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Wiedereinsetzung I: Wenn Fristablauf droht, oder: Rechtsanwalt muss Email-Lesebestätigung anfordern

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Und im „Kessel Buntes“ heute dann zwei Entscheidungen des BGH zur Wiedereinsetzung. Sie stammen zwar aus dem Zivilbereich, aber es lohnt sich ja immer mal über den Tellerrand zu schauen.

Zunächst der BGH, Beschl. v. 18.11.2021 – I ZR 125/21. Es geht um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision. Der BGH hat den Antrag zurückgewiesen. Der Sachverhalt ergibt sich aus dem BGH-Beschluss:

„II. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist gemäß § 233 ZPO kommt nicht in Betracht. Die Beklagte war nicht ohne ihr Verschulden gehindert, das Rechtsmittel rechtzeitig einzulegen.

1. Die Beklagte hat zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags vorgetragen, die Fristversäumung habe ihre Ursache in einem technischen Fehler ihres E-Mailsystems. Ihre Prozessbevollmächtigten hätten ihr mit Schreiben vom 7. Juli 2021, 19. Juli 2021 und mit E-Mails vom 19. Juli 2021, 27. Juli 2021 und 28. Juli 2021 jeweils unter Hinweis auf die Revisionsfrist die Einlegung der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision empfohlen. Sowohl die Schreiben als auch die E-Mails seien bei ihr eingegangen und zur Kenntnis des für die Entscheidung über die Einlegung des Rechtsmittels zuständigen Prokuristen gelangt. Der Prokurist habe sich am 29. Juli 2021 im Rahmen eines Videotelefonats mit ihrem Produktentwickler besprochen und sei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Revisionsverfahren durchgeführt werden solle. Der Prokurist habe unmittelbar nach Beendigung des Videotelefonats eine E-Mail an ihre Prozessbevollmächtigten verschicken wollen, mit der er diese habe bitten wollen, alle notwendigen Schritte für eine Revision einzuleiten. Der Prokurist sei der festen Überzeugung gewesen, dass er noch am 29. Juli 2021 eine solche E-Mail an die Prozessbevollmächtigten geschickt habe. Deshalb habe er die Angelegenheit für sich „ad acta“ gelegt. Eine entsprechende E-Mail des Prokuristen sei jedoch weder am 29. Juli 2021 noch zu einem späteren Zeitpunkt bei den Prozessbevollmächtigten eingegangen. Es sei zu vermuten, dass es zu technischen Problemen im E-Mailsystem der Beklagten gekommen sei.

Aber selbst wenn sie es übersehen haben sollte, am 29. Juli 2021 tatsächlich eine E-Mail an ihre Prozessbevollmächtigten zu senden, sei davon auszugehen, dass sie durch eine E-Mail vom 30. Juli 2021 ihrer Prozessbevollmächtigten rechtzeitig auf die ablaufende Revisionsfrist hingewiesen worden wäre. Nachdem die Prozessbevollmächtigten auf ihre E-Mail vom 28. Juli 2021 keine Antwort von ihr erhalten hätten, hätten sie nämlich am 30. Juli 2021 erneut eine E-Mail an sie übersandt, mit der wiederum auf die am selben Tag ablaufende Revisionsfrist hingewiesen worden sei. Ganz offensichtlich sei diese E-Mail aufgrund eines nicht aufzuklärenden technischen Fehlers nicht bei ihr eingegangen. Es sei davon auszugehen, dass es dem Prokuristen im Falle des Erhalts dieser E-Mail aufgefallen wäre, dass er nicht bereits am 29. Juli 2021 der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten mitgeteilt habe, dass das Revisionsverfahren durchgeführt werden solle.

Dass es offenbar zu technischen Problemen in der E-Mail-Korrespondenz mit ihren Prozessbevollmächtigten gekommen sei, zeige sich auch daran, dass am 17. August 2021 eine Mitarbeiterin der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten erfolglos eine E-Mail mit einem PDF-Anhang an sie versandt habe. Im Rahmen eines Telefonats am Folgetag habe diese Mitarbeiterin erneut zweimal erfolglos den Versuch der Übersendung einer E-Mail mit einem PDF-Anhang an sie unternommen. Erst die Übersendung an die private E-Mail-Adresse des Prokuristen sei erfolgreich gewesen. Daraus lasse sich schließen, dass bereits am 29. und 30. Juli 2021 bei ihr technische Probleme vorgelegen hätten.

2. Mit diesem Vorbringen hat die Beklagte keine unverschuldete Fristversäumung dargelegt ( § 233 Satz 1 , § 236 Abs. 2 ZPO ).

a) Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter anderem zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Revisionsfrist ( § 548 ZPO ) einzuhalten. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den seitens der Partei vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen ( § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO ) zumindest die Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumnis von der Partei beziehungsweise ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet war ( BGH, Beschluss vom 26. August 2021 – III ZB 9/21 , juris Rn. 11, mwN). So liegt es hier. Auf der Grundlage des Vortrags der Beklagten im Wiedereinsetzungsantrag kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein ihr gemäß § 51 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prokuristen (dazu unter II 2 b) oder ein ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten (dazu unter II 2 c) ursächlich für die Versäumung der Revisionsfrist geworden ist.

