungsverfahren jedoch nicht wie im Erkenntnisverfahren die Schwere der Tat und die zu erwartenden Rechtsfolgen, vielmehr kommt es auf die Schwierigkeit des Vollstreckungsverfahrens an (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. August 2008 — 2 BvR 335/08 -, juris).

Im Gegensatz zum kontradiktorisch gestalteten Erkenntnisverfahren entscheidet die Vollstreckungsbehörde im Zurückstellungsverfahren nach § 35 BtMG im Wege eines Justizverwaltungsaktes. Die Zustimmung des erstinstanzlichen Gerichts ist zwar vor einer Zurückstellung einzuholen, eine eigene gerichtliche Entscheidung zur Sache ergeht jedoch nicht. Anders als im Erkenntnisverfahren steht die Tatsachengrundlage für die Entscheidung fest und sie ist dem Verurteilten auch bekannt. Geht es — wie hier — um die Frage, ob der Verurteilte ernsthaft therapiebereit und therapiewillig ist, liegen die Entscheidungsgrundlagen in dem von dem Verurteilten gezeigten Verhalten. Eine besondere Schwierigkeit der zu treffenden Entscheidung, die mit einer schwierigen Sach- oder Rechtslage im Erkenntnisverfahren vergleichbar wäre, ist nicht ersichtlich. Anders als in der oben zitierten Entscheidung des Thüringer OLG ist der Verurteilte weder geistig behindert noch bestehen Anhaltspunkte für eine Persönlichkeitsstörung. Allein die Betäubungsmittelabhängigkeit des Verurteilten gibt keinen Anlass zur Besorgnis, der Verurteilte könne seine Rechte im Zurückstellungsverfahren nicht hinreichend selbst wahrnehmen (vgl. BVerfG a.a.O. zur beabsichtigten Alkoholtherapie). Anderenfalls wäre nahezu jedem Verurteilten im  Zurückstellungsverfahren nach § 35 BtMG ein Verteidiger beizuordnen.“

Kraftfahrzeugführer?, oder: Wenn der besoffene Fahrlehrer bremst…

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Die zweite LG-Entscheidung kommt vom LG Münster. Sie ist schon etwas älter, aber die behandelte Problematik ist immer wieder schön. Leider gibt es sie wohl häufiger, nämlich den besoffenen Fahrlehrer. Das LG Münster stellt und beantwortet im LG Münster, Beschl. v. 09.06.2017 – 3 Qs 34/17 die Frage: Ist/War der besoffenen Fahrlehrer anlässlich/vor einem Verkehrsunfall Führer des Kraftfahrzeuges, so dass ihm die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden konnte. Das LG sagt: Ja:

„Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss dem Beschuldigten zu Unrecht die Fahrerlaubnis nicht vorläufig entzogen. Es sind entgegen der Auffassung des Amtsgerichts dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass dem Beschuldigten demnächst die Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB endgültig entzogen wird. Es besteht nach dem derzeitigen Ergebnis der Ermittlungen ein dringender Tatverdacht zumindest bezogen auf eine Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1, ggf. i.V.m. Abs. 2 StGB mithin eines Regelbeispiels der Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen gemäß § 69 Abs. 2 StGB. Der Beschuldigte wies bei Entnahme der Blutprobe am Vorfallstag dem 07.02.2017 um 18:34 Uhr, mithin etwa 2,5 Stunden nach dem Unfall eine Blutalkoholkonzentration von 1,18 ‰ auf, war mithin absolut fahruntüchtig. Der Beschuldigte, der als Fahrlehrer im verunfallten Fahrzeug auf dem Beifahrersitz saß, hat auch im Sinne der Vorschrift das Fahrzeug geführt. Führer eines Kfz ist nur, wer es unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter eigener Allein- oder Mitverantwortung in Bewegung setzt oder unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrtbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil lenkt, erforderlich ist ein Bedienen wesentlicher Einrichtungen des Fahrzeugs. Diese Voraussetzungen erfüllt ein Fahrlehrer erst mit dem Eingreifen in Lenk- oder Betriebsvorgänge vom Beifahrersitz (BGH, Beschluss vom 23.09.2014, 4 StR 92/14, Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, § 2 StVG Rn. 55 m.w.N.). Vorliegend hat der Beschuldigte nach seiner eigenen Einlassung am Unfallort kurz vor dem Zusammenstoß gebremst – wenn auch zu spät. Damit hat er nach Auffassung der Kammer eine wesentliche Einrichtung des Fahrzeuges bedient und in den Betriebsvorgang eingegriffen, so dass er als Führer des Fahrzeuges tätig wurde.“

Parteiverrat?, oder: Wenn der Rechtsanwalt gegen die ausdrückliche Weisung des Mandanten handelt

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In der vergangenen Woche ist beim LG Münster ein Strafkammerverfahren zu Ende gegangen, in dem der betroffene Rechtsanwalt wegen Parteiverrats (§ § 356 StGB) angeklagt war. Der Kollege ist vom LG wegen (schweren) Parteiverrats nach § 356 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Gegen das Urteil ist Revision eingelegt.

Lassen wir jetzt mal die berufsrechtlichen Folgen dieser Verurteilung außen vor – Anwaltszulassung, Notarzulassung, Honorarprofessur, Bundesverdienstkreuz „wackeln“. Interessant ist m.E. vor allem auch die Frage, die der BGH beantworten muss, nämlich: Handelt es sich um Parteiverrat, wenn der Rechtsanwalt gegen den ausdrücklich erklärten Willen des Mandanten handelt? Das war hier nämlich wohl der Fall:

Ausgangspunkt ist ein Verfahren, das 2012 beim BVerwG anhängig war (vgl. auch hier). Der Kollege hat mehrere Kläger aus Oldenburg vertreten, darunter auch die Stadt, eine Wohnungsbaugesellschaft, eine Stiftung und Privatleute. Beklagte war die Deutsche Bahn, die die Bahnstrecke zum Tiefwasserhafen „Jade Weser Port“ im nahen Wilhelmshaven ausbauen will – streckenweise wohl mitten durch das Oldenburger Stadtgebiet. In dem Verfahren vor dem BVerwG hat die DB einen Vergleich angeboten, der Lärmschutzmaßnahmen für die betroffenen Wohngebiete in Oldenburg vorsah. Der Kollege hat seinen Mandanten geraten, das Angebot anzunehmen. Einige der Kläger, u.a. die Stadt Oldenburg, willigten ein. Nicht die privaten Kläger, die die ausdrückliche Weisung erteilt hatten, keinen Vergleich abzuschließen. Und darum ging es dann im Strafverfahren.

Das LG ist wegen des Vergleichsschlusses von Parteiverrat ausgegangen. Dazu aus der „WN„: Der münsterische Anwalt zeigt sich weiterhin überzeugt, dass er mit dem angestrebten Vergleich das Beste für alle seinen Mandanten habe erreichen können. Der Richter sieht das anders. „Es ist nun mal der Mandant, der die Prozessziele festlegt.“

Ich bin gespannt, was der BGH macht. Ganz „unstreitig“ war die (Rechts)Frage nicht. Die Staatsanwaltschaft und die GStA hatten nämlich die Tatbestandsmäßigkeit verneint. Das OLG Hamm hatte dann im Klageerzwingungsverfahren mit OLG Hamm, Beschl. v. 09.10.2014 – 4 Ws 227/14 – die Erhebung der Anklage angeordnet.