b) Sowohl im Parteiprozess als auch im hier in Rede stehenden Anwaltsprozess kann die Fristversäumung auf einem Verschulden der Partei beruhen, wobei gemäß § 51 Abs. 2 ZPO das Verschulden ihres gesetzlichen Vertreters dem Parteiverschulden gleichgestellt ist (MünchKomm.ZPO/Stackmann, 6. Aufl., § 233 Rn. 40; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 233 Rn. 22). Im Streitfall hat die Beklagte einen Sachverhalt vorgetragen, der es nicht ausschließt, dass die Fristversäumung auf einem Verschulden ihres Prokuristen beruht.

aa) Die Beklagte hatte nach ihrem Vorbringen aufgrund der an den zuständigen Prokuristen gerichteten und ihm auch zugegangenen anwaltlichen Schreiben vom 7. Juli 2021 und 19. Juli 2021 und der E-Mails vom 19. Juli 2021, 27. Juli 2021 und 28. Juli 2021 Kenntnis von der am 30. Juli 2021 ablaufenden Revisionsfrist und dem Umstand, dass die erfolgreiche Durchführung einer Revision eine rechtzeitige Beauftragung ihrer Prozessbevollmächtigten erforderte. Aus ihrem Vorbringen ergibt sich ferner, dass den Prozessbevollmächtigten bis zum Ablauf der Revisionsfrist keine E-Mail mit dem Auftrag der Beklagten zur Einlegung der Revision zugegangen ist.

bb) Es kann auf sich beruhen, ob – wie die Beklagte behauptet – am 29. oder am 30. Juli 2021 ihr E-Mailsystem technisch gestört war. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass der Prokurist am 29. oder 30. Juli 2021 eine E-Mail mit dem Auftrag zur Einlegung der Revision an ihre Prozessbevollmächtigten tatsächlich versandt hat. In ihrem Wiedereinsetzungsantrag hat die Beklagte lediglich geltend und durch eine eidesstattliche Versicherung des Prokuristen glaubhaft gemacht, dass dieser nach dem Videotelefonat mit dem Produktentwickler der Beklagten den Prozessbevollmächtigten eine E-Mail habe schicken wollen und er der festen Überzeugung sei, dass er eine solche Mail noch am 29. Juli 2021 abgeschickt habe. Mit diesem einschränkend allein auf den Willen und die Überzeugung des Prokuristen abstellenden Vortrag und seiner entsprechend eingeschränkt abgefassten eidesstattlichen Versicherung ist nicht dargelegt und – beispielsweise durch einen Screenshot einer Sendebestätigung des E-Mailprogramms – glaubhaft gemacht, dass der Prokurist eine E-Mail mit dem Auftrag zur Revisionseinlegung tatsächlich versandt hat.

 

c) Das weitere Vorbringen der Beklagten, ihre Prozessbevollmächtigten hätten sie durch eine E-Mail vom 30. Juli 2021 nochmals auf die ablaufende Revisionsfrist hinweisen wollen, diese Mail sei ihr jedoch aufgrund einer technischen Störung nicht zugegangen, lässt ebenfalls die Möglichkeit offen, dass die Fristversäumnis verschuldet ist. Es kann auf sich beruhen, ob die Beklagte hinreichend substantiiert vorgetragen hat, dass am 30. Juli 2021 im E-Mailsystem eine technische Störung vorgelegen hat. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, läge auch bei Zugrundelegung des im Antrag auf Wiedereinsetzung gehaltenen Vortrags ein der Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten vor.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt ein Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle bei der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax nur dann, wenn er anhand des Sendeprotokolls überprüft oder durch eine zuverlässige Kanzleikraft überprüfen lässt, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist, weil mögliche Fehlerquellen nur so mit einem hohen Maß an Zuverlässigkeit ausgeschlossen werden können. Gleiches gilt für die Übersendung einer E-Mail. Auch insoweit besteht die Gefahr, dass die E-Mail-Nachricht den Empfänger wegen einer technischen Störung bei der Übermittlung nicht erreicht. Um sicherzustellen, dass eine E-Mail den Adressaten erreicht hat, hat der Versender über die Optionsverwaltung eines E-Mailprogramms die Möglichkeit, eine Lesebestätigung anzufordern (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 2013 – I ZR 64/13 , NJW 2014, 556 Rn. 10 f. mwN). Nichts anderes gilt, wenn – wie im Streitfall – ein Rechtsanwalt die Partei mittels einer E-Mail auf die am selben Tag ablaufende Rechtsmittelfrist hinweisen und sie zur Einlegung des Rechtsmittels motivieren will. Nutzt ein Rechtsanwalt im Kanzleibetrieb die E-Mail-Korrespondenz, muss er die Kenntnisnahme empfangener Nachrichten durch die Anforderung einer Lesebestätigung sicherstellen (Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., § 233 Rn. 23.16).

bb) Die Beklagte hat weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass ihre Prozessbevollmächtigten durch die Anforderung einer Lesebestätigung sichergestellt hätten, dass die E-Mail vom 30. Juli 2021 der Beklagten zur Kenntnis gelangt sei und eine Entscheidung der Partei über die Einlegung der Revision damit noch rechtzeitig hätte erfolgen können.“