Mit zwei Hunden auf dem Fahrrad –> Sturz –> 75 % Mithaftung

entnommen openclipart.org

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Passend für die Berufungszivilkammer des LG Münster ist ein „Fahrradfall“, der dort durch das LG Münster, Urt. v.16.12.2015 – 1 S 56/15 – entschieden worden ist. Es geht um einen Fahrradsturz, den der Kläger im Mai 2014 erlitten hat und bei dem der Kläger verletzt wurde. Deshlab verlangte er von der Beklagten Schadensersatz. Der Kläger war mit der linken Hand am Lenker auf seinem Fahrrad am rechten Straßenrand eines Weges gefahren. In der rechten Hand hielt er die Leine für seine zwei Schäferhunde. Der Kläger näherte sich von hinten der Beklagten, die auf dem Grünstreifen am linken Straßenrand lief. Ihr Hund befand sich unangeleint wenige Meter hinter ihr. Als sich der Kläger der Beklagten näherte, bewegte sich der Hund der Beklagten auf den Kläger zu. Der Kläger bremste und kam deshalb zu Fall. Dadurch wurde er verletzt. Das AG hat dem Kläger eine Mithaftung von 75 % angerechnet. Die Berufungskammer sagt: Zwar „methodisch ungenau“, aber das Ergebnis passt:

„Indes ist auch die äußerst gefährliche Fahrweise des Klägers mit zwei Hunden an der Leine und der Leine in der rechten Hand zu berücksichtigen. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass sowohl das einhändige Fahrradfahren als auch das Führen von Hunden vom Fahrrad aus nach § 28 Abs. 1 S. 4 StVO grundsätzlich erlaubt sind. Das Zusammenspiel beider Verhaltensweisen im vorliegenden Fall stellte sich als besonders risikoerhöhend dar, was seinen Niederschlag auch in der gesetzlichen Bestimmungen findet: § 28 Abs. 1 S. 3 und 4 StVO verbieten im Interesse der Verkehrssicherheit grundsätzlich das Führen von Fahrzeugen aus, „wovon nur größere (folgsame) Hunde hinter Fahrrädern ausgenommen sind“ (BHJJ/Janker StVO § 28 Rn. 1 – 13, [juris]; Hervorhebung nicht im Original). Jegliche Einflüsse auf die Verkehrssicherheit wie bei Einflüssen auf den Lenker (Vgl. OLG Köln, NJW-RR 2003, 884) sind zu vermeiden. Der Fahrzeugführer im Sinne der StVO und in diesem Fall der Fahrradfahrer muss sicherstellen, dass seine Beherrschung des Fahrrades durch das Tier nicht beeinträchtigt wird (BHJJ/Heß StVO § 23 Rn. 15a, [juris]). So wie der Kläger seine Hunde geführt hat, kann er im Fall des Abbiegens keine Richtungsanzeige abgeben. Beim Abbiegen nach rechts ist dies auf Grund der in der rechten Hand geführten Hundeleine nicht möglich. Nach links wäre eine Richtungsanzeige lediglich unter Missachtung des Verbotes des freihändigen Fahrradfahrens möglich. Und auch die Beherrschung des Fahrrades wird durch das Halten der Leine offenkundig beeinträchtigt. Der rechte Arm steht nicht zur Verfügung, um Einwirkungen auf das Gleichgewicht in ausreichender Form zu kompensieren. Auch kann die rechte Hand nicht unmittelbar zum Lenker geführt werden, wenn eine Gefahrenlage unerwartet auftritt. Zumal dies nur möglich wäre, wenn die Leine losgelassen wird, was wiederum im Geltungsbereich des kommunalen Leinenzwangs rechtswidrig wäre.

Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass es spezielle Halterungen für das Fahrrad gibt, mit denen eine Hundeleine gefedert an dem Fahrrad befestigt werden kann und die dem Fahrradfahrer so beide Hände zum Führen des Fahrrades zur Verfügung lassen.

Der Kläger näherte sich außerdem von hinten der Beklagten und ihrem Hund und hätte zumindest erkennen können, dass dieser nicht angeleint gewesen ist. Aber auch bei einem angeleinten Hund hätte er reagieren müssen. Zumindest hätte er auch die rechte Hand an den Lenker nehmen und die Geschwindigkeit reduzieren, wenn nicht gar absteigen müssen. Auch bei der Begegnung mit angeleinten Hunden ist es nicht auszuschließen, dass zumindest der dem Kläger unbekannte Hund auf den Kläger, das Fahrrad oder die eigenen Hunde des Klägers reagiert und hierdurch eine potentiell gefährliche Verkehrssituation entsteht.“